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10.

Ein neuer Gast war in Ludlow-Castle eingetroffen. Auf seiner Rückreise nach London hielt es der Sir Kenelm Digby für seine Pflicht, dem verwandten Hause des Grafen von Bridgewater einen Besuch abzustatten. Vielleicht verband er mit dieser Höflichkeit noch einen andern Zweck, da Sir Kenelm nie Etwas ohne eine geheime Absicht that. Die Aufnahme, welche er in der edlen Familie fand, entsprach ihrer gepriesenen Gastfreundschaft, wie dem Ruf, der dem außerordentlichen Manne voranging. Kenelm Digby war der Sohn des Sir Edward Digby, eines begüterten Edelmannes. Sein Vater, ein eifriger Katholik, war wegen seiner Theilnahme an der berühmten Pulververschwörung unter König Jakob dem Ersten von England hingerichtet worden.

Der verwaiste Sohn nahm die protestantische Religion an, um wenigstens einen Theil des Vermögens zu retten, welches die Krone bereits eingezogen hatte. Sein Lehrer und Erzieher war der bekannte Erzbischof Laud, damals noch Decan of Glocester. Frühzeitig verrieth der talentvolle Knabe außerordentliche Gaben des Geistes, und machte in allen Wissenschaften die bedeutendsten Fortschritte. Als Jüngling wurde er unter Aufsicht des gelehrten Thomas Allen von seiner streng katholischen Mutter auf Reisen und zunächst nach Frankreich und Italien geschickt. Bei seiner Rückkehr verbreitete sich allgemein das Gerücht, daß er in Rom die ihm ausgedrungene protestantische Religion abgeschworen habe; er selbst stellte aber längere Zeit diesen Umstand entschieden in Abrede. Bei einem Hoffeste, welches zur Vermählung der Prinzeß Elisabeth mit dem Pfalzgrafen Friedrich, dem späteren König von Böhmen, gegeben wurde, lernte er die schöne Venezia Stanley, die Tochter des Sir Edward Stanley kennen, deren Mutter eine Percy war und die somit zu dem höchsten Adel des Königreichs gehörte. Trotz aller Hindernisse gelang es ihm, die Liebe des sechszehnjährigen Mädchens zu gewinnen, dessen Ruf jedoch von ihren Zeitgenossen vielfach angezweifelt wurde. Ehe er ihr seine Hand reichte, sah er sich gezwungen, für einige Zeit seinen Aufenthalt in Paris zu nehmen. Dort erregte seine männliche Schönheit wie sein Geist am Hofe das größte Aufsehen und selbst die Königin, jene galante Anna von Oesterreich, fühlte sich zu ihm hingezogen und knüpfte mit ihm ein inniges Verhältniß an. Aus den Armen einer Fürstin eilte er jedoch wieder zu seiner geliebten Venezia zurück, welche allerdings nach dem einstimmigen Urtheil zu den liebenswürdigsten und verführerischsten Frauen jener Zeit gezählt werden darf. Erst nachdem er sie mit Gewalt entführt und sich heimlich mit ihr vermählt hatte, gelangte er zu ihrem vollständigen Besitz. Ehrgeiz und Abenteuerlust führten ihn an den Hof und in das Treiben der Welt zurück. Er begleitete den verschwenderischen Buckingham auf dessen Gesandtschaftsreise nach Frankreich. Um die Kosten dieses Ausfluges zu bestreiten, mußte seine geliebte Venezia ihren reichen Juwelenschmuck versetzen, was sie gern und freudig that. Später rüstete er in dem Kriege, welchen Karl mit Frankreich führte, einige Schiffe