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Drittes Buch.

 


 

1.

Milton hatte bisher wenig oder gar keinen unmittelbaren Antheil an den öffentlichen Ereignissen genommen, er lebte größten Theils in stiller Zurückgezogenheit mit der Erziehung seiner Zöglinge und Schüler beschäftigt. Erst die Hinrichtung des Königs störte ihn aus seiner bisherigen Ruhe auf. Fast gegen seinen Willen hatte er sich den Puritanern angeschlossen, da seine früheren politischen Freunde ihren Sieg nur zu benutzen schienen, um die von ihm heißgeliebte Freiheit von Neuem zu bedrohen. Einmal zu der extremen Partei gedrängt, schwankte er vor keinen Folgen zurück. Die blutige That war geschehen, das Volk hatte von seiner Macht Gebrauch gemacht und Karl getödtet. Wie immer aber erwies sich der Tod als ein großer Versöhner, die Fehler des unglücklichen Monarchen wurden über sein trauriges Ende vergessen und die leicht bewegliche Menge bemitleidete ihn fast eben so sehr, wie sie ihn zuvor gehaßt. Jetzt galt es, die öffentliche Meinung aufzuklären und ihr eine bestimmte Richtung zu geben, die schwankenden Gefühle zu befestigen und ein ruhiges Urtheil mitten in dem Sturm der Leidenschaften auszusprechen. Milton übernahm diese schwierige mit der größten Gefahr für ihn verbundene Aufgabe ohne Bedenken, ohne Aussicht auf Lohn und Dank, lediglich durch seine Liebe zur Freiheit bestimmt. – Ein dumpfes Schweigen war der ungeheuren Aufregung gefolgt, das Volk stand bestürzt und betäubt vor seiner eigenen Macht. Keine Stimme wagte sich zu erheben, um die Hinrichtung Karls zu vertheidigen. So groß war die Furcht vor der todten Majestät, daß selbst die jetzigen Gewalthaber nur stillschweigend die Früchte ihres Sieges genossen und die Beute unter sich vertheilten.

Ohne Haß gegen den König und das Königthum ging Milton an die große Frage der Volkssouveränität, welche er leidenschaftlos und mit der Ruhe eines Denkers zu entscheiden suchte. Erst die Schmähungen seiner Gegner, unter denen der berühmte Leydner Professor Salmasius die erste Rolle einnahm, rissen Milton zu einer Leidenschaftlichkeit hin, welche sein ganzes späteres Leben verbitterte. – Der Erfolg seiner Schrift: »Die Bestrafung der Könige und Magistratspersonen« war ein großer und unerwarteter. Der Staatsrath, welcher vorläufig nach Einführung der Republik England regierte, wurde aufmerksam auf den gelehrten und begeisterten Anhänger der Freiheit und berief Milton zu der Stellung eines geheimen Secretairs. In dieser Eigenschaft verfaßte und schrieb er die Correspondenz der neuen Republik in lateinischer Sprache, die seit dem westphälischen Frieden die Sprache der Höfe geworden war, wie später und noch in unserer Zeit das Französische. So wurde er mit den Häuptern der herrschenden Partei bekannt und befreundet und selbst Cromwell, der bereits an der Spitze der Verwaltung stand, verkehrte viel und oft mit Milton. – Kurze Zeit, nachdem Milton sein Amt erhalten, wurde der witzige Dichter Davenant mit dem Tode bedroht. Er hatte seine Gönnerin, die Königin Henritte, auf ihrer Flucht nach Frankreich begleitet. Auf ihre Veranlassung war er jetzt nach England zurückgekehrt, um Verbindungen mit den unzufriedenen Royalisten zu Gunsten des verbannten Thronfolgers anzuknüpfen. Seine Absichten wurden Cromwell verrathen, der ihn gefangen nehmen ließ und über die Pläne seiner Gegner selbst verhörte. Mit heftigen Schritten ging der General auf den Gefangenen zu, den er mit seinen scharfen Augen zu durchbohren drohte. Trotz seiner gefährlichen Lage verließ den leichtsinnigen Davenant nicht sein alter Witz.

– Ihr seid ein überwiesener Verräther, sagte Cromwell mit rauher Stimme, und sollt Eurem Geschicke nicht entgehen. Morgen lasse ich Euch hängen.

– Das hat durchaus keine Eile und ich gestehe Euch gern, daß ich noch einige Jahre warten kann.

– Laßt Eure Späße und bereitet Euch lieber auf ein christliches Ende vor.

– Ich bin immer ein guter Christ gewesen und fürchte mich nicht vor dem Tode.

