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13.

Milton's Vater besaß eine kleine ländliche Besitzung in der Grafschaft Buckinghamshire. Hier lebte er schon seit mehreren Jahren zurückgezogen von seinen früheren Geschäften in mäßiger Wohlhabenheit, welche ihm gestattete dem talentvollen Sohne eine treffliche Erziehung zu geben. Er selbst widmete sich in den Mußestunden, an denen es ihm nicht fehlte, ausschließlich der Musik. Die Mutter war eine sanfte, stille Frau, ausgezeichnet durch ihren Wohlthätigkeitssinn. Ein älterer Bruder des Dichters und eine verheirathete Schwester machten den ganzen Familienkreis aus und hingen trotz mancher Verschiedenheit ihrer Meinungen und Richtungen voll inniger Liebe aneinander. Das Wohngebäude war eines jener alten Häuser mit spitzem Giebeldach, von Außen bescheiden und im Innern traulich und heimlich. Der Dichter hatte trotz der Beschränktheit sein eigenes Studirzimmer, welches auf den benachbarten Garten ging. Das kleine Fenster war von Weinreben und Geisblatt umrankt, wenn er es öffnete, strömte ihm der süße Duft der Blumen entgegen. Die Wände des Gemaches zeigten statt jedes anderen Schmuckes eine zahlreiche Bibliothek, zierlich geordnet und aufgestellt, denn Milton liebte nicht gleich anderen Studirenden eine gelehrte Unordnung. Wie er in seiner Kleidung auf Reinlichkeit und selbst auf eine gewisse Eleganz sah, so ließ er es auch hier nicht an der nöthigen Sauberkeit fehlen. In alterthümlichen Schränken und auf Brettern lagen und standen die lateinischen und griechischen Klassiker, Philosophen und Poeten, dazwischen blühten sich die großen in Schweinsleder gebundenen Folioausgaben der Kirchenväter und berühmtesten Theologen. So berührten sich auch hier die verschiedenartigen Elemente, aus denen jene Zeit ihre Bildung schöpfte, das klassische Alterthum und die christliche Theologie auf ein und demselben Bücherbrett. Auf dem einfachen Tische lag die hebräische Bibel aufgeschlagen, zum Beweise, daß sie zu allen Zeiten das Lieblingsbuch des Dichters war, der aus ihren heiligen Blättern eine ihm verwandte Begeisterung schöpfte.

Hier hatte Milton so manche Nacht im eifrigen Studium und mit eisernem Fleiße durchwacht, denn für ihn war die Poesie nicht das leichte Spiel der beweglichen Phantasie, der augenblickliche Rausch einer schnell verwehenden Begeisterung, sondern die ernste Aufgabe des ganzen Lebens; der Inbegriff des Höchsten und Erhabensten, was die Menschheit hervorzubringen im Stande ist. Durch die Vorhalle der Wissenschaft wollte er erst mit der Zeit den Tempel der Göttin betreten. Dieser schweren Ausgabe war er sich im vollsten Maße bewußt.

Seit seiner Rückkehr von Ludlow-Castle schien er indeß den ernsteren Studien entsagt zu haben und sich ausschließlich mit dem versprochenen Gelegenheitsstücke zu beschäftigen. Der Plan war schnell entworfen und er ging sogleich mit Feuer an die Ausführung desselben. Im Fluge warf er einzelne Scenen und die Charaktere vorläufig auf das Papier. In dieser Arbeit überraschte ihn eines Tages sein Vater, der sich von Zeit zu Zeit nach den Beschäftigungen des Sohnes erkundigte. Milton hatte kein Geheimniß vor dem Nachsichtsvollen und theilte ihm unbefangen Zweck und Inhalt seiner Verse mit. Zugleich unterrichtete er ihn genauer von dem Abenteuer im Haywood-Forst und von seinem Aufenthalte auf dem Schlosse. Die Schilderung, welche er dabei mit Begeisterung von der Familie des Grasen von Bridgewater und besonders von der Anmuth und der Liebenswürdigkeit Alicen's entwarf, machten den zärtlichen Vater nachdenklich und besorgt.