mit seinem Gelde aus. Als Befehlshaber derselben griff er bei Skandenoon die vereinigten Galeeren der Franzosen und Venezianer muthig an und erfocht einen nicht unerheblichen Sieg über dieselben. Sieggekrönt kehrte er nach England zurück, um sich während der nun folgenden Friedensjahre ausschließlich der Liebe und den Wissenschaften zu widmen. Sein Lieblingsstudium war die Chemie, in der er sich durch Fleiß und Anstrengung ganz ungewöhnliche Kenntnisse für die damalige Zeit erwarb. Schon nach einer fünfjährigen Ehe starb sein Weib und zwar so plötzlich, daß ihr unerwartet schneller Tod den Verdacht einer Vergiftung aufkommen ließ. Ihr Gatte selbst wurde eines solchen Verbrechens und zwar aus Eifersucht beschuldigt, da die Treue Venezia's mindestens zweifelhaft erschien und ihr früherer Lebenswandel allerdings seinen Argwohn leicht erregen konnte. Sein Betragen nach diesem Verlust gränzte einigermaßen an Wahnsinn. Monate lang schloß er sich in seinem Laboratorium ein, erschien an keinem Tageslicht. Mit ungekämmtem Haar und Bart starrte er sinnend auf einen Punkt und überließ sich vollkommen der größten Verzweiflung. Erst nach einem Jahre erschien er wieder in der Welt und ließ sich bei Hofe blicken, wo er sich besonders der Gunst der katholischen Königin erfreute. Karl der Erste zog ihn in sein Vertrauen und ernannte ihn zu seinem Kammerherrn. Diesem vielbewegten Leben eines Kriegers, Denkers und Höflings in derselben Person entsprach auch die ganze äußere Erscheinung des Edelmanns. Seine athletische Figur verrieth eine ungewöhnliche Körperkraft und kriegerische Tüchtigkeit. Auf dem starken Nacken saß indeß der ausdrucksvollste Kopf, welcher die Herrschaft des Geistes über diesen kolossalen Körper verkündigte. Die hohe, stark gewölbte Stirn verrieth den scharfen Denker. Der Blick der dunkelgrauen Augen war hell und klar wie ein geschliffener Stahlspiegel und deutete auf vorwiegenden Verstand. Im wunderbaren Contrast stand damit der üppig weiche Mund, den ein schwärmerischer Zug umfloß. Glänzend schwarz war das lockige Haar, welches bereits zu schwinden begann und einen Theil des Scheitels kahl und bloß erscheinen ließ. Ein eben so dunkler Bart umgab die bleichen Wangen bis tief zur Brust herniederwallend. Dadurch erhielt der Ausdruck des Gesichtes trotz seiner großen Bedeutsamkeit etwas unheimlich Gespenstisches. Die ganze Erscheinung vereinte zu große Widersprüche, um nicht ein gewisses Mißtrauen zu erregen. Sinnlichkeit und fanatische Ascese, kalter Verstand und an Wahnsinn gränzende Excentricität sprachen aus den scharf geprägten Zügen. Die verschiedenen Gerüchte, welche der geschwätzige Leumund über ihn verbreitet hatte, waren ganz besonders dazu angethan, den Eindruck des Geheimnißvollen und Mystischen seiner Person zu verstärken. – Es ging ihm wie so vielen Verstandesmenschen; das unterdrückte Gefühl und die zurückgedrängte Phantasie machte sich in unbewachten Augenblicken bei ihm doppelt geltend. Dann kannte seine Leidenschaftlichkeit keine Gränze mehr und die Ausbrüche seiner Excentricität glichen verheerenden Stürmen und vernichtenden Blitzen.

