Johann Gabriel Seidl
Bifolien
Johann Gabriel Seidl

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IX.

Die Totenfeier.

            Am Hügel bei Sankt Jakob, von dem ihr Basel schaut,
Da sitzt ein lustig Völkchen und singt und bechert laut;
Da schäumt in hellen Humpen der blutigrote Wein,
Da freut sich Mann und Mädchen im herzlichen Verein. –

Es war vor laugen Jahren wohl auf demselben Platz,
Daß sich die Väter schlugen für ihren höchsten Schatz;
Gefährdet war die Freiheit, manch Tausend stürmt' heran,
Ein winzig Häuflein setzte sein kostbar Leben dran.

Aus Schweizerblut erblühte der Freiheit Blume neu; –
Drum wogt am Jahrestage das Volk so laut herbei,
Und läßt im Humpen schäumen den blutigroten Wein,
Und jubelt, Mann und Mädchen, im herzlichen Verein.

Da trat einmal ein fremder, hochweiser Mann hinzu,
Und sprach zu einem Schweizer: »Ei, Freund, was becherst du?
Der Wein, von dem du trinkest, wie schmeckt er dir doch gut,
Und wuchs vielleicht so blutig aus deines Ahnherrn Blut?

Wo eure Väter ächzten, da singt und jubelt ihr,
Wo ihre Knochen modern, seid ihr zum Reigen hier!?
Zieht lieber Grabesglocken, pflanzt Totenkreuz' umher,
Solch weltliches Frohlocken ziemt hier sich nimmermehr!« –

Dem Schweizer flammt's im Auge, da er die Mahnung hört,
Dann sich bemeisternd spricht er: »Ei, tut nicht so empört!
Mag immer hier im Becher der blutigrote Wein
Von meines Ahnherrn Blute so rot geworden sein!

Mag immer, wo ich stehe, Gebein der Väter ruhn;
Ich schwinge doch den Becher und glaube recht zu tun!
Sie haben hier verblutet für unsres Landes Glück,
Sie kauften ihren Enkeln den freien Sinn zurück.

Verdrießen, denk' ich, müßt' es sie noch in ihrem Grab,
Wenn wir das Gut mißkennten, das einst ihr Blut uns gab;
Der Jubelsang, mit welchem wir ihrer Spend' uns freun,
Muß den verehrten Schläfern ein heil'ger Wohlklang sein!« –

Der Schweizer ruft's und leeret sein Glas mit nassem Blick,
Der fremde, weise Mahner zieht sich beschämt zurück,
Und rings ertönt: »Nichts ehret wohl mehr den großen Mann,
Als wenn wir froh genießen, was er uns kühn gewann!«

 
Der Glöckchenwalzer.

        Lichter flimmern, Saiten klingen,
Losgelassen ist die Lust,
Walzend wogt es auf und nieder,
Aug' in Auge, Brust an Brust.

Zauberische Melodien
Schmeicheln sich ins Herz hinein:
Untreu muß es wider Willen
Seinem liebsten Grame sein.

Und die Lüfte selbst ermatten,
Fenster werden aufgetan,
Und, die müden abzulösen,
Wogen frische lüstern an.

Und in kühler Fensterecke
Stand ich, ein Vergessner, da,
Ernst genießend, was ich hörte,
Still betrachtend, was ich sah.

Horch! da tönt ein neuer Walzer,
Klag' und Jubel im Verein,
Und als schmelzende Begleitung
Tönt ein Glöckchen silbern drein.

Er entzückt die frohen Tänzer,
Macht beinah' die Spieler irr,
Wie erfaßt von Zaubertaumel
Wogt das brausende Gewirr. –

Jetzt verstummten Flöt' und Geige,
Nur das Glöcklein klang noch bang:
Denn es war das – Totenglöcklein,
Das durchs offne Fenster klang.


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