– Du weißt wohl, sagte dieser mit sonst ungewohntem Ernst, daß ich deinem Thun und Treiben bisher niemals hinderlich in den Weg getreten bin. Andere Väter würden vielleicht darauf gedrungen haben, daß ein Sohn in deinem Alter sich endlich für einen künftigen Lebensberuf entscheidet und daran denkt, eine einträgliche Stellung zu gewinnen. Ich habe dich noch immer mit dergleichen Zumuthungen verschont.

– Und ich danke dir dafür, entgegnete der Dichter warm, indem er die väterliche Hand ergriff und voll kindlicher Ehrerbietung an seine Lippen führte. Ich danke dir für solche Nachsicht, obgleich ich beklagen muß, daß meine ganze Erkenntlichkeit sich vorläufig nur auf leere Worte beschränkt. Du hast mir von Jugend auf eine seltene Freiheit gestattet und in keiner Weise die Richtung meines Geistes beschränkt; ebensowenig wolltest Du, daß ich den gemeinen Pfad betrete, vom Glanz gelockt, schnödem Gewinn nachstrebte und nach eitlem Gelde jagte. Du zwangst mich nicht, wider meine bessere Ueberzeugung die Kanzel zu betreten und Dinge zu lehren, gegen die sich mein Gewissen sträubte; vielmehr vergönntest du mir, den nach Erkenntniß dürstenden Geist zu bereichern und in sorgloser Einsamkeit mich mit meinen Lieblingsstudien zu beschäftigen. Nur wenig Väter handeln so wie du und darum preise ich mein Geschick, daß es mir den besten, einsichtsvollsten aller Väter gab.

– Um so mehr darf ich hoffen, daß meine wohlgemeinten Worte Eingang finden werden.

– Sprich und ich will dir gern gehorchen, denn ich weiß, daß du mir zu meinem Besten rathen wirst.

Da Milton eine längere Unterhaltung mit seinem Vater erwarten durfte, so beeilte er sich, einen bequemen Sessel für ihn hervorzurücken, während er selbst in ehrerbietiger Haltung vor ihm stehen blieb. Nach einer Pause nahm Jener von Neuem das Wort.

– Du wirst mir gewiß das Zeugniß geben müssen, daß ich deine Zuneigung zur Poesie nicht störte oder mißbilligte. Ich freute mich stets an deinem Talente und nahm die ersten Proben desselben mit väterlichem Stolze auf. Trotzdem wünsche ich nicht, daß du ausschließlich eine Richtung verfolgst, die dir niemals ein sicheres Glück und eine feste Stellung im Leben gewähren kann. Die meisten Dichter, welche ich kennen lernte, hatten mit Sorgen und mit Noth zu kämpfen, ihre Beschäftigung bringt ihnen zuweilen Ruhm und Ehre, selten aber nur das ausreichende Brod. Als Schmuck und Zier will ich gern die Poesie gelten lassen, aber sie ist zu wenig geeignet, einem Manne die nöthigen Mittel für seine Existenz zu gewähren. Deshalb halte ich es für meine Pflicht, dich auf eine andere Laufbahn hinzuweisen. Du hast der Theologie entsagt, weil sie deinem Gewissen Zwang anlegte. Damals billigte ich deine Gründe. Dasselbe gilt jedoch nicht vom Richterstande, der zu den angesehensten des Landes zählt. Ich will dich nicht drängen, auch nicht zwingen, sondern dir die nöthige Zeit zur Ueberlegung gestatten. Unumwunden darfst du deine Meinung über meinen Vorschlag mir kund thun. '

