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17.

Es war dies das letzte Aufflackern des Genius vor seinem Erlöschen. Andauernde Leiden des Körpers und der Seele warfen Milton auf das Krankenlager; er fühlte das nahe Ende seiner Tage. An seiner Gattin fand er eine liebevolle Pflegerin; auch sein Bruder, der seine politischen Ansichten nicht theilte, war herbeigeeilt Die Geschwister sahen sich nach langer Zeit wieder, und vergaßen wenigstens im ersten Augenblick ihre verschiedenen Meinungen. Milton streckte seine abgezehrte Hand dem treuen Bruder entgegen.

– Guter Christoph! sagte er mit schwacher Stimme. Ich sehe, daß du mich noch immer liebst. Wie wohl thut mir dein Anblick nach langer Trennung; wie freue ich mich, daß du gekommen bist. Du wirst mir helfen, mein Haus zu bestellen, und meine irdischen Angelegenheiten zu ordnen.

– Das will ich gern thun, entgegnete der Bruder mit sichtbarer Rührung.

– Mein Vermögen ist nur gering, denn Dichter sammeln keine Schätze. Es thut mir weh, daß ich meiner Frau nur so wenig hinterlassen kann. Ich hätte ihr gern ein sorgenloses Schicksal bereitet; sie hat es um mich verdient durch die treue Pflege, die sie mir angedeihen ließ, durch ihre Liebe und die Geduld, welche sie mit dem armen, blinden Manne hatte; doch, ich verstand es nicht, große Summen zu erwerben.

– Du hast, wie ich höre, noch außenstehende Forderungen.

– Meine Schuldner sind noch ärmer, wie ich, größtentheils Parteigenossen, welche bei dem Umschwung der Verhältnisse ihr Vermögen verloren haben. Ich wünsche nicht, daß du das Geld von ihnen zurückforderst.

– Und deine Kinder, deine Töchter? fragte Christoph so schonend, als möglich.

– Ich habe keine Kinder, sagte er schmerzlich. Sie haben sich von mir losgesagt. Ich bin einsam und verlassen.

Bei diesen Worten öffnete sich leise das Krankenzimmer. Eine Matrone, deren Angesicht noch die Spuren einstiger, großer Schönheit trug, trat durch die Thür geräuschlos ein. Neben ihr stand ein junger Mann mit edlen, feinen Zügen. Es war Alice mit ihrem herangewachsenen Sohn. Sie hatte auf ihrem Gute die Erziehung des Jünglings, fern von dem verderblichen Einflusse des Hofes, vollendet. Bei der ersten Nachricht von der gefährlichen Erkrankung ihres Freundes war sie jetzt herbeigeeilt; doch hatte sie sich sein Ende nicht so nahe gedacht. Die Thränen der trauernden Gattin belehrten sie darüber. So leise sie auch gekommen war, so hatte der Blinde doch mit seinem feinen Gehör ihren Schritt bemerkt.

– Wer ist da? fragte er gespannt.

– Eine Freundin, Alice! antwortete die würdige Matrone, mühsam das Weinen unterdrückend.

Ueber Milton's Gesicht schwebte ein sanftes Lächeln, ein rührender Freudenschimmer röthete die blassen, eingefallenen Wangen.

– Willkommen, rief er tiefbewegt, Geist meiner Jugend, Genius des Dichters! Ich wußte, daß du nicht ausbleiben würdest, daß ich dich sehen mußte vor meinem Scheiden.

– Und ich bin nicht allein, ich bringe einen Sohn mit, der gekommen ist, um Euren Segen zu empfangen.

– Tritt näher! sagte der sterbende Dichter zu dem jungen Mann.

Mit den Händen betastete er die edlen Linien des frischen Gesichtes, die ihm wohlzugefallen schienen. Er nickte befriedigt.

– Gott hat mir einen Sohn versagt, seufzte Milton. Ich habe keine Kinder, auf die mein Name forterbt.

– Ihr hinterlasst unsterbliche Söhne und Töchter, Eure Werke, »Komus«, »das verlorene und wiedergewonnene Paradies«, »der Simson«, und alle jene herrliche Schöpfungen Eurer Phantasie.