Sowohl seine Stellung wie die verwandtschaftlichen Beziehungen, in denen er zu der Familie des Grafen von Bridgewater stand, sicherten ihm eine überaus freundliche Aufnahme. Der Lord Präsident zog sieh bald nach der Ankunft des Gastes mit demselben zurück, um mit dem erfahrenen und geistreichen Mann die Lage des Königs und des Hofes zu besprechen. Das geheime Kabinet des Grafen lag in einem der gothischen Thürme und hatte die herrlichste Aussicht auf das Thal und die Hügel von Herefordshire. Weiche Teppiche waren auf dem Fußboden ausgebreitet, um jeden lauten Schall zu dämpfen. Die gepreßten Ledertapeten enthielten Darstellungen aus dem alten Testament; an der einen Wand erblickte man den Erzvater Abraham wie er im Begriffe stand, seinen einzigen Sohn zu opfern, neben ihnen stand der Widder und über dem Altar schwebte der rettende Engel mit vergoldeten Fittigen. Ein anderes Bild zeigte die Kinder Israels in der Wüste, das goldene Kalb anbetend; auf einer Anhöhe stand Moses zürnend mit den Gesetztafeln in der Hand: So zeigte sich der religiöse Sinn der Zeit in der ganzen Einrichtung dieses Studirzimmers eines vornehmen Herrn aus jener Zeit. Möbel, Tapeten, jeder Hausrath zum täglichen Gebrauch war damals noch in strenger Uebereinstimmung mit dem ganzen Menschen und seinem Leben. Selbst die Stühle und Lehnsessel waren mit biblischen Stickereien bedeckt. In der Nähe des Fensters stand der alterthümliche Schreibtisch des Grafen mit Büchern und Schriften beladen. Dicke Folianten in Schweinsleder oder Pergament gebunden ersetzten unsere heutigen zierlichen Oktavbändchen und statt der Akten lagen ringsumher stattliche Urkunden mit Metallkapseln versehen, welche die großen Siegel vor Beschädigung bewahrten.

In diesem Zimmer verkehrten jetzt ungestört und ohne Zeugen die beiden Männer. Der Lord Präsident von Wales war ein schon bejahrter Mann mit würdevollen Zügen. Er hatte wie sein Vater, der unter Elisabeths und Jakobs Regierung berühmte Kanzler Egerton, das Studium der Rechtswissenschaften erwählt und wie dieser sein ganzes Leben hindurch die strengste Pflichttreue und den starrsten Sinn für Gerechtigkeit bewiesen. Trotz seiner Anhänglichkeit für das königliche Haus konnte er darum die letzten Maßregeln der Regierung nicht gut heißen. Die Bedrückungen und Erpressungen der Sternkammer, die ungerechtfertigte Auflösung des Parlaments, die dadurch herbeigeführte willkürliche Besteuerung des Volkes hatten ihn mit Recht für die Zukunft des Landes besorgt gemacht. Jetzt sprach er seine Befürchtungen, wenn auch mit Vorsicht, dem neuen Gaste gegenüber aus, wobei seine angeborene Loyalität häufig mit seinem Gewissen in Widerspruch gerieth.

– Ihr könnt mir glauben, sagte er im Verlauf der Unterhaltung, daß das Volk mit jedem Tage hier schwieriger wird. Der König muß ein neues Parlament berufen, wenn es nicht zum Aeußersten kommen soll. Ihr lebt am Hofe, in seiner nächsten Umgebung und könnt mir daher am besten sagen, was er zu thun gedenkt.

– Karl wird so lang als möglich ohne sein Parlament zu regieren suchen. Er hat die Freuden der unbeschränkten Herrschaft einmal kennen gelernt und will dieselben nicht so leicht wieder fahren lassen. Vorläufig ist nicht daran zu deuten und so lang es ihm an Geld nicht mangelt, wird er sich hüten, von freien Stücken diese Versammlung von mürrischen Zuchtmeistern und Nachmittagspredigern einzuberufen.

– Aber bei dem gegenwärtigen Aufwande, der am Hofe herrscht, werden seine Mittel bald erschöpft sein.

– Dafür laßt nur den alten Roy sorgen. Der schlaue Rabulist sitzt Tag und Nacht und sucht in vergilbten Pergamenten und verstaubten Urkunden nach. Er versteht es besser wie der erste Alchymist aus Papier Geld zu machen. Wo er nur ein Titelchen eines verjährten Rechtsanspruches, eine Spur von einer abgekommenen Einnahme der Krone findet, da stützt er sich darauf und weiß Geld daraus zu schlagen. Tag und Nacht sinnt er darauf, neue Steuern und Abgaben unter gesetzmäßigen Formen aufzubringen. Die Rechtmäßigkeit läßt sich nicht bestreiten, denn das muß man dieser juristischen Kreuzspinne nachrühmen, daß sie jeden vergessenen Schlupfwinkel unserer Gesetze kennt. Verdankt ihm nicht der König die Taxe auf den Gebrauch von Seife, welche er aus irgend einem verschimmelten Statut aus den Zeiten des »Eroberers« hergeleitet hat. Freilich murrt das Volk, weil es sich nicht mehr so häufig waschen kann; aber was thuts? Die Puritaner sehen ohnehin mehr auf ein reines Herz und einen reinlichen Lebenswandel, als auf weiße Hemden und gewaschene Hände.

