Johann Gabriel Seidl
Bifolien
Johann Gabriel Seidl

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IX.

Der letzte Mann.

                In Lincoln saß ein düstrer Mann
Zur Stund', als eben das Jahr verrann,
Und hoch vom Dome der Türmer mit Macht
Ein neues ausblies durch die Nacht.

Da tritt der düstre Mann zum Schrein,
Faßt eine bestaubte Flasche mit Wein,
Entkorkt sie, nimmt das Glas zur Hand
Und füllt es schweigend bis an den Rand.

Und wie er es langsam zum Munde führt,
Da fühlt er sich innigst bewegt und gerührt;
Man merkt es ihm ab am funkelnden Blick,
Er denkt an die früheren Zeiten zurück.

»Vor fünfzig Jahren,« so denkt er, »da war's
Wohl anders zur Stunde des sinkenden Jahrs;
Da saßen wir unser zehn um den Tisch,
Ein jeder lebendig, ein jeder frisch.

Da klang es von Liedern so heiter und hell,
Da sprang des Kapweins glühender Quell,
Da lief durch die Runde das herzliche ›Du‹,
Da scholl viel Tolles und Kluges dazu.

Und einer erhob sich aus unserer Zahl
Und faßte begeistert den vollen Pokal.
›Nein,‹ rief er, ›bei Gott! so köstlicher Wein
Soll nicht so schlechthin vertrunken sein!‹

Und eine Flasche faßt' er sodann
Und legt' ein fesselndes Siegel ihr an,
Und hieß sie von Handen zu Handen gehn
Und ließ sie von aller Augen besehn.

›Die Flasche,‹ rief er, ›so, wie sie ist,
Sie soll bewahrt sein von dieser Frist,
Bewahrt, ob Blatt um Blatt auch fällt
Vom Kranze, der jetzt noch so wohl bestellt.

Und wenn einst nur mehr noch ein einziger lebt,
Und wieder das sinkende Jahr entschwebt,
Der hole schweigend sodann aus dem Schrein
Hervor die versiegelte Flasche mit Wein;

Entsiegle sie, nehme das Glas zur Hand
Und füll' es mit perlendem Weine zum Rand,
Und leer' es im stillgewordenen Haus
Wehmütig aufs Wohl der Geschiedenen aus!‹ –

Und fünfzig Jahre sind nun hinum,
Hier sitz' ich, der letzte, der einzige, stumm.
Wohlauf! dir, Bruder, sei das gebracht:
Du fielst, ein Beneideter, schön in der Schlacht! –

Dir, Bruder, dies: Im Meer ist's kühl! –
Dir – dieses: Ein böses Spiel ist das Spiel! –
Dir – dieses, Bruder: Du glaubtest mir nicht,
Daß Liebe die Herzen wie Binsen bricht!

Dir, Vielgeprüfter, – ein Lebehoch! –
Auch dir: Schwer drückt wohl der Ehren Joch! –
Auch dir: Nicht wahr, die peinlichste Pein
Ist die, verkannt von den Liebsten zu sein? –

Auch dir: Man beneide den Dichter nicht;
Des Herzens Grabmal ist manch ein Gedicht! –
Auch dir, du leichter, glücklicher Sinn:
Du scherztest dich lächelnd ins Jenseits hin! –«

So denkt sich der Mann, leert Glas um Glas;
Die Augen umflort's ihm, er weiß nicht was: –
Es ist doch schwer, aus frohem Verein
Der einzige – letzte Mann zu sein!

 
Reisegesellschaft.

              Da fand sich einst zu mir ein Mann,
Er schloß sich freundlich an mich an,
Er fuhr mit mir bei Tag und Nacht,
Hat nie die Zeit mir lang gemacht.

Er war nicht einer, der viel spricht,
Doch mit der Mode hielt er's nicht;
Es drückt' ihm etwas, schien's, die Brust,
Vorüber war's mit seiner Lust.

Man sah es brennen klar in ihm
Und weiter glühn voll Ungestüm,
Und zu berechnen war es schier:
»Es brennt nicht lange mehr in dir!«

Wir stiegen ab in einem Haus
Und ruhten dort vom Reisen aus,
Und fanden dort ein schönes Kind,
Das uns geschäftig wohl bedient.

Das schöne Kind war auch recht gut,
Ein unverdorbnes, frohes Blut; –
Oft sah es mein Genoß sich an
Und wurde weich und weicher dann.

Und als wir wieder aus dem Haus
Uns setzten in die Kutsch' hinaus,
Kommt auch die Dirn' an unsern Schlag
Und wünscht uns, was man wünschen mag.

Und mein Gefährt', – ich weiß nicht wie?
Kneipt plötzlich in die Wange sie,
Und spricht ganz wunderbar gesinnt:
»Leb wohl, leb wohl, du gutes Kind!

Und kommst du in die Hauptstadt einst,
Die du zu sehen doch wohl meinst,
So komme doch (das rat' ich dir)
Auch einmal auf Besuch zu mir.« –

Das Kind wird rot, und weiß nicht gleich
Zu sagen: »»Herr, wo find' ich Euch?«« –
»Kind,« spricht er, »träfst du nirgend mich:
Im Kirchhof bin ich sicherlich.«


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