– Ich erkenne von Neuem deine Güte an, entgegnete Milton nach kurzem Nachdenken. Auch mir erscheint die Poesie zu hoch, um sie zur Magd herabzuwürdigen und von ihr den täglichen Bedarf des Lebens zu fordern. Sie hat mit unseren irdischen Verhältnissen nichts zu thun und wo sie sich zum bloßen Erwerbe hergiebt, verliert sie ihre heilige Würde. Nur in den Stunden der höchsten Weihe, wenn sich der Himmel vor dem entzückten Blick des Dichters öffnet, steigt sie von ihrem Strahlenthron herab und erfreut ihre Lieblinge mit ihrer göttlichen Umarmung. Stets soll sie ihm die Geliebte bleiben und niemals als gemeine Hausfrau am Küchenheerde schalten. Des Menschen Leben ist eben ein doppeltes. Der Körper fordert sein Recht eben so gut, wie der Geist und die materielle Welt macht sich mit ihren Ansprüchen nur zu bald geltend. Ich finde daher deine Ermahnung vollkommen gerechtfertigt. Nur möchte ich nicht in einer Zeit, wie die gegenwärtige, mich um das Amt eines Richters bewerben. Niemand kann diesen Stand höher schätzen, als ich es thue, aber nur so lange, als er sich einer vollkommenen Unabhängigkeit von allen äußeren Einflüssen bewahrt. Dann allein ist der Richter der Stellvertreter der Gottheit auf Erden, ein Wohlthäter der Menschheit. Wie der Allgerechte selbst, kennt er kein Ansehen der Person, er stützt sich auf die Gesetze, die sittlichen Offenbarungen des Volksgeistes, in seinen Händen hält er die unbestechliche Waage und das Schwert, welches nur den Schuldigen treffen soll. – Wenn aber die Despotie einer tyrannischen Regierung das Recht verfälscht, die Gesetze beugt und den Richter durch Gewalt und Ueberredung zu einem bloßen Werkzeuge herabwürdigt, dann sinkt der ganze Stand noch unter den Henker selbst herab, die Waage schwankt in seinen unsichern Händen und das Schwert kehrt sich gegen die heilige Brust der Gerechtigkeit selber. Dahin sind wir leider in unserem Vaterlande gekommen. Der Richter ist nicht mehr ein freier Mann, Gott allein und seinem Gewissen verantwortlich, sondern ein feiler Knecht, der vom Hofe Beförderung oder Absetzung zu erwarten hat. Du selbst hast aus eigener Erfahrung eine Anschauung dieser tiefen Entwürdigung dieses einst so hochgeehrten Amtes kennen gelernt, willst du mir jetzt rathen, Richter, das heißt Sklave zu werden?

– Da sei Gott dafür, entgegnete der Vater mit allen Zeichen des Abscheues. Allerdings leben wir in einer betrübten Zeit und ich muß dir leider beistimmen. Dennoch würde ich es gerne sehen, wenn du dich für einen bestimmten Beruf entscheiden wolltest.

– Das will ich auch, denn ich sehe die Nothwendigkeit deines Wunsches ein, aber weder als Geistlicher noch als Richter würde ich diejenige Befriedigung finden, welche der Mensch in seinem Berufe haben muß, wenn er sich und andern nützen soll. Es giebt noch einen dritten Stand, den ich gegenwärtig all den übrigen Lebensrichtungen vorziehe. Laß mich einen Lehrer der Jugend werden. Hier kann ich allein der Welt und meinem Vaterlande nützen. Zwar weiß ich wohl, daß der äußere Lohn nur gering ist, aber um so größer der innere. Seit langer Zeit habe ich mich bereits mit diesem Gedanken ernstlich beschäftigt und befreundet. Giebt es einen schönem Wirkungskreis, wo man mehr Segen stiften kann? Du lächelst über meinen Eifer, du denkst vielleicht an unsere armen Schulmeister, welche mit Mühe beladen den unwissenden Kindern die Anfangsgründe und Elemente des Wissens beibringen, oder an unsere Professoren, welche aus ihren verschimmelten Collegienheften stets dieselbe Weisheit wiederkauen, sich und Anderen zum Ekel.

– Allerdings hätte ich diese Wahl am wenigsten von dir vermuthet, da ich deinen Widerwillen gegen unseren bisherigen Unterricht, gegen das ganze Schul- und Universitätswesen hinlänglich kenne.

