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2.

Zu seinen Füßen lag jetzt die umfangreiche Schlucht vollkommen sichtbar. Ringsumher von dunklen Buchen und gewaltigen Eichen eingeschlossen, bildete sie ein natürliches Gotteshaus, einen Dom, den die Macht des Schöpfers sich selbst gebaut und mit unsichtbaren Händen aufgerichtet. Gleich mächtigen, gothischen Pfeilern strebten die majestätischen Baumstämme empor und ihre grünen Wipfel schienen die Riesenorgel, von dem Odem des Herrn beseelt. Durch das durchbrochene Laub stahl sich das gedämpfte Licht der scheidenden Abendsonne wie durch buntgemalte Kirchenscheiben bald mit goldigem Schimmer, bald mit purpurner Gluth den Raum erfüllend. Ein weicher Rasengrund diente zum Fußboden und in der Mitte desselben sprudelte als Taufbecken ein frischer Quell hervor. An demselben Orte mochten die ersten Christen Englands ihren geheimen Gottesdienst abgehalten haben, als ihnen noch Gefahr von allen Seiten drohte. Heute waren ihre Nachfolger gezwungen, dieselben Verstecke wieder aufzusuchen. Das ganze Leben der Menschheit ist nur eine Wiederholung und ein Blatt der Weltgeschichte gleicht dem andern oft auf's täuschendste. – Eine zahlreiche Menschenmenge hatte sich hier eingefunden, um in der freien Natur dem Herrn nach ihrer Weise zu dienen.

Es waren Christen von Christen gehaßt, verfolgt und zum Aeußersten getrieben. Ihr einziges Verbrechen bestand darin, daß sie nicht die anglikanische, bischöfliche Staatskirche von England anerkennen wollten und sich lediglich auf die Bibel und deren Lehren beriefen. Darum mußten sie diesen verborgenen Schlupfwinkel aufsuchen; doch Gott selber hatte ihnen die Kirche erbaut, welche ihnen von den Menschen, von ihrem König und den damals so mächtigen Bischöfen versagt wurde. Hierher waren sie mit ihrem starren, unerschütterlichen Glaubensmuth geflüchtet. Männer, Weiber und Kinder lagen malerisch zerstreut im Kreise. An der einen Seite war eine rohe Kanzel aus grauen, übereinander geschichteten Schieferplatten aufgerichtet. Auf derselben stand der würdige Prediger mit silberweißem Haar und Bart. Seine hohe, abgemagerte Gestalt umschloß der schwarze Genfer Rock ohne alle anderweitige Auszeichnung. Das Chorhemd der anglikanischen Geistlichkeit hätte er nimmermehr angelegt; denn es war ein Greul in seinen Augen, weil es ihn an Babylon und den Antichrist erinnerte. Mit diesen Ehrentiteln wurde nämlich von ihm die römische Kirche und der verhaßte Papst bezeichnet. Das bleiche Gesicht des Predigers trug die deutlichen Spuren tiefer Leiden und der Gefängnißluft, die er längere Zeit eingeathmet. Aber all diese Verfolgungen vermochten seinen Eifer nicht zu dämpfen und kaum wieder freigelassen, war der treue Hirt zu seiner harrenden Gemeinde zurückgekehrt, jeden Augenblick bereit, dasselbe Schicksal um des Glaubens willen von Neuem zu erdulden. Der ehrwürdige Samuel Gott wird meine Hülfe sein, so lautete nämlich sein vollständiger Name, den er sich nach der Sitte der damaligen Puritaner beigelegt hatte, erwartete nun das Ende des von der Gemeinde angestimmten Psalms, um eine jener feurigen Reden abzuhalten, welche ganz geeignet waren, die Gemüther seiner Zuhörer in Flammen zu versetzen, aus denen ihr Herz wie gehärteter Stahl hervorging, trotzend den Anfechtungen der Regierung und der Bischöfe.

Rings um die Kanzel und den Redner standen oder saßen die verschiedensten Gruppen. Der lauschende Jüngling, nur durch einen Baumstamm verborgen, konnte bequem von seinem Standpunkte aus die einzelnen Personen erkennen. Meist waren nur ärmere Leute niederen Standes zugegen, dazwischen machte sich jedoch die Gestalt eines wohlhabenderen Pächters, oder eines angesehenen Bürgers bemerkbar.

