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13.

Von nun an war Milton vor jeder ferneren Verfolgung geschützt und er konnte mit Muße sein berühmtes Werk beenden. Er diktirte es abwechselnd seinen Töchtern und einem jungen Manne Namens Elwood, welcher ihm empfohlen war und den er in seinem Hause aufnahm. Derselbe gehörte zu der Secte der Quäker oder Freunde und gewann durch sein bescheidenes Wesen und die Verehrung, welche er dem blinden Dichter erwies, dessen Freundschaft und Liebe. Wohl mochte Milton im Stillen den Wunsch hegen, den wackeren Elwood als Schwiegersohn begrüßen zu dürfen, aber seine jüngste Tochter Deborah, das einzige von seinen Kindern, welche es nie an der schuldigen Achtung fehlen ließ und die er seinem jungen Freunde zugedacht hatte, verließ das elterliche Haus und floh nach Irland, wo sie später sich vermählte. Dieser Umstand löste jedoch die innige Verbindung zwischen dem Meister und seinem Schüler nicht auf und als die Pest, welche London befallen hatte, immer mehr um sich griff und den Aufenthalt daselbst gefährlich machte, miethete Elwood für Milton eine kleine, ländliche Wohnung in der Nähe von Chalfont, wo der Dichter in gesunder Luft und allen störenden Einflüssen entzogen sein »verlorenes Paradies« beendete.

Groß war das Entzücken des jungen Mannes, als ihm Milton das fertige Manuscript zum Durchlesen anvertraute. Er brachte es ihm mit dem höchsten Dank zurück.

– Wahrlich, sagte er mit der Offenheit jener Sectirer, welche die Wahrheit zu ihrem Hauptgebote gemacht haben, du hast ein Werk geschaffen, das alle deine übrigen Schriften und Arbeiten überleben wird. Du bist zur Hölle hinabgestiegen und zum Himmel aufgeflogen und zwingst die Seele des Lesers mit Entzücken, oder Schauer dir zu folgen, wohin du sie führst. Durch dich lernen wir die furchtbare Majestät Satans kennen, der trotz seiner Verworfenheit nicht den göttlichen Ursprung und die ursprüngliche Natur des gefallenen Engels verleugnet. Wir sehen den Fürsten der Hölle von Schmerz verzehrt, noch immer sehnsuchtsvoll nach Oben blicken; nur sein ungebeugter Stolz hält ihn aufrecht und schürt die Gluth in seinem Innern. An deiner Hand wandeln wir entzückt durch das Paradies und erfreuen uns an der Unschuld des ersten Menschenpaars, an ihrer reinen Liebe ihren frommen Gebeten und den holden Reizen der sie umgebenden Natur. Mit Zittern sehen wir den bösen Feind, der sich in der Gestalt der verführerischen Schlange der leichtgläubigen Eva naht und sie zum Genusse der verbotenen Frucht verlockt. Mitleid ergreift uns mit dem gefallenen Weibe und trotzdem sie die Menschheit der Sünde und dem furchtbaren Tode überliefert hat, verzeihen wir ihr wie Adam selbst gerührt von ihrem Flehen um Verzeihung. Wir folgen dem ausgestoßenen Elternpaar und lauschen mit heiliger Ehrfurcht den Lehren und Prophezeiungen des Gesandten Gottes, der vor Adam das Geschick seiner Kinder, das Loos der von ihm stammenden Völker und die kommenden Zeiten enthüllt, bis er am Schlusse versöhnend auf den Heiland deutet, der kommen wird, um die Welt von der ersten Sündenschuld zu erlösen.

– Ich freue mich, entgegnete Milton dem begeisterten Jüngling, daß mein Gedicht dir so wohl gefallen hat und daß du den Geist desselben so klar erfaßt hast. Ich selbst habe kein anderes Verdienst dabei, als das feste Vertrauen, daß in dem Kampf der guten und der bösen Mächte die Wahrheit und die geistige Freiheit über alle Künste der Hölle siegen muß.

– Darum halte ich auch dein Werk noch nicht für beendet. Du hast uns nur die Verheißung, aber nicht die Erfüllung gegeben; das verlorene Paradies, aber nicht das wiedergefundene gezeigt.

Milton gab dem ehrlichen Quäker keine Antwort, er saß eine Zeit lang nachdenkend in sich versunken und in seiner Seele dämmerte der Plan eines neuen, künftigen Gedichtes, welches ausschließlich sich mit dem Erlösungswerk beschäftigen sollte.

