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9.

So wurde Milton der Poesie zurückgegeben; nichts desto weniger aber glühte seine Seele noch immer für die Freiheit seines Vaterlandes, welche jetzt ernstlicher, als je bedroht war. General Monk, in dessen Händen die Entscheidung lag, zögerte zwar noch, den letzten Schritt zu thun, aber alle Anzeichen deuteten auf den nahen Sturz der Republik. Mit tiefem Schmerze sah Milton seine geträumten Ideale schwinden und die Fortschritte einer zügellosen Reaction, welche täglich mehr und mehr um sich griff. Aber noch gab er die ihm heilige Sache nicht verloren; wie er mit Cromwell einst gesprochen, so wollte er auch mit Monk jetzt reden und diesen an seine Pflicht mahnen. Der blinde Mann ließ sich zu dem General geleiten, den er umgeben von den Stimmführern der verschiedensten Parteien fand. Alle drängten sich um Monk, um auf seinen Entschluß einen Einfluß auszuüben. Die stolzen Cavaliere in seidenen Kleidern und die prespyterianischen Geistlichen im schwarzen Genfer Rock belagerten sein Ohr, alle Secten und Politiker suchten Zutritt zu erlangen und die Absichten des Generals entweder zu erforschen, oder diesen eine bestimmte Richtung zu geben. Immer offener trat die Gesinnungslosigkeit der Menge hervor und während Milton in dem Vorzimmer wartete, mußte er sehen, wie ihn alte Freunde und Bekannte jetzt ängstlich mieden, da er seinen früheren Einfluß eingebüßt und die Strömung der öffentlichen Meinung dem Königthum günstig war.

Endlich wurde er vorgelassen. Der General empfing ihn in kalter, abgemessener Weise, mit der überlegenen Ruhe, welche der nüchterne Verstand vor der genialen Begeisterung voraus hat.

– Was bringt Ihr? fragte Monk, welcher kein Freund von vielen Reden war.

– Die Sorge um das Vaterland führt mich zu Euch; sein Schicksal ruht in Eurer Hand. Zu keiner Zeit wohl ward einem einzelnen Manne so viel anvertraut als Euch, General! Von Eurem Entschlusse hängt das Wohl, oder das Wehe Englands ab. Ein ganzes Volk blickt zu Euch empor und macht Euch verantwortlich für sein Loos. Die Weltgeschichte steht mit erhobenem Griffel da, um Euren Namen ihren Blättern einzuverleiben zum Segen, oder zum Fluche der kommenden Tage.

– Zur Sache! Wer hat Euch gesandt?

– Wer mich abgeschickt hat? Die Liebe zur Freiheit und der Ruf des Geistes. Wie der Herr einst Propheten in Israel erweckt hat, wenn sein Volk sich in Gefahr befand, so läßt er auch heute noch Männer aufstehen, welche ungescheut die Wahrheit verkünden.

– Es geschehen keine Wunder mehr, entgegnete spöttisch der General.

– Und doch strafen die jüngsten Ereignisse Eure Worte Lüge. Ist nicht ein Wunder vor unsern eigenen Augen geschehen? Vor dem gewaltigen Willen des Volkes ist ein Thron gestürzt und das gesalbte Haupt eines Königs gefallen. Ein Mann aus niederem Stande hat sich zum Herrscher von England erhoben und in dem Augenblick, wo er seine Hand nach der Krone schon ausstreckte, ereilte ihn der Tod. Seid Ihr nicht selbst durch ein Wunder zu Eurer jetzigen Stellung gelangt, wo Ihr über das Geschick dreier Königreiche die Entscheidung habt?

– Und was ist Eure Ansicht, Euer Wunsch? Was rathet Ihr mir zu thun?

– Die Republik zu erhalten und vor ihren Gegnern zu beschützen; die Freiheit, welche mit Strömen theuren Blutes erkauft worden ist, der Nation zu bewahren.

– Fragt das Volk nur, ob es die Freiheit will und Euch selbst, ob die Menge reif für die Freiheit ist?