Der Unterschied in der Kleidung war zwar nur gering. Fast alle Anwesenden trugen schwarze Wämser ohne alle Verzierung von einfachem Wollenstoff gearbeitet und kurze Beinkleider, an die sich die weißen Strümpfe und die Schuhe schlossen, bei denen eine dunkle Bandschleife die Stelle der silbernen Schnalle vertrat. Das Haupt bedeckte ein spitzer Hut, der sich oft zur ansehnlichen Höhe emporthürmte und ebenfalls jeglichen Schmuckes entbehrte. Da gab es keine wallenden Federn, keine goldenen Zierrathen und bunte Einfassungen, wie sie doch sonst der Pracht liebende Geschmack der damaligen Zeit erforderte. Die Haare hingen rund und kurz geschnitten um das Haupt. Damals, wo lange und zierlich gekräuselte Locken als eine besondere Zierde galten und allgemein gepflegt wurden, mußte das Gegentheil um so mehr auffallen und rief daher den Spottnamen »Rundköpfe« hervor, welche die Anhänger dieser Sekte um deswillen von ihren Feinden erhielten. Sie selbst nannten sich die Kinder Gottes, oder das auserwählte Volk. Mit dieser düsteren Einfachheit der Kleidung harmonirte ein Zug finsterer Schwärmerei, welcher in der ganzen Versammlung vorherrschte. Fast alle Gesichter zeigten denselben Ausdruck eines entschlossenen Trotzes, einer selbstbewußten Energie. Leiden aller Art hatten ihre Widerstandskraft geweckt und die sichere Ueberzeugung von der Richtigkeit ihrer Grundsätze und dem endlichen Siege der guten Sache ihnen einen Stolz verliehen, der von Hochmuth nicht frei zu sprechen war und die Erbitterung ihrer Feinde ganz besonders vermehrte. Man sah es diesen gedrungenen Männern an, daß sie nur mit Ingrimm sich den Umständen fügten und den Tag der Vergeltung erwarteten. An ihren Mienen konnte ein aufmerksamer Beobachter neben der deutlich ausgesprochenen Gottergebenheit einen wilden Fanatismus lesen und während von ihren Lippen der fromme Psalm mit vieler Salbung gesungen wurde, blitzte ihr Auge in wilder Gluth, so oft die Verse des Liedes von den Feinden des Herrn und seinen Widersachern sprachen, worunter sie natürlich ihre eigenen verhaßten Gegner verstanden.

Einigermaßen gemildert wurde dieser herbe und strenge Eindruck durch die Gegenwart der Frauen und Kinder. Auch unter den ersteren fehlte es nicht an finsteren Gestalten mit harten, unangenehmen Zügen; die Mehrzahl jedoch und darunter vorzugsweise die jüngere Generation zeichnete sich mehr durch eine sanfte Schwärmerei aus, die den meist schönen und frischen Gesichtern eher zum Vortheil als zum Schaden gereichte. Auch die Kleidung war trotz der puritanischen Strenge nicht so einförmig und düster wie die der Männer. Die weibliche Eitelkeit und Gefallsucht fand selbst unter den ungünstigsten Verhältnissen immer noch einen Ausweg, um geschickt hier ein Band, dort eine Schleife anzubringen. Die weißen, eng anschließenden Häubchen gaben sogar manchem jugendlichen Antlitz ein ganz eigenthümlich gewinnendes Aussehen, wobei sich mitunter ein Anstrich von weltlicher Koketterie bei aller Frömmigkeit verrieth. Unter den Mädchen besonders bemerkte der lauschende Thomas, der in solchen Dingen einen feinen Geschmack besaß, einzelne Erscheinungen, die selbst einen Vergleich mit seiner Schwester, der schönen Alice, nicht zu scheuen brauchten.

Solche Beobachtungen stellte indeß der Jüngling aus seinem Versteck erst an, als der Gesang, der ihn so mächtig angezogen, längst verstummt war. Nach einer kurzen Pause schickte sich der Prediger an, seine Rede zu beginnen. Die Gemeinde schaarte sich näher um die Kanzel, muthmaßlich um besser zu hören. Neugierde und Abenteuerlust trieben auch Thomas, seinen bisherigen, sicheren Schlupfwinkel zu verlassen. Mit einiger Vorsicht noch stahl er sich leise zwischen den Bäumen durchschlüpfend nach der Seite hin, wo die Kanzel stand. Dies geschah ganz unbemerkt und der erste Erfolg gab dem verwegenen Jüngling seine frühere Dreistigkeit zurück. Den Sermon eines puritanischen Predigers zu hören, war schon längst sein Wunsch und sein heiterer Sinn versprach sich einen ganz vorzüglichen Spaß von dem näselnden Tone, den lächerlichen Gebärden, die er nach der hierüber allgemein verbreiteten Ansicht bei jedem derartigen Sektirer erwartete.

Nachdem sich das übliche Räuspern und das Murmeln, welches bei ähnlichen Gelegenheiten in jeder größeren Versammlung einzutreten pflegt, gelegt hatte, ergriff der würdige Samuel Gott wird meine Hülfe sein, das Wort. Es herrschte jetzt eine Stille, daß man das Rauschen der Blätter im Winde und das Sprudeln des lebendigen Quells deutlich vernehmen konnte. Die Männer schauten ernst und düster drein und selbst der weibliche Theil der Gemeinde zeigte eine ungewöhnliche Aufmerksamkeit Man sah es diesen Leuten an, daß sie ein lebendiges Bedürfniß nach dem Wort des Herrn empfanden, um deswillen sie von weit hergekommen waren und sich den größten Gefahren aussetzten.