– Ihr könnt noch scherzen, während ich und mit mir alle wahren Freunde des Königs voll Besorgniß sind.

– Da thut Ihr Unrecht, edler Graf, entgegnete Kenelm Digby mit unheimlichem Lächeln. Man sieht, daß Ihr in der Provinz lebt und nicht mehr wißt, wie es am Hofe zugeht. Dort hat kein Mensch vor der Zukunft Angst. Man denkt nur an die Lust des Augenblicks und jeder Tag bringt ein neues Fest. Wir haben alle Hände voll zu thun mit Bällen, Masken und ähnlichen Vergnügungen. An Buckingham's Stelle ist die Königin getreten und ich gebe Euch mein Wort darauf, daß wir uns nicht schlechter unterhalten als zu den Zeiten, wo der »große Herzog« noch lebte. Armer Buckingham! Wer hätte das gedacht, daß du so zeitig und durch Mörderhände enden würdest. – Kaum vermodert, bist du schon vergessen. Das ist der Lauf der Welt.

– Gott schenke ihm die ewige Seligkeit, erwiderte der fromme Lord Präsident, indem er seine Hände faltete. Er trägt zum größten Theil die Schuld an der gegenwärtigen Verwirrung, doch der Tod ist der größte Versöhner. Hätte der König weniger auf den Rath seines Günstlings gehört und ihn nicht stets so hartnäckig vertheidigt, er stände jetzt besser mit seinem Parlament und hätte nicht nöthig gehabt, es aufzulösen.

– Amen! rief der Gast mit einem Anfluge von Spott. Indeß geht es auch so noch immer gut genug. Vorläufig fehlt es nicht an Baarem, die Seifensteuer und das Schiff- und Tonnengeld decken die königlichen Bedürfnisse. Auch sorgt die Sternkammer dafür, daß die auferlegten Strafen und Bußen den Säckel des Hofes gehörig füllen. Auf tausend Pfund mehr oder weniger kommt es ihr nicht an und wenn ein armer Teufel nicht zahlen kann, so wird er so lang eingesperrt, als es seiner Majestät gefällt. Er kann dabei noch von Glück sagen, wenn man ihm nicht am Pranger die Ohren abschneidet, wie dies dem frechen Prynne von Rechtswegen geschehen ist. Ich habe selbst dem Schauspiel mit beigewohnt und dabei den Muth des Schurken bewundert. Während der blutigen Operation hielt er eine feierliche Anrede an das Volk und selbst der Henker konnte ihm nicht den Mund stopfen. Ich sage Euch, der Schuft gebärdete sich wie ein Märtyrer und stand da, als erwarte er jeden Augenblick zum Schutzpatron von England ausgerufen zu werden.

– Das Alles, was Ihr mir hier erzählt, vermehrt nur meine Befürchtungen. Wie ich höre, haben sich viele der angesehensten Männer, Kaufleute und Gutsbesitzer bereits geweigert, das Schiff- und Tonnengeld zu bezahlen, weil diese Abgabe ohne Bewilligung des Parlaments erhoben wird. Wenn ihr Beispiel um sich greift, so kann der König nicht anders, und wird nachgeben müssen. Leider geschieht dies dann nur mit Beeinträchtigung seiner Würde und das Parlament wird um so kühner vorgehen und zu den alten Freiheiten neue begehren, welche seine Macht noch mehr beschränken, als dies bisher geschehen.

