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4.

Um dieselbe Zeit wanderten in ähnlicher Richtung zwei junge Männer durch den Haywood-Forst. Sie waren Freunde, fast von gleichem Alter und durch die innigste Zuneigung mit einander seit Jahren verbunden. Der Aeltere von Beiden zeichnete sich durch ein feines und vornehmes Aeußere aus. Schlank und hoch gewachsen verrieth sein ganzes Auftreten eine gewisse Sicherheit und einen edlen Anstand, welchen der Sohn einer reichen und hochgestellten Familie gleichsam spielend und ohne sein besonderes Verdienst zu erwerben pflegt. Auch in seiner Kleidung gab sich ein gewisser Wohlstand zu erkennen. Die gewölbte Stirn und das dunkle, sorgfältig gelockte Haar wurde von einem Federhut bedeckt, an welchem die goldene Schnalle mit Edelsteinen verziert, als ein kostbarer Schmuck erglänzte. Ein dunkler, wohlgepflegter Bart, der nach der Sitte jener Zeit von wohlriechenden Oelen duftete, umgab die blühenden, gebräunten Wangen. Ein Zug von sorgloser Heiterkeit umspielte den schönen Mund und die dunklen Augen leuchteten von Zufriedenheit und Glück. Sein Wamms von gerissenem niederländischen Sammt und die goldene Kette, die sich um den Nacken schlang, vollendeten das Bild eines jungen und reichen Edelmanns aus jener Zeit. Minder vom Glück begünstigt schien der jüngere Begleiter, dessen einfach bürgerliche Kleidung indeß durch Sauberkeit und Reinlichkeit, wie sie bei Leuten, die sich vorzugsweise geistig beschäftigen, nicht eben häufig angetroffen wird, die Pracht des Stoffes ersetzte. Auch nahm sich die kleinere, fast mädchenhaft zierliche Gestalt neben dem stattlichen Gefährten nicht allzu vortheilhaft aus. Doch ein Blick auf das edle Angesicht, auf die prächtig hohe Stirn und das tiefe geheimnißvolle Auge genügte für den aufmerksamen Beobachter, um sogleich die Nähe eines bedeutenden und vom Genius bevorzugten Menschen zu ahnen. Trotz der Zartheit dieser Züge, welche den Besitzer derselben weit jünger erscheinen ließen, als er wirklich war, sprach sich in ihnen eine seltene Reife des Geistes aus. Die Farbe der Wangen verrieth, ohne kränklich zu sein, die Spuren seines nächtlichen Fleißes und des angestrengten Nachdenkens. Ein unaussprechlicher Zauber umschwebte die feinen Lippen und der Adel einer rein geistigen Schönheit verklärte das ganze, ausdrucksvolle Antlitz, in dessen zarten und doch scharfen Linien sich neben weiblicher Sanftheit ein männlicher Ernst, selbst eine trotzige Festigkeit erkennen ließen.

Die beiden jungen Wanderer waren eben im Begriff von einem ihrer gewöhnlichen Ausflüge in die Heimath zurückzukehren. Sie liebten es vereint während der schönen Jahreszeit Hand in Hand durch Wald und Flur zu schweifen. Die Länge des Weges kürzten sie sich gegenseitig durch eben so lehrreiche, als unterhaltende Gespräche ab. Waren auch Beide von einander durch Rang, Vermögen und Abkunft verschieden, so wurde dieser Unterschied vollkommen durch die innigste Freundschaft und die gleiche Liebe für Wissenschaft und Kunst wieder ausgeglichen. Schon auf der Schule zu Cambridge hatte sich der ältere Eduard King, der einzige Sohn eines hochgestellten Staatsbeamten, unwiderstehlich zu dem jüngeren Milton hingezogen gefühlt, dessen Vater als Advokat eine zwar einträgliche, aber keineswegs bedeutende Praxis besaß. Gemeinschaftlich vertieften sich die heranwachsende Jünglinge in das klassische Alterthum, dessen herrliche Schätze sie bewunderten. Die Werke der edelsten Griechen und Römer fachten eine glühende Begeisterung für alles Große und Schöne in ihren Seelen an. Besonders zeichnete sich der junge Milton durch den Ernst und Eifer aus, mit denen er sich dem Geists des Alterthums hingab, so daß er vollständig darin aufging. Bald hatte er sich mit den größten Philosophen und Dichtern Athens und Roms bekannt gemacht und die Schwierigkeiten der beiden Sprachen so weit überwunden, daß er selber und mit großem Erfolge in ihnen dichtete. Doch damit begnügte sich sein rastloser Fleiß noch nicht; von der erhabenen Schönheit der Bibel ergriffen, legte er sich auf das schwierige Studium der hebräischen Sprache und nach der mühevollsten Anstrengung gelang es ihm zu seiner größten Freude, »das göttliche Wort« im Urtexte zu lesen und zu verstehen.