O! das genügt nicht. Ich würde alle meine Werke hingeben für einen Sohn, für ein Kind von Fleisch und Blut, dem ich meinen Namen, meine Gesinnungen vererben, meinen Geist einhauchen könnte.

– So nehmt meinen William und übertragt auf ihn Eure Liebe. Der junge Mann, welcher die Verehrung seiner Mutter für ihren Freund theilte, beugte sein Haupt vor dem sterbenden Dichter und bat um seinen Segen.

– So gehe ich doch nicht, sagte dieser, ohne einen Sohn zu hinterlassen, aus dieser Welt. Gott segne dich, Gott segne die Jugend, von der ich noch allein das Heil und die Errettung unseres armen Vaterlandes erwarte. Ich scheide mit der Hoffnung, daß die Saat, welche wir ausgestreut, nicht gänzlich untergehen wird. Eine spätere Generation soll die Früchte ernten. Uns war es nicht vergönnt, das Land der Verheißung zu betreten. Wie Moses durften wir nur von fern die gelobte Freiheit sehen. Vierzig Jahre mußte Israel in der Wüste umherirren, ehe es den heiligen Boden betrat. Der Herr wird auch uns nicht zu Schanden werden lassen. Der Geist, den er in uns erweckt hat, kann nicht untergehen. Wohl ist die Gegenwart einer Wüste zu vergleichen, in der wir umherwandeln, ohne den richtigen Weg zu kennen. Das Volk tanzt noch um das goldene Kalb, und wendet sich von dem wahren Gotte ab, der sich majestätisch in seinem Wolkenhimmel verhüllt; aber die Nation wird sicher zur Besinnung kommen, ihren Irrthum einsehen, die falschen Götter verlassen, und sich dem Ewigen wieder zuwenden.

Erschöpft hielt der Kranke inne; die Sprache versagte ihm, aber seine Seele, die sich bereits von der irdischen Hülle zu befreien begann, nahm einen höheren, prophetischen Schwung; sie schwebte fessellos über Zeit und Raum. Nach einer längeren Pause begann er von Neuem:

– Noch ist der Kampf nicht beendet, der Kampf des Himmels mit der Hölle, der guten mit den bösen Mächten. Dort steht der gefallene Engel mit seinem Heer der Unterwelt; er rüstet sich von Neuem zum Kriege gegen die Wahrheit, hier grins't mich Komus an, der Gott der Gemeinheit, der thierischen Begierde; ringsumher schwelgen die Philister, und rühmen sich ihres Sieges über den gottgesandten Helden. – Alles vergebens, ihre Anstrengungen sind umsonst. Ich weiß und fühle es, daß nicht die Hölle triumphiren wird. Schon sehe ich den Erlöser kommen, vor dem die Lüge schwindet. Der heilige Geist läßt sich auf die Völker hernieder, der Geist der Erkenntniß, des Wissens, der Menschenliebe und allgemeinen Duldung. Der Schutzengel der Tugend und Unschuld verscheucht den lüsternen Komus, der seine Beute fahren lassen muß. Nach uns kommen bessere Zeiten, und andere Kämpfer, welche endlich triumphiren werden. Rüstet euch, ihr Auserwählten, werdet nicht müde, lasset nicht ab! der Sieg wird euch und der gerechten Sache nicht fehlen. Dich aber, fügte er hinzu, indem er sich an den Sohn Alicen's wendete, dich werbe ich hiermit für das neue Heer, welches den alten Streit auskämpfen soll. Bleibe treu dem Glauben deiner Väter, der besseren Ueberzeugung und der Wahrheit. Der Herr segne und erleuchte dich.

Während der Sterbende so sprach, herrschte ein tiefes, ehrfurchtsvolles Stillschweigen. Von Rührung ergriffen, kniete der schöne Jüngling an dem Lager nieder, um den Segen des berühmten Dichters zu empfangen. Er fühlte tief im Innern die Bedeutung des Augenblicks, der für sein ganzes, ferneres Leben von Entscheidung war. Hierauf reichte Milton seine Hände der treuen Gattin und der Geliebten seiner Jugend, die gleich Engeln das Krankenbett umstanden.