– Ein guter Christ. – Glaubt Ihr denn, daß ich Euch nicht kenne. Habt Ihr nicht all die lüderlichen Possen und Masken geschrieben, die man am Hofe Karl Stuarts mit verschwenderischer Pracht aufgeführt hat. Ihr verdient schon den Strick um Eures bisherigen Lebenswandels.

– Wenn jeder nach Verdienst in dieser Welt bestraft werden sollte, so reichten alle Stricke Englands nicht hin.

– Genug! herrschte Cromwell. Ich werde Euch meinen Hauskaplan schicken.

– Um Gottes Willen thut das nicht. Ich hasse nichts mehr als Wasser und Pfaffen. Wollt Ihr mir einen Gefallen thun, so sendet mir einen Krug Wein, der wird mich besser trösten als Euer Hauskaplan.

Unwillig wandte sich Cromwell von dem Unverbesserlichen ab, indem er der Wache den Befehl ertheilte, ihn fortzuführen. Beim Herausgehen traf der verurtheilte Dichter im Vorzimmer mit Milton zusammen, der ihn oberflächlich aus früheren Zeiten kannte.

– Davenant! rief dieser erstaunt. Wohin geht Ihr?

– Wohin alle Menschen früher oder später gehen, in den – Tod.

– Ihr seid verurtheilt und weshalb?

– Wegen meiner Treue für die Königin. Ich habe die gute Zeit mit ihr getheilt, darum konnte ich sie nicht in schlechten Tagen verlassen, sie hat mir von ihrem Brode gegeben und deßhalb will ich für sie mein Leben opfern. Ich habe zwar nie meine Schulden bezahlt, aber diese eine werde ich wenigstens berichtigen.

– Ihr dürft, Ihr sollt nicht sterben.

– Gebt Euch keine Mühe, ich weiß doch, daß Alles vergebens ist. Cromwell hat mein Urtheil gesprochen und ich betrachte mich bereits als einen Sterbenden. Reicht mir Eure Hand zum Abschiede, vielleicht sehen wir uns in einem besseren Leben wieder, wo es keine Puritaner und keine Cavaliere, keine Soldaten und keine Pfaffen giebt. Offen gestanden, ich fürchte nicht den Tod, aber es thut mir doch Leid, das Possenspiel des Daseins so bald zu verlassen. Ich hätte diesen tragischen Schluß nicht erwartet.

– Ich werde Alles thun, was in meinen Kräften steht, um Euch zu retten.

– Ich danke Euch im Voraus und bin zu jedem ähnlichen Gegendienst erbötig. Gebt mir die Hand, wackerer Milton! Ich habe Euch immer für einen guten Kerl gehalten. Nur seid Ihr ein wenig zu fromm und ein allzueifriger Freund der so genannten Freiheit. Glaubt mir, es kommt dabei doch nichts heraus. Das Volk jagt einen Tyrannen fort, um ihn mit einem schlimmeren zu vertauschen, und eben so geht es mit dem Glauben, vernünftige Leute, wie Ihr und ich, sollten sich mit derartigen Lappalien gar nicht befassen. Nichts für ungut, mir fehlt der Sinn und der Geschmack für dergleichen Dinge, aber ich sehe nicht ein, warum zwei vernünftige Leute sich darum hassen und verfolgen sollen, weil sie über den oder jenen Punkt eine verschiedene Meinung haben.

Milton reichte dem Dichter die Hand, indem er das Versprechen hinzufügte, die Begnadigung des Verurtheilten von dem General zu bewirken. Er fand Cromwell in übler Laune. Die junge Republik war in diesem Augenblicke von allen Seiten bedroht, äußere und innere Feinden vereinten sich zu ihrem Sturz. Die Schotten hatten den Sohn des Königs, Karl den Zweiten, in ihre Mitte berufen und ihm allerdings unter harten Bedingungen die Krone seines Vaters übergeben. Zu Irland wüthete der Bürgerkrieg noch fort und Cromwells Anwesenheit wurde dringend gefordert. Die Levellers waren nur eingeschüchtert aber nicht besiegt, sie standen im offenen Aufruhr und drohten den Untergang aller bisherigen Ordnung und der bürgerlichen Gesellschaft. Dazu kamen noch die Anhänger des verstorbenen Königs, welche über Verschwörungen fortwährend brüteten. – Mit gerunzelter Stirn saß der General vor einer aufgeschlagenen Landkarte, einen neuen Feldzugsplan entwerfend, um alle seine Feinde zu vernichten. Bei dem Eintreten Miltons fuhr er schnell empor mit mißtrauischen Blicken sich umwendend. Als er ihn jedoch erkannte, streckte er ihm freundlich die Hand entgegen.

