Johann Gabriel Seidl
Bifolien
Johann Gabriel Seidl

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

II.

Singrün.

                        Als wär' das Morgenrot zu früh erwacht,
Durchzuckt ein Purpurschein die Mitternacht,
Und rollt sich langsam auf am Horizont
Und schwillt und überflutet Stern' und Mond,
Daß sie, wie schreckensblaß, mit scheuem Blick
Sich tiefer in den Äther ziehn zurück.

    Schon ist des weiten Himmels ganzes Zelt
Von schauerlichem Nordlichtglanz erhellt.
Wohl ist's ein Nordlicht, doch ein solches nicht,
Wie's mild herein vom fernen Pole bricht,
Und dort, wo spät die Sonne wiederkehrt,
Dem Menschen tröstend seine Nacht verklärt;
Ein Nordlicht ist's, ein Brandsignal aus Norden,
Die Feuersäule, die den Tatarhorden
Voranzieht als ein blutig Meteor,
Das weithin warnend predigt: ›Seht euch vor!‹
Der Drohbrief ist's, ans Firmament geheftet,
Der selbst des kühnsten Zweiflers Wahn entkräftet,
Die Blutfahn', ausgesteckt auf allen Höhn,
Damit die Mut'gen fest zusammenstehn,
Damit die Schwächern sich besinnen können,
Damit es klar werd' auch dem Weib und Kind:
›Und wenn sie feind auch jeder Freiheit sind,
Des Todes Freiheit müssen sie uns gönnen!‹ –

    Lebendig wird's von allen Seiten schon,
Von allen Türmen ruft's mit Glockenton,
Aus Stadt und Dorf und Hof und Hütt' und Haus,
Wallfahrern ähnlich, wandern sie hinaus,
Mitschleppend jeder, was er konnt' erraffen;
Die Männer trotzig, in der Hand die Waffen,
Die Weiber, von den Kindern fest umklammert,
Und Greise – jung, und Sieche – stark genug;
Und keiner denkt zu rasten, keiner jammert,
Ein langer, grabesstummer Geisterzug.
Wie wenn sich jenseits überm Ozeane
Ein mächt'ger Urwald plötzlich hat entzündet,
Des flüchtigen Getieres Karawane
Dem Brand voraus sich durch die Steppe windet,
Und Löw' und Antilop' und Schlang' und Tiger
Einträchtig fliehn vor ihrem größren Sieger;
So zieht dort, jeder Leidenschaft vergessend,
Des Brands allmählich Nähern nur bemessend,
In heil'ger Todeseintracht eine Schar,
Den Wildbach aufwärts, hin zum steilen Jar.
Da gähnt aus halber Höh' ein finstrer Spalt,
Bei jähem Sturm der Hirten Aufenthalt,
Ein zwerghaft Tor zu einem Riesenhaus;
Denn mächtig weitet sich die Kluft von innen,
Und dehnt bis an des Felses höchste Zinnen
Ein Labyrinth von hundert Grotten aus.
Inmitten aber wölbt sich kühn im Bogen
Ein hoher Dom aus Tuff und Stalaktit, –
Soweit, daß sich die Schar, die eingezogen,
Beim Fackelschein mit Müh' nur übersieht.
Und an den säulenreichen Tropfsteinwänden,
Wie für die flücht'gen Gäste zum Empfang,
Stehn, ausgehaun von milder Gnomen Händen,
Ruhbetten, Stühl' und Tisch' und Bänk' entlang,
Als hätten kaum die frühern Berginsassen
Bedürftigern ihr Eigen überlassen.

    Und als die Schar sich nun versammelt fand,
Hob alles gegen Himmel Aug' und Hand,
Und majestätisch brauste durch den Dom
Der feierlichsten Andacht heil'ger Strom.

    Drauf ward's lebendig in den kühlen Räumen,
Bald lodern helle Feuer durchs Gestein,
Pokale sieht man kreisen, Kessel schäumen,
Ein neuer Haushalt richtet schnell sich ein,
Und bunte Gruppen lagern an den Herden
Um sich zu stärken von und zu Beschwerden.

    Allein abseit im Dunkel steht ein Paar,
So Speis' als Trank vergessend, still versunken,
Ein zartes Täubchen und ein kräft'ger Aar,
So todesnüchtern und so sehnsuchttrunken.