– Freilich wenn das Geld fehlt, fehlt auch der Muth. Point d'argent, point de Suisses pflegt man in Frankreich zu sagen. Einstweilen aber steckt man die Steuerverweigerer so lange ins Gefängniß, bis sie zahlen. Es gibt kein besseres Mittel auf der Welt, um widerspenstige Leute zur Besinnung zu bringen, als so ein Kerker. Es weht dort eine ganz besonders beruhigende Luft, um Hitzköpfe abzukühlen. Ein Aufenthalt von einigen Tagen im Tower oder in Newgate genügt oft schon, um die Wildesten zahm zu machen. Das Mittel hat sich aber bei der Anwendung bis jetzt noch immer bewährt.

– Wenn aber die Richter sich weigern sollten, ihre Hand zu ähnlichen Verfolgungen zu bieten, wenn es in England noch Männer gibt, welche das Recht höher stellen, als die Gunst des Hofes, was wird dann geschehen? «

– Pahl Man wird auch mit ihnen fertig werden. Man entsetzt sie ihrer Stellen und jagt sie einfach fort. Mit der nöthigen Energie wird man mit Allem fertig. Das hat am besten unser jetziger Minister, Lord Wentworth, gezeigt. Er macht seinem Wahlspruch Ehre. Wißt Ihr, wie der lautet? Immer durch! – Damit treibt er die Rebellen zu Paaren und schafft im Lande Ruhe. Der versteht es, denn er war ja selbst früher eines der widerspenstigen Mitglieder des aufgelösten Parlaments. Er kennt daher die Ränke, Schliche und Schwächen seiner früheren Gesinnungsgenossen am besten. In Indien, so habe ich mir erzählen lassen, fängt man die wilden Elephanten mit Hülfe der gezähmten. Glaubt mir, Apostaten sind das Holz, aus dem man die schärfsten Verfolger für Ihresgleichen schnitzt. Aus einem früheren Demokraten läßt sich im Handumdrehen ein Freund der Regierung machen, wenn man es nur versteht, seinen Ehrgeiz zu erwecken und zu befriedigen. Käuflich sind sie Alle und Wentworth regiert jetzt mit einer Strenge und Rücksichtslosigkeit, die sich kein alter Anhänger des Königs je erlaubt hätte. Wie man sagt, geht er sogar damit um, ein stehendes Heer zu schaffen. Wenn ihm dieser Meisterstreich gelingt, dann wird der König kein Parlament mehr zu berufen brauchen.

– Dann ist es aber auch um die Freiheit des Volkes geschehen und wir Alle sind nicht besser daran, als die Sklaven in der Türkei. Gerade der Adel, welcher an der Spitze steht, wird diese Veränderung zuerst empfinden. Wir sinken zu bloßen Werkzeugen und Dienern der Krone herab, während gegenwärtig der König von England nur der Oberste unter seines Gleichen, der Pair seiner Paire ist. Blickt nur auf Frankreich, wo Richelieu unumschränkt im Namen Ludwig's herrscht. Wollt ihr ähnliche Zustände unserem Vaterlande wünschen? Der stolze Kardinal setzt seinen Fuß auf den Nacken der edelsten Geschlechter und läßt die höchsten Häupter fallen, wenn es ihm beliebt.

– Immer noch besser das kraftvolle Regiment eines Einzigen, als die vielköpfige Herrschsucht des Volkes. Ich bin, wie ihr wißt, Naturforscher, und aus der Natur habe ich gelernt, daß die Glieder eines Ganzen dem Willen des Hauptes unterthan sein müssen. Der Stärkere zwingt die Schwächeren, das ist ein unumstößliches Gesetz. In der Chemie streiten die verschiedenen Kräfte so lange, bis eine einzige die Oberhand gewinnt, der sich die übrigen willig unterordnen. Selbst unter den Metallen habt ihr eine gewisse Rangordnung. Das Gold ist der König, das Eisen der Knecht. So war es von jeher und so wird es ewig sein.

