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14.

Längere Zeit gingen die Freunde ganz gegen ihre Gewohnheit schweigend neben einander her. Ihre Gedanken schweiften um das gleiche ferne Ziel, dieselbe Neigung machte sie stumm. Vielleicht ahnte jeder die Gefühle des Andern und darum vermieden sie sich auszusprechen. Eine gewisse Scheu hielt sie zurück, den Namen Alicen's nur zu nennen und von ihrem letzten Aufenthalt in Ludlow-Castle zu reden. Milton, dem das veränderte Benehmen des Freundes und seine Blässe aufgefallen war, brach endlich das fast peinliche Stillschweigen.

– Du siehst leidend aus, sagte er, was fehlt dir, mein Lycidas?

Fast erschrocken fuhr der Freund aus seinem Nachsinnen empor.

– Mir? fragte er ausweichend. Ich fühle mich ganz wie sonst.

– Und doch will es mir scheinen, als hättest du dich seit einiger Zeit verändert. Deine Wangen sind bleich, dein Blick unstät und ich hörte dich öfters wider deine sonstige Gewohnheit seufzen. Drückt dich ein geheimer Kummer, so vertraue ihn mir an. Ich möchte dir so gerne rathen und helfen.

– O, du bist gut, murmelte King, und ich thue unrecht, dir ein Geheimniß zu verbergen, das mein ganzes Herz erfüllt. Ja, du sollst noch heute Alles wissen.

– Du machst mich in der That gespannt.

– Komm und lass' uns hier unter dieser Linde ausruhen. Unter ihrem duftigen Schatten will ich dir anvertrauen, was ich mir selber kaum zu gestehen wagte. Ich liebe.

– Du liebst, rief Milton überrascht. O, dann begreife ich dein ganzes Wesen, denn die Liebe gleicht einer gewaltigen Zauberin, welche den ganzen Menschen umwandelt. Sie macht den Dreisten verlegen und schüchtern, den Weisen zum Thoren, den Beredten stumm und den Stummen zum Redner. Der Fröhliche wird durch sie traurig und der Betrübte heiter. Kein Wunder ist ihr unmöglich, da sie ja selbst das größte Wunder ist, worin sich die geheimnißvolle Macht der Natur uns offenbart. Du liebst und nun erfasse ich, daß mein einst so froher Lycidas einherschleicht wie die Schatten am Acheron und die Wälder mit seinen Klagen erfüllt.

– Du schilderst die Leidenschaft, als ob du sie selber empfändest. Wer dich hört, sollte glauben, daß dein Herz ebenfalls ihrer Gewalt unterlegen sei.

– Wer weiß? lächelte Milton halb verlegen und erröthete. Vielleicht hat auch meine Stunde geschlagen, vielleicht werde auch ich dich mit meinen Bekenntnissen überraschen, doch zuvor will ich von dir erfahren, welche Nymphe deinen spröden Sinn besiegt. Gewiß ist sie scheu wie das junge Reh, voll Duft der Seele, mit allen Liebreizen der Schöpfung ausgestattet, eine Venus an Schönheit, eine Pallas an Verstand. So denk ich mir das Weib, das dich allein zu fesseln im Stande ist.

– Du malst ihr Bild, als ob du bereits wüßtest, wer die Holde sei. Doch du kennst sie eben so gut wie ich. Du hast sie ja gesehen und ihre bezaubernde Anmuth an dir erfahren. Kein anderes Weib kann sich mit ihr vergleichen. Die Sprache ist zu arm, um ihren Liebreiz auszudrücken. Soll ich dir noch ihren Namen nennen? –

Ein Schauer erfaßte den Zuhörer, sein Herz stockte und die Sinne drohten ihm zu vergehen. Es konnte kein Zweifel mehr für ihn sein, daß der Freund Alice Egerton meinte. Mühsam nur bekämpfte er seine Aufregung, welche dem Sprecher entging, weil dieser zu sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt war.

