Johann Gabriel Seidl
Bifolien
Johann Gabriel Seidl

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VI.

Ein lebendig Monument.

                    Monument' aus Erz und Marmor sieht man prangen weit und breit,
Mit verschwenderischen Händen lohnt itzt die Unsterblichkeit,
Ja in ganzen Pantheonen halten Helden aller Zonen,
Gleich den alten Niobiden, stumme Konversationen.

Doch lebend'ge Monumente sind noch stets ein selten Ding,
Und doch war' ein sprechend Denkmal, wie ich's meine, nicht gering;
So ein Name, der gesegnet klingt von Millionen Zungen,
So ein Kleinod, für die Zukunft eines ganzen Volks errungen;

So ein Zauber, der befruchtend eine Nation durchhaucht,
Daß er selbst nach hundert Jahren keinen Kommentar noch braucht;
So ein Schriftzug, auf die Mappe einer halben Welt geschrieben,
Daß, wenn längst die Hand vermodert, noch die Lettern lesbar blieben.

Daß der Fluch sein Amt doch, leider! besser als der Segen kennt!
Höhnend zeigt er mancherorten solch lebendig Monument;
Auch auf Deutschlands Boden hat er sich errichtet mehr als eines, –
Laßt mich von den größern schweigen, – bei den Pfälzern lebt ein kleines.

Wenn ihr dort ein Dorf durchschreitet, und es bellt ein Hund euch an,
Und ihr fragt: Wie heißt der Köter? – »Mélac« sagt euch jedermann,
Wenn ihr fragt in Hof und Hütte, – »Mélac« heißen alle Hunde,
Just als wäre »Hund« und »Mélac« eines in des Pfälzers Munde.

Seht hier ein lebendig Denkmal! – Hundertfünfzig Jahre bald
Läuft's umher auf allen Straßen, und noch immer ist's nicht alt.
MélacDer französische Marschall Graf von Mélac verheerte 1688 im Auftrage Ludwigs XIV. die Pfalz, wobei er Heidelberg mit seinem Schloß, Mannheim und andere Städte verheerte und niederbrannte. Er fiel 1709 bei Malplaquet.) war's, der Wütrich, einstens, der den Mordbrand hier geschwungen,
Der sein fränkisch Würgerliedlein deutschem Ohr hier vorgesungen;

Der sich mit so blut'ger Feder einschrieb in der Pfälzer Herz,
Daß zu seinem Monumente unnütz wäre Stein und Erz; –
Der sie wie ein Bluthund hetzte, der gleich Hunden sie mißhandelt,
Selber nun für ew'ge Zeiten ward zum Hund er umgewandelt.

Wo er Haus und Hof verbrannte, wacht er nun vor Hof und Haus,
Wo den Bauer er vertrieben, stößt der Bauer ihn hinaus,
Wo er trat, wird er getreten, wo er schlug, wird er geschlagen,
Und in jedem Hunde muß er seines Namens Schande tragen.

Und wenn oft in Mitternächten ruhelos sein finstrer Geist
Um die Weiler und Gehöfte, die er einst verwüstet, kreist,
Wittert ihn die wilde Meute und verfolgt ihn unter Heulen,
Wütend, daß sie ihren Namen muß mit dem Gespenste teilen.

 
Besuch und Gegenbesuch.

        In stiller Kirchhofecke steht ein Stein,
Worunter ein geliebter Freund mir ruht;
Es dient ein Stein dem Platze nur zur Hut,
Merkzeichen nur, nicht Denkmal will er sein.

Da wandl' ich oft hinaus beim Abendrot,
Wenn meine Seel' ihr Gleichgewicht verlor,
Und poch' an meines Freunds granitnes Tor,
Und klag' ihm einsam weinend meine Not.

Oft streicht dann leis' ein Lüftchen mir vorbei,
Als wär's ein Trosteswort, von ihm gehaucht;
Oft schaut ein Blümchen, plötzlich aufgetaucht,
So klug mich an, als ob's ein Bote sei;

Bald wirft die Sonn' im Scheiden solchen Schein
Auf die metallnen Lettern »Wiedersehn!«
Daß sie als goldne Wahrheit vor mir stehn,
Kurz – ohne Trost verlass' ich nie den Stein.

Wenn früher nicht, in stiller Mitternacht,
Erwidert mir mein Freund den Grabbesuch,
Und kommt zu mir, doch nicht im Leichentuch,
Nein, ganz zu jenem, der er war, erwacht.

Mit jugendlichem Antlitz, klarem Blick,
Mit sanfter Red' und warmem Druck der Hand
Besucht er mich, hält meinen Fragen stand,
Und lehrt mich lächelnd dulden mein Geschick;

Und spricht mit mir von Tagen, die dahin,
Und malt mir Tage, die ihm – Gegenwart,
Indes mein Herz noch bangend ihrer harrt,
Und scheidet erst, wenn ich getröstet bin. –

Und so besuchen wir einander oft,
Bis einst zwei Stein' in jener Ecke stehn,
Und es nicht not mehr, auf Besuch zu gehn,
Weil wir vereint sind, wie wir's längst gehofft.


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