Ein selten glückliches Geschick bewahrte ihn vor einer geistlosen Pedanterie, welche den Gelehrten so häufig anzuhaften pflegt. Seine lebhafte Phantasie entriß ihn jeder einseitigen Beschäftigung und führte ihn aus der staubigen Studirstube immer wieder in die frische Natur und in das wogende Leben zurück. Auch die Kunst schützte ihn vor jeder derartigen Verirrung. Miltons Vater war selbst ein bedeutender Musiker und brachte dem Sohne frühzeitig den Geschmack für harmonische Schönheit bei. Ueber all' diese geistige Ausbildung wurden von ihm keineswegs die körperlichen Uebungen vernachlässigt und der junge Gelehrte wußte mit den Waffen und der edlen Reitkunst ebenso Bescheid, wie er in seinen Büchern und Manuscripten zu Hause war. Unter solchen Umständen konnte es ihm nicht an Freunden und hohen Gönnern fehlen.

Für Dichter und Gelehrte war damals überhaupt eine glückliche Zeit in England. Die wieder aufblühende Wissenschaft, welche sich von Griechenland und Italien aus seit dem fünfzehnten Jahrhundert über ganz Europa verbreitete, fand hier besonders einen fruchtbaren und empfänglichen Boden. Nach den furchtbaren inneren Kriegen und Parteikämpfen hatte England endlich einen dauernden Frieden gefunden. Die Thatkraft der Nation richtete sich auf das Meer, welches von allen Seiten dies glücklich gelegene Inselreich umgibt. Bald nahm der Handel einen ungewöhnlichen Aufschwung, von allen Seiten flossen die Schätze und Reichthümer der fernsten Länder herbei. Große Entdeckungen und Erwerbungen in fremden Welttheilen mehrten den Wohlstand. Während das stolze Spanien an seinem finsteren Glaubenseifer und seiner Unthätigkeit immer mehr verfiel, wuchs unter dem Scepter der klugen und mächtigen Elisabeth Englands Größe und sein Handel. Der Protestantismus mit seiner freieren Richtung begünstigte noch den großartigen Aufschwung und weckte die geistige und materielle Thatkraft des Volkes. Mit dem Ueberfluß stellte sich das Bedürfniß nach einer höheren Bildung und den verschönernden Künsten ein. Elisabeth selbst war eine Freundin der Wissenschaft und Poesie, welche sie mit königlichem Sinne beförderte. An ihrem Hofe lebten die geistreichsten Männer, Bako, der Vater und Restaurator der neuen Wissenschaft, Walter Raleigh und noch viele Andere. Damals dichtete der große Shakespeare seine unsterblichen Schauspiele und erfreute sich der Huld seiner Königin, des Umgangs und der Freundschaft des höchsten Adels und der Anerkennung seiner Zeitgenossen. – Unter dem Nachfolger Elisabeths, dem pedantischen, aber selbst gelehrten Jakob dem Ersten, gelangten Bildung und Wissenschaft zu den größten Ehren und Auszeichnungen. So kam es, daß die ganze Nation sich lebendig an dieser neuen Richtung betheiligte, und daß der Gelehrtenstand eine hervorragende Stellung im Staate und gesellschaftlichen Leben gewann. Die vornehmsten Familien öffneten ihm ihr gastliches Haus und der geistige Adel ging mit dem Adel der Geburt von nun an Hand in Hand.

