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Kepplers Adelsbrief.

Sebald Keppler, Bürgermeister der Reichsstadt Weil (im Württembergischen), dem der Dichter hier ein prophetisches Traumgesicht erscheinen läßt, war der Großvater des großen Astronomen Johann Keppler, der am 28. Dez. 1571 im Dorfe Wagstall bei Weil als ein Siebenmonatkind geboren wurde. Die Eltern waren arme ungebildete Leute, obgleich die Familie von adliger Herkunft war. Einen Vorfahren hatte Kaiser Sigismund auf der Tiberbrücke in Rom zum Ritter geschlagen.

1841

Endlich ist der Brief gefunden,
Schön von Schreibers Hand gemalt,
Von der Seidenschnur umwunden
Und vom Siegel rot bestrahlt!

Bist du fröhlich, alter, grauer
Bürgermeister Weils der Stadt,
Nun dein Sohn, obwohl ein Bauer,
In der Wieg' ein Knäblein hat?

Weißt du doch: des Urahns Glücke
Rauschte Gruß der Tiberstrom,
Als ihn Siegmund auf der Brücke
Schlug zum Ritter einst in Rom.

Mach' den Enkel nur zum Grafen,
Liegt er gleich im Baurenstroh!
Sebald Keppler, geh nun schlafen,
Deines Adelsbriefes froh.

Siehst du nicht, wie Sternenschimmer
Auf das Pergament schon blinkt? –
Doch der Alte liest noch immer,
Bis das Augenlid ihm sinkt.

Ei, was wird der Brief im Traume?
Sieh, er wächst zum Firmament,
Wo auf ungemessnem Raume
Sonne statt des Siegels brennt.

Ähnlichs hat er nie gesehen,
O welche wunderbar Gesicht!
Diese Sonne bleibt ja stehen,
Diese Sonne schreitet nicht!

Ohne Scheu, am Tage, treten
Statt der Lettern Sterne vor,
Und es kreisen die Planeten
Um das goldne Licht im Chor.

Wie so süß erklingt, wie tönet
Jede Sphäre dieser Welt!
Umgekehrt und doch verschönet
Lacht das ganze Himmelszelt!

Endlich sieht er einen braunen
Chorherrn sich im Traume nahn.
Der spricht freundlich: »Laß dein Staunen,
Solches ist der Sterne Bahn!

»Merke dir den ächten Himmel,
Denn das ist sein Guß und Fluß;
Ordnung bracht ich ins Gewimmel,
Heiß' ich ja Kopernikus!

»Doch so sauber in dem Blauen
Hab' ich einst es nicht entdeckt.
Mann! dein Enkel, der wird schauen,
Was mir selber blieb versteckt.

»Siehst du dort den roten flimmern?
Das ist Mars, der sichre Stern:
Dem, von allen Wandelschimmern,
Folgt er um den Sonnenkern.

»Und bald mißt er ihre Bahnen,
Und sein Scharfblick irret nie.
Ihre Gänge durft' ich ahnen,
Aber Er berechnet sie!

»Drum durchspäh' die Himmelsferne,
Modern laß des Kaisers Wort.
Adelsbrief und Glückessterne
Blühen deinem Enkel dort

Sebald Keppler wacht zu Morgen
Aus dem Traum gekräftigt auf.
Sind die Sterne gleich verborgen,
Ist die Sonne gleich im Lauf;

Findet gleich er in der Wiegen,
Ach, ein Siebenmonatkind
Stöhnend, halblebendig liegen,
Noch an beiden Augen blind:

Auf den Arm nimmt er's in Wonne,
Weil er seinem Traume glaubt;
Sterne wandeln um die Sonne
Über seines Enkels Haupt.


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