    »Mein Hrycko,« lispelt sie, »mein Bräutigam,
Wer hat's verschuldet, daß es also kam?
Warum hat uns die Erde schon verschlungen,
Eh' uns der Priester noch den Psalm gesungen,
Eh' er noch Singrün mir ins Haar gewunden,
Eh' er die Händ' uns segnend noch verbunden?
Mein Hrycko, ach! mir ist ums Herz so wehe,
Und schwarz ist alles, was ich vor mir sehe;
Wir sind begraben, Hrycko, sind begraben,
Und unser Brautbett wird der Sarg von Stein,
Und unsre Hochzeitbitter werden Raben,
Und Mordgeschrei wird unser Brautlied sein!«

    Und aus des Haares schöngewundnen Flechten
Reißt sie das rote Band sich mit der Rechten,
Und in die Linke preßt sie ihr Gesicht.

    Und Hrycko küßt sie auf die Stirn und spricht:
»Laß ab vom Weinen, Hanka, meine Braut,
Du bist im Herzen längst mir angetraut;
Denn deine Lippen haben mir gebeichtet,
Und deine Augen haben mir geleuchtet,
Und deine Flechten mir zum Ring gedient,
Und dein Geständnis war mein Psalm, o Kind.
Und morgen, Hanka, morgen, eh' es tagt,
Wenn sich das junge Volk ins Freie wagt,
Um Nahrung für die älteren zu holen,
Zieh' ich mit fort, und schleiche mich verstohlen
Zum frommen Vater hin im grünen Wald,
Ich weiß um seinen stillen Aufenthalt.
Cyrillus‹, will ich rufen, ›Vater, kommt,
Es ist die Zeit, wo Priestersegen frommt;
Einsegnen müßt zum Tod ihr eine Schar,
Zum Leben noch im Tod ein liebend Paar!‹ –
Und bringen werd' ich ihn dir, Hanka, bringen,
Und seinen Psalm wird uns Cyrillus singen,
Und wird dir Singrün in die Flechten winden,
Und wird die Hände segnend uns verbinden,
Und morgen, Hanka, wirst mein Weib du sein,
Und Brautbett wird, nicht Sarg, uns sein der Stein.

    Und wie er es versprochen, also tat er;
Und schon vorm Tage kam der fromme Vater,
Daß er zum Tod einsegne dort die Schar,
Zum Leben noch im Tod ein liebend Paar.

    Doch als die Braut schon kniete vor dem Greise,
Da schrak sie plötzlich auf, da rief sie leise:
»Mit welchem Kränzlein schmückt Ihr mir das Haar?
Wo ist das Singrün, unser Schmuck der Ehren,
Der Schmuck, des keine Jungfrau möcht entbehren,
Den sie als Braut zum erstenmal empfängt,
Den sie zu Häupten ihres Bettes hängt,
Den sie bewahrt als heilig Amulett,
Den sie begrüßt in jeglichem Gebet,
Den sie nur dann erst, wenn sie ausgerungen,
Zum zweiten Male trägt ins Haar geschlungen?
Nicht ohne Singrün, frommer Vater, nein,
Kein rechtes Bräutchen, schien ich mir zu sein!
Ein Zeichen ist's, worauf der Himmel schaut,
Und meine Mutter trug es auch als Braut,
Und als sie starb, ward sie damit begraben,
Und so, wie sie, will ich als Braut es haben,
Und will damit begraben sein gleich ihr!
O Vater, laßt mich fort, – ich hol' es mir!« –

    Sie springt empor, und niemand will ihr's wehren,
Der Väter heiligen Gebrauch zu ehren.
Nur Hrycko fleht, vergeblich ist sein Wort,
Und wie ein Wiesel hurtig schlüpft sie fort.
Den steilen Abhang klimmt sie rasch hinunter,
Wo in der Tief' ein Bächlein, hell und munter,
Durch Busch und Dorn mutwillig Bahn sich bricht:
Dir, muntres Bächlein, bangt vorm Tatar nicht!