– Ihr seid es, Herr Secretair, sagte er mit gewinnendem Lächeln.

– Ich bringe die gewünschten Briefe an die Republik Holland und an den Cardinal Mazarin.

– Legt sie nur hin und setzt Euch. Ich habe mit Euch zu reden. Ihr seid ein wackerer und frommer Mann, dem ich wohl vertrauen darf, nicht Alle aber denken wie Ihr. Der Herr hat mir eine schwere Last aufgeladen.

– Er weiß, was er thut. Den stärksten Schultern gibt er auch die schwerste Bürde zu tragen. Ihr seid der einzige Mann, der zur Rettung des Vaterlands berufen ist.

– Ich danke Euch für die freundliche Meinung und möchte auch gern für Euch Etwas thun. Alle Welt bestürmt mich jetzt, da ich zu einigem Einfluß gelangt bin, mit Bitten und Forderungen, nur Ihr habt Euren Mund noch nicht aufgethan.

– Um so mehr darf ich hoffen, daß ich keine Fehlbitte thun werde.

– Sprecht dreist, was verlangt Ihr von mir?

– Das Leben des Mannes, der so eben von Euch ins Gefängniß zurückgeschickt worden ist.

– Wie? sagte Cromwell verwundert, Ihr fordert die Begnadigung dieses Davenant, eines Sünders ohne Gleichen? Wißt Ihr, was er gethan hat?

– Er ist seiner Königin treu geblieben und der Sache, die er einmal erwählt hat. Ich achte ihn darum weit höher, als so manchen Apostaten, der über Nacht ein eifriger Republikaner, sei es aus Furcht, oder aus Eigennutz, geworden ist.

– Bah! Man darf nicht allzu skrupulös sein mit den Parteigenossen. Ich weiß, es giebt viele Spitzbuben und Heuchler unter uns, aber diese sind weit weniger schädlich, als die so genannten Ehrenmänner und Starrköpfe. Wenn ich nicht irre, gehört Euer Freund Overton auch dazu. Er und der freigeborne John Lilburn machen mir mehr zu schaffen als meine königlich gesinnten Freunde. Gebt Eurem Freunde Overton einen Wink, er soll sich vor mir in Acht nehmen, er mag sich hüten. Ich weiß, daß er mit den Levellers gemeinschaftliche Sache macht und zu den Aufrührern in der Armee gehört.

– Ihr thut ihm gewiß Unrecht, zwar will ich ihn von einer gewissen Schwärmerei nicht freisprechen, doch glaube ich nicht, daß er die Ansichten der Levellers theilt und wie diese die bürgerliche Ordnung umstürzen will. Er liebt die Freiheit und die Republik. Das kann doch kein Verbrechen sein, nachdem das Königthum abgeschafft worden ist.

– Gewiß nicht, entgegnete Cromwell einlenkend. Die Republik ist eine schöne Sache, wenn man sie nur recht versteht. Thoren halten sie für einen Tummelplatz ihrer Zügellosigkeit, weise Männer für eine Staatsform wie jede andere. Doch irre ich nicht, so sprachen wir von Davenant.

– Und ich wiederhole meine frühere Bitte.

– Er verdient nicht diese Gnade. Der Mensch ist ein elender Spaßmacher, ein sittenloser Taugenichts.

– Darum nur um so unschädlicher, er hat Talent und es wäre Schade um seinen Kopf.

– Da er einen so warmen Fürsprecher hat, so mag er ihn behalten, obgleich ich nicht begreife, wie ein solch tugendhafter Mann sich für den unverbesserlichen Sünder verwenden kann.

– Er ist trotzdem ein Dichter und schon als solcher verdient er meine Theilnahme. Ich achte die göttliche Poesie, wo ich sie finde und um des köstlichen Inhalts möchte ich auch das Gefäß erhalten, in dem sie sich befindet, wenn es auch nicht vom edelsten Metalle ist und mannigfache Schäden hat.

– Das will ich meinen, bekräftigte Cromwell in einer Anwandlung seiner gewöhnlichen Lustigkeit. Dieser Davenant ist ein zerbrochener Krug voller Risse und Sprünge. Er hat ein Loch, ein großes Loch und seine Nase ist ihm abgegangen.

Nach diesem Ausbruch wilder Heiterkeit nahm der General wieder seinen alten Ernst an. Würdevoll ertheilte er Milton die gewünschte Begnadigung des königlich gesinnten Dichters.