– Ich streite auch nicht dagegen, aber zwischen einem christlichen Könige und einer despotischen Tyrannei ist, sollte ich meinen, noch immer ein so großer Unterschied, wie zwischen der Pflugschaar und dem Schwert. Die eine verbreitet Segen, das andere Fluch und Verderben. Das haben unsere Väter wohlweislich eingesehen und darum die fürstliche Macht der Willkür beraubt, ohne ihrer Würde darum Abbruch zu thun. Das Parlament ist die natürliche Schutzwehr gegen königliche Tyrannei. Sollen wir selber die Hand dazu bieten, dieses Bollwerk einzureißen? Sagt, welchen Schutz haben wir dann noch?

– Die Kirche! entgegnete Kenelm Digby mit starker Betonung. Von jeher gab dieselbe das beste Gegengewicht gegen die Anmaßungen der weltlichen Herrschaft ab. Die Päbste haben stets die Völker ihren Fürsten gegenüber in Schutz genommen. Das ist der größte Fluch der Reformation, daß sie die geistliche Macht gebrochen und ihr die Waffen entwunden hat, mit denen sie allein die Tyrannei wirksam zu bekämpfen wußte. Vor den Blitzen Rom's zitterten die Könige auf ihren Thronen.

– Wenn man Euch so sprechen hört, so sollte man meinen, daß Ihr wirklich Katholik geworden seid, wie man sich hier und da erzählt. Ich wollt' es nimmermehr glauben.

– Kann man denn nicht ein guter Protestant sein und dennoch sein Auge für die großen Vorzüge der römischen Kirche nicht verschließen? – Wollt ihr leugnen, daß der Katholizismus eine Burg für die Völker war? – Ich zähle Euch nicht zu dem urtheilslosen Pöbel, der in Verwünschungen ausbricht, wenn man Rom und den Pabst erwähnt. Ihr seid mir immer, wie ein Mann ohne jedes Vorurtheil erschienen. Darum werdet Ihr mir auch zugestehen müssen, daß die Reformation den Fürsten weit mehr Vortheile darbietet als dem Volk. Die katholische Kirche stand frei und unabhängig da. Ihre Geistlichkeit bildete ein geweihtes Heer, einen Staat im Staate mit einer fast republikanischen Verfassung. Geht doch aus ihrer Mitte das höchste Oberhaupt, der Pabst selber, durch freie Wahl hervor, und der niedrigste Priester kann diese erhabene Stelle durch seine geistige Begabung erlangen. Dadurch aber ist von vornherein die Herrschaft des Geistes über die rohe Kraft gesichert. In diesem Sinne lehnte sich auch Rom zu allen Zeiten gegen die Anmaßung der Fürsten aus, und sein gefürchteter Bannstrahl schreckte die Mächtigen der Erde vor offener Gewalt zurück. Was hat uns die Reformation dafür gebracht? Sie hat nur die Könige bereichert und die Völker arm gemacht. Die Geistlichkeit hat ihre Unabhängigkeit und damit ihren Einfluß eingebüßt, von einem freien Stande ist sie zur gemeinen Dienstbarkeit herabgesunken. Das Vermögen der Kirche ist nicht der Nation, sondern nur dem Fürsten zugefallen und hat das Uebergewicht desselben nur noch verstärkt. Bei wem soll das Volk jetzt Schutz gegen die Willkür suchen, seitdem es seinen besten Helfer verloren hat? – An die Stelle der geistigen Herrschaft ist die rohe Gewalt getreten, und die mit Recht verhaßte Inquisition ist mit einer weit schlimmeren vertauscht geworden. Oder meint ihr, daß der Glaubenszwang der Sternkammer milder sei, daß die Strafen und Bußen, welche sie auferlegt, weniger schmerzen, daß ihre Kerker minder tief und grausam sind? Noch einmal sage ich es frei, daß die Reformation der eigentliche Grundquell aller unserer gegenwärtigen Leiden ist.