– Die Freiheit ist nach meiner Meinung kein Gnadengeschenk, welche erst erbeten und erworben werden muß, sondern ein angebornes Recht des einzelnen Menschen, wie eines gesammten Volkes. Ich will nicht leugnen, daß dieses Recht gemißbraucht werden und in Anarchie ausarten kann; darum verlange ich, daß Gesetze und weise Institutionen den Mißbrauch abwenden.

– Und wer soll diese Gesetze geben?

– Eine Versammlung der besten Männer, welche aus der freien Wahl des Volkes hervorgehen.

– Dann erhalten wir ein Parlament, wie das des elenden Barebone war.

– Allerdings, wenn man das Wahlrecht Allen ohne Ausnahme gestattet, so würde nicht die Vernunft und die Autorität, sondern nur die Unordnung und die Gemeinheit zur Herrschaft gelangen. Wer möchte auch das Wohl der Republik solchen Leuten anvertrauen, denen Niemand die Verwaltung seines Vermögens überlassen würde? Wer könnte den Staatsschatz denen ruhig übergeben, welche ihr eigenes Gut auf's Schändlichste verschleudert und verschwendet haben? Sollen diejenigen etwa den Beutel des Volkes verwalten, welche ihn bald zu dem Ihrigen machen würden? Sind diejenigen zu Gesetzgebern einer Nation berufen, welche nicht einmal wissen, was Gesetz und Vernunft, was Recht oder Unrecht, erlaubt oder unerlaubt ist; Menschen, welche glauben, daß die Macht in Gewaltthätigkeiten, die Würde in Rücksichtslosigkeit bestehen; welche sich über Alles hinwegsetzen, um der Verderbtheit ihrer Freunde, oder der eigenen Rachsucht zu genügen; die ihre Verwandter oder Kreaturen durch das ganze Land verbreiten, um willkürliche Steuern aufzulegen und die Güter Anderen zu confisciren. Grade die niedrigsten Leute dieses Schlages sieht man in solchen Zeiten aus ihrem Elend und den Lumpen zu dem unverschämtesten Glücke emporsteigen. Nein, wir dürfen nicht den Hauptleuten einer Räuberbande unsere Freiheit anvertrauen, sondern würdigeren Personen, welche von anerkannten Ehrenmännern gewählt, uns eine Garantie bieten, so weit dies überhaupt möglich ist.

Monk schwieg und verrieth in seinen eisigen Mienen auch nicht das geringste Zeichen der Theilnahme, dennoch fuhr Milton fort mit Begeisterung die Freiheit zu vertheidigen. Um die Republik zu retten, war ihm kein Opfer zu groß. Im Voraus begegnete er allen möglichen Einwänden und entschloß sich sogar zu solchen Concessionen, welche ihm später von seinen Parteigenossen verargt wurden und um derentwillen er von ihnen vielfache Angriffe erdulden mußte. Er ließ, wie wir gesehen, das allgemeine Wahlrecht fallen; die Mitglieder des Senats, der bei ihm die Stelle des Parlaments vertrat, sollten auf Lebenszeit gewählt, nur von Zeit zu Zeit eine gewisse Anzahl derselben ausscheiden und durch neue Wahlen ersetzt werden. Dagegen verlangte er Gewissensfreiheit für Alle, welche die Bibel als das Fundament ihres Glaubens anerkannten. Entschieden verwarf er das Haus der Lords, indem er dabei auf den Einfluß des großen Grundbesitzers hinwies und schon damals ein Hauptgebrechen der englischen Verfassung hervorhob, woran noch gegenwärtig das Land krankt. So suchte er nicht nur als ideeller Schwärmer, sondern als praktischer Staatsmann der Republik selbst in dem Augenblicke noch Dienste zu leisten, wo sie bereits im Erlöschen war und ihren Freunden keine geringe Gefahr drohte. Ungescheut erhob er seine Stimme vor Monk und vertheidigte mit männlicher Beredsamkeit die Staatsform, welche stets das Ziel seiner Wünsche und Träume blieb.