– Geht, sagte er freundlich, und kündigt ihm selbst seine Befreiung an. Ich will ihm das Leben schenken, aber wenn er sich wieder in eine Verschwörung einläßt, so fällt sein Kopf. Meinetwegen kann er Possen und Masken schreiben, aber in Staatsangelegenheiten soll er sich nicht mischen. Das ist gefährlich, sehr gefährlich und kein Spielzeug für solch unerfahrene Hände.

Mit diesen Worten verabschiedete der General Milton. Dieser begab sich sogleich ins Gefängniß zu Davenant, den er vor einem vollen Weinkrug fand.

– Ich bringe Euch Eure Begnadigung, sagte jener.

– Nun, Gott lohn' es Euch, was Ihr an mir gethan. Ihr seht, daß ich mich bereits auf meinen Tod vorbereite. Der Wein ist der beste Beichtvater und der größte Tröster, dennoch kann ich einen unangenehmen Gedanken nicht los werden. Ich gestehe Euch, daß ich ein wenig kitzlich bin und wenn ich mir recht lebhaft den Strick um meinen Hals vorstelle, so empfinde ich ein eigenthümliches Jucken. Ihr habt mich von diesem unangenehmen Gefühl befreit und dafür bin ich Euch für immer dankbar. Die Gelegenheit kann bald kommen, denn unter uns gesagt, ich habe kein rechtes Zutrauen zu dieser Republik der Heiligen. Dem Volke ist nur wohl, wenn es einen Herrn hat. Ist es nicht Karl, so wird es Cromwell sein. Der General sieht mir ganz so aus, wie ein Mann, der eine Krone nicht liegen läßt, wenn er sie auf seinem Wege findet.

– Ihr beurtheilt Cromwell falsch, sein ganzes Streben ist darauf gerichtet, dem Bürgerkrieg ein Ende und England groß zu machen.

– Das will ich gerne glauben, er mästet die Gans noch recht fett, bevor er sie schlachtet. Doch ich möchte Euch nicht gern aufbringen. Ihr seid einmal ein argloses Gemüth, ein lichter Dichter, der sich in Illusionen wiegt, und immer einen Gegenstand für seine Bewunderung haben muß. Mir geht es ja auch nicht besser, wir müssen einmal so verbraucht werden, wie wir sind. Wir bleiben stets die Narren unseres Enthusiasmus, und machen Andere damit zum Narren. Lebt wohl, mein Freund in der Noth.

– Wohin wollt ihr Euch jetzt wenden, und was beginnen?

– Ich gehe zu meiner alten Mutter, die noch immer in ihrer Taverne haus't, und für die Trinker aller Confessionen sorgt. Dort werde ich ruhig das Ende Eurer Republik abwarten, Possen schreiben, und recht bald ein Krönungslied für Karl den Zweiten dichten.

Davenant that noch einen Zug aus dem vor ihm stehenden Weinkruge, und verließ dann sein Gefängniß mit jener cynischen Gleichgültigkeit, die ihm bereits zur zweiten Natur geworden war. Milton begleitete ihn eine kurze Strecke und kehrte dann in seine Wohnung zurück. Er fand daselbst seinen Freund Overton, der ihn bereits erwartete; der Major war im Begriffe, auf seinen Posten und zur Armee nach Schottland abzugehen.

– Ehe ich mich zur Armee begebe, sagte er nach herzlicher Begrüßung, wollte ich Euch noch einmal sehen.

– Wo seid Ihr so lange Zeit gewesen? fragte ihn Milton theilnehmend.

– Bald hier, bald da, wohin der Krieg mich führte; heute im Süden, morgen im Norden. Der Soldat hat keine Ruhe, und es dürfte noch lange dauern, ehe wir dieselbe finden werden.

– Ihr scheint Euch darnach zu sehnen.

– Offen gestanden, ich habe das rauhe Handwerk satt. Ihr wißt, daß ich die Wissenschaft und den heiteren Dienst der Musen allem Andern verziehe. Der Krieg, selbst für eine gerechte Sache, ist immer ein trauriges Geschäft. Ich habe ihn soeben mit allen seinen Schrecken in Wales kennen gelernt.

– In Wales? fragte Milton aufmerksam.

– Dort habe ich manchen harten Strauß ausgefochten, manches schöne Schloß zerstört. Ich that zwar nur meine Pflicht, aber mit blutendem Herzen. Am schmerzlichsten war mir die Erstürmung von Golden-Grove. Die Besatzung vertheidigte sich mit der größten Tapferkeit, und nachdem der Schloßherr gefallen war, leistete dessen muthige Gattin uns noch einen unerwarteten Widerstand. Ich hätte sie gern geschont, doch es lag nicht in meiner Macht. So blieb mir nichts übrig, als das Schloß mit gewaffneter Hand im Sturme zu nehmen. Bei dieser traurigen Gelegenheit erfuhr ich durch einen Zufall, daß die ausgezeichnete Dame zu Euch früher in einer nahen Beziehung gestanden haben muß.