Volk Israel! höre mich, begann der Redner seinen Vortrag mit leiser zitternder Stimme, die im Verlaufe der Rede immer stärker und kräftiger wurde. Die Feinde mehren sich mit jedem Tage und die Zahl deiner Widersacher ist Legion; fürchte dich aber nicht, denn der Herr ist mit dir. Er wird dein Schutz sein und deine Gegner niederschmettern mit der Gewalt seines Armes. Ein König ist in unserer Mitte aufgestanden, schlimmer als Pharao, der das auserwählte Volk bedrückte und mit schwerer Arbeit plagte; doch es wird uns nicht an einem Moses fehlen, der ihn schlagen wird mit der Schärfe des Schwertes, der ihn begraben wird mit Mann und Roß in die Tiefen des salzigen Meeres. Laßt euch nicht anfechten die Qualen, die ihr erduldet und die Versuchungen, denen ihr ausgesetzt seid; denn die Plagen Aegyptens werden über den Tyrannen und seine schlimmen Rathgeber kommen. Er will euch zwingen, anzubeten die fremden Götzen und das Knie zu beugen nach der Weise Rom's. Seine Bischöfe prunken in unheiligen Gewändern und stinken nach Aberglauben und Abgötterei. Weh über sie! Kein Mittel lassen sie unversucht, um die fromme Heerde zum Abfall zu bewegen. Mit Kerker und Banden bedrohen sie die Gläubigen und mit scharfen Geißeln zerfleischen sie den Rücken der Frommen. Wer ist hier unter uns, der nicht von ihrer grausamen Strenge zu sagen weiß?

Ein dumpfes Gemurmel der Zustimmung unterbrach auf einen Augenblick die feierliche Stille. Bei der Erinnerung der erlittenen Bedrückungen ballten sich unwillkührlich die Fäuste der Männer und ihre drohenden Mienen verriethen nur zu deutlich die mühsam bekämpfte Wuth.

Schwere Strafen an Gut und Blut, fuhr der greife Prediger fort, haben uns Alle mehr oder minder betroffen; aber eher wendet sich die Sonne in ihrem Lauf und geht im Westen statt im Osten auf, als daß wir ablassen sollten von dem Herrn und seinem Gebot. Er wird seine Getreuen nicht fallen lassen, sondern aus dem Staube erheben zur größten Herrlichkeit. Nur noch eine kurze Spanne Zeit und ganz Israel wird aufstehen wie ein Mann und Rache nehmen an seinen Peinigern. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch und der Herr spricht aus meinem schwachen Munde, daß der Tag bald erscheinen muß, wo die Kinder Gottes einziehen werden in das neue Jerusalem. Dann wird sein ein Jauchzen und Jubeln für die Auserwählten und Zittern und Beben wird die Gottlosen ergreifen um ihrer eigenen Ruchlosigkeit Willen. Darum seid fröhlich und getrosten Muthes, tragt neue Lasten mit Geduld, bis der Augenblick kommt, wo ihr sie abwerfen dürft. Aber nicht müßig wollen wir den Tag der Vergeltung erwarten. Der Landmann soll die Sichel schleifen, denn die Ernte ist nahe und der Krieger das Schwert wetzen zur blutigen Arbeit, die unserer wartet. Auf, auf! mein Volk und rüste dich zur Vergeltung, waffne deinen Arm und lasse dein heiliges Banner wehen.

Von Neuem hielt der erschöpfte Redner inne. Der gebrechliche Körper genügte nicht mehr dem Feuereifer dieser durch Qualen und Verfolgungen aller Art ergrimmten Seele. Er suchte frische Kraft zu sammeln, um in demselben heftigen Tone fortzufahren. So lange er sprach, schoß sein tiefliegendes unter grauen, buschigen Augenbrauen verborgenes Auge lodernde Blitze und seine abgezehrte Gestalt schien an Größe noch zu wachsen. Seine Worte zündeten in den hinlänglich vorbereiteten und empfänglichen Gemüthern. Die ganze Gemeinde ward von ihm fortgerissen und befand sich in dem Zustande gewaltsamer Aufregung. Alte und neue Ungerechtigkeiten, die sie erlitten, stachelten die Männer auf und mit knirschenden Zähnen gedachten sie der erst seit Kurzem erduldeten Qualen. Anders war der Eindruck, den die Predigt auf den zufällig unter diese Schwärmer gerathenen Jüngling hervorbrachte. Lachen konnte er darüber nicht, wie er sich anfänglich gedacht hatte, dazu war seine eigene Lage zu beunruhigend und die Haltung der ganzen Versammlung allzu ernst Ein Gemisch von Theilnahme und Widerwillen hielt ihn gegen seine Absicht fest. Der Sohn des Lord Präsidenten von Wales war in den strengsten Grundsätzen der Loyalität und Ergebenheit für seinen König und für die bischöfliche Kirche Englands erzogen worden, außerdem theilte er die Vorurtheile seiner Zeit und der meisten Standesgenossen gegen die puritanischen Sekten. Ihr strenges, mürrisches Wesen, ihre düstere, einfache Kleidung wurde für Heuchelei gehalten und waren auch keineswegs geneigt, ihnen die Sympathie der lebenslustigen Jugend und der übermüthigen Höflinge zu verschaffen. Schon aus diesem Grunde fand auch der heitere Thomas sich eben nicht besonders zu ihnen hingezogen. Die aufreizenden Worte des Predigers verletzten sein dem Königthum gänzlich ergebenes Gefühl; dennoch konnte er dem Schauspiel, das sich ihm darbot, nicht eine gewisse Würde und einfache Größe absprechen. Unwillkürlich wurde er davon gefesselt und er vergaß jede Vorsicht so weit, daß er von Neugierde getrieben seine bisherige Zurückhaltung aufgab und sich dem Kreise der Zuhörer nach und nach immer mehr näherte. So lang der würdige Geistliche sprach, war die Aufmerksamkeit der Gemeinde so ausschließlich mit dem Inhalte der Rede beschäftigt, daß sie die fremde Erscheinung des verwegenen Jünglings übersah. Erst in der nunmehr eingetretenen Pause erblickten ihn die Zunächststehenden. Die Anwesenheit eines unbekannten Mannes, der noch dazu durch seine reiche, bunte Kleidung und sein herausforderndes Auftreten als ein frecher Eindringling, als ein Gegner der Kinder Gottes sich zu erkennen gab, genügte, um die schon vorhandene Aufregung womöglich noch zu steigern. Plötzlich hatte die Wuth und der Haß der Versammlung einen bestimmten Gegenstand gefunden. Augenblicklich sah sich der unbesonnene Jüngling von einer drohenden Menge umringt; mißtrauische wilde Blicke begegneten ihm und laute Verwünschungen umbrausten ihn, wohin er sich auch wenden mochte. Mit jeder Sekunde wuchs die allgemeine Erbitterung. Schon streckten einige Männer ihre Arme nach ihm aus, schon hatte Thomas, der jetzt erst die Gefahr in ihrem ganzen Umfange erkannte, die Hand an den Griff seines Schwertes gelegt, um im Nothfalle, wenn auch ohne Aussicht auf Erfolg, Gewalt mit Gewalt zu vergelten; als plötzlich ein kräftiger Mann von vornehmer, fast ritterlicher Haltung dem tobenden Haufen Ruhe gebot. Auch der Prediger, welcher in einiger Entfernung noch auf der Kanzel verweilte, war herabgestiegen und durch den allgemeinen Aufruhr in seiner Rede unterbrochen, so schnell es seine Gebrechlichkeit gestattete, herbeigeeilt.