Auf diese Weise hatte Milton durch sein Talent Zutritt in das edle Haus der Grafen von Derby erhalten und darum fühlte sich der vornehme und reiche Eduard King durch den Umgang und die Freundschaft mit dem jungen Gelehrten hoch geehrt. Von Tag zu Tag war dieses Bündniß inniger geworden und noch stets im Wachsen. So oft es nur geschehen konnte, verkehrten die Freunde mit einander, ihre gegenseitigen Gedanken und Empfindungen austauschend. Am liebsten schweiften sie an sonnigen Tagen im Freien umher, an der Schönheit der Gegend und den abwechselnden Naturscenen ihr Auge ergötzend. Solche Spaziergänge waren besonders genußreich für Beide. Bald gingen sie im eifrigen Gespräche durch den grünen Wald, bald ruhten sie auf weichem Moose unter dem Schatten einer hohen Eiche aus und verzehrten ihr mitgebrachtes Mahl, wozu sie einen Trunk aus dem frischen Quell schönsten. Zuweilen begegnete ihnen auch wohl ein kleines Abenteuer, das ihnen dann reichen Stoff für ihre Unterhaltung bot. Durch diese genußreichen Ausflüge wurden sie nach und nach mit der ganzen Nachbarschaft bekannt. Auf ihren Wanderungen trafen sie oftmals mit dem einsamen Schäfer, dem rußigen Köhler, oder dem schlichten Landmanne zufällig zusammen und gingen wohl eine kurze Strecke mit ihnen. So lernten sie die verschiedenen Stände, ihr einfaches Leben, ihre Ansichten, Wünsche und Bedürfnisse genauer kennen. Manche poetische Anregung und manches ächte Volkslied empfing durch derartige Begegnisse der stets aufmerksame Dichter. Mitunter kehrten sie auch bei einem Klienten von Miltons Vater auf einem wohlhabenden Pachthof ein, wo ihnen eine gastfreundliche Bewirthung von den biederen Leuten zu Theil wurde. Die schönsten Stunden verlebten aber die Jünglinge in der Einsamkeit des Waldes. Hier tauchten all die großen Erscheinungen der Vergangenheit vor ihnen auf und ihre lebendige Phantasie schwelgte in der Erinnerung an das schöne Hellas und das gewaltige Rom. Im Geiste versetzten sie sich ein Jahrtausend zurück und die Gegenwart verschwand vor ihren Blicken. Sie selbst fühlten sich verwandelt und ihre Umgebung nahm das ganze Gepräge ferner Zeiten und Gegenden an. Ueber ihrem Haupte rauschten die heiligen Eichen von Dodona und in ihrem Säuseln glaubten sie die Stimme des Orakels zu vernehmen. Dann gingen sie mit Plato durch den Hain der Akademie und lauschten der weisen Lehren seines göttlichen Mundes. Der Berg in ihrer Nähe nahm die Gestalt des Helikon an und der Quell zu ihren Füßen wurde zur kastalischen Fluth. So verwechselten sie die nahe Wirklichkeit mit den Gebilden ihrer Phantasie. Selbst ihre Freundschaft erhielt den Stempel des klassischen Alterthums. Orestes und Pylades, Damon und Pythias waren ihre Vorbilder, denen sie gleichzukommen sich bestrebten. Ihre gewöhnlichen Namen genügten ihnen länger nicht und sie vertauschten dieselben mit den wohlklingenden Thyrsis und Lycidas, womit sie sich von nun an riefen. Dabei gedachten sie der Bündnisse getreuer Schäfer, wie diese Virgil und Theokrit in ihren Gedichten feierten.