– Um Gottes Willen schweigt! rief der ängstliche Graf. Wenn Euch jemand so sprechen hörte, so würdet Ihr vielleicht Euch selbst bald vor der gefürchteten Sternkammer verantworten müssen und als geheimer Katholik die ärgsten Strafen zu erdulden haben. Zugegeben, daß Ihr in manchen Beziehungen auch Recht haben mögt, so dürft Ihr das Eine nicht vergessen, daß grade die Reformation dem Volke die geistige Freiheit gebracht hat. Sie hat ihm die Bibel, das ungefälschte Wort des Heils, in die Hand gegeben. Wir haben lesen und denken gelernt. Die römische Kirche gleicht dem Geizhals, der seine eigenen Kinder hungern läßt, und den Schatz verschlossen hält, der ungenutzt in der sicheren Truhe vermodert. Es ist wahr, sie hat oft das Volk in Schutz genommen gegen die Tyrannei der Fürsten, doch sie handelte nur so in ihrem eigenen Interesse, wie der Schäfer, der die Schafe dem Wolfe gegenüber schützt, um sie zu scheeren und zu schlachten, wenn es ihm nach ihrer Wolle oder ihrem Fleische gelüstet. Die Menschheit ist aber keine vernunftlose Heerde von Schafen; sie hat sich aufgelehnt gegen diese geistige Bevormundung, gegen die schlimmste aller Tyranneien. Mag auch der gegenwärtige Zustand nicht der glücklichste sein, aber immer besser, daß wir an unserm Gütern und an unserem Leben Schaden nehmen, als an unserem Seelenheil. Der Schutz, welchen Rom den Nationen gewährte; war zu theuer erkauft. Der Preis war die Freiheit des Gewissens und des Denkens.

– Und wohin hat uns diese gepriesene Freiheit geführt? Ganz England ist in feindliche Sekten zerfallen, die sich unter einander bis aufs Blut hassen und verfolgen. Die widersinnigsten Irrlehren finden täglich neue Anhänger und Verbreiter. Es geht uns wie ungerathenen Söhnen, welche über die Hinterlassenschaft ihres Vaters sich nicht einigen können und sich unter einander zerfleischen und morden, bis Keiner mehr übrig bleibt, um das Erbtheil zu genießen. Ich sehe weiter, als Ihr glaubt. Hinter den religiösen Streitigkeiten erscheint mir bereits das Medusenhaupt des Bürgerkrieges, eines blutigen Kampfes, welcher alles Bestehende mit dem Untergang bedroht. Die Lehren des sogenannten Urchristenthums fangen bereits an, Früchte zu tragen, und aus der Bibel selbst leiten fanatische Schwärmer und schlaue Heuchler die Berechtigung zu jedem Angriff auf das Eigenthum und die Regierung ab. Habt Ihr nicht von den Wiedertäufern gehört, die in Deutschland ihr Unwesen getrieben haben? Sie fordern nichts weniger als Abschaffung aller Vorrechte und Theilung der Güter. – Unsere Puritaner sehen ihren deutschen Brüdern so ähnlich, als ein Ei dem andern. Sie träumen, wie man sich von ihnen erzählt, von einem tausendjährigen Reiche, von der Herrschaft des auserwählten Volkes. Darunter verstehen sie nichts mehr, noch weniger, als die schrankenlose Regierung des Pöbels, die Abschaffung des Adels und den Genuß unseres Vermögens. Das auserwählte Volk des Herrn hat keine üble Lust, uns die Köpfe abzuschlagen und sich an unsere Stellen zu setzen. Wir sind ja in seinen Augen nur eine Schaar verdammter Heiden, Moabiter, Edomiter u. s. w., welche keine Schonung verdienen und deren Vermögen, Ländereien, Wiesen, Gärten und Wälder Gott seinen Gerechten zur Belohnung für ihre Verdienste und Frömmigkeit angewiesen hat. Seht! das haben wir Eurer Freiheit und der Bibel zu verdanken. Gebt nur dies zweischneidige Schwert in die Hand des ungebildeten Volkes und Ihr werdet bald Euer eigenes Leben bedroht sehen.

