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2.

Eines Tages, als Milton seiner Gewohnheit nach einen Spaziergang in die Umgegend von London machte, erblickte er am äußersten Ende der Stadt zwei Frauen mit einem Kinde; sie waren einfach, fast ärmlich gekleidet, und wurden augenscheinlich von einem Manne verfolgt, der ihnen den Weg abzuschneiden gedachte. Im eilenden Laufe flogen sie an ihm vorüber, von Zeit zu Zeit sich ängstlich umsehend. Schon war der Verfolger ihnen so nahe, daß er nur seine Hand auszustrecken brauchte, um sie zu erreichen, als eine der Frauen einen lauten Schrei ausstieß.

– Rettet uns, rief sie mit ängstlicher Stimme, welche Milton bekannt vorkam.

Unterdeß war auch der Mann herangekommen.

– Was wollt Ihr von diesen Weibern? fragte der Dichter.

– Geht es Euch was an? Ich brauche Euch keine Rechenschaft zu geben. Diese Frauen müssen mir folgen; ich verhafte sie im Namen der Republik.

– Und mit welchem Recht?

– Weil sie die ausgemachtesten Verrätherinnen sind; denn trotz ihrer Verkleidung habe ich sie erkannt. Sie kennen mich auch, und das nicht erst von heute. Es ist schon so manches Jährchen vergangen, seit wir uns zum ersten Male im Haywood-Forste gesehen haben. Nicht wahr, Lady Alice?

Bei diesem Namen erbebte Milton vor freudiger Ueberraschung.

– Diese beiden Damen stehen unter meinem Schutz, sagte er mit würdevoller Festigkeit. Ich bürge für sie, und damit du weißt, wer ich bin, so will ich dir meinen Namen und das Amt nennen, welches ich bekleide.

– Nicht nöthig, entgegnete Billy Green mit gewohnter Frechheit. Wir sind alte Bekannte, Herr Milton, und ich hoffe Euch sammt Euren Schützlingen bald wieder zu sehen.

Mit diesen Worten entfernte sich der Unverschämte, welcher abwechselnd als Spion, oder als beutelustiger Soldat sich umhertrieb, ein Produkt dieser aufgeregten Zeit der Gährung, welche besonders geneigt ist, derartige giftige Pilze zu erzeugen. – Tief erschütternd war das Wiedersehen. Alicen's Augen füllten sich mit Thränen, als sie Milton ihre Hand reichte.

– So müssen wir uns wiederfinden, sagte sie bewegt. Ich bin geächtet, vertrieben, eine Wittwe, die ihren Gatten verloren, eine Angeklagte, welche dem Gesetz, oder vielmehr der Willkühr einer siegreichen Partei verfallen ist. Mein armer Bruder, der Gatte dieses Weibes, sitzt im Tower, und erwartet daselbst den Tag seiner Hinrichtung. Das Leben hat für mich keinen Werth, und wenn nicht dies Kind wäre, so hätte ich mich schon längst meinen Richtern freiwillig gestellt.

– Wie sehr muß ich Euer Geschick beklagen, das mir nicht unbekannt geblieben ist; doch ist hoffe, dasselbe einigermaßen lindern zu können, da es mir nicht an einflußreichen Freunden fehlt, und ich selbst eine Stellung jetzt bekleide, in der ich Euch nützen kann. Einstweilen folgt mir in mein Haus, wo Ihr solange bleiben sollt, bis ich eine sichere Zufluchtsstätte für Euch ausfindig gemacht habe.