Mit solchen Spielen verbanden sie doch einen hohen Ernst und das Streben, jene erhabene Vorbilder nicht nur zu erreichen, sondern noch zu übertreffen. Beide befanden sich ja in jenem glücklichen Alter, wo der Geist sich von der Erde zu den Sternen emporschwingt und dort seine Ideale sucht. Nichts schien ihnen mehr unmöglich und das Höchste leicht erreichbar. – Poesie und Freundschaft machten noch vorläufig ihren ganzen Lebensinhalt aus und diese freundlichen Genien begleiteten sie auf allen Wegen.

In ihren eifrigen Gesprächen wurden die Freunde unerwartet durch den lauten Schall einer betäubenden Musik unterbrochen, die ganz aus der Nähe ihnen entgegenschallte. Das dichte Gebüsch, in welchem sie sich befanden, hinderte jede fernere Aussicht.

Was hat das zu bedeuten? fragte Milton die bisherige Unterhaltung abbrechend.

Gewiß ein Bachantenchor, entgegnete der Freund noch ganz im Geiste ihrer gewöhnlichen Sprachweise.

Du hast Recht, mein Lycidas. Ich höre deutlich die lärmende Querpfeife des ziegenfüßigen Pans. Die laute Trommel und das schallende Blech der rasenden Mänaden. Evoe Bakche! Vernimmst du nicht das Jauchzen des glühenden Chors? Ich würde mich nicht mehr wundern, wenn im nächsten Augenblicke Dyonisos, selbst mit Weinlaub bekränzt und von seinen Panthern gezogen, aus dem Dickicht hervortreten und um jene Ecke des Waldes biegen würde.

So lass' uns eilen, den Gott zu begrüßen, damit uns nicht das Schicksal seiner Verächter trifft. Dir besonders, mein Thyrsis, dürfte das Zusammentreffen mit den rasenden Bachanten Gefahr drohen; denn du weißt, daß sie einst den lieblichen Sänger Orpheus in ihrer Wuth zerrissen haben. Als Dichter könnte dir leicht ein ähnliches Geschick zu Theil werden, worüber ich natürlich untröstlich wäre.

Meinetwegen brauchst du dir keine Sorge machen, erwiederte Milton mit anmuthigem Lächeln auf den Scherz des Freundes eingehend. Ich bin noch weit entfernt, ein solch berühmter Dichter wie Orpheus zu sein. Die Töne meiner Leier bewegen weder Felsen noch zähmen sie die wilden Thiere. Höchstens gewinnen sie mir den Beifall meines allzu nachsichtigen Lycidas, wofür ich jedoch von ganzem Herzen den Göttern dankbar bin.

