Johann Gabriel Seidl
Bifolien
Johann Gabriel Seidl

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II.

Der Nachtwandler.

        »So hörst du nicht, so fühlst du nicht,
Du glühend Bild von Stein?
Und soll ich denn in banger Qual
So ganz verloren sein?

O könnt' ich eines Blickes nur
Gedenken, den du gabst!
Wär's nur ein Laut, mit dem du mir
Die arme Seele labst!

Nur einmal, süßer, heil'ger Mund,
Sprich meinen Namen aus!
Schick ihn nur einmal still und scheu
Zu solcher Pfort' heraus!«

Der Jüngling fleht, und Tränen ziehn
Als stumme Bitter nach,
Um Spiegel dessen ihm zu sein,
Was seine Zunge sprach.

Allein die Jungfrau hört ihn nicht,
Sie läßt ihm seinen Dorn:
Gesät in seines Lebens Riß
Hat sie ihr Siegeskorn.

Wenn nun der Leiden stiller Freund,
Der Mond aus Wolken steigt,
Und seine Silberstirne sanft
Zu jedem Dulder neigt;

Dann hebt denn unser Dulder auch
Sein schweres Haupt empor,
Und schaut den stillen Freund sich an
Und klagt, was er verlor;

Daß er ein junges Herz verlor,
Ein Herz voll Kraft und Glut,
So fessellos, so ungebeugt,
So ruhig und so gut;

Daß er ein Herz sich nehmen ließ,
Und keins dafür bekam,
Und daß er nun sich ohne Herz
Verzehren müss' in Gram.

So klagt er ihm, so schaut er ihm
Ins Auge klar und rein,
Und saugt das Silber seines Blicks
Mit durst'ger Sehnsucht ein.

So steht er noch und schaut empor,
Wenn längst der Mond entschwand,
Und geht und hat geschlossen noch
Sein Aug' emporgewandt.

Und inn'ger starrt er jede Nacht
Den stillen Freund sich an,
Als wollt' er nicht mehr bloß ihn sehn,
Als wollt' er ihm auch nahn.

Schon hält nicht mehr die Kammer ihn,
Er muß hinaus, hinauf,
Wo's glimmt und glänzt wie Eiskristall,
Hinan zum Bergesknauf;

Hinan und höher stets hinan
Zur schroffen Felsenwart',
Wo schon der Schwindel den erdrückt,
Der keck hinunterstarrt.

Und also stürmt er wieder grad
Den Zackensteg empor,
Da wandelt seines Irrwahns Quell,
Die Jungfrau, vor das Tor.

Sie sieht, – erkennt ihn, – starrt ihm nach,
Er steht am Felsen knapp; –
Entsetzt beim Namen ruft sie ihn, –
Er hört's, – und stürzt hinab. –

Nie sprach sie seinen Namen aus,
Solang' er jung und rot,
Und nun sie's tat zum erstenmal,
Da bracht' es ihm den Tod.

 
Selbsttäuschung.

        »Bist geworden älter,
Bist geworden kälter!«
Sag' ich oft zu mir;
»Laß es dich nicht grämen,
Nicht den Mut dir lähmen,
Kannst ja nicht dafür!

Jeder Tag verglühet,
Jeder Lenz verblühet,
Jede Stimme bricht,
Jede flücht'ge Stunde
Schlägt uns eine Wunde:
Wir nur merken's nicht.

Erst wenn tausend bluten,
Will es uns gemuten,
Daß die Kraft doch litt;
Stein und Erz verwittert,
Eich' und Zeder splittert,
Und wir altern mit.« –

Das fühl' ich mit Schmerzen
Oft so klar im Herzen,
Bin so ernst, so still,
Daß ich einen Schleier
Über meine Leier
Scheidend breiten will. –

Und doch – wenn ich wieder
Hoch von Alpen nieder
Ausblick' in die Welt;
Wenn ich in das Blaue
Schwindelnd aufwärts schaue,
Das der Mond erhellt;

Wenn aus heil'gen Hallen
Orgelklänge schallen,
Wenn der Wildbach braust;
Wenn die Wolkenfalten
Blaue Blitze spalten;
Wenn der Hochwald saust;

Wenn ich, froher Dinge,
Freundesbrust umschlinge,
Mensch mit Menschen bin;
Wenn's in muntren Kreisen
Schallt von kräft'gen Weisen,
Dann erwacht mein Sinn.

Dann wohl fühl' ich's schlagen
Wie in frühern Tagen,
Manches meldet sich;
Und das Aug' wird heller,
Und der Puls wird schneller,
Und ich fühle mich.

Und mir sagt's ein Sehnen:
»Laß solch eitles Wähnen:
Bist nicht, was du scheinst!
Du wardst noch nicht älter,
Du wardst noch nicht kälter,
Bist noch jung wie einst!«


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