– Alice! murmelte der Dichter erschüttert

– Alice! Du hast es errathen, fuhr King in seinen Bekenntnissen fort. Ich liebe sie von dem ersten Augenblick an, da ich sie im Haywood-Forst sah. Damals erschien sie mir im Walde wie die Fee des Hains, wie ein lichter Engel, der sich aus himmlischen Höhen herabgelassen hat. Seitdem lernte ich sie« jedoch genauer kennen und jeder Tag verlieh ihr eine neue Zierde. Nicht ihre Schönheit allein hat mich bezwungen, weit mehr noch die Unschuld, welche wie ein Heiligenschein ihr ganzes Wesen umgibt, die Tiefe ihres Geistes, die sich mit der rühmendsten Bescheidenheit vereint. O, ihres Gleichen gibt es auf Erden nicht.

Jedes Wort zu ihrem Preise aus dem Munde des entzückten Freundes vermehrte nur den Schmerz des Dichters, den er bei diesem unerwarteten Geständnisse empfinden mußte. Fast erlag er unter dieser Qual, nur mit der höchsten Anstrengung seiner Energie vermochte er seiner Empfindungen Herr zu werden und einen Ausbruch seiner peinlichen Stimmung zu bemeistern.

– Und sie liebt dich wieder? stammelte Milion aus gepreßter Brust.

– O, daß du wahr sprächest, daß du der Prophet meines Glückes wärest. Bis jetzt hab' ich es nie gewagt, eine derartige Frage an sie zu richten; doch ich darf dir wohl gestehen, daß ich nicht ohne jede Hoffnung bin, denn was wäre noch ferner das Leben für mich, wenn ich nicht hoffen dürfte. Alice hat meine Bewunderung nicht zurückgewiesen, sondern mit aufmunternder Freundlichkeit aufgenommen. Wenn sie mit mir sprach oder mir begegnete, ließ mich ihr Benehmen glauben, daß ich ihr nicht ganz gleichgültig sei. Auch die Eltern und besonders ihr Vater schienen meine schüchternen Bewerbungen um die Gunst der Tochter nicht zu mißbilligen. Doch das Alles gewährt mir noch immer keine Sicherheit. Du weißt ja vielleicht aus eigener Erfahrung wie das Herz des Liebenden zwischen Wonne und Verzweiflung schwankt. Um mir nun Gewißheit zu verschaffen, habe ich dich ausgesucht. Ich habe keinen treueren Freund als dich und an wen sollte ich mich anders wenden, als an meinen Thyrsis, den Gespielen meiner Jugend, den treuesten Gefährten auf meinen bisherigen Lebenswegen.

– Gewiß und ich werde deine Freundschaft mehr als je zu verdienen wissen, entgegnete der Dichter mit all der Selbstverleugnung, deren er in diesem Augenblicke fähig war.

– Ich rechne auf dich, fuhr der Freund mit dem verblendeten Egoismus der Leidenschaft fort. Du kennst Alice schon längere Zeit als ich und stehst ihr augenblicklich noch näher. Vielleicht gelingt es dir, sie zu beobachten, oder gar ihr Vertrauen zu gewinnen. Sie weiß, daß wir Freunde sind. Ein hingeworfenes Wort von dir, kann möglicher Weise viel nützen und mir Aufschluß über ihr Herz geben. Suche dich daher ihr noch mehr zu nähern und mit ihr oft und viel von mir zu reden, damit ich auf diesem Wege erfahre, wie sie gegen mich gesinnt sei. Was du aber auch mir bringen magst, Leben oder Tod, stets werde ich dir für einen solchen Dienst ewig zu Dank verpflichtet sein.

– Ich will es versuchen, stammelte Milton, während sein Herz zu Tode verwundet blutete.

– Und ich bin überzeugt, daß du nichts unterlassen wirst, um mich in meinen Absichten auf Alicen's Hand zu unterstützen. Im Namen unserer Freundschaft beschwöre ich dich, mir mit Rath und That beizustehen, denn ich fühle, daß ich ohne sie nicht zu leben vermag.

