Johann Gabriel Seidl
Bifolien
Johann Gabriel Seidl

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IV.

Nach einem Jahre.

            Vorm offnen Schranke steht die junge Frau,
In ihrem Auge schimmert süßer Tau.

Welch bunter Kram, dort Haub' und Hemdchen hier,
Und Strümpfchen, Bänder, seidne Flitterzier! –

Wo ist das Kindchen, das sie schmücken will? –
Noch schläft es unterm Mutterherzen still.

Allein die Mutter sieht es schon vor sich,
Das holde Püppchen zart und inniglich.

Sie denkt in Haub' und Hemd' und Strümpfelein
Sich Köpfchen, Leib und Füßchen schon hinein.

Sie schmückt's im Geist mit Band und Flitter aus,
Wie ihres Lebens schönsten Blütenstrauß.

Und was erst Traum, bald ist es Wirklichkeit:
O Mutterschaft, du süße Maienzeit!

Doch jede Maienwonn' ist wandelbar,
Und vieles ändern kann – ein kurzes Jahr. –

Vorm offnen Schranke steht die blasse Frau,
In ihrem Auge schimmert herber Tau.

Welch bunter Kram, dort Haub' und Hemdchen hier,
Und Strümpfchen, – doch nicht Band, nicht Flitterzier.

Wo ist das Kindchen, das sie schmücken will? –
Ach Gott! das schläft schon in der Erde still.

Allein die Mutter sieht es noch vor sich,
Das arme Würmchen, wie es leis' erblich.

Sie denkt in Haub' und Hemd' und Strümpfelein
Noch Köpfchen, Leib und Füße sich hinein.

Nur Band und Flitterzier sind nicht mehr da: –
Mit diesen schmückte sie den Sarg ihm ja.

 
Vorbereitung.

        Wenn so mit allen seinen Schauern
Der Winter saust durch Feld und Hain,
Wenn Ströme stocken, Bäume trauern,
Es ist ein freudlos ödes Sein.

So ganz verwandelt, kaum zu kennen
Die rings entblütete Natur,
Das Leben – Leben kaum zu nennen,
Auf Erden – kaum der Erde Spur.

Und alle Farben – wie zerronnen
In totes Weiß, in mattes Grau,
Die Sonn' – in Nebel eingesponnen,
Nicht Wärme, nicht Gesang, nicht Tau.

Wenn das auf einmal so geschähe,
Unvorbereitet, über Nacht,
So daß man tot am Morgen sähe,
Was abends lebhaft noch gelacht;

Wenn's plötzlich aus den Wolkenschichten
Hereinbräch' über Lenz und Licht; –
Ein Anblick wär' es zum Vernichten,
Die Menschen überlebten's nicht.

So aber ist's ein leis' Entfärben,
Ein langsam Welken und Vergehn,
Ein gnädig Mahnen an das Sterben,
Das wir in tausend Bildern sehn.

Da sinken reif die goldnen Ähren,
Da tropft vom Baum die volle Frucht,
Da weint der Himmel kühlre Zähren,
Da jagt das Laub in schnellerer Flucht.

Da ziehn die Vögel nach dem Süden,
Und Farb' um Farbe wird verwischt,
Bis in allmählichem Ermüden
Zuletzt das Leben still erlischt.

Das ist des Himmels gnäd'ge Leitung,
Er stürmt nicht wild und grausam drein,
Er weiht durch leise Vorbereitung
Das Herz zu jedem Bittren ein.

Er sprengt uns einzeln Wermutstropfen,
Eh' er den Strom der Leiden schickt;
Er läßt zum Spiel die Pulse klopfen,
Eh' er den Dolch der Prüfung zückt.

Er macht die Lippen lebenssatter,
Bis sie des Kelches fast verdrießt;
Er macht das Aug' uns matt und matter,
Bis es zuletzt sich gerne schließt.


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