    Ha sieh! da wuchert üppig, was sie sucht;
Ein Büschlein rauft sie aus mit flinkem Finger,
Dann klettert sie den Steig zum Felsenzwinger
Mit Gemsenhast zurück in scheuer Flucht,
Die Blicke rings hinsendend, um zu spähen,
Ob nicht vielleicht ein Lauscher sie gesehen.
Da ist's, als raschelt' es im Waldgesträuch, –
Sie folgt dem Laut mit ihrem Aug', erschrocken,
Und steht mit eins entgeistert, marmorbleich,
Ihr Fuß erstarrt, und ihre Pulse stocken.
Ein hagrer Tatar schreitet durch die Rüstern
Gradüber an des Bachs jenseit'gem Rand;
Schon streifte sie sein Auge, wild und lüstern,
Gebietrisch winkt er mit der einen Hand,
Indes die andre hält den straffen Bogen
Mit gift'gem Pfeile drohend angezogen.
Da rafft sie sich empor, mit dumpfem Schrei,
Und sausend schwirrt der Pfeil an ihr vorbei.
Sie klimmt, sie keucht, sie sinkt zur Erde nieder,
Sie rafft sich wieder auf und klettert wieder,
Indes der grause Schütze, wutentbrannt,
Vergebens prüft den steilen Uferrand,
So manchen Pfeilgruß noch hinübersendet,
Und tückisch lauernd dann waldein sich wendet.

    Emporgekrochen bis zum Felsenspalt
Macht Hanka nochmal an der Schwelle Halt,
Blickt nochmal rings umher mit Angstgebärde
Schlüpft rasch hinein und sinkt erschöpft zur Erde.
Das Singrün aber hält sie krampfhaft fest,
Es ist der Preis, den sterbend nur sie läßt.
Entsetzt umgibt die Schar das bleiche Kind,
Dem Todesschweiß von kalter Stirne rinnt,
Und müht vergebens sich, die Schreckenskunde
Ihr abzulösen vom geschlossen Munde. –

    Der hagre Tatar aber war nicht träg;
In Stundenfrist erscheint er jenseits wieder,
Und läßt behutsam bis zum Bach sich nieder,
Und klettert leis' empor den Felsensteg.
Er traf die Fährt', ein wildes Grinsen zuckt
Um seine wulst'gen Lippen, sachte duckt
Er sich ins Dorngestrüppe, legt sein Ohr
Ans rissige Gestein, und horcht und lauscht.
Ha! aus des Berges hohlen Rippen rauscht
Ein dumpfes Klingen wie Gestöhn empor.
Auf springt er, wie der Fuchs, und schwingt sich schnell
Die nächste Höh' hinan; – ein Pfiff ins Weite,
Und aus dem Walde bricht die wilde Meute,
Und klimmt ihm nach durch Dickicht und Geröll.
Bald ist das kleine Pförtlein ausgewittert,
Durch das ein dumpfverworrenes Gebraus
Den gierig Lauschenden entgegenzittert,
Für sie ein hochwillkommner Ohrenschmaus.
Und dürre Reiser schleppen sie zusammen,
Und stopfen sie in Spalt und Ritze schnell,
Und stecken sie mit Wolfsgeheul in Flammen.
Hei! wie das knistert, wie das loht so hell,
Hei! welche Lust für diese feigen Horden,
Ohn' einen Pfeilschuß Hunderte zu morden!

    Indessen ist im tiefen Felsenschacht
Die schöne Braut vom Todesschlaf erwacht.
Ihr wirres Aug' durchläuft den stummen Kreis,
Fällt wie entsetzt dann auf den blut'gen Preis,
Das dunkle Singrün, das des Priesters Hand
Für sie bereits zum Ehrenkranze wand,
Und bleibt dann ruhn auf Hryckos Angesicht,
Aus dessen Mienen düstre Ahnung spricht.

    Da plötzlich streift ein Luftzug durch die Halle
So schwülig wie des Tauwinds Hauch im Mai, –
Jetzt Brandgeruch, – betroffen stehen alle,
Und in gepreßter Kehl' erstirbt der Schrei.
Jetzt ringelt sich's, wie hundert blaue Schlangen,
Aus Ritz' und Spalte züngelnd rings hervor,
Und schleicht am Boden hin, und kriecht in langen,
Schwerfäll'gen Windungen zur Deck' empor.
Weh' das ist Rauch – ist glüher Flammenodem!
Er drückt, ein unsichtbarer Alp, die Brust,
Die weite Höhl' erfüllt schon dichter Brodem.