– Was ich thun kann, soll gewiß von meiner Seite geschehen und ich zweifle nicht daran, daß du Alice einst besitzen wirst. Ein schmerzlicher Seufzer entrang sich der Brust des Dichters, jetzt erst wurde King auf den Zustand des Freundes aufmerksam. Die tödtliche Blässe desselben, der tiefe Schmerz, der sich in seinen Zügen verrieth, konnte ihm nicht länger entgehen, aber er war weit davon entfernt, die eigentliche Ursache nur zu ahnen und schrieb diese deutlich ausgesprochenen Leiden einem ganz andern Beweggrunde zu.

– Verzeihe, sagte er bei dieser Entdeckung, daß ich über meine eigene Angelegenheit die deinige vergaß. Wenn ich recht gehört habe, so sprachst auch du von einer ähnlichen Neigung, welche dich ebenfalls mit Qual erfüllt. Thue wie ich und schütte deinen Kummer in die Brust des Freundes aus. Rede eben so offen mit mir und gebiete über mich. Alles, was ich bin und habe, steht dir zu Diensten und es würde mich freuen, wenn ich zur Erreichung deines Zieles dir behüflich werden könnte. Sprich, mein geliebter Thyrsis und du sollst sehen, daß die Liebe mich nicht für die heiligen Gefühle der Freundschaft abgestumpft hat. Lass' mich auch wissen, was deine Brust betrübt.

– Jetzt nicht, nur jetzt nicht, stöhnte Milton, vielleicht ein anderes Mal.

– Und warum nicht in diesem Augenblick? drängte der Freund. Du glaubst doch nicht, daß meine Theilnahme für dich und deine Freundschaft erloschen sei. O, wie betrübt mich der bloße Gedanke einer solchen Möglichkeit. Du kennst mich und weißt, wie ich dich liebe. Ich wäre im Stande für dich Alles, Alles aufzugeben. Haben wir nicht beim heiligen Licht der Sterne uns so oft Treue und Ergebenheit bis in den Tod geschworen, sind wir nicht nach wie vor ein Brüderpaar, wie es Kastor und Pollux einst im Alterthum waren, du mein Damon, ich dein Pythias? Oder meinst du, daß nur Griechenland, nur die vergangenen Jahrhunderte solche Beispiele eines ewigen Seelenbündnisses aufzuweisen haben? Nein, ich fühle in mir dieselbe Liebe und Begeisterung, für dich in den Tod zu gehen.

– Das darfst du nicht, rief der Dichter tief ergriffen aus. Wenn einer von uns sterben, wenn einer sich opfern soll, so lass' es mich sein. Ich fühle ein Sehnen nach dem Tod, wie nie. Du aber mußt leben und dich des heitern Daseins freuen, denn dir lachen die Götter zu seit der Stunde der Geburt. Du besitzest Rang und Adel, alle Glücksgüter, die der Himmel auf seine Lieblinge mit verschwenderischen Händen häuft. Denke an die glänzende Zukunft, welche dich erwartet, an deine Eltern, deren Stolz und Freude du bist, und vor Allem an deine Liebe zu Alice.

– Und an den Freund, der mir theurer ist als alle Schätze der Welt. Komm! Wir wollen in dieser schönen Stunde den alten Liebesbund erneuern. Was auch immer kommen mag, kein Zufall, keine Schickung soll und darf uns trennen. Schwöre mir ewige Liebe und Freundschaft, wie ich es jetzt thue.

Ueberwältigt von ihren Gefühlen sanken die Jünglinge begeistert einander in die Arme und ruhten sprachlos Brust an Brust. Das sanfte Mondlicht verklärte ihre Züge. An dem Busen des Freundes gelobte sich Milton Entsagung und Bekämpfung seiner Leidenschaft. Als er das bleiche Antlitz erhob, zitterte noch eine Thräne in seinen Augen, der einzige Zeuge seines schweren Kampfes.

Das Opfer war vollbracht.

In dieser feierlichen Stunde tödtete er für den Freund die aufkeimende Leidenschaft in ihrer ersten Blüthe. Sein antiker Sinn, die Erinnerung an die leuchtenden Beispiele des Alterthums halfen ihm den Sieg erringen. Nie sollte King die Größe des Opfers erfahren, das er ihm gebracht.

