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Der Mönch und die Nonne.

Diesen Namen führt noch jetzt ein so gestaltetes Felsstück auf der alten Wartburg.

1815

Einst auf der Wartburg abends frisch,
Vor seinem braunen Eichentisch,
Dem teuren Erbstück von der Mutter,
Saß bei der Arbeit Doktor Luther.
Am deutschen Bibelbuch, dem lieben,
Hatt er ein gutes Teil geschrieben:
Er legte hin die Feder sein,
Er schaute nach dem Gitterlein,
An Berg und Thal, den Gotteswerken,
Sich Auge, Herz und Hand zu stärken.
Was trübt ihm seinen frommen Mut?
Was treibt ihm nach der Stirn das Blut?
Ja klärlich auf dem Berge drüben
Sieht er sein Spiel den Argen üben.
Da steht von Felsen aufgebaut,
Er hat's bis heut noch nicht geschaut,
Ganz hell ein Mönch und eine Nonne,
Die küssen sich beim Schein der Sonne.
O schamlos greuliches Gebild!
Ist's nicht genug, daß frech und wild
In den verschlossnen Klostermauern
Des Satans böse Lüste dauern,
Darf er sie offen aller Welt
Noch malen unters Himmelszelt?
Der Doktor schauet nach den Feldern,
Ob kein Entsetzen in den Wäldern,
Ob nicht die Luft in Zornesflammen
Ein schwarz Gewitter zieh zusammen?
Doch in dem hellsten Sonnenstrahl
Die Bäume rauschen allzumal,
Und in den wunderlichen Stein
Schlingt Moos und Blume sich hinein.
Ist das von Gott, kommt das vom Übel? –
Wie er noch sinnt, fällt auf die Bibel
Ein lichter Abendsonnenstreif,
Just auf 'nen Spruch, als goldner Reif.
»Wie konnt ich – spricht er – lange sinnen!
Antwort muß doch wohl sein da drinnen.
O gieb mir, du wahrhaftigs Buch,
Aufschluß zu Segen oder Fluch!«
So liest er fort, wo er geblieben,
Da steht's im Sonnengold geschrieben:
»Ein Bischof soll unsträflich rein,
Soll Mann von Einem Weibe sein!«
Jetzt geht ihm auf ein helles Licht:
Ach nein, das kommt vom Bösen nicht!
Spricht Gottes Wort noch auf den Dächern,
Nicht bloß in einsamen Gemächern,
So darf's in Felsen und Gestein
Wohl auch klar ausgesprochen sein.
So hat er drauf gekämpft, gestritten,
Und bald geführt in seine Hütten,
Trotz Papst und Teufel, keck und laut
Aus einem Kloster sich die Braut.
Seit öffnen sich die ernsten Pforten
Der dunkeln Klöster aller Orten;
Viel Schleier sind zurückgewallt,
Manch eine liebliche Gestalt
Steht betend wohl noch am Altare,
Doch mit dem Brautschmuck in dem Haare:
Ja Nonn und Mönch mit Steineshaupte,
Weil Doktor Luther es erlaubte,
Sie küssen sich auf diesen Tag,
Geh schauen, wer es schauen mag;
Ich hab's gesehn im Abendschein,
Die Berge blickten freundlich drein,
Die Sonne hatt' ihr Wohlgefallen: –
Gott schenk so süßen Kuß uns Allen!


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