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16.

Der Sommer neigte sich zu Ende und Mary war noch immer nicht in das Haus ihres Gatten zurückgekehrt. Seine wiederholten Aufforderungen und Briefe ließ sie unbeantwortet. Ihre Eltern trugen jedoch zum größten Theil die Schuld dieses unverzeihlichen Benehmens. Seitdem der König seine Fahne in York ausgepflanzt hatte, schien das treulose Glück ihm wieder zu lächeln. Schneller und besser gerüstet, von kriegskundigen Offizieren umgeben, hatte er einige nicht unbedeutende Vortheile in kleineren Scharmützeln und Treffen über seine minder geübten Gegner davon getragen. Seine Anhänger, zu denen auch Sir Powel gehörte, erhoben jetzt stolz ihr Haupt und gingen von der tiefsten Niedergeschlagenheit zum höchsten Uebermuthe über. Die Familie von Milton's junger Frau fing an zu bereuen, daß sie ihre Tochter mit einem Manne verbunden, der offen sich zur Opposition bekannte, und wegen seiner Schrift gegen die Bischöfe das Mißfallen des Hofes erregt hatte. Sie fürchteten, daß eine derartige Verbindung einen Schatten auf ihre loyale Gesinnung werfen und die Ehre ihres Wappens beflecken könnte. Auch der Eigennutz spielte dabei keine unbedeutende Rolle, da sie als treue Anhänger des Königs, wenn dieser voraussichtlich seine Macht wiedererlangte, Belohnungen und Beförderungen für sich erwarten durften.

Mary war schwach genug, um den Einflüsterungen der Ihrigen Gehör zu geben, obgleich sie ihren Gatten noch immer liebte. Die Briefe Milton's wurden von ihrer Mutter ihr absichtlich verhehlt und unterschlagen, so daß sie in dieser Beziehung weit weniger schuldig war, als es den Anschein hatte. Zuweilen überkam sie wohl auch der Gedanke an ihre Pflicht, und sie nahm sich ernstlich vor, nach London und zu ihrem Manne zurückzukehren, aber diese besseren Vorsätze wurden im Keime durch ihren eigenen Leichtsinn und durch die Abmahnungen ihrer Eltern erstickt. Milton's Stolz war auf das Empfindlichste verletzt; er wollte noch einen Versuch machen, um seine ungehorsame Gattin zu ihrer Pflicht zurückzuführen. Zu diesem Zwecke wandte er sich an seinen Freund Overton mit der Bitte, sich nach Foresthill zu begeben und Mary abzuholen. Diese Wahl war keine glückliche; die junge Frau hatte stets einen Widerwillen gegen den ernsten, fast finsteren Freund ihres Mannes. Wäre Milton selbst gekommen, so hätte sie sicher nachgegeben und wäre ihm gefolgt. Jetzt empfing sie seinen Abgesandten mit einer fast an Verachtung gränzenden Kälte.

– Ich komme im Auftrage meines Freundes, sagte Overton zu ihr, sobald er sich mit ihr allein sah. Euer Gatte fühlt sich durch Euer Betragen auf das Schmerzlichste verletzt, und fordert dringend Eure Rückkehr.

– Ich werde kommen, wenn es mir gefällt, entgegnete Mary trotzig.

– Bedenkt, was Ihr thut. Ihr seid Eurem Manne Gehorsam schuldig, sowohl nach menschlichen, wie nach göttlichen Gesetzen.

– Spart Eure Predigt für Eure Conventikel, wir bedürfen hier derselben nicht.

– Ich will Euch gern um meines Freundes Willen Eure Rede verzeihen. Doch vor allen Dingen fordere ich eine bestimmte Antwort, ob Ihr mir folgen wollt oder nicht.

Mary überlegte und schwankte; wahrscheinlich wäre sie ihrer besseren Natur und einer milderen Eingebung gefolgt, wenn nicht ihre Mutter das Zwiegespräch durch ihren ungestümen Eintritt unterbrochen hätte.

– Meine Tochter, schrie Frau Powel im gebieterischen Tone, der ihr bereits zur Gewohnheit geworden war, bleibt hier; sie kehrt nicht mehr zu dem Bücherwurm, zu dem Duckmäuser zurück, der weder Respekt vor dem Könige, noch Achtung vor den ehrwürdigen Bischöfen hat. Sagt ihm nur, daß er eine junge Frau nicht brauchen kann, weil er seine verschimmelten Pergamente und seine sauberen Freunde ihrer Gesellschaft vorzieht. Mary hat ebenfalls keine Sehnsucht nach dem vertrockneten Stubenhocker und seinen Büchern. Das arme Weib lebt erst hier wieder auf, denn in London hat sie nicht einmal satt zu essen bekommen.

– Aber Mutter, wandte die junge Frau schüchtern ein.