Hand in Hand wanderten die Freunde durch die stille Nacht. Nochmals versuchte der Gefährte dem Dichter sein Geheimniß zu entreißen und sein Vertrauen zu gewinnen.

– Laß für heut, flehte dieser. Du kennst ja meine Art und Weise, die sich in sich selbst verschließt. Du darfst mich nicht darum wegen eines Mangels an Offenheit anklagen. Dein eigenes Geständniß hat mich so gänzlich erfüllt, daß meine Gefühle nicht den rechten Ausdruck finden können. So viel mag dir genügen, daß ich ebenfalls ein junges Mädchen gefunden habe, werth der zärtlichsten Neigung.

– Und sie liebt dich gewiß, denn du verdienst die Liebe des schönsten und edelsten Weibes.

– Ich weiß es nicht, entgegnete der Dichter, sich selbst bezwingend, denn ich habe bisher mit keinem Worte meiner Leidenschaft gedacht. Eine angeborne Schüchternheit hat mich immer davon abgehalten.

– Aber deine Blicke, deine Mienen haben ihr sicher das Geheimniß verrathen. Das Auge der Frauen ist in dieser Beziehung weit schärfer als das unsrige. Sie weiß, daß du sie liebst.

– Ich glaube nicht und wenn sie auch um die Neigung wüßte, was nützt es mir? – Sie steht zu hoch und wird sich nie zu einem armen Dichter und künftigen Schulmeister herablassen.

– Das also ist der geheime Grund deines Kummers? Darum brauchst du noch nicht jede Hoffnung aufzugeben. Die Liebe ist allmächtig und ebnet Berge, die sich ihr entgegenstemmen. Wie ein Waldstrom schwillt sie nur vor jedem neuen Hindernisse an und wird um so stärker. Du mußt den Muth nicht sinken lassen. Ein Dichter steht den Edelsten des Landes gleich. Deine gelehrten Kenntnisse werden dir den Weg zu den höchsten Aemtern eröffnen. Du besitzest Freunde und Gönner, die sich für dich verwenden und dir hülfreich zur Seite stehen. Mein Vater selbst liebt dich wie seinen eigenen Sohn und sein Einfluß am Hofe wird dir leicht eine gute Stelle verschaffen. So kannst du stolz vor deine Geliebte hintreten, oder wenn du zu scheu und zaghaft bist, will ich selbst als dein Brautwerber um ihre Hand anhalten.

– Ich danke dir von ganzen Herzen für deine Freundschaft, entgegnete der Dichter zusammenzuckend.

– Dann, wann dir und mir der heißeste Herzenswunsch in Erfüllung gegangen ist, wollen wir im Besitze der schönsten und tugendhaftesten Frauen ein neues Leben beginnen. Fühlst du nicht, wie ich, die Wonne, welche mich bei diesem Gedanken durchströmt? – Alice wird mir zur Seite stehen und mich zu den edelsten Thaten begeistern, denn sie besitzt einen hohen Sinn und ein Streben auf das Göttliche gerichtet. Für sie werde ich meine bisherige Thatenlosigkeit entsagen und mich auszuzeichnen suchen. Von nun an will ich mich dem Dienst des Vaterlandes ernstlich widmen, rastlos arbeiten. Jeden Sieg, den ich so erringe, theile ich mit ihr und wird mir je eine Bürgerkrone zu Theil, so soll dieselbe das liebliche Haupt meines Weibes schmücken. Wenn aber der stille Abend naht, der laute Lärm verhallt, die Geschäfte ruhen, dann eile ich zu ihr, der Freundin meiner Seele, dann nehmen mich die häuslichen Penaten unter dem trauten Dache auf, die reinste Liebe entschädigt mich für den Kampf der Parteien, für die Sorgen des Staatsmanns, sanft und süß grüßen mich ihre Lippen mit beseligenden Küssen und Lächeln. Im holden Wechsel strömt die Unterhaltung hin und auch du stellst dich ein, nicht mehr vereinsamt, sondern in Begleitung einer holden Gattin. Mein Glück wird durch das deinige nur verdoppelt. Du bringst die Gaben der Musen mit, und um den Dichter schaaren sich lauschend die bewundernden Zuhörer. So verwandelt sich mein Haus in einen Tempel der Liebe und Freundschaft, in ein stilles Heiligthum, wo den Musen und Grazien täglich geopfert wird. Hand in Hand wollen wir das Leben genießen, nicht egoistisch, sondern dem großen Ganzen dienend, ein Vorbild künftiger Geschlechter, auf unsere Kinder die Freundschaft vererbend, welche die Väter einst so innig verbunden.