Mit diesen Worten eilte Milton dem zögernden Freunde voran, neugierig die Ursache dieser lärmenden Musik zu entdecken, welche so plötzlich die Stille des Waldes unterbrach. Auch King beschleunigte seine Schritte und beide erreichten fast zu gleicher Zeit einen freien Standpunkt, von dem aus sie das Schauspiel, welches sich ihnen so unerwartet darbot, ungestört übersehen konnten. Gerade ihnen gegenüber bewegte sich der bereits erwähnte Zug, in dessen Mitte sich Alice mit Gott Komus befand. Der abenteuerliche Anblick überraschte die lauschenden Freunde nicht wenig. In der That schienen sich ihre scherzhaften Reden zu verwirklichen und ihre Reminiscenzen an die Feier des Bachus Wahrheit zu gewinnen. Die verkleideten Tänzer in ihren Masken von Thierfellen, mit ihren falschen Bärten und den Eichenkränzen auf den Köpfen erinnerten allerdings ganz und gar an den bocksfüßigen Chor des Weingottes. Selbst der alte Silen schien nicht zu fehlen, denn auf einem kleinen Esel hing ein dicker, angeschwollener Trunkenbold mit rothem Kupfergesicht, den die müden, taumelnden Beine nicht mehr tragen mochten. Auch die wunderlich ausstaffirten Musikanten zerrissen mit ihren Trommeln, Pfeifen und Schalmeien jedes gebildete Ohr und machten eine wahrhaft heidnische Musik. Das Staunen der Freunde verwandelte sich aber bald in die höchste Bewunderung, als sie die reizende Alice auf ihrem Throne von jungen Baumstämmen und grünem Laubgeflecht entdeckten. Mit dem Anstande einer jungen Königin saß sie auf ihrem erhabenen Sitz, umflossen von der Purpurgluth der Abendsonne. Die herrlichste der Feen, das holdeste Bild der Märchenwelt schien in ihr verkörpert, um jedes sterbliche Auge zu bezaubern. Das blendende Licht verhinderte anfänglich Milton, sogleich die ihm wohlbekannten Züge wieder zu erkennen, während sein Begleiter von den Wundern des Alterthums das schönste zu sehen glaubte.

Beim Zeus! rief Eduard King begeistert aus, wir befinden uns auf Naxos und dort das liebliche Mädchen kann Niemand anders sein als Ariadne, welche die Diener des Bachus huldigend im Triumphe einher tragen.

Diesmal antwortete Milton nicht. Plötzlich stürmte er den Hügel herab, auf dem die Freunde standen, und stürzte dem fortschreitenden Zuge entgegen.

Was ficht dich an? fragte King verwundert.

Sie ist es, sie ist es, leuchte der athemlose Milton und riß den überraschten Freund an der Hand fassend mit sich fort.

Den lauten Ausruf mußte auch Alice gehört haben, denn sie wendete ihr zierliches Haupt nach jener Gegend; ein neuer Hoffnungsstrahl röthete ihre Wangen und ließ ihr blaues Auge heller strahlen. Sie glaubte die Stimme eines Freundes vernommen und erkannt zu haben. Auch täuschte sie sich nicht. In wenigen Augenblicke stand Milton ihr gegenüber und an seiner Seite der treue Eduard King.

Miß Egerton, Miß Egerton! rief ihr Milton schon von Weitem zu.

Ich bin es, sprach Alice von ihrem Thron herab, um seinen Zweifel zu verscheuchen.

Und was thun Sie hier in solcher Gesellschaft?

Um Gottes Willen befreien Sie mich aus dieser schrecklichen Lage, flüsterte sie mit ängstlicher Stimme.

Das schöne Mädchen mußte sich auf diese unbestimmten Andeutungen beschränken. Es war ihr keine Zeit zu längeren Erörterungen gegönnt, denn der Bursche, welcher an ihrer Seite reitend die Rolle des Gottes Komus spielte, fing an ungeduldig zu werden.

Hollah ho! mein Täubchen, brummte er ärgerlich, du willst mir untreu werden, und davonfliegen. Daraus wird aber nichts. Platz da, Ihr Herren! und Respekt vor dem Gotte Komus und seinem Gefolge. Wenn Ihr nicht gleich aus dem Wege geht, könnt Ihr noch die Bekanntschaft mit seinem Zauberstabe und den Fäusten seiner Unterthanen machen. Bei diesen Worten wirbelte der Redner den Stab mit dem Narrenkopf mehrmals wie eine Lanze um den Kopf, auch die Leibwache schwang die Stangen den Freunden entgegen. Das war für den ritterlichen Muth des jungen King zu viel. Ganz allein glaubte er mit dem zahlreichen Gesindel fertig zu werden, ihre Menge flößte ihm keine Furcht ein. Schnell riß er das Schwert aus der Scheide und im unerwarteten Anlauf drang er ungehindert bis zu Alice vor.

Schlagt ihn nieder, brüllte der Führer dem Haufen zu.