Durch seinen Einfluß gelang es Milton, für Alice die gewünschte Amnestie zu erhalten. Es wurde ihr sogar gestattet, ungekränkt in London zu bleiben, da man von einer Frau keine Gefahr fürchtete. Selbst ein Theil ihrer Güter wurde ihr zurückerstattet, so daß sie vor jedem Mangel hinlänglich geschützt war. Dagegen konnte Lucy die Begnadigung ihres Gatten nicht erlangen. Thomas blieb im Tower gefangen, und nur ein Aufschub seiner Todesstrafe war Alles, was Milton durch seine Verwendungen für ihn erwirken konnte. – In stiller Zurückgezogenheit, den gefallenen Gatten betrauernd, und sich ausschließlich der Pflege und Erziehung ihres Kindes widmend, flossen von nun an die Tage für Alice hin. Ihr einziger Umgang war Milton, den sie jetzt ruhig gehen und kommen sah. Eine innige Neigung für ihn war ihr zurückgeblieben, trotz der verschiedenen religiösen und politischen Ueberzeugung. Ohne ängstlich einen Austausch ihrer Gedanken zu vermeiden, suchten Beide doch weit mehr, sich auf dem neutralen Boden der Kunst und Poesie zu. begegnen, als auf dem Feld des wild tobenden Kampfes der Parteien. Jeder achtete im Andern seine Ueberzeugung; die Royalisten und der Republikaner übten gegenseitig eine zarte Schonung, eine milde Duldung aus. Für Milton war dieser Umgang von besonderem Einfluß auf seine poetische Schöpferkraft; denn Alice suchte ihn fast unmerklich wieder seinem ursprünglichen Berufe zuzulenken. In ihren Augen war seine politische Thätigkeit eine Verirrung der ihm eigenen höheren Natur.

Ihr seid mir, oder vielmehr der Welt, sagte sie einst halb im Scherz, halb im Ernst, noch ein größeres Werk schuldig. Doch seitdem Ihr geheimer Secretair des Staatsraths geworden seid, habt Ihr den armen Musen auch den Abschied gegeben.

– Ihr irrt Euch, theure Freundin. Trotz meiner vielen Geschäfte bleibt mir doch immer noch einige Zeit, um wenigstens an die göttliche Poesie zu denken. Ich trage mich mit mannigfachen Plänen, noch schwanke ich, ob ich dem Beispiele Shakespeare's, oder dem erhabenen Vorbilde eines Homer, Virgil und Tasso folgen soll. Mehrere Tragödien habe ich bereits im Kopfe ausgearbeitet, die ich zum Theil der englischen Geschichte, zum Theil der Bibel entlehnte. Bis jetzt konnte ich mich jedoch nicht entschließen, sie niederzuschreiben, weil ich den Vergleich mit jenem unsterblichen Genius fürchte. Fast möchte ich darum einem Epos den Vorzug geben, dessen Plan mich schon längere Zeit beschäftigt.

– Und darf ich nicht den Inhalt desselben erfahren? Verzeiht meiner Neugierde, die ich gewiß mit dem edleren Namen der aufrichtigsten Theilnahme belegen darf.

– Vor Euch will ich kein Geheimniß haben. Als ich vor Jahren in Italien war, wohnte ich in Florenz der Ausführung eines Schauspiels bei, das, trotz mancher Mängel und Schwächen, in mir einen bedeutenden Eindruck hinterließ. Es behandelte den Sündenfall und das Schicksal unseres ersten Elternpaars. Damals wurde ich tief von der einfachen Größe ergriffen, welche in der Offenbarung liegt. Mir erschien der Gegenstand würdig und bedeutend genug, um meine ganze Kraft daran zu setzen. Eine Fülle von Gedanken wurde in mir angeregt. Ich sah die Wunder des Paradieses, diesen Garten Gottes mit seinen herrlichen Bäumen und goldenen Früchten, mit seinen duftenden Blumen und schattigen Gebüschen. Dort wohnte das glückliche Menschenpaar in ungetrübtem Frieden, in reinster Unschuld, bis die Schlange kam und Eva verlockte, vom Baume der Erkenntniß den Apfel zu essen, und das Gebot des Herrn zu übertreten. So wurde Adam und das sündige Weib aus dem Paradiese getrieben; der Tod und die Sünde hefteten sich an die Fersen der Schuldigen. Die Geschichte der ganzen Menschheit, wie die jedes Einzelnen, liegt in der heiligen Sage. Wird nicht in jedem Manne ein neuer Adam, in jeder Frau eine neue Eva geboren? haben wir nicht Alle ein verlorenes Paradies zu beweinen?