In dieser Weise schwärmte der glückliche Jüngling, ohne zu ahnen, wie tief seine Worte den Freund verwundeten. Dieser verrieth kaum mehr durch einen Blick, durch keine Miene den Schmerz, der sein Inneres durchwühlte. Schweigend ging er nebenher, den Tod im Herzen.

Erst als King in der Nähe des väterlichen Hauses von ihm Abschied nahm, überließ er sich rücksichtslos seinen traurigen Gefühlen. Erschöpft warf sich Milton auf den grünen Rasen nieder, den er mit feinen Thränen befeuchtete. Jetzt erst empfand er die ganze Größe seines Verlustes. Alicen's Bild stand vor seiner Seele; vergebens suchte er es zu verscheuchen, es kam immer wieder zurück mit sanft stehenden Mienen. »Stoße mich nicht fort!« schien der schöne Mund ihm zuzurufen und ihre weichen Arme streckten sich sehnsüchtig ihm entgegen. All die Orte, wo er sie gesehen, tauchten in der Erinnerung wieder auf, der mondbeglänzte Haywood-Forst, der duftende Garten mit dem Brunnen, der Schloßhof und das trauliche Gemach der Frauen.

Seine dichterische Phantasie vermehrte nur die bittere Qual, sie zauberte von Neuem den strahlenden und doch so frommen Blick, die Bewegungen voll Anmuth und Grazie, das holde Lächeln und die geistreichen Worte des geliebten Mädchens vor seine Seele, dies Alles in die glühendsten Farben tauchend. So schön war sie ihm nie erschienen, als in diesem verzweiflungsvollen Augenblick, wo er sich für immer von ihr lossagen wollte.

Er sollte den Abschiedskelch bis zum Grunde leeren.

Dumpf brütend lag er so am Boden, leise flüsterten und rauschten die Blätter der Bäume über seinem Haupt, als wollten sie ihm klagen helfen, durch die Stille der Nacht ließ die Nachtigall ihr Lied in langgezogenen, schluchzenden Tönen schallen, aber er hörte nicht die Sängerin, welche sein Leid zu beweinen schien. Den Tod rief er mit lauter Stimme und wünschte, daß sich der grüne Rasen aufthäte, um ihn für immer aufzunehmen, doch der Engel des Todes rauschte an dem Unglücklichen vorüber, um mit der Spitze seines Schwertes glücklichere Wesen zu treffen, welche im Genusse aller Freuden schwelgten.

Milton hatte Entsagung gelobt, und er besaß die nöthige Kraft, sich selber zu besiegen. Nachdem er seinen Tribut der menschlichen Schwäche gezollt, erhob er sich zu jener Höhe eines antiken Heroismus, den er aus den Schriften und Beispielen des Alterthums geschöpft hatte. Wie dem hellenischen Jüngling stand auch ihm die einmal beschworene Freundschaft höher als die Liebe, obgleich er durch diese Auffassung sich selber und seinem ganzen künftigen Leben unbewußt das größte Leid zufügte, denn er wurzelte mit allen Fasern seines Wesens tief in dem modernen Bewußtsein, das den Kultus des Weibes an die Spitze stellt. Seine Entsagung war keine natürliche Ueberwindung einer Leidenschaft, sondern die mehr künstliche Nachahmung eines Standpunktes, der einer andern Zeit und andern Lebensbedingungen angehörte. Indem er sich für den Freund opferte, vernichtete er ein höheres Ideal, als die Freundschaft, die Liebe und das Weib.