– Eben weil ich die traurigsten Erfahrungen in dieser Beziehung an mir selber gemacht habe, will ich mit meinen schwachen Kräften gegen die Mißbräuche ankämpfen. Unsere Schulen sind gegenwärtig nur Kerker für den Körper und den Geist, unsere Universitäten dienen nur dazu, um uns sieben bis acht der schönsten Lebensjahre zu stehlen. Statt wahrer Kenntnisse und fruchtbarer Ideen nehmen wir von beiden nur leere Formeln und eitle Schemen mit. Der Kopf ist voll mit unnützem Wust gepfropft und das Herz dabei leer geblieben. Wir haben die Frische und Ursprünglichkeit unseres eigenen Geistes eingebüßt und die Willenskraft, den Charakter verloren. Kaum herangewachsen und von der Universität entlassen, stürzt sich unsere Jugend, von der Noth oder dem Ehrgeize getrieben, auf die verschiedenen Lebenswege. Dann besteigen die Einen, Dank der Verwendung einflußreicher Gönner oder vornehmer Verwandten, die Kanzel und verwandeln sich schnell in stolze und feile Prälatenz Andere widmen sich dem Recht, aber weit entfernt, sich von den himmlischen Betrachtungen der ewigen Gerechtigkeit und Billigkeit leiten zu lassen, die ihnen kein Professor vom Katheder herab gelehrt hat, ergehen sie sich in den Schleichwegen der Chikane, in langen und weitschweifigen Processen, von denen sie den größten Nutzen ziehen. Manche schlagen den Staatsdienst ein und bringen eine Seele mit, entblößt von allen Grundsätzen der Tugend und unfähig einer jeden edlen Neigung, so daß ihnen bald die höfische Lüge und die tyrannische Willkür als der Inbegriff der höchsten Weisheit erscheint. Die Dürre ihres Herzens macht sie zu willfährigen Sclaven der Gewalt. Endlich giebt es noch eine Klasse von Leichtsinnigen, welche weit offener und minder versteckt das ganze Gepäck der Schulweisheit abwerfen und nichts Höheres kennen, als den Genuß und das Vergnügen. Ihr ganzes Leben gleicht einem leichtfertigen Bankett, dabei sind sie jedoch hundertmal noch besser, als diejenigen, welche die ernsteren Beschäftigungen ergreifen, ohne die dazu unumgänglich nothwendige Reinheit der Gesinnung mitzubringen. – Das aber sind die Früchte der auf den Schulen und Universitäten verlorenen Jugendjahre, wo man statt Begriffe nur leere Worte und solch eitles Wissen lernt, dem ich eine völlige Unwissenheit bei weitem vorziehen möchte.

– Und trotz dieser gerügten Uebelstände willst du dich dem Lehrerstande widmen?

– Weil ich in mir den Beruf fühle und schon längst den Plan zu einer Reform des ganzen Unterrichtswesens mit mir herumtrage. Wohl weiß ich, daß der Einzelne nicht Alles vermag, aber dieser Gedanke darf uns nicht zurückschrecken. Das Ganze besteht aus Einzelnen und thut nur Jeder in seinem engen Kreise seine Pflicht, so wirkt er aus die Gesammtheit sicher zurück. Wie oft habe ich als ein Knabe einen Stein in die Tiefe eines Teiches geworfen und mich an dem Schauspiel ergötzt, das sich dann meinem kindischen Auge darbot. Der anfänglich kleine Kreis wurde immer größer und größer, eine Welle riß die andere mit sich fort, bis die ganze Wassermasse in Bewegung gerieth. Das Bild möchte ich auf mein gegenwärtiges Streben anwenden. Vielleicht gelingt es meinem Geiste, durch einen glücklichen Wurf die träge Masse unseres verstockten Schulwesens zu erschüttern und somit neues Leben in dasselbe zu bringen. Das ist ungefähr das Ziel, welches mir in diesem Augenblicke vorschwebt. Freilich bedarf ich eine längere Zeit zu meiner eigenen Vorbereitung, doch ich weiß, daß du mir gern die nöthige Muße gestatten wirst.

– Die soll dir gewiß nicht fehlen, obgleich ich fürchte, daß dein Plan auf vielfache Hindernisse stoßen wird.