– Und das verlorene Paradies soll auch Eure Dichtung heißen, sagte Alice mit wehmüthigem Lächeln. Ihr habt Recht. Wer von uns hätte nicht ein verlorenes Paradies zu beklagen? Die Unschuld der Kindheit, die Träume der Jugend, unsere Hoffnungen und Erwartungen, welche so oft getäuscht werden, die Begeisterung, welche von der Zeit der rauhen Wirklichkeit erliegt, der stille Frieden, der vor dem lauten Waffenlärm verstummt, der schöne Glaube, den der Zweifel und der Spott benagt, die Liebe mit ihrem göttlichen Rausch, der so schnell verfliegt, unsere gewonnenen Ideale; das Alles sind die verlorenen Paradiese der armen Menschheit.

– Doch vor Allem, erwiederte Milton, gedenke ich jenen großen und ewigen Kampf zwischen den bösen und den guten Mächten, zwischen dem Himmel und der Hölle zu besingen. Vor meinen Blicken steht die Gestalt des gefallenen Engels, der sich zuerst gegen den Schöpfer aufgelehnt hat; ich sehe ihn noch immer schön mit heuchlerischen Zügen, in gleißender Gestalt, selbst in der Verworfenheit seinen göttlichen Ursprung nicht verleugnend. Immer von Neuem erhebt er sich gegen die Herrschaft des Ewigen und immer von Neuem muß er seine Ohnmacht gewahr werden, denn der Sieg gehört dem Himmel und seinen Heerschaaren.

In großen Zügen entwarf der Dichter vor Alice den Plan zu seinem berühmten Epos und schied mit dem Versprechen, sobald als möglich an die Ausführung seines Werkes zu gehen, aber die Zeit eines ruhigen Schaffens war für ihn noch nicht gekommen. – Kaum in seiner Wohnung angelangt, fand Milton eine Botschaft vom Staatsrath vor, der er Folge leisten mußte. – Wenige Tage nach der Hinrichtung des Königs war in England ein Buch erschienen, unter dem Titel »Eikon Basilika« oder »des Königs Abbild«. Es wurde Karl dem Ersten zugeschrieben und enthielt in religiöser Form die Gefühle, Betrachtungen, Eindrücke und Kämpfe, die ganze Seele des unglücklichen Monarchen, die Geschichte seiner Leiden, seiner Prüfungen, welche ihn als einen verklärten Märtyrer erscheinen ließen. Wie eine Fackel zündete das Buch und seine Wirkung grenzte an das Wunderbare. Die Anhänger des Königs erhoben wieder das Haupt und jeder Leser wurde mit Mitleid und Bewunderung erfüllt. Trotz aller Verbote fand es eine schnelle, ungeheuere Verbreitung und das Parlament zitterte vor den Folgen. Nur ein Mann vermochte die Wirkung zu entkräften und dieser eine war Milton. Er erhielt den Auftrag, eine Widerlegung zu schreiben. – Als er diese Verpflichtung übernahm, verschwieg er sich nicht die mißlichen Folgen, welche ihn erwarteten. Er sollte einen unglücklichen Todten, der das öffentliche Mitleid im höchsten Grade für sich in Anspruch nahm, noch im Grabe angreifen und gleichsam ein geistiges Nachrichteramt an dem enthaupteten Leichnam üben, sich selbst mußte er dem Hasse und der Verfolgung der gesammten königlichen Partei bloßstellen, welche in blinder Rachsucht sogar vor einem Morde nicht zurückschreckte, wie sie später vielfach bewiesen hat. Am schmerzlichsten berührte ihn aber seine Stellung zu Alice in dieser Angelegenheit. Seine Freundin verehrte Karl den Ersten und hatte diesem die größten Opfer gebracht. Sollte er die eben Wiedergefundene zum zweiten Male durch seine eigene Schuld verlieren?

– Ich kann mich meiner Pflicht nicht entziehen, sagte er ihr, indem er sie mit dem Auftrage des Parlaments bekannt machte. Fast muß ich fürchten, Eure Freundschaft, das Theuerste auf der Welt für mich, zu verlieren und doch darf ich nicht anders handeln.