Als Sieger stand er jedoch vom Boden auf, nur sein bleiches, verstörtes Gesicht trug noch die Spuren des durchgefochtenen Kampfes. Im Osten begann es zu tagen, leise färbten sich die grauen Wolken mit einem zarten, rosigen Hauch. Fröhlich rauschte der Morgenwind durch das junge Laub und weckte zu neuer Lebensluft die erschlaffte Natur. Die Schleier der Nacht zerrissen vor seinem kräftigen Wehen. Schon wirbelte die Lerche in blauer Luft und schmetterte unsichtbar aus reiner Aetherhöhe ihren Gruß an die erwachte Natur. Heller und heller wurde der Horizont, die rosigen Wolkenstreifen verwandelten sich in stammenden Purpur und leuchtendes Gold. Die Schatten entwichen vor der siegenden Gewalt des Lichts.

Es wurde Tag.

Nach einem kurzen Schlafe, welchen Milton dem erschöpften Körper gegönnt, vermochte er seine gewohnten Arbeiten wieder aufzunehmen. Vor Allem lag ihm daran, das Werk zu beenden, das so viele traurige Erinnerungen in ihm erwecken mußte. Er that es mit stoischer Selbstverleugnung, und nur selten noch entrang sich ein schwerer Seufzer der gepreßten Brust, wenn er dabei seiner ersten Begegnung mit Alice Egerton gedachte. Derartige Erinnerungen erschwerten nur das Opfer, welches er im Begriffe stand, dem Freund zu bringen, aber sie ließen sich unmöglich vermeiden. Ab und zu kam auch der Musiker Lawes, um die Vollendung des Schauspiels zu betreiben und die nöthigen Verabredungen mit dem Dichter zu treffen. Er brachte Grüße und die schmeichelhaftesten Einladungen von der Gräfin Bridgewater und der Tochter mit. Milton hatte sich verpflichtet, sein Werk einzustudiren und die Proben selbst zu leiten. Das erforderte einen mehrtägigen Aufenthalt auf dem Schlosse, den er eben so gern wie jede fernere Berührung mit Alice vermieden hätte. Er konnte sich jedoch unmöglich seinem Versprechen entziehen und mußte, wenn auch mit Widerwillen, in Gesellschaft des Musikers die unerwünschte Reise nach Ludlow-Castle antreten.

Mit welch veränderten Gefühlen sah er jetzt den Schauplatz seines schnell entschwundenen Glückes. Beim Anblick des gastlichen Hauses wachten all die alten Schmerzen mit erneuerter Stärke wieder auf. Er bedurfte seiner ganzen Stärke, um nicht unter dieser Last zusammenzubrechen. Die Aufnahme von Seiten der edlen Familie war eine so herzliche und Alice drückte so unverholen ihre Freude über das Wiedersehen mit ihm aus, daß er nur mit Mühe sich zu beherrschen vermochte. Sein verändertes Benehmen hätte ihr, so wie den übrigen Schloßbewohnern, auffallen müssen, wären diese nicht durch die Vorbereitungen des Festes und durch die Ankunft zahlreicher Gäste aus der Nähe und Ferne in Anspruch genommen worden. Diesem Umstande verdankte Milton, daß er in dem Schwarm unbeachtet blieb. Unter dem Vorwande, daß er an sein Werk die letzte Feile legen und noch manche nöthige Aenderung treffen müßte, zog er sich von der Gesellschaft zurück, nur mit Lawes verkehrend, der die Musik zu Milton's Versen componirte, und deswegen mit dem Dichter fortwährende Verabredungen noch zu treffen hatte.