– Weinet nicht, tröstete er sie. Mein Leben war zwar reich an Leiden aller Art. Ich habe. an dem Grabe der Freiheit gestanden, die ich mit begründen half. Meine Ueberzeugungen wurden verhöhnt, meine Gedanken verspottet, meine Schriften von Henkershand verbrannt. Ich sah meine Freunde verfolgt, eingekerkert und hingerichtet. Ich hatte den Verlust meiner Augen zu beklagen, und wurde ein armer, elender und blinder Mann. Das Schicksal hat mir viel geraubt, aber auch viel gegeben. Es war mir vergönnt, in einer großen Zeit zu leben, und an dem Aufwachen der Geister, an der größten That des Jahrhunderts, Theil zu nehmen. Ich habe redlich mitgewirkt und mitgefochten. Die ersten Geister meiner Zeit haben mir die Hand gereicht, und mit den Edlen aller Länder verband mich das geistige Band der Achtung und Freundschaft. Fürsten und Völker haben auf mein Wort gehört, das zu Fleisch, zur That, zur Anregung für Tausende geworden ist, und hoffentlich noch werden wird. Das Alles aber schwindet vor der Liebe, die mir von zwei der edelsten Frauen zu Theil ward, vor dir, mein gutes Weib, und von Euch, Alice, meiner Muse, meinem Genius. Dafür segne Euch Beide der Himmel, dafür danke ich Euch und Gott in dieser letzten Stunde.

Die Thränen der Frauen benetzten seine Hände. Allmählig aber verwirrten sich seine Sinne, die Außenwelt verging für ihn, und die sichtbare Veränderung seiner Gesichtszüge kündigte das nahe Erlöschen der schwachen Lebensflamme an. Mit seinen erkaltenden Händen hielt er noch immer Alice und seine Gattin krampfhaft fest. Während des kurzen und fast schmerzlosen Todeskampfes schwand auf einen Moment seine äußere Blindheit, er glaubte alle Umstehenden in der wunderbarsten Beleuchtung zu sehen; sie erschienen ihm rein von jeder irdischen Beimischung als himmlische Gestalten im Lichte der Verklärung. Immer größer wurde die Zahl der Phantasiegebilde, welche sich um sein Lager drängten, die Freunde seiner Jugend, die Männer, die mit ihm gelitten und gestrebt, die edlen Frauen, die in ihm den großen Genius geachtet und geliebt, schwebten vor seinen Augen als ein glänzender Zug, ehe sich dieselben für immer schlossen. Ueber sein Antlitz schwebte ein heiteres, seliges Lächeln. Als sich Alice zu ihm niederbeugte, war sein hoher Geist bereits entflohen.

Sie hauchte einen Kuß, die letzte Liebesgabe, auf die bleiche, edle Stirn des Dichters, dann sank sie weinend in die Arme seiner Gattin.