– Folgt Eurer Ueberzeugung, entgegnete Alice achtungsvoll. Ihr seid Republikaner und ich eine Freundin des Königs, das darf uns jedoch nicht abhalten, nach wie vor mit einander zu verkehren. Niemand kann es mehr bedauern, als ich, daß Ihr diesen Weg eingeschlagen habt und Euer Talent in die Waagschale des Feindes legt, aber der Kampf der Parteien soll mir den alten, treu bewährten Freund nicht rauben. Ich ehre und achte den Menschen in Euch, wenn ich auch Eure politischen Ansichten niemals theilen werde.

– Ich denke nur um so höher von Euch, erwiederte Milton, tief ergriffen von der hochherzigen Gesinnung der edlen Frau.

So gaben Beide ein herrliches Beispiel der schönsten Duldung. Mitten in der allgemeinen Zwietracht blieben sie nach wie vor innig vereint. Das reine Menschthum trug in ihnen den Sieg über den Haß der Parteien davon. – Ehe Milton sich jedoch entfernte, richtete Alice ihren Blick voll Theilnahme auf ihn. Fortwährende Arbeiten hatten seine Gesundheit untergraben und besonders seine Augen angegriffen. Zwar glänzten diese mit ihrem früheren Schimmer, aber er selbst hatte eine Abnahme seiner Sehkraft bemerkt und schon öfters vor der Freundin darüber geklagt. Beim Fortgehen fiel es Alice auf, daß er die Thüre fast übersah und nur tastend dieselbe fand. Erschrocken eilte sie ihm nach und geleitete ihn hinaus.

– Eure Gesundheit bekümmert mich, sagte sie theilnehmend. Ihr müßt Euch schonen und besonders Euren Augen die nöthige Ruhe gönnen. Aus diesem Grunde allein wünschte ich, daß Ihr Eure Arbeit unterlaßt.

– Wie kann ich das? Ich darf sie nicht aufschieben.

– Bedenkt, daß Ihr Euer Augenlicht verlieren könnt. O, ich vermag den Gedanken nicht zu ertragen, wenn Ihr erblinden solltet.

– Ich fürchte nicht die Blindheit und nicht die Schrecken der Nacht, welche mich bedrohen, denn mir leuchtet der Glaube an eine gütige Vorsehung, die Theilnahme und Zärtlichkeit meiner Freunde, vor Allem der Gedanke an meine Pflicht. Diese Sterne strahlen hell in der Finsterniß, die mich vielleicht bald umgeben wird. Es steht ja geschrieben, daß der Mensch nicht allein vom Brode lebt, sondern von jeglichem Worte, das aus dem Munde Gottes geht; warum soll ich mich nicht da mit dem Gedanken beruhigen, daß das Licht der Augen für mich nicht das einzige sei, sondern daß mich die Leitung und Vorsehung Gottes genugsam erleuchten werden? So lange er selbst für mich in die Zukunft hinaussieht, so lange er für mich sorgt, wie er es thut, und mich vor und rückwärts bei der Hand führt, wie mein ganzes Leben hindurch geschah, will ich gerne meine Augen Sabbath halten lassen, weil es so sein Wille scheint.

– Wie leicht werden Eure Gegner und Feinde in dem Verlust Eures Gesichts ein göttliches Strafgericht erblicken und Euch darum verspotten.

– Mögen sie es immerhin thun und mich zum Gegenstande ihres Hohnes machen. Sie sollen bald erfahren, daß ich weit entfernt bin, mein Loos mit Reue und Kummer aufzunehmen, daß ich unveränderlich auf meinen Gesinnungen beharre, indem ich den Zorn Gottes weder fürchte, noch empfinde, sondern auch hierin, wie in allen wichtigen Ereignissen meines Lebens seine väterliche Güte und Gnade anerkenne. Das Bewußtsein meiner Handlungsweise wird mich stets aufrecht erhalten und ich möchte dasselbe gegen keine Herrlichkeit der Welt, selbst nicht gegen das größte Glück vertauschen. Was ist an meinem Augenlicht gelegen, wenn ich es auch jetzt im Dienste der Wahrheit und der Freiheit einbüßen sollte. Würde ich doch eben so freudig mein Leben hingeben, wenn es von mir gefordert würde. Zwischen meiner Pflicht und meinem Augenlicht kann ich keinen Augenblick schwanken.