Wer ist der Jüngling und was sucht er hier? fragte jener bereits erwähnte Mann, der eine gewisse Autorität in der Versammlung auszuüben schien.

Ein Spion, der uns belauscht hat und verrathen will, schrie es von allen Seiten.

Das lügt Ihr in Euren Hals hinein, entgegnete der muthige Thomas. Der Zufall hat mich hergeführt und zum Zeugen Eurer Versammlung gemacht. Was geht mich sonst Euer Geplärre und Augen verdreherisches Treiben an; ich kümmere mich nicht so viel darum.

Hört Ihr wie er lästert, brüllte die gereizte Menge. Nieder mit dem Verruchten, mit dem Sohne Belials.

Durch die von ihm ausgestoßenen, unbesonnenen Worte hatte der tollkühne Jüngling seine Lage wesentlich verschlimmert. Vergebens suchten der greife Prediger und sein Gefährte die tobende Gemeinde zu beschwichtigen. Einige Männer legten von Neuem Hand an Thomas, der rasch entschlossen jetzt wirklich sein Schwert blitzschnell aus der Scheide gerissen hatte. Ehe er jedoch von der Waffe einen gefährlichen Gebrauch machen konnte, war dieselbe ihm entrissen. Wehrlos gemacht, stand der Jüngling der Willkür seiner erbitterten Gegner Preis gegeben. Unmuthig stampfte er mit dem Fuße den Boden und die ohnmächtige Wuth entpreßte seinem Auge eine Thräne. So stand er mit glühenden Wangen und trotzigem Gesicht in der Mitte des Kreises. Auch die Frauen hatten sich herangedrängt und betrachteten mit einer Mischung von Theilnahme und Angst den schönen Jüngling, der ihnen keineswegs so gefährlich erschien, als den rauhen, bedenklichen Männern.

Der Anblick der blanken Waffen, die zum Glücke keinen weiteren Schaden angerichtet, hatte diese zu neuer Wuth entstammt. Die Verwünschungen und Drohungen gegen den frechen Eindringling steigerten sich von Stunde zu Stunde. Nur die Anwesenheit des würdigen Geistlichen und jenes älteren Mannes schützten Thomas vor thätlichen Mißhandlungen. Beide traten, nachdem sie einigermaßen die Ruhe hergestellt hatten, zu einer kurzen Berathung zusammen. Leise flüsternd besprachen sie den allerdings unerwarteten und Gefahr drohenden Zwischenfall. So lang diese Unterhaltung dauerte, beobachtete die Gemeinde eine ernste, gemessene Haltung dem Gefangenen gegenüber, der von zwei handfesten Männern an den Armen gehalten wurde, um jeden Versuch zur Flucht oder Gegenwehr zu vereiteln.

Nach einer kurzen Pause, in der Thomas hinlänglich Gelegenheit gehabt, nicht eben die angenehmsten Betrachtungen über seine Lage anzustellen, ergriff jener Mann, der das Amt eines Vorstehers in der Versammlung zu bekleiden schien, das Wort.

– Ihr habt Euch, sagte er mit Würde und Ruhe zu dem Jüngling, unberufen in diese Zufluchtsstätte eingedrängt. Unser Sicherheit verlangt, daß ich Euch einige Fragen vorlege, die Ihr mir der Wahrheit gemäß beantworten werdet. Vor allen Dingen nennt uns Euren Namen.

– Ich weiß nicht, welch ein Recht Ihr habt, ein förmliches Verhör mit mir anzustellen, entgegnete Thomas, dessen Trotz ungeachtet der Gefahr nicht gebeugt war, sondern eher zunahm.