Ehe dieser sich jedoch von seiner anfänglichen Bestürzung erholen konnte, hatte der kühne Jüngling den Burschen vom Pferde herabgerissen und das blanke Schwert ihm auf die Brust gesetzt.

Wenn mich Einer von diesem Gesindel nur mit den Fingerspitzen berührt, so bist du des Todes. Diese Drohung verfehlte nicht die beabsichtigte Wirkung. Das Gefolge des Gottes hielt sich in ehrerbietiger Entfernung und dieser selbst machte auch nicht die geringste Anstrengung sich den Händen seines Gegners zu entziehn. Indeß war auch Milton herbeigeeilt, um vielleicht durch gütliches Zureden Blutvergießen zu verhindern. Seine nächste Bemühung galt indeß dem geängstigten Mädchen, welche von ihrem Throne herab zitternd diesem neuen Zwischenfall beiwohnte.

Setzt die Lady nieder, befahl er den Trägern.

Diese gehorchten sogleich und mit Miltons Hülfe berührte Alicens Fuß wieder den sicheren Boden. Nachdem er ihr diesen Dienst geleistet, wandte er sich zu der ihn umgebenden Gruppe. Die laute Musik war verstummt und die Spielleute standen mit halb verlegenen, halb furchtsamen Mienen ringsumher. Die Leibwache des Gottes hatte die Lanzen gesenkt und die halbberauschten Unterthanen waren scheu zur Seite gewichen. Komus selbst lag am Boden und sein früherer Uebermuth hatte sich in die größte Feigheit verwandelt. Das rothe Gesicht war mit einem Male ganz blaß geworden und die verschmitzten Augen irrten scheu und unstät im Kreise. Auf seinem dicken Leibe ruhte der eine Fuß seines Siegers, der mit der linken Hand den Burschen fest an der Kehle hielt, während die Rechte das Schwert ihm auf die Brust setzte. Die nahe Gefahr entpreßte dem Geängstigten die schwersten Seufzer und er wagte nicht die geringste Bewegung, um seinen Gegner nicht noch mehr zu reizen. In dieser unangenehmen Lage fand Milton den armen Burschen, dem er jetzt erst seine Aufmerksamkeit zuwendete. Nicht wenig war er indeß erstaunt, in demselben einen alten Bekannten zu begrüßen.

Billy Green! rief er überrascht.

Ganz Recht, Eure Edlen! ächzte der Bursche in komischer Verzweiflung. Bester Herr Milton! helft mir nur aus der verwünschten Klemme und ich werde mich freuen, Euch einmal wiederzusehen.

Ich weiß nicht, ob es räthlich ist, einen solch notorischen Galgenstrick, bekannten Wilddieb und Taugenichts zu befreien. Dein Betragen gegen diese Lady verdient die härteste Züchtigung.

Fragt sie selber, ob ich sie nur mit einem Worte beleidigt habe. Ein kleiner Scherz war Alles, was ich mir mit ihr erlaubt habe. Und dann wußte ich weder wer, noch was sie sei. Edles Fräulein! sagt nur, ob ich Euch in irgend einer Weise zu nahe getreten bin, und legt ein freundliches Wort zu meinen Gunsten bei diesen Herren ein. Ihr braucht nicht einmal Eure schönen Lippen zu bemühen, nur ein Blick aus Euren Sternenaugen genügt, um den armen, lustigen Billy Green zu Eurem ewigen Schuldner zu machen.

Diese Aufforderung, in dem jämmerlichsten Tone vorgebracht, genügte für Alice, um für den Burschen ihre Fürbitte einzulegen. Sie that es lächelnd, indem sie sich voll Anmuth an ihren Befreier wandte.