Sobald die Pest von London gewichen war, wo Tausende ihr erlegen, kehrte der Dichter dahin zurück, um einen Verleger für sein Werk zu suchen. Er fand nach vieler Mühe einen solchen in dem damals bekannten Buchhändler Symmons, dem er das Manuscript anbot; Nachdem derselbe das Werk gelesen, gab er es dem Dichter zurück.

– Das Gedicht ist nicht übel, sagte der Buchhändler, aber nicht zeitgemäß. Vor einigen Jahren hätte ich gerne das Zehnfache Euch dafür gegeben. Die Zeiten haben sich geändert und mit ihnen der Geschmack. Das Publikum will von religiösen Schriften nichts mehr wissen. Wer kauft heutzutage noch Erbauungsbücher? Ernste und gelehrte Abhandlungen finden keine Liebhaber mehr. Ja, wenn Ihr mir eine Satyre, oder eine witzige Posse geschrieben hättet, dann wäre noch damit ein Geschäft zu machen. Der Hudibras von Buttler, den lasse ich mir gefallen, davon sind Tausende von Exemplaren abgesetzt worden und Jedermann will das Buch lesen. Ich räume Euch ein, daß es eine Scandalschrift ist, aber mein Gott, man muß mit den Wölfen heulen.

– Also nur der Scandal und die Posse finden jetzt Käufer und Abnehmer?

– Es ist einmal so und läßt sich nicht ändern. Damit Ihr aber seht, wie gern ich das Talent unterstütze, so will ich Euer Epos unter billigen Bedingungen nehmen. Ich weiß zwar im Voraus, daß kein glänzendes Geschäft damit zu machen ist, aber was in meinen Kräften steht, will ich dafür thun.

– Sagt, was Ihr mir geben wollt. Ich bin kein Freund vom Handeln, obgleich ich in der That das Geld brauche.

– Nun, auf fünf Pfund soll es mir nicht ankommen, sagte der geizige Buchhändler. Fünf Pfund sind eine schöne Summe und Ihr bekommt sie gleich baar ausbezahlt. Seid Ihr damit zufrieden?

– Was soll ich machen?

– Und für jede folgende Ausgabe erhaltet Ihr eben so viel. Ihr sollt sehen, daß ich kein Knauser bin und auch großmüthig sein kann.

Ein trauriges Lächeln spielte um die Lippen des Dichters, als er um einen solchen Preis, den ein heutiger Zeitungsschreiber für einen kurzen Artikel erhält, sein unsterbliches Werk, die Anstrengungen vieler Jahre, dem Knicker überließ. Dieser zog sogleich den Contract aus der Tasche, welchen Milton von Noth gedrängt, still seufzend unterschrieb. – So erschien das herrliche Epos, welches sich dreist den größten Dichtungen aller Zeiten an die Seite stellen darf. Der damalige Censor, Thomas Tomkyns, Kanzler des Erzbischofs von Canterbury, ein eben so bornirter, als boshafter Mann, suchte das Werk Miltons zu unterdrücken, als Grund hierzu gab er folgendes Gleichniß an, in welchem er nichts weniger als eine schwere Majestätsbeleidigung witterte:

Wie wenn beim ersten Schritt auf ihrer Bahn
Die Sonne durch's Gewölk am Horizont
Mit schwächern Strahlen vorblickt, oder sie
Der dunkle Ball des Monds verfinsternd deckt:
Daß grauser Schatten dann den halben Kreis
Der Erde schwätzt und Königen sogar
Für ihres Throns Erschütterung' bange wird
.

Nur mit Mühe gelang es Milton, seinen Censor von der Ungefährlichkeit der angegebenen Worte zu überzeugen und sein Gedicht vor der Unterdrückung zu bewahren. – Die Prophezeiungen des berechnenden Buchhändlers dagegen schienen vollkommen in Erfüllung zu gehen. Das Publikum nahm anfänglich wenig oder vielmehr gar keine Notiz von der unsterblichen Arbeit des Dichters. Der Geschmack war in der That ein anderer geworden. Die Literatur, welche stets nur die Zeit und ihre Gesinnung abspiegelt, litt an der allgemeinen Zersetzung und Fäulnis, von der die ganze englische Nation ergriffen schien. Damals herrschte die zügelloseste Lüderlichkeit und schamloseste Sittenlosigkeit in den poetischen Erzeugnissen und auf der Bühne, die ein Tummelplatz aller Laster und Ausschweifungen geworden war. Der Witz richtete sich gegen alles Heilige und die würdigsten Gegenstände waren ein Ziel für die Pfeile des Spottes. Unschuld und Wahrheit wurden lächerlich gemacht und die bloße Verworfenheit galt schon für ein Zeichen des Talents. Für diejenigen Schriftsteller, welche diese Richtung verfolgten, mit Frechheit und Beseitigung jedes Anstandes die größten Gemeinheiten vorbrachten, wurden gekauft und ihre Erzeugnisse mit Heißhunger verschlungen. – Das erhabene Gedicht Milton's wurde kaum beachtet und von dem wuchernden Unkraut verdrängt. Mit dem spärlichen Absatz war der Buchhändler keineswegs zufrieden und er lag dem Dichter fortwährend mit seinen Klagen in den Ohren.