Leider muß ich Euch hierin beipflichten, obgleich ich nicht weiß, wie man dem Uebel begegnen kann. Darum möcht ich gern Eure Ansicht und Meinung hören. Ihr seid nicht nur ein tiefer Gelehrter, sondern mir auch als ein erfahrener Staatsmann bekannt. Was rathet Ihr unter solchen Verhältnissen zu thun? – Ich glaube nicht zu irren, wenn ich mir die Vermuthung erlaube, daß Eure Reise noch einen andern als den sichtbaren Zweck verbirgt und Euer Besuch wahrscheinlich mit einem geheimen Auftrag verbunden ist. Ihr besitzt das Vertrauen des Königs und steht der Königin am nächsten. Erzbischof Laud war früher Euer Lehrer und ist gegenwärtig Euer Freund. Redet offen mit mir und enthüllt mir Euere Mission.

Einige Zeit ließ Sir Digby den Grafen auf eine bestimmte Antwort warten. Er hielt es für angemessen, sich in ein räthselhaftes Schweigen zu hüllen. Den Vermuthungen seines Wirthes widersprach er weder, noch pflichtete er denselben bei.

– Ihr irrt, sagte er mit vieldeutigem Lächeln, wenn Ihr mir einen besonderen Auftrag von Seiten meines königlichen Herrn zuschreibt. Bedarf es denn eines andern Grundes, mich in Euer Haus zu führen, als unsere langjährige Freundschaft und die Bande der Verwandtschaft, die ich, statt zu lockern, nur noch fester knüpfen möchte? – In der That, ich sprach Euch gegenüber nur meine eigenen Ansichten über die Lage unseres Vaterlandes aus. Möglich, daß ich mich auch geirrt haben kann. Da Ihr aber einigen Werth auf meinen Rath zu legen scheint, so will ich Euch denselben nicht vorenthalten. Hippokrates sagt, was die Medizin nicht heilt, heilt das Eisen, und wo dieses nicht hilft, muß man selbst zum Feuer greifen. Die Krankheiten des Staates fordern nach meinem Dafürhalten dieselben Mittel, wie die Gebrechen des Körpers. Versucht es zuerst mit Milde, und wo die nicht hilft, mit Strenge, selbst mit Härte. Man muß das schadhafte Glied entfernen, ehe der Brand den ganzen Körper erfaßt. Besser ein fauler Theil geht verloren, als das Ganze. Das ist meine Meinung, grad und ehrlich herausgesagt. Nur so retten wir uns und bewahren, als treue Diener, unsern König vor Schaden und Gefahr. – Doch jetzt mögt Ihr mich entschuldigen, wenn ich mich entferne. Ich habe den Damen des Hauses noch nicht meine Aufwartung gemacht. Mit Eurer Erlaubniß will ich jetzt zu ihnen gehen.

Ungern entließ der Graf seinen Gast, mit dem er lieber noch mehr über die Angelegenheiten des Landes gesprochen hätte. Er selbst hatte sich noch keine bestimmte Meinung bilden können, und schwankte zwischen der angeborenen Milde und der Furcht vor den drohenden Ereignissen. Eine große Verantwortung lag in seiner hohen Stellung. Gedankenvoll blieb er zurück, ohne zu einem festen Entschlusse zu gelangen. Selbst die Zweifel, welche der Besuch in seiner Seele wegen der Vorzüge der katholischen Kirche angeregt, blieben nicht ohne Folgen, und wenn sich auch das protestantische Bewußtsein des Lord-Präsidenten gegen Rom empörte, so mußte er sich selber eingestehen, daß die Worte des Gastes manche beherzigenswerthe Wahrheit enthielten.

Sie Kenelm Digby schritt indeß selbstzufrieden durch die Gallerie nach dem Frauengemach des Schlosses, Er hatte seinen Zweck durch das eben geführte Gespräch erreicht, und vielleicht wieder ein schwankendes Gemüth für seine Pläne gewonnen. Er haßte die Reformation vom Grunde seiner Seele, da sie seinem Vater das Leben gekostet hatte. Einstweilen aber hielt er es noch für gerathen, die Maske nicht abzuwerfen und im Stillen für die römische Kirche Anhänger und Freunde zu werben.


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