– Mein edler Retter, sagte sie mit holdem Erröthen, verzeiht, wenn ich mit meinem Danke zugleich eine Bitte verbinde. Ihr habt wie ein ächter Ritter an mir gehandelt und Eure Tapferkeit im glänzendsten Lichte gezeigt; vergeßt aber darum nicht jene Tugend, welche die wahre Ritterschaft stets zu begleiten pflegt: das Mitleid mit dem Besiegten. Was der Bursche hier gesprochen hat, kann ich ihm bestätigen. Allerdings hat er sich mit meiner Person einen unziemlichen Scherz erlaubt, aber keine andere Beleidigung mir zugefügt. Da ich ihm verzeihe, so dürft auch Ihr nicht länger unerbittlich sein. Laßt ihn aufstehen und sich mit seinen Begleitern sogleich entfernen.

Der Ton dieser Worte, der Klang ihrer Stimme und die liebliche Anmuth ihres Wesens machten auf den Jüngling, der Alice zum ersten Male heute sah, einen entzückenden Eindruck. Sonst nicht um eine Antwort verlegen, bedurfte er erst einiger Augenblicke, um sich zu sammeln.

– Edles Fräulein, erwiederte Eduard King nach einer kurzen Pause, Euer Dank beschämt mich um so mehr, da ich ihn nicht verdiene. Es gehörte weder Muth noch Tapferkeit dazu, um Euch aus solchen Händen zu befreien. Gebt mir erst Gelegenheit mit meinem Blute und Leben Eure Erkenntlichkeit zu verdienen, dann mögt Ihr mir auch danken. Dieser Bursche verdient nicht, daß Ihr Fürsprache für ihn einlegt, sondern die härtesten Strafen für solche Vermessenheit. Indeß Euer Wort genügt, daß ich ihn schone. Nur zu unserer aller Sicherheit soll er zuvor geloben, daß weder er noch seine Genossen ferner gegen uns etwas unternehmen wollen. Mein Freund Milton scheint ihn genauer zu kennen und wenn auch dieser sich für ihn verbürgt, so mag er laufen, nachdem er noch zuvor auf den Knien Euch Abbitte geleistet hat. Dem Galgen wird er ohnehin nicht entgehen.

– Tausend Dankt grinste Billy Green erleichtert. Ich werde mich bemühen, die Prophezeiung Eurer Edlen nicht gar zu genau zu befolgen.

– Lieber Eduard, fügte Milton hinzu. Ich kenne den Burschen schon seit längerer Zeit. Er kommt häufig in unser Haus und mein Vater hat ihn allerdings schon einigemal von dem Strick gerettet, den er als bekannter Wilddieb mehr als einmal verdient hat. Indeß glaube auch ich, daß er mehr Narr und Schelm als Bösewicht ist, und da Lady Egerton bereits für ihn gesprochen, so möchte auch ich meine Fürbitte mit der ihrigen verbinden. Laß ihn sein Wort geben, daß er gegen uns nichts Arges sinnt, und dann schicke ihn fort mit seinen Spießgesellen.

– Hol mich der Teufel, schrie der entzückte Gott, wenn ich Euch das je vergesse. Ich habe immer gesagt, daß Herr Milton seinen besondern Stuhl im Himmel verdient. Wenn Ihr mich braucht bei Tag oder Nacht, so braucht Ihr nur den lustigen Billy Green zu rufen. Für Euch würde ich mit tausend Freuden selbst eine Kirche bestehlen, wenn es sein müßte.

Ueber diese gut gemeinte Herzensergießung mußte selbst der ernstere Eduard King ein wenig lächeln.

– So sei es denn, sagte er. Ich füge mich den Befehlen der Lady und den Bitten des Freundes. Steh auf, Spitzbube! Zuvor aber gelobe auf deinen Knieen Besserung und aufrichtige Reue.

– Ich schwöre und Gott strafe mich, wenn ich meinen Eid breche, sagte Billy Green, indem er eine feierliche Miene anzunehmen sich bestrebte.