– Unser Recht ist das Recht des Stärkeren, von dem wir heut denselben Gebrauch machen wie unsere Gegner. Nehmt den Rath eines älteren und erfahrenen Mannes an und verschlimmert nicht Euere Angelegenheit durch solch unzeitigen Hochmuth. Nochmals bitte ich um Euren Namen, Sir!

– Nicht eher, bevor ich den Euren weiß.

– Diese dreiste Antwort des Uebermüthigen rief einen neuen Sturm unter den Zuhörern hervor und es bedurfte des ganzen Ansehens, welche der Vorsteher besaß, um die empörten Gemüther zu beruhigen. Nachdem ihm dies gelungen war, wandte er sich mit überlegenem Lächeln an den unbesonnenen Jüngling.

– Ich weiß keinen Grund, erwiederte er, Euch meinen Namen zu verschweigen. Ich heiße Overton.

– Overton, Sir Overton, rief der Jüngling überrascht aus, Euer Name ist mir nicht unbekannt. Wenn ich nicht irre, hörte ich denselben öfters in dem Hause meines Vaters mit Achtung nennen. Ihr seid demnach ein Kavalier wie ich.

– Jetzt werdet Ihr gewiß keinen Anstand nehmen, meinen Wunsch zu erfüllen und mir Euren Namen nicht länger verschweigen.

– Ich heiße Thomas Egerton.

– Sohn des Lord Präsidenten von Wales.

– Und ich kann bezeugen, daß der junge Mann die Wahrheit spricht, fiel eine tiefe, ernste Stimme dazwischen ein, welche aus dem Munde eines finster blickenden Alten kam.

Unwillkürlich richtete Thomas seinen Blick nach der Seite hin, wo der Redner stand, den er bisher in dem Gedränge nicht bemerkt hatte. Auch er seinerseits erkannte jetzt den mürrischen Alten, an dessen Seite ein liebliches Mädchen in der Tracht des dortigen Landvolks stand. Ihr blaues Auge begegnete dem dunkeln des Jünglings und eine plötzliche Röthe überzog das feine und doch so ausdrucksvolle Gesicht des schönen Kindes. Niemand in der Versammlung achtete auf dies kurze Intermezzo und doch fand hier eine bedeutende Begegnung nach langer Trennung statt. Die Züge des Mädchens riefen in der Seele des Jünglings mannigfache Gefühle und Erinnerungen wach. Lucy Henderson, so hieß die Tochter des Alten, war die Milchschwester Alicens und die Gespielin der Brüder gewesen, so lang diese selbst noch Kinder waren. Damals weilte sie Tage lang auf dem Schloß der Egertons und nahm an allen Spielen und Unterhaltungen der hoch gebornen Geschwister Theil, selbst den Lehrstunden wohnte sie öfters bei und so kam es, daß Lucy eine Bildung erhalten hatte, welche sonst in ihrem Stande nur ausnahmsweise angetroffen wird. Ihr Vater, der alte mürrische Henderson, war vor Jahren aus einer fernen Grafschaft eingewandert und hatte sich in der Nähe von Ludlow-Castle niedergelassen. Seine indeß verstorbene Frau brachte schon die kleine Lucy mit, welche eben erst geboren sein konnte. Auf Wunsch der Lady Egerton übernahm es die noch rüstige Frau, die kaum ein halbes Jahr alte Alice zu nähren und zu pflegen. So kam es, daß die beiden Kinder miteinander aufwuchsen. Auch nach dem Tode der Pflegemutter dauerte diese Freundschaft fort. Erst in letzter Zeit war eine Unterbrechung in dem Verhältnisse eingetreten. Je älter der finstere Henderson wurde, desto ungefügiger und trüber entwickelte sich seine ohnehin zur Melancholie geneigte Gemüthsart. Die Nachbarn schrieben diese Veränderung, die ihnen nicht entgangen war, dem Verluste des geliebten Weibes zu, denn so lange dasselbe lebte, verkehrte er weit umgänglicher und in seiner Weise freundlich mit den Leuten. Nach und nach zog er sich indeß immer mehr von der Welt zurück; auch brach er jeden Umgang mit den Bewohnern von Ludlow-Castle ab, die eine solche Vernachlässigung keineswegs verschuldeten. Besonders hatte sich Lady Egerton stets freundlich gegen die Familie Henderson gezeigt und die kleine Lucy mit Geschenken und Wohlthaten überhäuft. Diese wurden jetzt von dem rauhen Wittwer mit beleidigendem Stolze zurückgewiesen. Er duldete nicht länger, daß seine Tochter mit ihren vornehmen Gespielen und Freunden verkehrte.

Trotz ihrer Thränen und ihres Widerspruchs mußte sie sich endlich fügen und den ihr so lieben Umgang gezwungen aufgeben. Seitdem waren Jahre verstrichen und Lucy zu einem blühenden Mädchen herangewachsen; aus ihrem Jugendfreunde Thomas, dem sie stets vor dem älteren und ernsteren Bruder den Vorzug gab, war ein stattlicher Jüngling geworden. Unter solch veränderten Verhältnissen fand nun nach langer Trennung wieder die erste Begegnung der früher innig befreundeten statt.