Die übrigen Gäste, zu denen auch King und Sir Kenelm Digby gehörten, brachten den Tag auf die angenehmste Weise zu. Bald zerstreuten sie sich durch einen Ausflug in den Park, der dann von ihrem lauten Gelächter widerhallte, bald wurde ein weiterer Ritt in die Umgegend oder eine Jagdpartie unternommen. Die Seele aller dieser Unterhaltungen war Sir Digby, der sich stets als der kühnste Reiter, der sicherste Schütze und der liebenswürdigste Erzähler hervorthat. Trotz dieser glänzenden Eigenschaften schien Alice seine Gegenwart eher zu meiden als zu suchen; sie vermied es, mit ihm allein zu sein, und wich seiner auffallenden Bewerbung um ihre Gunst, so weit dies ohne Unhöflichkeit geschehen konnte, entschieden aus. Weit lieber litt sie die Gesellschaft eines jungen Edelmannes aus Wales, den sie in dem Hause ihrer Tante Derby kennen gelernt und der als Gränznachbar ebenfalls eine Einladung zu der Geburtsfeier ihres Vaters erhalten hatte.

Schlicht und einfach in seinem ganzen Wesen bildete Sir Carbury den größten Gegensatz zu dem gewandten Höfling. Sein offenes rosiges Gesicht, die blauen treuherzigen Augen verriethen keinen überwiegenden Geist, aber eine ansprechende Gutmüthigkeit mit dem nöthigen gesunden Menschenverstande gepaart. Eine gewisse Unbehülflichkeit ließ ihn minder bedeutend und begabt erscheinen, als er es in der That war. Es fehlte ihm weder an Kenntnissen, noch an richtigem Urtheil, wenn er erst die ihm anhaftende Schüchternheit überwunden und Vertrauen zu sich selber und den mit ihm verkehrenden Personen gefaßt hatte. Sein Körper war überaus kräftig, und wie so oft bei starken Männern fand man auch bei ihm eine fast weibliche Milde und Sanftmuth, dennoch traute man ihm im entscheidenden Momente einen ungewöhnlichen Muth und große Beharrlichkeit zu. Seine ganze Erscheinung hatte etwas Ehrenfestes, bieder Kernhaftes, Eigenschaften, die noch heute vorzugsweise bei dem englischen Landadel angetroffen werden und diese ehrenwerthe Klasse besonders auszeichnen. Seine breite wallisische Aussprache und eine fast kindliche Unbeholfenheit machten Sir Carbury zum Gegenstande des Spottes für Alicen's Bruder und die übrigen Gäste. Dieser Umstand erregte anfänglich ihr Mitleid, und sie entschädigte den armen Ritter durch eine sein ganzes Herz gewinnende Freundlichkeit für die ungezogenen Neckereien der Gesellschaft. Er dagegen erkannte diese zarte Schonung und war ihr dankbar dafür. So wurde er bald ihr steter Begleiter, und Alice hatte hinlänglich Gelegenheit, die trefflichen Eigenschaften, welche eine unscheinbare Hülle den Augen der Welt entzog, an ihm zu entdecken. Bald trat sie noch zu ihrem Schützling in ein näheres Verhältniß, indem sie sich die Mühe gab, die kleinen Ecken und Unebenheiten seines Wesens abzuschleifen und mit edler Offenheit ihn auf seine Fehler aufmerksam zu machen. Sie übte dieses Amt mit der feinsten Rücksicht und fand an ihm den willigsten und gelehrigsten Schüler. Der Spott verstummte nach und nach, besonders da Sir Carbury durch seine Körperkraft und unbezweifelten Muth ohnehin eine gewisse Achtung den Uebrigen abnöthigte.

Der Vorzug, den ihm Alice einräumte, war jedoch von solcher Art, daß er weder den ritterlichen King, noch den feinen Höfling eifersüchtig machen konnte. Beide fuhren ungestört fort, sich um die Gunst des schönen Mädchens zu bewerben, welche ihre Huldigungen ganz im Geiste der Zeit als den schuldigen Tribut entgegennahm. So von Anbetern umgeben, durch Vergnügungen aller Art zerstreut, bemerkte Alice weit weniger die Abwesenheit des Dichters. Nur in stillen Momenten der Ruhe und Sammlung vermißte sie den ungetreuen Freund, der ihr von allen Männern, die sie kannte, am nächsten stand, und der ihr noch immer theuer war.


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