– Ja, ja! sagte der würdige Symmons, das kommt davon, wenn die Schriftsteller auf Unsterblichkeit spekuliren und die Gegenwart verachten. Die Unsterblichkeit kann mir gestohlen werden, wenn die Gegenwart nichts von uns wissen will. Was geht uns die Zukunft an? Die giebt Euch nicht einen rothen Heller für all Eure Poesie.

– Wartet nur die Zeit ab, beschwichtigte Milton den Unzufriedenen.

– Außerdem klagen die Käufer, daß Euer Gedicht keine gereimten Verse hat. Das ist auch wirklich ein großer Fehler. Solche Neuerungen taugen nichts, man muß immer hübsch beim Alten bleiben.

– Das habe ich auch gethan, denn weder Homer noch Virgil haben Reime gekannt und geschrieben.

– Was gehen mich Homer und Virgil an? die haben es eben nicht besser verstanden, aber seitdem ist die Bildung fortgeschritten und das Publikum verlangt einmal Reime, folglich muß sich der Dichter darein fügen.

– Ich kann doch nicht das ganze Werk noch einmal umdichten?

– Allerdings, das geht nicht, denn ich müßte es ja dann noch einmal umdrucken lassen; aber es muß doch etwas geschehen. Halt! ich hab's. Ihr schreibt eine Vorrede zu Eurem Buch und entschuldigt Euch, so gut Ihr könnt, daß Eure Verse nicht gereimt sind.

– Ich finde Euren Vorschlag selber ungereimt, entgegnete Milton mit humoristischer Verzweiflung.

– Also Ihr wollt nicht? Gut, dann bleibt mir nichts übrig, als selber eine derartige Vorrede zu schreiben.

– Dagegen kann ich nichts einwenden, sagte der Dichter, mitleidig die Achseln zuckend.

Wir wissen nicht, ob die Vorrede und Entschuldigung des spekulativen Buchhändlers den gewünschten Erfolg hatte. Indessen fand »das verlorene Paradies« nach und nach mehr Freunde und auch Käufer. Sir John Denham, ein Mann, der sich durch Geschmack und Bildung auszeichnete, brachte das Buch mit in das Parlament, um es in der Zwischenzeit zu lesen. Als er von einigen Bekannten gefragt wurde, was für eine Schrift er da hätte, gab er offen seine Bewunderung zu erkennen.

– Es ist, sagte der als Staatsmann und Krieger gleich ausgezeichnete Denham, das beste Gedicht, welches je in irgend einer Sprache und in irgend einem Zeitalter geschrieben ist.

Der Graf von Dorset, ein einflußreicher Höfling, gerieth eines Tages in Gesellschaft eines Freundes durch Zufall in den Laden des Buchhändler Symmons. Er frug nach den neuesten Erscheinungen der Literatur und ließ sich dieselben vorzeigen. Darunter befand sich Milton's »verlorenes Paradies«. Der Graf nahm das Buch in die Hand und las den Titel.

– Ein Werk von John Milton, bemerkte er neugierig. Ist das derselbe Milton, welcher zur Zeit der Republik Geheimsecretär war?

– Allerdings, entgegnete der Buchhändler. Ich habe aus purem Mitleid mit dem armen, blinden Manne sein Werk ihm abgekauft, aber ein schlechtes Geschäft dabei gemacht. Kein Mensch will es mir abnehmen und wenn es so fortgeht, verliere ich mein ganzes Geld.

