Johann Gabriel Seidl
Bifolien
Johann Gabriel Seidl

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IV.

Die Gräfin von Querfurt.

                          Am schönen Quellbrunn einsam geht
Der heilige Bruno, vertieft in Gebet;
Und was er so sinnet im stillen erbaut,
Das singen die Vöglein des Waldes gar laut.

Da kommt ein Weib des Weges daher,
Sie trägt an einem Kessel schwer,
Darüber ist ein Mantel gedeckt,
Als wäre drin was Geheimes versteckt.

Und wie sie so huscht an dem Heil'gen vorbei,
Da tönt aus dem Kessel ein wimmernd Geschrei,
Und Herz und Auge zieht es ihm hin;
»Weib!« fragt er, »was trägst du so heimlich darin?«

Das Weib, erschrocken, es stammelt schnell:
»»Nichts! – Junge Wölflein – trag' ich – zum Quell!««
»Ei, Wölflein?« – »»Hündlein!«« – »Laß doch sehn,
Vielleicht möcht' eins zu Gesichte mir stehn!«

Das Weib setzt ab mit verstörtem Blick,
Der Heilige streift die Hülle zurück:
»Herr Gott! Nicht Hunde, – das sind ja fürwahr
Acht Kindlein, wie kaum sie die Mutter gebar!«

Das Weib sinkt niedergedonnert ins Knie,
Der Heil'ge betrachtet die Kinder und sie,
Dann ruft er ergriffen von Zweifel und Angst:
»Gestehe, so wahr du dein Heil verlangst!«

»»Herr!«« schluchzt sie, – »»vergebt! Sie sind nicht mein,
Graf Gebhard auf Querfurt nennet sie sein.
Euch, seinem Bruder, ist's wohl bekannt,
Wie daß er gezogen in fremdes Land.

Indes gebar ihm die Gattin daheim,
Neun Früchte trug ihr ein Lebenskeim.
Ihr wißt, Herr Gebhard ist rauh und wild,
Dem leichtlich das Herz vor Unmut schwillt.

Beschwerliche Reden führt' er sogar,
Wenn reichlichen Segen ein Weib wo gebar;
Drum lag auch verzweifelt die Mutter da,
Als gar neun Würmer sie vor sich sah.

Mit grollendem Herzen wird er sie sehn,
Als wär's nicht mit rechten Dingen geschehn;
Wird ehrlos schelten Kinder und Weib,
Wird wild sich vergreifen an ihrem Leib.

Drum lieber ihr Leben geknickt im Keim,
Das neunt' und stärkste nur bleibe daheim!
So überwältigt' in bangem Gewühl
Des Vaters Rauheit der Mutter Gefühl.«« –

Der Heilige schaudert, da er's vernimmt,
Faßt Kindlein um Kindlein dann weichgestimmt,
Besprengt sie taufend mit heiliger Flut,
Und spricht: »Sie bleiben in meiner Hut!

Geh heim und sag, es sei vollbracht,
Und hülle das grause Geheimnis in Nacht.
Ich will für sie sorgen, was auch da kommt,
Der Herr wird's wenden, so wie es frommt!«

Das Weib geht heim, der heilige Mann
Nimmt warm der geretteten Kindlein sich an;
Aufblühn sie, so wie er's von Gott sich erfleht,
Acht Röslein, ein liebliches Blumenbeet.

Oft küßt die Gräfin den neunten Sohn,
Für acht verkaufte den blutigen Lohn,
Und starrt ihn an und seufzt vor Qual, –
Schier faßt ein Argwohn den rauhen Gemahl. –

Neun Jahre steigen ins Zeitengrab,
Da ruft Herrn Bruno die Pflicht fernab!
Ihm scheint's im Geiste wohl vorzugehn,
Als sollt' er die Heimat nicht wiedersehn.

Drum eilt er zu seinem Bruder hin,
Und spricht ihm mit warmer Rede zu Sinn,
Und sagt ihm, wozu er die Gattin trieb,
Und wie's durch ein Wunder verhütet blieb.

Und läßt sich's beschwören mit heiligem Eid,
Der Mutter es nicht zu entgelten durch Leid;
Dann eilt er zur Gräfin und leuchtet mit Macht
Zu tiefst ihr hinab in des Herzens Schacht.

Und als sie zerknirscht in Tränen versinkt,
Da ruft er den Grafen, entfernt sich und winkt,
Und siehe! durchs Tor, herzinnig gerührt,
Da nahen acht Knäblein, vom neunten geführt.

In gleichem Gewand, gleich golden an Haar,
Die kindlichen Augen gleich blau und klar,
Gleich rot die Wangen vom Jugendschein,
Sind's neun in einem und einer in neun.

Und wie nun des jungen Lebens so viel
Sich rührt und regt in lust'gem Gewühl,
Und wie sich's um Vater und Mutter drängt,
Und schmeichelnd an Knie und an Arme sich hängt;

Da schmilzt wohl des Grafen verhärteter Sinn,
Da wirft die Mutter in Tränen sich hin;
Da ist beieinander groß Freud' und Leid,
Ein Schwanken von Vorwurf und Seligkeit.

Herr Bruno aber blickt auf zu Gott:
»Du ließest mich, Herr, nicht werden zu Spott!
Laß werden die Eltern den Kindlein gleich:
Denn ihrer ist ja das Himmelreich!«

 
Mein Wecker.

            Nicht Räderuhr, nicht Schlagwerk und Gewicht,
Selbst Morgenglock' und Haushahn brauch' ich nicht,
Auch weder einen Knecht, noch eine Magd,
Die mich allmorgendlich zu wecken zagt.

Denn einen Wecker hab' ich nebenan,
Der es weit besser, als sie alle kann,
Er zupft mich nicht an Zehe, Nas' und Haar,
Vom Herzen aus weckt er mich wunderbar.

Der kleine Wecker aber ist mein – Kind,
Der weckt mich zuverlässig und geschwind;
Ein Laut, ein Schrei – so ist es mir genug:
Weiß Gott! er kennt den rechten Glockenzug.

Dann spring' ich hin zu ihm und seh' mit Lust
Sein liebes Lächeln nach der Mutterbrust,
Und frommer Wünsche wird mein Herz so voll,
Wie es am Morgen eben werden soll.

Und weckt er oft mich etwas früher auch
Als es vordem gewesen mein Gebrauch,
Ich bin gleichwohl der erste nicht empor:
Die Muttersorge kam mir stets zuvor.

Und sollt' ich manchmal auch der erste sein,
Wie wäre dieses Opfer doch so klein!
Fürs Lamm erwacht der Hirt im Dämmerlicht:
Und ich – ich sollte für mein Kind es nicht?


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