– Darauf bin ich auch hinlänglich gefaßt. Jede neue Idee gleicht dem Saamenkorn, das die dunkle Erde erst durchbrechen muß, ehe es sich zum Lichte emporringt. Selbst dann wird es noch mit den feindlichen Einflüssen der Atmosphäre zu kämpfen haben. Mein System steht indeß auf einem sicheren Grund. Das Endziel jeder Erziehung ist für mich die Gottheit selbst. Sie zu erkennen, zu lieben und sich ihr zu nähern, muß die Basis der Wissenschaft sein. Von diesem eben so einfachen, als erhabenen Standpunkte aus will ich mein Werk beginnen. Und wie sich Gott im Leben offenbart, so soll auch unser Wissen mit dem Leben Hand in Hand gehen. Nicht Gelehrte, sondern Menschen zu bilden, wird meine höchste Aufgabe sein. Der Buchstabe tödtet, nur der Geist macht lebendig. Das Wort ist nur der Träger der Idee, die Sprache nur die Hülle der Gedanken, darum will ich mit den Elementen der Grammatik den Kindern zugleich die Lehren der Tugend und Moral in die zarte Seele einpflanzen. Sie sollen lesen und dabei denken lernen. Die Mathematik muß sie zum Studium der Physik, der Chemie und der Astronomie führen, die Naturgeschichte sich mit der Anatomie des menschlichen Körpers verbinden; denn das Wissen darf nicht blos den Kopf ausfüllen, sondern sich praktisch bethätigen, dem Wissenden selbst und seinen Mitmenschen zum Heil und Segen gereichend. So vorbereitet können meine Schüler je nach der Nothwendigkeit Jäger, Fischer, Schäfer, Gärtner, Apotheker, Architekten, Mechaniker, Ingenieure und selbst Aerzte werden. Die schönsten und besten Stellen der Dichter müssen sie nebenbei auswendig lernen und mit Anmuth laut vortragen, denn das ist das beste Mittel, sie zu Rednern heranzubilden. Es versteht sich dabei von selbst, daß sie so nur von Stufe zu Stufe vorwärts schreiten und daß man ihnen die nöthige Zeit gönnen muß, ihre Kenntnisse zu sammeln und im Gedächtnisse zu bewahren, bis diese, in einem Punkt vereint, den Legionen der Römer gleichen, welche aus verschiedenen Bestandtheilen zusammengesetzt, doch von einem gleichen Streben beseelt waren. Jeden Abend vor dem Schlafengehen werde ich mit ihnen einige Kapitel der Bibel lesen und erklären, damit sie die Grundsätze der Religion in ihre Seele zeitig aufnehmen. Vor allen Dingen aber will ich in ihnen jene Willenskraft erwecken, welche unsere Moralisten die Parese nennen. So werden sie den Unterschied zwischen Gutem und Bösem bald erkennen, die Tugend lieben und das Laster hassen lernen. Ueber diese geistige Ausbildung darf aber die körperliche nicht vernachlässigt werden. Die Mußestunden sind der Ruhe und der göttlichen Musik, welche die Leidenschaften beruhigt und die Sitten milder macht, und der Uebung der Gliedmaßen gewidmet. Sie sollen fechten, ringen und ihren Körper gebrauchen lernen. Im Frühling, wo die Luft so süß und ruhig uns anweht, wäre es eine Sünde gegen die Natur, die Schüler einzuschließen. Sie werden dann ihre sitzende Lebensart verlassen und unter passender Aufsicht selbst größere Ausflüge machen, um die Beschaffenheit des Bodens, die Arbeit des Landmannes, den Fleiß der Städte, Festungen und Häfen kennen zu lernen. So eröffnen sich ihnen tausend Quellen, um ihr Talent, das sich zuweilen tief verbirgt, herauszufordern und zu erproben. Dann werden die Gaben und Tugenden, welche man einst an unserer Nation bewunderte, noch gehoben durch einen wahrhaft christlichen Sinn, sich in ihrem vollen Glanze zeigen und wir können die französischen Charlatane entbehren, welche durch ihre Oberflächlichkeit im Unterricht die Jugend ruiniren und unsere Kinder, die wir ihnen anvertraut, uns als Affen, Zierbengel und Tanzmeister zurückschicken.