– Wenn die alte Regierung, rief er am Schluß seiner Unterredung, auch wiederkehren sollte, so dürfte sie keinen langen Bestand haben. Von Neuem werden wir nur um das kämpfen müssen, um was wir jetzt gekämpft, ohne jemals dasselbe Ziel zu erlangen, welches wir bereits erreicht hatten. Wir werden nur die Schlachten verlieren, die wir früher schon gewonnen und Gott wird nicht mehr unsere heißen, aber vergeblichen Gebete hören. Verächtlicher wie der Straßenschmutz wird das vergossene Blut so vieler treuen und frommen Engländer sein, welche die Freiheit ihres Vaterlandes um den Preis des eigenen Lebens erkauften. Dennoch wird sie siegen und über die Tyrannei endlich triumphiren, denn sie läßt sich nicht für immer vernichten, wenn sie auch zu Zeiten schlummert. Aus ihrem Sarge wird sie auferstehen und mit ihrem gewaltigen Ruf das Volk und einst die ganze Welt erwecken.

Der General blieb nach, wie vor für diese prophetische Sprache, welche kaum zwanzig Jahre später unter Jakob dem Zweiten in Erfüllung gehen sollte, vollkommen verschlossen. Monk fehlte das Verständniß dafür und der Blick des Genius in die Zukunft. Sein nüchterner Verstand hatte es nur mit der nächsten Gegenwart zu thun. Die Worte Miltons machten keinen Eindruck auf ihn und ohne sich und seine wahre Absichten zu verrathen, entließ er ihn.

Wenige Tage später erklärte sich der General und das Parlament für Karl den Zweiten. Das Volk nahm diese Nachricht mit Billigung, sogar mit großer Freude auf. Müde der Kriege, des Bürgerkampfes, der Militärgewalt und der Herrschaft der Generäle sah es in einem Könige die einzige Rettung und die Rückkehr zu geordneten und friedlichen Zuständen. Der Umschwung der öffentlichen Meinung gab sich in überraschender Weise bei dem Einzuge Karls in London kund. Ein unendlicher Jubel begrüßte ihn von allen Seiten, die Straßen waren mit Blumen bestreut und alle Häuser festlich geschmückt. Karl ritt an der Seite seines finstern Bruders, des Georgs von York. Freundlich grüßte er jetzt dasselbe Volk, welches vor wenigen Jahren seinen Vater zum Tode verurtheilt und dasselbe Geschick ihm zugedacht hatte. Der muntere, joviale König scherzte und lachte mit seinen Begleitern und Freunden, unter denen besonders der lüderliche Buckingham durch frechen Witz und äußere Schönheit hervorragte. So gelangte Karl nach dem Palast, umgeben von einem glänzenden Gefolge und von der Menge, die sich den Ausbrüchen einer lauten Freude überließ. Von allen Seiten strömten setzt seine Anhänger herbei und schaarten sich um ihn, aber auch seine früheren Gegner verließen ihre Partei und gingen haufenweise zu ihm über. Jetzt begann jenes erbärmliche Schauspiel, welches bei keiner Restauration zu fehlen pflegt. Viele Anhänger der Republik und so mancher Puritaner warfen die Maske fort, welche sie so lange nur trugen, als ihr Vortheil es erforderte, und schlossen sich dem Hofe an. Grade die lautesten Demokraten wurden mit einem Male die glühendsten Anhänger des Königthums und verfolgten ihre einstigen Freunde und Genossen. Nicht nur Leute wie Billy Green, sondern weit höher gestellte Personen verriethen ihre Erbärmlichkeit und die Gemeinheit ihrer Gesinnung. Der Dichter Waller überreichte dem König ein Ode, in der er Karl's glückliche Rückkehr in derselben übertriebenen Weise feierte, wie er noch vor Kurzem Cromwell angesungen hatte.

– Wißt Ihr auch, sagte der heitere König, daß Euer Gedicht auf den Protector mir weit besser scheint.

– Natürlich, Sire! erwiederte der gesinnungslose Dichter, ohne sich aus der Fassung bringen zu lassen. Eure Majestät wissen wohl, daß den Poeten die Fabel immer besser, wie die Wahrheit gelingt.