Es war hier weder die Zeit noch der Ort dazu ihre gegenseitige Ueberraschung in Worte zu kleiden. Stumm begrüßten sich die Beiden mit einem kaum merklichen Neigen des Kopfes und einem vertrauten Blick von Seiten des Jünglings, mit einem holden Erröthen und freudigen Zittern, von dem die liebliche Lucy ergriffen wurde. Die längst Bekannten erneuerten bei dieser seltsamen Gelegenheit ohne ihre Gefühle auszutauschen das alte Bündniß und prägten ihrem Herzen ihr gegenseitiges Bildniß ein. Hätten sie ihre Empfindung laut ausdrücken dürfen, so wären sie sicherlich in denselben Ausruf ausgebrochen: O, wie schön und groß bist du geworden. Vor der Versammlung mußten sie indeß jede derartige Aeußerung sorgfältig unterdrücken, aber je schweigsamer ihre Lippen blieben, desto beredter war die Sprache ihrer Augen.

Unter solchen Umständen entscheidet oft der Moment über das Schicksal eines ganzen Menschenlebens und die augenblicklich gewaltsam unterdrückte Neigung sucht und findet bald Gelegenheit, sich in ihrem vollen Umfange und in ihrer ungebändigten Kraft zu offenbaren. Nie war dem Jüngling seine Jugendgefährtin so reizend, und begehrenswerth erschienen, nie hatte das Mädchen eine Ahnung von der Leidenschaft gehabt, welche der unvermuthete Anblick ihres Freundes in ihr anfachte.

Beide fühlten das Bedürfniß einer Verständigung nach so langer Trennung, beide wurden unwiderstehlich zu einander hingezogen. In der ganzen Versammlung hatte kein Mensch und am wenigsten der alte Henderson eine Ahnung von den Vorgängen in diesen jugendlichen Herzen. Nur ein Rest der alten Dankbarkeit bewog vielleicht den rauhen Puritaner zu Gunsten des gefährdeten Jünglings dazwischen zu treten.

Dieser jedoch war von dem wunderbaren Zusammentreffen mit Lucy so befangen, daß er die nächste Veranlassung dazu und seine noch immer keineswegs angenehme Lage vergaß. Indeß hatten die Worte Hendersons augenscheinlich eine für Thomas günstige Wirkung hervorgebracht. Die Zunächststehenden nahmen ihm gegenüber eine friedlichere Haltung an und ließen die früheren Drohungen schweigen. Der würdige Geistliche sowohl, wie der ritterliche Overton richteten sogar Blicke voll Theilnahme auf den mehr leichtsinnigen als schuldigen Jüngling.

Es ist mir lieb, begann das scheinbare Haupt der Gemeinde, daß ein solch wackerer Mann wie unser Freund Henderson die Wahrheit Eurer Rede bezeugt; doch wird dadurch immer noch nicht Euer unberufenes Eindringen in dieses Asyl erklärt und entschuldigt. Wie seid Ihr hierher gekommen?

Auf die einfachste Weise von der Welt. Ich habe mich im Forst von Haywood verirrt.

Ich will Euch glauben, da aus Eurem ganzen Wesen eine jugendliche Offenheit spricht und ich nicht annehmen kann, daß Ihr in der Absicht hergekommen seid, um unsere Versammlung zu belauschen, oder gar zu verrathen.

Sir! Ich glaube, daß mein bloßer Name genügen muß, mich vor jedem derartigen Verdacht zu schützen, rief Thomas mit aufbrausender Heftigkeit.

Zugegeben, entgegnete Overton, der durch seine Ruhe und Festigkeit den entschiedensten Gegensatz zu dem leicht gereizten Jüngling bildete. Wer aber bürgt uns für Eure fernere Verschwiegenheit? Was der Zufall Euch entdecken ließ, kann mit Absicht oder vielleicht aus Leichtsinn von Euch weitergetragen und gemißbraucht werden.

Sir Overton! rief Thomas mit vor Entrüstung gerötheten Wangen. Nur meine gegenwärtige Hilflosigkeit läßt Euch eine solch unritterliche Sprache führen. Bei den Wappen meiner Ahnen, hätte ich mein Schwert zur Seite, so würde ich für diesen Schimpf blutige Rechenschaft von Euch fordern.

Ihr thätet besser daran, Eure etwas stolze und vorlaute Sprache zu dämpfen. Seht um Euch; diese guten Leute hier verstehen keinen Scherz, das habt Ihr bereits erfahren. Es handelt sich um ihre Sicherheit, um Gut und Blut, vielleicht um ihr Leben; denn die Grausamkeit ihrer Peiniger kennt kein Mitleid. Darum dürft Ihr es weder ihnen, noch mir verargen, wenn wir eine größere Sicherheit von Euch fordern als die bloße Berufung auf den Namen Egerton und das morsche Wappen Eurer Ahnen.

Hoffentlich werdet ihr euch mit dem Worte eines Edelmannes begnügen, entgegnete der Jüngling, indem er erbittert die Zähne übereinander biß und kaum noch länger den Ausbruch seiner Wuth zurückzuhalten vermochte.

Das Wort eines Edelmannes könnte vielleicht mich, nicht aber jene Männer dort zufrieden stellen. Sie wissen, was davon zu halten ist, seitdem der erste Edelmann England's, König Karl, mehr als zehnmal sein Wort gebrochen und die heiligen Versprechungen verletzt hat.