– Sie hieß Alice Carbury, sagte Milton tief erschüttert.

– Ganz recht. Carbury war der Name ihres Gatten, und sie selbst die Tochter des früheren Lord-Präsidenten von Wales, des Grafen Egerton. Ich drang in das Schloß, und verweilte daselbst einige Tage. In der Wohnung der Schloßfrau herrschte die größte Verwüstung; meine Soldaten hatten die Möbel zertrümmert, die Tapeten abgerissen, Kasten und Schränke aufgebrochen. Dieses Tagebuch, welches ich fand, erregte meine Aufmerksamkeit. Ich öffnete es, und fast auf jeder Seite trat mir Euer Name entgegen; das reizte meine Neugierde, und ich nahm diese Blätter an mich, um sie Euch einzuhändigen.

– Doch, was ist aus der Besitzerin geworden? forschte der Dichter aufgeregt und voll Spannung.

– Leider kann ich Euch keine genügende Auskunft darüber ertheilen, obgleich mich Alles, was ich erfahren habe, vermuthen läßt, daß sie glücklich entkommen ist. Einer meiner Leute, ein nichtsnutziger Bursche und Feigling, behauptete, sie gesehen zu haben und von ihrer Begleiterin sogar verwundet worden zu sein, als er sich der Flucht der Frauen widersetzen wollte. Weiter habe ich keine Forschungen angestellt, und ich bin auch schon aus Rücksicht für Euch von jeder ferneren Verfolgung abgestanden. Mich soll es freuen, wenn sie glücklich davongekommen ist. Das Tagebuch überlasse ich Euch, da es gewiß für Euch ein besonderes Interesse haben dürfte.

Mit tiefer Rührung nahm Milton aus der Hand des Freundes die Blätter, welche ihn an das edle Weib und seine eigene Jugend erinnerten. Zum Dank theilte er ihm die Warnung Cromwell's mit.

– Ich weiß, daß er mich nicht liebt, sagte dieser mit düsterem Lächeln. Er fürchtet meinen Einfluß und meine offen ausgesprochene Gesinnung. Ich bin Republikaner, und sehe in der Republik das einzige Heil. Nach seiner Gewohnheit hat mich der General auszuforschen gesucht, und ich habe meine Meinung nicht verhehlt.

– Ihr glaubt doch nicht, daß er die Monarchie wiederherzustellen und die Stuart's zurückzurufen gedenkt?

– Das Letztere gewiß nicht, aber für seine monarchischen Gelüste möchte ich nicht einstehen. In dem General selbst steckt der künftige Tyrann England's; doch bevor er sein Ziel erreicht, werde ich mit meinen Waffengefährten ihm entgegentreten und es zu hindern wissen.

Nachdem Overton mit dieser Drohung geschieden war, blieb Milton allein zurück. In seinen Händen hielt er das Tagebuch, das erste Lebenszeichen der Freundin nach so langer Zeit. Eine gewisse Scheu hielt ihn ab, es sogleich zu öffnen, und er schwankte, ob er auch Recht thäte, in die Geheimnisse dieser edlen Frauennatur einzudringen. Endlich siegte nicht die Neugierde, sondern der innige Antheil, den er an Alicen's fernerem Schicksal nahm. Von Neuem fühlte er beim Lesen, daß er sein höchstes Lebensglück in ihr einst besessen und verscherzt habe. Welche Reinheit des Herzens, welche Unschuld und welch ein reicher Geist trat ihm in ihren Zeilen entgegen. Er verfolgte mit tiefer Rührung den Kampf des edlen Weibes zwischen der Pflicht und der Liebe, bis zuletzt ihr Herz sich vollkommen dem Gatten zuwandte, und für Milton nichts übrig blieb, als eine wehmüthige Erinnerung, eine geläuterte Freundschaft. Jedes Wort legte ein lautes und schönes Zeugniß für ihre herrliche Natur, für ihr tiefes und doch so einfach schlichtes Wesen ab. –

Ein großer Schmerz durchzuckte Milton, und seine Thränen benetzten die theuren Blätter, das einzige Angedenken an die Freundin seiner Jugend, an das einzige Weib, das er wahrhaft geliebt hatte. Voll Trauer und Sehnsucht gedachte er ihrer, und ein schwerer Seufzer entrang sich seiner Brust. –


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