– Ich freue mich, entgegnete der Vater, noch immer ernst gestimmt, daß du deinen Plan so reiflich erwogen, noch mehr, daß du endlich daran denkst, dich für einen Lebensberuf zu entscheiden. Offen gesagt, deine gegenwärtigen Beschäftigungen ließen mich daran zweifeln. Auch dein Umgang flößte mir ein gewisses Mißtrauen ein. Allerdings bietet der Umgang mit Vornehmen, den du in letzterer Zeit fast ausnahmsweise zu suchen scheinst, manche Vortheile, die ich nicht zu gering veranschlagen will, aber du darfst nie vergessen, daß man nur allzuleicht dabei seine eigene Selbstständigkeit einbüßen und zu einem bloßen Spielballe ihrer Launen und Vergnügungen herabsinken kann. Sie suchen und beschützen das Talent nur so lange, als es ihnen zur Unterhaltung dient und ihnen die Zeit mit tödten hilft. Niemals vergessen sie jedoch ihre höhere Stellung und trotz aller Herablassung behaupten sie den ihnen angeborenen Stolz. Sobald du nur Miene machst, dich ihnen gleichzustellen, werden sie dich voll Hochmuth in deine Schranken zurückweisen und wenn sie dich nicht mehr brauchen, ohne Rücksicht fallen lassen. Ich habe eine zu gute Meinung von deinem Werth, als daß ich glauben sollte, du würdest dich jemals, wie so manche Dichter der Gegenwart, zu einem gewöhnlichen Schmarotzer und Sykophanten des Abels herabwürdigen.

– Lieber Vater! du kennst weder das Haus der Gräfin Derby, noch die edle Familie der Bridgewater.

– Aber ich kenne die Welt und besonders die Gesinnungen des Adels noch aus jener Zeit, wo ich als Advokat vielfach mit ihm in Berührung kam. An Ausnahmen fehlt es sicher nicht und ich will gern deine Gönner und Freunde als solche ansehen, dennoch möchte ich dich wohlmeinend warnen, damit du nicht früher oder später eine herbe Enttäuschung erfährst und schmerzlich aus deinen Träumen aufgerüttelt wirst. Ich räume dir gern ein, daß unser Adel heutzutage den Dichter ehrt und zu sich heranzieht, aber nur diesen und nicht den Menschen in ihm. Sollte dieser sich vermessen, und wirkliche Freundschaft oder gar eine wahre Liebe fordern, so würden sie dem Vermessenen bald das Uebergewicht ihrer Geburt und ihres Standes fühlen lassen. Du kennst das lateinische Sprüchwort: procul a Jove, procul a fulmine.

Miltons Vater sprach diese Worte mit eigener Betonung und einem so seltsam scharfen Blick, daß Jener erröthend seine Augen vor ihm niederschlug. Er fühlte, daß das Geheimniß seines Herzens verrathen war. Nachdenklich blieb der Dichter zurück. Vor ihm aufgeschlagen lag die letzte Scene seiner Maske »Komus«, die er soeben niedergeschrieben, als er durch den Eintritt des Vaters in seiner Arbeit unterbrochen wurde. Wie zur Beruhigung seiner aufgeregten Stimmung überlas er noch einmal die eben gedichteten Strophen, welche das Auftreten Alicen's im Haywood-Forste schilderten. Ihr liebliches Bild stand vor ihm und alle durch jenes Gespräch angeregten Zweifel schwanden mit einem Male aus seiner Seele. Mit lauter, wohltönender Stimme recitirte er die Verse, welche er bei dieser Gelegenheit dem reizenden Mädchen in den Mund gelegt:

Hier war der Lärm, wenn mir mein Ohr getreu,
Das jetzt mein bester Führer; wie mir schien,
War es der Schall von wilder Fröhlichkeit
Und ausgelass'ner Luft, wie wenn sich Flöte
Und Pfeife hören läßt mit frohem Ton
Im lust'gen, rohen Bauernschwarm, wenn er
Für trächt'ge Heerden, angefüllte Scheunen
Dem gnäd'gen Pan im zügellosen Tanz
Den Dank bezeigt, Götter roh verehrt.
Gefahrvoll wär' es, solcher Rohheit und
Geschwellter Ausgelassenheit der späten
Zecher entgegentreten wollen; doch
Wo soll für meinen unbekannten Fuß
Im dunklen Labyrinth des strupp'gen Waldes
Ich sonst wohl Kunde suchen? Meine Brüder
Entfernten sich, als sie ermüdet mich
Vom weiten Wege sahen, schnell beschließend,
Hier unter'm weiten Dach der Fichten mir
Die nöth'ge Ruh zu gönnen, nächstem Dickicht
Zu, wie sie sagten, Beeren dort zu suchen,
So labend kühl, wie nur die Gastlichkeit
Der Wälder sie uns bietet. Sie verließen
Mich gerade, als der grauvermummte Abend,
Gleich einem trüben Büßer, in dem Kleid
Des Pilgrims, hinter Phöbus Wagen sich
Erhob. Doch wo sie weilen und warum
Sie nicht zurückgekehrt, ist der Gedanken
Qual mir; wahrscheinlich haben ihre Schritte
Zu weit sie fortgeführt, neidvolles Dunkel,
Eh' sie rückkehren konnten, sie geraubt.
Wie sonst, wenn nicht zu solchem schlechten Zweck,
Hast du, o diebische Nacht, auf deiner Warte
Die Sterne all verlöscht, die die Natur
Am Himmel aufgehangen, ihre Flammen
Mit ew'gem Oel genährt, daß nöth'ges Licht
Dem einsamen, verirrten Wand'rer sie
Gewährten? – Ja, hier ist der Ort, wie ich
Wohl glauben muß, woher nur eben noch
Die laute Lust erscholl, mein horchend Ohr
Erfüllend. Nichts jedoch als bloßes Düster
Kann ich hier finden. Was nun kann das sein?
Vielfache drängen sich
Meiner Erinnerung auf von Geistern und
Furchtbaren Schatten, die verlockend wirken,
Und Stimmen in der Luft, an Küsten und
Verlass'ner Wildniß, unsere Namen rufend.
Wohl mögen solche Phantasie'n erregen
Den tugendhaften Sinn, doch können sie
Ihn nicht erschüttern. Stets ist er beschützt
Von seiner schimmernden Genossenschaft,
Dem ruhigen Gewissen. O willkommen
Du reiner Glaube, schöne Hoffnung du!
Du Engel, schwebend auf den Fittigen
Von Gold! auch du, der Keuschheit unbefleckt
Gebild! Ich schau euch alle sichtbar und
Ich glaube jetzt, daß Er, der höchste Gott,
Dem alles Uebel nur zum Werkzeug dient,
Mir einen lichten Schutzgeist senden würde,
Wenn es mir Noth, mein Leben zu erhalten,
Und meine Ehre zu beschirmen. Täuschte
Ich mich denn? Oder wandte eine Wolke
Ihr Silberlicht auf diese düstre Nacht?
Ich irrte nicht –

während der Dichter so las, öffnete sich leise die Thür. Unbemerkt von ihm war sein Freund, Eduard King, in das Zimmer getreten und hatte wenigstens den letzten Theil der eben recitirten Verse belauscht. Auch er erkannte sogleich das Bild Alicens und ihre Erscheinung im Haywood-Forst. Die Leidenschaft, welche er für das reizende Mädchen vom ersten Augenblick seiner Begegnung mit ihr empfand, erwachte bei dieser Schilderung mit doppelter Stärke. Ein Seufzer entrang sich seiner Brust. Milton wandte sich um und erkannte den Freund.

– Willkommen, mein Lycidas! rief er ihm entgegen. Du hast mich lange auf deinen Besuch warten lassen.

– Ich fürchtete, zu stören, da ich wußte, daß du mit deinem Schauspiele beschäftigt bist.

– Bald bin ich damit zu Ende und außerdem habe ich immer für meine Freunde Zeit. Wenn du nichts dagegen hast, so wollen wir in's Freie gehen. Ich habe den ganzen Tag gearbeitet und ein Spaziergang an deiner Seite wird mich erfrischen.

Auch dem Freunde war die Stube zu eng. Beide verließen dieselbe und traten ihre gewohnte Wanderung wieder an.


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