Das war zu viel für den tief verletzten Jüngling. In den Gesinnungen der unbegränztesten Loyalität erzogen, konnte er eher die eigene Beschimpfung, als den geringsten Angriff auf die Ehre seines Königs dulden. Mit einem Wuthschrei rang er sich los und stürzte auf Overton zu, nachdem er das ihm früher schon entwundene Schwert aus den Händen desjenigen gerissen hatte, der es noch immer hielt. Durch eine geschickte Wendung entging der so plötzlich Angegriffene dem stürmischen Ausfall des Rasenden. Im nächsten Moment hatte auch er sein Schwert entblößt, und wer die gedrungene Gestalt des Mannes, seinen kräftigen Arm, die Kaltblütigkeit und Ruhe seines ganzen Wesens gegenüber der blinden Hitze und den kaum entwickelten Formen des Jünglings beobachtete, der konnte keinen Augenblick im Zweifel über den Ausgang dieses ungleichen Kampfes sein.

Nur die Vorliebe, welche alle Engländer zu jederzeit für derartige Scenen haben, und die Achtung vor dem Muth und mannhaften Benehmen verhinderte die Versammlung dazwischen zu treten. Trotz ihrer puritanischen Strenge hatten diese ernsten Männer die alte Lust an derartigen Schauspielen sich gewahrt. Unwillkürlich erweiterte sich der Kreis, um den Fechtenden den nöthigen Raum zu verschaffen. In der Mitte standen die so unähnlichen Kämpfer und kreuzten ihre funkelnden Schwerter. Ringsumher herrschte eine erwartungsvolle Stille, welche keiner der Anwesenden, nicht einmal der würdige Prediger durch ein Wort des Friedens zu unterbrechen wagte. Mit gewohnter Heftigkeit und wilder Hitze griff Thomas seinen Gegner an, so daß dieser hinlänglich zu thun hatte, um sich der blitzschnell einander folgenden Stöße und Hiebe zu wehren. Anfänglich schien sich der ruhigere Overton lediglich auf seine Vertheidigung beschränken zu wollen, aber schon in den nächsten Gängen, nachdem der stürmische Jüngling seine Kräfte vorschnell erschöpft hatte, nahm der geübte Fechter seinen Vortheil wahr und gab seine bisherige passive Stellung auf.

Die Zuschauer verfolgten mit wachsender Theilnahme den Verlauf des Kampfes und man brauchte nur die Spannung in ihren Mienen und das Glänzen in ihren Blicken zu sehen, um zu der Ueberzeugung zu gelangen; daß. der größte Theil derselben dem Waffenhandwerk nicht ganz fremd war. So oft Overton mit der ihm eigenthümlichen Kaltblütigkeit einen Hieb seines Gegners geschickt parirte, oder einem Stoße desselben mit gewandter Biegung auswich, erhob sich ein beifälliges Gemurmel in dem weiten Kreise; auch dem Muthe des Jünglings wurde eine gerechte Anerkennung gezollt, der sich aber ein Gefühl von Mißbilligung wegen seines hochmüthigen Benehmens beimischte. Niemand jedoch betrachtete das Schauspiel mit größerer Bewegung als die reizende Lucy. Sie hatte sich so weit als möglich vorgedrängt und stand mit gerötheten Wangen, zurückgehaltenem Athem und zitternden Gliedern lauschend.

Die Entscheidung schwankte noch immer wie das Zünglein an der Wage. Was dem Jüngling an Kraft und Uebung abging, ersetzte er durch Ungestüm, während Oberton das mangelnde Feuer durch Vorsicht und Gewandtheit ausglich. Es war ein wunderbarer Anblick, den blühenden Thomas mit dem blonden Lockenkopf, dem glühenden Angesicht und der schlanken Gestalt dem gedrungenen Overton, dessen Antlitz auch nicht die geringste Bewegung verrieth, gegenüber zu sehen. Man konnte sich keinen größeren Gegensatz denken, als die Heftigkeit des Einen und die Ruhe des Anderen. Die Jugend selbst und das gereifte Mannesalter schienen hier, auf diesem Kampfplatz, ihre gegenseitigen Kräfte zu messen. Bessere und würdigere Repräsentanten ihrer Vorzüge konnten beide auf der Welt kaum zum zweitenmale finden.

Eine geraume Zeit mochte so der Kampf gedauert haben, als der kaltblütige Overton es an der Zeit hielt, demselben ein Ende zu machen. Dabei gedachte er jedoch keineswegs dem muthigen Thomas ein großes Leid anzuthun. Mit scharfem Blick nahm er eine der vielen Schwächen wahr, welche ihm die unbesonnene Tapferkeit seines Gegners darbot. Ruhig und geschickt parirte er den ihm zugedachten Hieb und schlug dabei mit Anstrengung seiner ganzen Kraft das Schwert dem Jüngling aus der Hand, ehe dieser sich dessen versah. Dabei konnte es nicht ausbleiben, daß derselbe eine leichte Wunde erhielt, aus der das rothe, warme Blut zur Erde träufelte und in dunkeln Tropfen auf den grünen Rasen fiel.

Kaum aber hatte Lucy die Verwundung ihres Jugendfreundes bemerkt, als sie aufschrie und mit geschlossenen Augen ohnmächtig in die Arme der Zunächststehenden sank.

Beschämt und wehrlos stand der besiegte Thomas vor seinem triumphirenden Gegner. Dieser war indeß keineswegs geneigt, seinen errungenen Vortheil weiter zu verfolgen. Großmüthig senkte er das Schwert, das er wieder mit gewohnter Ruhe in die Scheide steckte.