Während Symmons klagte, hatte sich der Graf bequem in einen der immer bereit stehenden Sessel niedergelassen, um zu lesen. Die Buchläden waren damals zu gleicher Zeit Lesezimmer und kein Käufer kaufte ein Buch, bevor er es nicht entweder theilweise oder im Ganzen genauer kennen gelernt hatte. Schon nach den ersten Seiten erkannte er die Trefflichkeit der neuen Dichtung.

– Herrlich, herrlich! rief er entzückt. Ihr habt da einen Schatz, Master Symmons.

– Daß Gott erbarm'! klagte der Buchhändler. Seit vierzehn Tagen habe ich kaum ein einziges Exemplar abgesetzt. Befehlen Eure Herrlichkeit, daß ich Euch eins zuschicke?

– Ich nehme es selbst gleich mit.

Der Graf entfernte sich und sein Entzücken steigerte sich von Seite zu Seite. Er theilte seine Entdeckung dem Dichter Dryden mit, welcher am Hofe Karl des Zweiten lebte und allgemein für das größte Talent seiner Zeit gehalten wurde, von deren Verirrungen er sich zwar nicht gänzlich frei machte, obgleich er ein ernsteres Streben verfolgte, als die übrigen Schriftsteller dieser Periode. John Dryden war wie Milton zur Zeit der Republik ein eifriger Anhänger derselben gewesen, später hatte er Cromwell besungen. Mit der Wiederkehr des Königthums wurde er Royalist und Hofdichter. Als solcher ging er unter Jakob dem Zweiten zur katholischen Religion über. Ganz im Gegensatz zu Milton zeichnete er sich durch seine Gesinnungslosigkeit aus, trotzdem war er immer noch Poet genug geblieben, um die hohe Bedeutung des verlorenen Paradieses zu würdigen. Nachdem er das Buch gelesen, wurde er von dem Grafen Dorset um sein Urtheil gefragt.

– Dieser Mann, sagte er voll Bewunderung, der ein Anflug von Neid beigemischt war, sticht uns Alle aus und die Alten dazu.

Später suchte er selbst die Bekanntschaft Milton's zu machen, den er um die Erlaubniß ersuchte, dessen »verlorenes Paradies« in dramatischer Form bearbeiten zu dürfen. Dryden nahm dabei die Gelegenheit wahr, dem Dichter seine Protection bei Hofe anzubieten.

– Ich danke Euch, sagte Milton, dessen Verhältnisse damals eben nicht die glänzendsten waren. Ich tauge nicht dahin. Nach meiner Meinung muß der Dichter vor Allem frei sein und das kann er nicht, wenn seine Muse in den Diensten eines Fürsten steht. Ich schätze meine unabhängige Armuth höher, als allen Glanz, den ich auf Kosten meiner Ueberzeugung erkaufen muß.

– Wenigstens solltet Ihr Euch dem Drama zuwenden, rieth Dryden freundschaftlich, das Theater bietet Euch weit bessere Aussichten, als der Buchhandel.

– Soll das Theater seinen hohen Zweck erfüllen, entgegnete Milton, und eine Schule des Lebens sein, so bedarf es vor allen Dingen der Freiheit. Gegenwärtig dient die Bühne nur zur Unterhaltung für die vornehmen Wüstlinge und den niederen Pöbel, welche hier bequem verdauen und sich an den rohen Späßen und Zweideutigkeiten der Schauspieler ergötzen wollen. Ehe ich mich dazu hergebe, lieber würde ich darben und hungern. Das Drama, diese schönste Blüthe der Kunst, krankt an der allgemeinen Verderbniß und kein Talent der Welt kann es wieder herstellen, wenn nicht eine allgemeine Umwandlung stattfindet. Die faulen Säfte, welche in dem Stamme kreisen, bringen eine faule Frucht hervor, nur ein gesundes Volk und ein sittlich tüchtiges Zeitalter können ein wahres und großes Drama besitzen. –

Dryden entfernte sich, nachdem er diese Antwort erhalten, einigermaßen gereizt und beleidigt. Als er sich bei Davenant darüber beklagte, lachte dieser.

– Mein Freund! sagte der lustige Dichter, da müßt Ihr Euch nicht wundern. Dieser Milton ist wie eine Eiche, die weder der rauhe Sturm, noch der leise Zephyr beugt. Wenn ich ihn sehe, glaube ich immer einen der alten Propheten zu erblicken, der Zeter über Jerusalem und Babylon schreit. Laßt ihm das Vergnügen und kommt lieber mit, ein Glas Sekt mit mir zu leeren. Wir machen doch die Welt nicht anders, wie sie einmal ist.


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