Von diesem Geiste beseelt, ging Milton trotz den Warnungen seiner Freundin an eine Arbeit, welche ihn in eine Reihe von Streitigkeiten verwickelte und seine Gesundheit zerrüttete. – Vor allen Dingen entkräftete er den Glauben an die königliche Autorschaft legenden Buches, indem er mit vielem Scharfsinn einen weiteren Verfasser sogleich nachwies, eine Muthmaßung, welche sich im Nachfolgenden bestätigte, da erwiesener Maßen der Bischof Gauden die »Eikon Basilika« geschrieben hatte. Damit schwand einigermaßen der Nimbus und die gefährliche Wirkung des Werkes wurde bedeutend abgeschwächt. Unter fortwährenden Leiden erfüllte Milton seine Aufgabe, indem er dem falschen Abbild des Königs ein wahreres Gemälde desselben gegenüberstellte, wobei auch er nicht immer vermeiden konnte, manchen gehässigen Zug und manchen zu rauhen Pinselstrich anzubringen. Jedenfalls war aber sein Portrait nicht geschmeichelt und ganz dazu geeignet, ihm die ganze Partei der Königlichgesinnten zu Feinden zu machen. – Alte und neue Gegner standen gegen ihn auf, unter denen der berühmte Leydner, Professor Salmasius, die erste Stelle einnahm. Für zweitausend Goldstücke erkaufte Karl der Zweite die allezeit bereitwillige Feder dieses Gelehrten, um das Andenken seines Vaters zu rechtfertigen und das ganze englische Volk zu verunglimpfen. So groß war jedoch schon in jener Zeit der Einfluß der Presse, daß das Parlament diese Schmähschrift ebenfalls in Erwägung zog und Milton auch diesmal den Auftrag ertheilte, dieselbe zu beantworten. Allerdings trug zu der Wichtigkeit, die man diesem Pamphlete beilegte, der Name des Verfassers sehr viel bei. Salmasius galt für seine Zeit als ein Universalgenie, er sprach alle lebenden und todten Sprachen, latein und griechisch, selbst persisch, syrisch und arabisch; an der Universität lehrte er zu gleicher Zeit alle Wissenschaften, Theologie, Medizin Jurisprudenz und Geschichte. Durch seine unzähligen Arbeiten, Commentare, Noten und gelehrten Vorreden hatte er sich den größten Ruf in ganz Europa erworben und seinen Vorrang in der gelehrten Welt wagte bisher noch Niemand ihm streitig zu machen. Die ersten Monarchen der Welt warben um ihn, Richelieu sowohl wie jetzt Mazarin suchten ihn für Frankreich zu gewinnen und die phantastische Königin von Schweden erlangte nur durch viele Bitten, daß er ihrem Rufe nach Stockholm Folge leistete. Christine kam selbst, wenn der berühmte Mann krank war, oder wegen der nordischen Kälte nicht ausgehen wollte, zu ihm, zündete das Feuer in seinem Kamin an, kochte ihm das Frühstück und brachte oft den ganzen Tag an seinem Bette zu, so daß die Frau des Gelehrten auf die Königin eifersüchtig wurde und ihren gelehrten Gatten Stockholm und Schweden zu verlassen zwang. –