Sein ritterliches Benehmen verfehlte nicht, auf den Jüngling eine besänftigende Wirkung auszuüben. Overton hatte ihm das Leben geschenkt, das in seine Hand gegeben war. Sein Gefühl der Dankbarkeit war jedoch von der Empfindlichkeit verletzter Eitelkeit getrübt.

– Ihr habt mich geschont, sagte er mit bebender Stimme. Nach altem Brauch und Recht stehe ich in Eurer Schuld. Ihr könnt den Preis bestimmen, womit ich mich lösen soll.

Euer Lösegeld soll das unverbrüchlichste Stillschweigen über all die Vorfälle in diesem Walde sein. Darauf werdet Ihr mir Euer Ehrenwort als Kavalier geben.

– Ich werde schweigen bei meiner Ehre.

Keinem Menschen dürft ihr diesen geheimnißvollen Schlupfwinkel verrathen, den Euch der Zufall entdecken ließ, eben so wenig mir Euren nächsten Angehörigen darüber sprechen. Wenn und wo Euch immer einer der Anwesenden begegnen mag, so werdet Ihr ihn nicht kennen. Das gelobt Ihr mir.

– Ich gelobe es.

Und nun seid Ihr frei und könnt den Ort verlassen und auf demselben Wege zurückkehren, den Ihr gekommen seid. Der Jüngling schickte sich sogleich an, von der gegebenen Erlaubniß Gebrauch zu machen und die gestörte Versammlung zu verlassen. Mit den mannigfachsten Gefühlen, welche sein leicht bewegtes Herz bestürmten, trat er seinen Rückweg an. Beschämung und Aerger über seine Niederlage nahmen dabei die erste Stelle ein. So sehr er dem großmüthigen Benehmen Overtons Anerkennung zollen mußte, so wünschte er doch, ihm bald wieder mit dem Degen in der Hand zu begegnen, und sich mit ihm unter günstigeren Umständen zu messen. Seine Vorurtheile gegen das puritanische Sektenwesen waren keineswegs durch seine Begegnung mit ihnen gemindert worden, sondern eher noch im Steigen. Nur das Bild der lieblichen Lucy Henderson warf ein freundliches Licht auf all die Schatten, welche in seiner Seele ausstiegen. Gedankenvoll schlug er den Pfad ein, der ihn zu der harrenden Schwester zurückführen sollte.

Auch die fromme Gemeinde befand sich in einem Zustande ängstlicher Spannung und Zerstreutheit. Der Gottesdienst war unterbrochen und durch die stattgefundenen Ereignisse gestört; ein Theil der Anwesenden zeigte sich mit Overton's Benehmen keineswegs einverstanden. Nach ihrer Ansicht hätte dieser sich nicht mit dem bloßen Worte des übermüthigen Jünglings begnügen, sondern einen feierlichen Eid auf die Bibel von ihm fordern sollen. Die wildesten Fanatiker in der Versammlung gingen noch weiter und waren überhaupt dagegen gewesen, daß man Thomas so ruhig ziehen ließ. Es gab darunter Männer, die selbst vor einer blutigen That nicht zurückbebten. Diese trugen auch vor einem Verbrechen nicht Scheu, wo es ihre Sicherheit erforderte. Jetzt murrten sie laut und es bedurfte des ganzen Ansehn Overton's und des Zuspruchs von Seiten des würdigen Predigers, um sie von ferneren Schritten abzuhalten. Sie wollten dem Abwesenden nachsetzen und ihr grausames Vorhaben noch ausführen. Dabei beriefen sie sich auf mannigfache Aussprüche und Beispiele, welche sie der heiligen Schrift, besonders dem alten Testamente entlehnten und in ihrer Weise deuteten.

Während die rauheren Männer so verhandelten, beschäftigten sich die mitleidigen Frauen mit der noch immer ohnmächtigen Lucy. Aus dem benachbarten Quell holten sie in den mitgebrachten Trinkgefäßen Wasser herbei, mit dem sie die bleiche Stirn und die Wangen des Mädchens benetzten. Einige erfahrene Matronen getrieben indeß würzige Waldkräuter, durch deren scharfen ätherischen Geruch sie die schlafenden Lebensgeister reizen wollten. Endlich gelang es ihren angestrengten Bemühungen, die Leblose wieder zu ermuntern. Verwundert schlug sie die Augen auf und ihr erster Blick starrte auf den Fleck hin, wo der Zweikampf eben statt gefunden hatte.

Wo ist er? hauchte sie mit matter Stimme, da sie den Jüngling vermißte.

Die verwunderten Frauen hielten die ihnen unverständliche Frage für eine neue Verirrung des abwesenden Bewußtseins und vermochten dieselbe weder zu beantworten, noch richtig zu deuten. Erst aus dem Munde des alten Henderson erfuhr Lucy die ferneren Schicksale des Jugendfreundes und daß derselbe ohne erheblichen Schaden die Versammlung verlassen habe. Diese tröstliche Nachricht bewirkte in kürzester Frist ihre vollständige Genesung und sie vermochte dem Vater wieder unbehindert zu folgen, als dieser mit der ganzen Gemeinde aufbrach und in seine Heimath zurückkehrte.


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