    Noch sind sie nicht des Gräßlichsten bewußt.
Hat über ihnen sich der Wald entzündet,
Daß Rauch und Dampf sich durch die Fugen windet?
Ist's ihrer Hütten Lohe, die von fern
Mit Opferrauch noch grüßen ihren Herrn?
Ja – oder? – Nein, sie wagen's nicht zu denken!
Nur Hanka denkt's und steht vernichtet da,
Indes sich tiefer stets die Nebel senken,
Und kaum zu sehen, was sich klafternah.

    Erst jetzt durchzuckt die schreckensstarre Gruppe
Des Todbewußtseins ungestümer Drang.
Die einen werfen sich zur Erde bang,
Die andern klettern schreiend bis zur Kuppe;
Dort wälzt ein Klumpen sich zum Felsenschlunde,
Und stürzt dem Feind entgegen, den er flieht,
Dort saugt ein Lechzender mit trocknem Munde
Sich gierig fest am feuchten Stalaktit.
Zum Knäuel schlingen sie sich wirr zusammen,
Und wünschen ihren Augen – Tränenflut,
Eis – ihren Adern, atmen nichts als Glut,
Sehn nichts als Rauch, und spüren nichts als Flammen.
Hier kauert eine Mutter, Stein auf Stein,
Und grinst dem Tode blöd ins Angesicht
Der ihres Säuglings Herz in Qualen bricht;
Dort rennt ein Jüngling wild die Stirn sich ein,
Sein letzt Gebet mit einem Fluch erstickend;
Dort wankt ein Greis, ins Kleid das Antlitz drückend,
Um sterbend Ärgres nicht als Tod zu schaun.
Schon hat der Wahnwitz abgelöst das Graun,
Ein zwecklos Ringen ist's, ein trunknes Schwanken,
Ein Durcheinandertaumeln der Gedanken. –

    Nur zwei noch leben aus der ganzen Schar,
Der Hauch der Lieb' erhielt so lang' dies Paar.
Verschlungen, todeseinig, Brust an Brust,
So stehn sie da voll grauenhafter Lust.

    »Mein Hrycko!« – »Meine Hanka!« schallt es laut,
Dann leise: »Braut« und leiser: »Bräutigam«,
Und mit der Hand, beinah schon todeslahm,
Schlingt ins Gelock er ihr das heil'ge Kraut,
Den Kranz aus Singrün, den verhängnisvollen,
Den sie als Braut und Leich hat tragen wollen.
Jetzt trägt sie ihn als – Braut, – o schmerzlich Glück!
Darauf ein langer Kuß, ein längrer Blick; –
Jetzt trägt sie ihn – als Leiche! – Beide sinken,
Das Haus ist still, die Hochzeitfackeln blinken.

    Und war das Singrün wert wohl solchen Preis?
Ich weiß es nicht, doch eins ist, was ich weiß:
»Es hängt das Volk an seiner Väter Glauben,
Den fromme Lieb' als Erb' ihm übergab;
Ihr könnet alles, Gut und Blut, ihm rauben,
Dies Singrün aber nimmt es mit ins Grab!«

 
Vorbei!

        Wie schnob der Sturm, wie scholl der Donner,
Wie zischten wild des Blitzes Brander
Aus Wolken schwer und blau wie Blei; –
Nun lacht die Sonne freundlich wieder
Vom wolkenlosen Himmel nieder,
Und alles – alles ist vorbei!

Wie wusch, vom Regen angeschwollen,
Der Bach zerstörend von den Feldern
Des Landmanns Hoffnung weg wie Spreu; –
Nun fließt er klar und schmal und leise
Die Flur entlang nach alter Weise,
Und alles – alles ist vorbei!

Wie tobt die Schlacht, wie klirrt das Eisen,
Wie rollt Kanonendonner schrecklich
In Wutgeheul und Wehgeschrei; –
Bald hört man dort Zikadenschwirren,
Und Schnitterfang und Sichelklirren,
Und alles – alles ist vorbei!

Wie tobt' in diesem kleinen Herzen
Vor kurzer Frist der Kampf der Liebe,
Der Jugend kühnste Schwärmerei;
Und nun das kleine Herz so stille,
So scheu der Wunsch, so zahm der Wille,
Und alles – alles ist vorbei!

»Wie trag' ich dieses Lebens Qualen,
Dies Suchen, Finden und Verlieren,
Des ew'gen Wechsels Einerlei?« –
Getrost, eh' ich und du es denken,
Wird sich ein Schlummer auf uns senken,
Und alles – alles ist vorbei!


 << zurück weiter >>