Ein zahlreiches Leichengefolge begleitete den Sarg Milton's zu seiner letzten Ruhestätte, nach der Kirche St. Giles bei Cripplegate, wo er neben dem Altar begraben liegt. – Es war ihm nicht mehr vergönnt, den Sieg der Freiheit unter Jakob dem Zweiten und den Triumph seiner Grundsätze zu erleben, welcher nur wenige Jahre nach seinem Tode erfolgte. – Alicen's Sohn, der indeß zum Manne herangewachsen war, nahm den wesentlichsten Antheil an diesen späteren Kämpfen und trat entschieden auf Seite der Partei, welche sich gegen die unerträgliche Tyrannei eines bigotten und grausamen Königs auflehnte. Seine Mutter lebte in stiller Zurückgezogenheit und weihte dem großen Todten eine liebevolle Erinnerung. Sie hatte die Genugthuung, noch Zeugin seines wachsenden Ruhmes zu sein. – Wie die meisten edlen Geister, fand Milton erst nach seinem Ableben die vollste Anerkennung, welche jedoch mit Unrecht vorzugsweise seinem »verlorenen Paradiese« zu Theil wurde. Seine prosaischen Werke tragen ebenso den Stempel des Genies trotz der ihnen anklebenden Mängel, welche mehr seiner pedantischen Zeit, als dem Verfasser angehören. Umsomehr verdienen dieselben unsere Bewunderung und Beachtung, da sie fast jede große Frage der Menschheit berühren und alle die politischen und socialen Interessen sich zur Aufgabe stellten, deren befriedigende Lösung bis in die neueste Zeit hinein die vorzüglichsten Geister versucht haben. In diesen Schriften lernen wir Milton als den unermüdlichsten Kämpfer der Freiheit kennen, als den großen Vorläufer eines Rousseau und der französischen Revolution. An der Grenze der alten und neuen Zeit steht er wie ein geistiger Riese da, mit der strahlenden Krone des Dichters geschmückt, welche durch ihren Glanz die Verdienste des Publizisten längere Zeit verdunkelt hat. Milton selbst vergaß über den Poeten nicht den Menschen, über den Dichter nicht den Staatsbürger. Er schloß sich nicht selbstsüchtig von der Welt ab, sondern lebte ein volles ganzes Menschenleben aus. Er opferte Alles seiner Ueberzeugung und scheute keinen Kampf, keine Verfolgung, keine Unruhe für die Idee, welche er vertrat. Er stützte sich auf den festen Glauben an das Christenthum. Aus der Religion, aus den ewigen Wahrheiten des Evangeliums schöpfte er die nöthige Kraft. So faßte er seine Aufgabe als eine große, göttliche Mission auf; daher der strenge sittliche Ernst, die gewaltige Energie und der heilige Eifer, welche ihn auch dann nicht verlassen, wenn er Ansichten vertritt und Grundsätze vertheidigt, welche einem noch beschränkten und in manchen Beziehungen verfinsterten Zeitalter angehören. Auch in seinen Streitschriften, wo er im Geiste seines Jahrhunderts mit einer uns fremden Rücksichtslosigkeit auftritt und seinen Gegner persönlich angreift, weiß er sich eine gewisse Würde zu wahren. Selbst in seinen Irrthümern lernen wir ihn darum achten, weil sie aus diesem Drange nach der Wahrheit stammen. Er schrieb auch nicht eine Zeile, welche nicht für seine edle Gesinnung, für seine Liebe zum Vaterlande, zur Menschheit und für die Freiheit zeugte. – Er war der geborene Feind jeder Beschränkung, mochte sie in der Erziehung, im häuslichen Leben, im Staate oder in der Kirche sich geltend machen. In seinen Augen war jeder Mensch frei geboren und sollte, um seine Aufgabe vor Gott und den Menschen würdig zu erfüllen, die ganze Freiheit ungeschmälert besitzen. Deshalb verlangte er Achtung aller natürlichen Menschenrechte, Trennung der Kirche von dem Staate, freie Forschung für die Wahrheiten der Bibel, Freiheit des Wortes, der Presse, der Erziehung und des ehelichen Verhältnisses. In seinen prosaischen Schriften hat Milton gleichsam die Grundlinien einer neuen gesellschaftlichen Ordnung gezogen. Wenige Fragen, die uns heute beschäftigen, dürfte es nur noch geben, die er nicht beachtet hätte. Die Befreiung Griechenlands, die Reform des Wahlgesetzes, die Verbesserung des öffentlichen Unterrichts, die Ehescheidung, alle die Wünsche und Hoffnungen der Gegenwart hat er mit ahnendem Geiste vorausgesehen und angeregt. Gleich den Propheten des Herrn sah er in die fernste Zukunft und sein Genie eilte nicht nur seiner Zeit, sondern selbst der unsrigen in mancher Beziehung voraus. –

Keiner seiner Zeitgenossen kam ihm gleich an geistiger Kraft, Sittlichkeit und Charakterfestigkeit Mitten in den Tagen der allgemeinen Verderbniß und des Abfalls blieb er sich selber und seinen Grundsätzen treu. Seine Fehler und Irrthümer gehören dem Jahrhundert an, in welchem er lebte, seine Tugenden und sein Genie ihm allein. –

 


 


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