Jetzt erst ließ auch King seine Hand von der Kehle des Burschen, den er bis dahin festgehalten hatte. Mit einem tollen Satze sprang der Befreite vom Boden auf und eilte auf die Lady und auf Milton zu, um Beiden zu danken. Mit komischer Wehmuth blickte er Alice an, indem er demüthig die grüne Kappe vor ihr schwenkte. Die Pfauenfeder war im Handgemenge zerknickt und abgerissen worden.

– Lebt wohl, schöne Fee, rief er mit komischer Rührung. Unsere Verbindung hat nur kurze Zeit gedauert, aber es war die glücklichste meines Lebens. Ich sehe schon, daß Ihr zu vernünftig seid, um die Beherrscherin des Narrenreichs zu bleiben. Schade! Ich fürchte selber, daß das Reich der Thorheit in dem alten England bald ein Ende nehmen wird, und daß Gott Komus nicht länger auf dieser Insel weilen darf. Die Zeit schneidet ein ernsthaftes Gesicht und die Welt läßt den Kopf hängen. Die näselnden Puritaner mehren sich mit jedem Tag. In ihren Augen ist jeder Scherz eine Sünde und jeder Spaß verdammt. Sie verabscheuen den Tanz und hassen einen fröhlichen Rundgesang. Wenn das so fortgeht, wird das fröhliche England bald stumm sein wie das finstere Grab. Darum will ich lieber meinem Thron freiwillig entsagen und abdanken so wie Ihr. Statt dieses Stabes will ich das Gesangbuch in die Hand nehmen und meine Narrenkrone mit einem Rundhut vertauschen. Einstweilen lege ich die Zeichen meiner Macht in Eure Hände, bewahrt sie, bis ich sie von Euch wieder fordere. Auch diese Thorheit wird ein Ende nehmen, wie alle Narrheit auf dieser Welt. Auf Wiedersehen also in besserer Zeit.

Der Bursche fing im Verlauf seiner wunderlichen Rede zu weinen an. Niemand konnte jedoch wissen, ob seine Thränen natürliche oder erkünstelte waren. Schluchzend legte er seine Kappe und den Stab zu Alicens Füßen nieder. Als Milton sich niederbeugte, um diese Embleme der Narrheit aufzuheben, nahm der abgedankte Gott von Neuem das Wort.

– Das ist Recht, sagte er, daß Ihr, Herr Milton, Euch der Sachen annehmt. Wie ich weiß, seid Ihr ein Stück von einem Gelehrten und Dichter in einer Person, also ein doppelter Narr. Ihr verdient daher, mein Nachfolger zu werden. Theilt Euch mit der schönen Lady in meine Erbschaft und nun, ihr Musikanten, spielt noch einmal auf und zwar einen lustigen Marsch, bevor man Euch die Fiedel um den Kopf schlägt. Bald wird man in England einen andern Tanz aufführen und die Trommeln und Pfeifen ein tolleres Lied anstimmen, als man je zuvor gehört. Vorwärts, meine Jungens und springt zum letzten Mal. Wer weiß, ob ihr morgen noch tanzen und springen dürft.

Das Gefolge wußte sich eben so wenig wie die übrigen Anwesenden die seltsame Stimmung des Burschen und seine plötzliche Traurigkeit zu erklären. Die Musikanten jedoch stimmten einen fröhlichen Marsch an, wie ihnen befohlen war. Unter den Tönen desselben setzte sich der ganze Zug wieder in Bewegung, an der Spitze ging der Führer desselben mit schwankenden Schritten. Von Zeit zu Zeit wischte er sich die Thränen ab, welche über seine dicken Wangen flossen. Allmählig verschwand der Haufe unter den Bäumen, von der zunehmenden Dämmerung verhüllt. Die Klänge der Musik schallten immer schwächer aus der Ferne herüber, bis sie zuletzt kaum noch hörbar leise verhallten. Im Westen ging die bleiche Sichel des Mondes auf und die frühere Stille herrschte in dem dunklen Wald.


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