Karl lächelte, und von der Stunde an wurde Waller in den Kreis jener ausschweifenden Höflinge aufgenommen, welche sich durch ihre Laster und Sittenlosigkeit einen dauernden, doch nicht beneidenswerthen Namen in der englischen Geschichte erworben haben. In kurzer Zeit war der Palast von St. James ein Tummelplatz der Zügellosigkeit und bodenloser Lüderlichkeit. Hier wurden die berühmten Orgien gefeiert, zu denen nur die Vertrauten des Königs Zutritt hatten. Galante Frauen, wie die spätere Herzogin von Kleveland, die abenteuerliche Nichte Mazarin's, die geistreiche, aber tiefgesunkene Schauspielerin Nelly Gwin gaben den Ton an; mit ihnen wetteiferten die bekanntesten Wollüstlinge. Hier herrschte ein Benehmen, das jedem Anstande und jeder Sitte Hohn sprach; der Witz kehrte sich gegen alles Heilige, und je verworfener ein Mann war, desto größer war sein gesellschaftlicher Ruf. Damals erschienen zuerst jene frivolen Roue's, welche mit ihren Lastern prahlten, und die Gemeinheit zu einem Verdienste stempelten. Die Literatur selbst wurde demoralisirt, und zur Kupplerin jeder niederen Begierde. Von der Bühne herab wurde die Unmoral gelehrt, und die schamlosesten Zweideutigkeiten gerade in den Mund der weiblichen Schauspieler gelegt. Diese Sucht nach Vergnügen und Zerstreuung schloß keineswegs die grausamste Verfolgungswuth aus. Die siegreiche Partei der Reaktion kannte weder Maß, noch Ziel. Der König selbst war keineswegs so blutdürstig, aber seine Umgebung drängte ihn zu einer Reihe von Thaten, welche seiner ursprünglich indifferenten Natur widersprachen. Die Richter seines Vaters wurden zum Tode verurtheilt und unter furchtbaren Martern hingerichtet. Selbst das Grab verlieh keinen Schutz, und über den Tod hinaus erstreckte sich die Rache der Cavaliere. Die Leichen Cromwell's und Ireton's, sogar der Körper der schuldlosen und edlen Lady Claypole wurden aus der Gruft gerissen und an den Galgen gehängt. Allen Anhängern der Republik drohte Tod, Gefängniß, oder Verbannung. Unter diesen nahm Milton eine zu bedeutende Stellung ein, um unbemerkt zu bleiben. Seine Freunde waren für sein Leben besorgt, und riethen ihm, sich verborgen zu halten, bis sich der erste Sturm gelegt haben würde. Um die Verfolger zu täuschen, sprengten sie sogar das Gerücht von seinem Tode aus. Während er in der Wohnung Alicen's eine stille und sichere Zuflucht fand, wurde aus seinem Hause ein Sarg auf den benachbarten Kirchhof getragen, begleitet von einem kleinen Leichengefolge. Durch diese List war er wenigstens für den Augenblick gerettet.

– Ich wollte, sagte der Dichter während dieses scheinbaren Begräbnisses, daß ich wirklich todt wäre und begraben würde. Das Leben hat für mich keinen Werth mehr, seitdem ich den Untergang der Freiheit und diese allgemeine Verderbtheit beklagen muß.

– Warum so düster? entgegnete Alice an seiner Seite. Dem Tode folgt die Auferstehung. Man begräbt heute nur den Politiker Milton, während der Dichter in Euch seine Auferstehung feiert. Ihr besitzt den größten Trost in Eurer Poesie, die Euch über jedes irdische Bedrängniß emporhebt. Ihr hättet sie nie verlassen, nie Euch in das Treiben der Parteien stürzen sollen; es stände jetzt besser um Euch.

– Nein, nein! Ich that nur, wozu der Geist mich trieb, und werde nie bedauern, daß ich muthvoll für die Freiheit der Familie, des Gewissens und des Gedankens meine Stimme erschallen ließ. Der wahre Dichter darf sich nicht der Welt und den Anforderungen entziehen, welche das Vaterland und das Leben an ihn machen. Er ist Poet und Prophet zugleich, ein Seher und Mahner, der im Dienst der Wahrheit steht. Das Leben und die Kunst müssen sich in ihm durchdringen, und nur, wenn er der Menschheit dient, an ihren Kämpfen Antheil nimmt, die Lösung der großen Zeitfragen ungescheut versucht, und ohne Furcht seiner Ueberzeugung folgt, verdient er den Namen eines Dichters.


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