Johann Gabriel Seidl
Bifolien
Johann Gabriel Seidl

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VI.

Legende.

                  Einst ging, wie's oft geschehen ist,
Auf Erden wieder der liebe Christ,
Und zog durch die Länder weit und breit,
Sankt Petrus gab ihm das Geleit.

So kamen sie denn eines Tags
Auch in ein Örtchen geringen Schlags,
Zu groß, um eben ein Dorf zu sein,
Und wieder für eine Stadt zu klein,
Nichts recht, an allem nur zunächst,
Wo Schlimm und Gut beisammen wächst;
Dem Herrn dem stand es nicht zu Sinnen,
Doch wollt' er sich's besehn von innen.

Am Sonntag war's, zur Vesperzeit,
Und weithin hallte Glockengeläut.
Schon war die Kirche fast voll zu schaun
Von zierlichen Herrn und schmucken Fraun;
Das war ein Rauschen von seidnen Gewändern,
Das war ein Flimmern von bunten Bändern,
Ein Gucken und Räuspern, ein Neigen und Nicken,
Ein Gaffen und Hin- und Widerblicken,
Ein Wischen und Wedeln mit den Tüchern,
Ein Blättern in den Andachtsbüchern,
Bis endlich zu der Orgel Klingen
Man anhub ein geistlich Lied zu singen.
Der Herr vernahm es, und ging weiter,
Kopfschüttelnd folgt' ihm sein Begleiter.

Jetzt kamen sie vor den Ort hinaus,
Da stand ein unansehnlich Haus,
Und aus dem Hause scholl und klang
Ein lauter fröhlicher Gesang.
»Halt, Petrus,« rief der Herr, »laß sehn!«
Und blieb vorm Fenster lauschend stehn.
Beim flackernden Span am Eichentisch
Saß dort ein Kränzchen munter und frisch,
Großvater und Enkel, Eltern und Kinder,
Auch Nachbar und Knecht und Magd nicht minder;
Die hatten vor sich ein schlichtes Essen,
Auch einen Trunk, nicht karg bemessen,
Und jede Mien' und jeder Blick
Verriet ihren Frieden und ihr Glück.
Und wie sie so saßen in ihrer Lust,
Da tat sich auf so Mund als Brust,
Und laut gesungen von dem Kreise
Klang eines Volkslieds muntre Weise.
Der Herr der lehnt' am Fenster still,
Wie einer, der nicht stören will,
Und horcht', als brächt' ihm ihre Freude
Die liebste Aug- und Ohrenweide.

Sankt Petro währt' es schon zu lang',
Drum tat er sich nicht länger Zwang,
Und sprach: »Mein Meister, sagt mir doch,
Ich weiß fürwahr nicht wie ich's deute.
Da steht und lauscht Ihr immer noch
Dem simplen Singsang dieser Leute,
Und dort, wo man zum Orgelklang
Ein geistlich Lied so kunstreich sang,
Da gingt Ihr also schnell vorbei,
Als ob Euch verdrösse die Melodei.«

Darauf der Herr mit Lächeln spricht:
»Mein Petrus, das verstehst du nicht.
Dort sangen sie geistliche Lieder zwar,
Voll Kunst, doch aller Andacht bar;
Hier singen sie zwar Volkslieder nur,
Ganz ohne Kunst, doch voll Natur,
Und mitten unter Lust und Scherzen
Mit aller Andacht frommer Herzen.
Und sieh! mein Petrus, das merke dir,
Ein echtes Volkslied hat viel von mir,
Man sieht ihm keine Frommheit an,
Und doch erbaut es seinen Mann!
Manch Lied mag in der Luft verschwimmen,
Es wendet und windet sich allzu schräg:
Volkslieder aber wie Kindesstimmen,
Die finden zum Himmel den graden Weg.«

 
Wettstreit.

            Zum Liederdichter spricht der Dramendichter:
»Was braucht es da Beweis noch oder Richter?
Du gibst ein Blümchen, ich – die ganze Flur,
Ich – einen See, Du – einen Tropfen nur.

Die ganze Menschheit – ich, in Lust und Schmerzen,
Du – Perlen nur aus einem Menschenherzen;
Ich gebe den Palast, du – einen Stein,
Den Mammut – ich, du nur – ein Käferlein.« –

Zum Dramendichter spricht der Liederdichter:
»Ich singe für den Freund, nicht für den Richter;
Im kleinsten Blümchen blüht ein Lenzgedicht,
Im Tropfen glüht ein Funke Sonnenlicht.

Ein einzig Herz umschließt im engen Rahmen
Der ganzen Menschheit Possenspiel' und Dramen,
Und dankbar nimmt der Christ vom Pilgersmann
Ein Steinchen auch aus Sions Tempel an.

Und rühmst du mir des Mammuts Riesenglieder,
So blick' nicht spottend auf den Käfer nieder:
Ein Wunder gilt's, und großer Raum ist dein,
Macht kleinrer Raum das große Wunder klein?« –

Da tritt ein Freund der Dichtkunst zwischen beide:
»Ein Gleichnis,« spricht er, »kenn' ich, das entscheide:
Ein groß Gehäuse ziemt der großen Uhr,
Ein klein Gehäuse ziemt der kleinen nur.

Ob jene schlage mit gewaltgem Hammer,
Ob diese leise pick' in stiller Kammer,
Ist nur das Werk in beiden gut und echt,
Wozu dann streiten? – Beide gehn sie recht.«


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