Das war der Gegner, mit dem es Milton jetzt zu thun hatte. Alle seine Freunde zitterten vor dem Ausgange dieses wissenschaftlich politischen Streites und riethen davon ab. Dieser indeß fühlte seine Kraft und nicht nur seine Ebenbürtigkeit, sondern die Ueberlegenheit über einen gesinnungslosen, pedantischen Polyhistor. Für Milton war die Gelehrsamkeit nicht ein eitles Ansammeln von Kenntnissen, ein unfruchtbares und unnützes Aufhäufen von unverdautem Material, das wohl geeignet sein mochte, die eigene Eitelkeit zu kitzeln oder der blinden Menge zu imponiren. Sein Wissen war in Fleisch und Blut übergegangen und Eins mit seinem ganzen Charakter, seinem Denken und Fühlen geworden. Von einem unendlich höheren Standpunkte übernahm er daher diese neue Aufgabe und so schrieb er seine »Vertheidigung des englischen Volkes.« Hier stellte er mit überraschender Kühnheit jene Grundsätze bereits auf, welche später Rousseau in seinem contrât social nur wiederholt hat und die hinreichten, die ganze gebildete Welt zu erschüttern. Auch Milton ging von der Souverainetät des Volkes aus und daß die Macht dem Könige einzig und allein von der Nation zu ihrer eigenen Sicherheit verliehen sei. Unbeschreiblich war das Aufsehen, welches dieses neue Werk erregte; es wurde nicht nur in England, sondern in ganz Europa mit Begierde gelesen und verschlungen. Nahe an fünfzigtausend Exemplare fanden einen unerwartet schnellen Absatz und eine allgemeine Verbreitung. Die fremden Gesandten statteten Milton ihre Glückwünsche über diesen unerwarteten Erfolg ab, selbst Salmasius frühere Gönner wendeten dem besiegten Professor mit Verachtung den Rücken zu und überhäuften den glücklichen Sieger mit ihren Lobsprüchen und Schmeicheleien. Die Königin Christine verspottete nun ihren alten Günstling fast noch mehr, als sie ihn früher bewundert und verehrt hatte. – Vergebens machte Salmasius neue Anstrengungen, um die errungenen Lorbeern seinem Gegner zu entreißen; jeder derartige Versuch wurde für ihn zu einer frischen Niederlage. Aber auch Milton gewann seine Triumphe nur um einen theueren Preis. Jedes Wort, das er niederschrieb und womit er den gesinnungslosen Pedanten niederschmetterte, kostete ihn einen Theil seiner Sehkraft. Furchtbare Kopfschmerzen, an denen er von Jugend auf gelitten, waren die steten Begleiter seines Augenleidens; aber er achtete wenig oder gar nicht auf die Verschlimmerung seiner Leiden. Wie ein Krieger kämpfte er fort mit blutenden Wunden, und schwer getroffen, focht er den einmal angefangenen Kampf zu Ende. –

An die Stelle der mittelalterlichen Turniere waren jetzt die wissenschaftlichen Zweikämpfe der berühmten Gelehrten in jener Zeit getreten und diese wurden mit eben so großer Theilnahme verfolgt. Fürsten und Völker waren die Zuschauer und durch die Macht der Presse der bisher nur begrenzte Schauplatz unendlich erweitert, die Schranken in die Ferne ausgedehnt. Ein Ueberbleibsel des alten ritterlichen Geistes hatte sich in jene wissenschaftlichen Klopffechtereien hineingeflüchtet, wo die Folianten die Stelle des Harnisches vertraten und dickleibige Kirchenväter als Schild und Speer gebraucht wurden. Die Gegner traten in die Schranken, bewaffnet mit Citaten aus den klassischen Schriftstellern und mit dem ganzen Vorrath eines gelehrten Arsenals; sie kämpften mit Worten, statt mit dem Schwerte und stritten mit Sentenzen und Glaubenssätzen. Es handelte sich dabei nicht nur um die Wahrheit, sondern weit mehr noch um Ruhm und Ehre, deshalb wurde der Kampf häufig mit einer Rücksichtslosigkeit und Erbitterung geführt, die uns heute befremden muß. Meist war der Streit persönlich und endete nur mit der vollständigen Niederlage der einen oder der anderen Partei. Man schlug sich gegenseitig die tiefsten Wunden und das Gift der Verleumdung und Verketzerung schärfte nur noch den Schmerz der verletzten Eitelkeit. An diesen geistigen Turnieren nahm die ganze gebildete Welt mehr oder minder Antheil, je nach dem Ruf und Namen der dabei Betheiligten. Einen solchen Zweikampf war Milton mit dem gelehrten Salmasius eingegangen und ganz Europa begrüßte mit freudigem Zuruf den Sieger. Seine Widerlegung vernichtete den Gegner moralisch und stürzte ihn von seinem angemaßten Throne herab. Salmasius wurde nicht blos bildlich, sondern wirklich tödtlich getroffen, er überlebte seine Niederlage nur noch kurze Zeit und starb, wie seine Freunde behaupteten, an gebrochenem Herzen.

Milton hatte gesiegt, aber dabei sein Augenlicht fast eingebüßt. Seinem Triumphe folgte bald die ewige Nacht der Blindheit.


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