– Lass' mich nur reden, ich will diesem Herrn einen ordentlichen Bescheid sagen. Mein Kind ist zu gut für einen Schulmeister, der vom Unterricht schmutziger Buben nur mit Noth sein Leben fristet. Unsere Familie ist hochgeachtet im ganzen Lande, und selbst der König, den Gott erhalten möge, kennt uns. Statt die Ehre zu würdigen, die wir ihm durch diese Verbindung angethan, macht uns der saubere Herr Milton nur Schande und einen schlimmen Ruf in der ganzen Nachbarschaft. Mein braver Mann rauft sich die grauen Haare über das Benehmen aus, und sein loyales Herz blutet bei dem Gedanken an einen solchen Schwiegersohn; wo er hinkommt, muß er von dem verwünschten Skribler und seinen verwünschten Skribeleien hören. Beim Himmel! ich verfluche die Stunde, wo er unser Haus betreten, und wo Mary diesem Bettler ihre Hand gereicht hat.

– Und doch, entgegnete Overton gereizt, hat dieser Bettler Eure Tochter ohne Aussteuer in sein Haus genommen, und das versprochene Heirathsgut von tausend Pfund weder gefordert, noch erhalten.

– Tausend Pfund! schrie Frau Powel bei Erwähnung dieser Thatsachen, die sie nicht ableugnen konnte. Tausend Pfund! Tausend Hiebe sollte er von uns bekommen für die schlechte Behandlung, die er unserer Tochter zukommen ließ. Seht einmal an, tausend Pfund für einen solchen Lumpen.

Vergebens suchte Mary den Zorn ihrer Mutter zu beschwichtigen; das wüthende Weib hatte alle Rücksicht bei Seite gesetzt, und überließ sich ganz den Ausbrüchen einer heftigen und gemeinen Natur.

– Ich verfluche dich, rief sie laut, wenn du nur den Gedanken hegst, zu diesem Milton zurückzukehren! und nun, mein Herr, wißt Ihr Euren Bescheid, gebt ihn Eurem Freund, und je früher Ihr es thut, desto lieber soll es mir sein. Hier habt Ihr ohnehin nichts mehr zu suchen.

Trotz dieser Abfertigung hielt es Overton für seine Pflicht, aus Mary's eigenem Munde eine Antwort zu hören; sie stand indeß so vollständig unter der Herrschaft ihrer Mutter, daß sie dieser nicht zu widersprechen wagte.

– Sagt meinem Manne, entgegnete sie ihm ausweichend, daß ich noch einige Zeit bei meinen Eltern zu bleiben gedenke.

Ohne sie eines Blickes oder Wortes ferner zu würdigen, entfernte sich Overton, kaum jedoch, daß er gegangen war, empfand sie die bittersten Gewissensbisse, und sie wäre ihm am liebsten nachgeeilt. Es war zu spät, und nur ein ohnmächtiger Thränenstrom bezeugte ihre Reue und weibliche Schwäche. Bald war auch dieser vertrocknet, und ihr rosiges Gesicht lachte in kindischer Freude, als ihr die Mutter einige Schmucksachen, die sich die Tochter schon längst gewünscht, zum Geschenk machte, um sie zu trösten.

Mit Ungeduld erwartete Milton die Rückkehr seines Freundes. Als dieser ihm vollständigen Bericht über die mißglückte Sendung und das Benehmen Mary's abstattete, ergriff ihn ein tiefer Schmerz, der einem noch größeren Zorne Platz machte.

– Wohlan! sagte er nach einem kurzen Kampfe. So bleibt mir nichts übrig, als Scheidung.

– Daran kennt Ihr nicht im Ernste denken, da nach kirchlichen und bürgerlichen Gesetzen die Ehescheidung bei uns fast zur Unmöglichkeit geworden ist.

– Um so mehr muß jeder Mann daran denken, diesen unnatürlichen Zwang zu beseitigen. Nicht die Gesetze, sondern nur die Gewohnheit haben uns dieses Joch ausgelegt. Obgleich sich natürlich die Tugend als theoretisch sehr beredsam und das Gewissen als eine kräftige Stütze derselben in den einfachen Beziehungen des Geistes erweis't, so hält man doch das Herkommen in den meisten Fällen stillschweigend für den besten Zunft- und Lehrmeister, ungeachtet dasselbe jeden Stand und Lebensberuf mit niedrigen und knechtischen Grundsätzen durchdringt, und den hohen, gottähnlichen Geist des Menschen weit unter die Stufe herabwürdigt, auf welche ihn Gott berufen, oder die Sünde erniedrigt hat. Gewöhnung und Herkommen sind aber nur ein bloßer Schein, wie das Echo ein bloßer Schall, und suchen deshalb in ihrer Unselbstständigkeit eine dauernde Verbindung mit dem Irrthum, welcher als blindes, kopfloses, schlangenähnliches Wesen willig das ihm Fehlende sich aneignet, und jenen dasjenige dafür bietet, was sie vermissen. So kommt es, daß Irrthum das Herkommen und die Gewohnheit unterstützt und die Gewohnheit den Irrthum unterhält. Wer sie bekämpft, muß sich allerdings auf Widerspruch und Verläumdung gefaßt machen. Ist doch die Wahrheit körperlich so wenig zu erfassen, wie der Sonnenstrahl; und erwartet sie doch bei ihrer Geburt das Schicksal, der Welt nur als Bastard und zur Schmach dessen zu erscheinen, welcher sie hervorgebracht, bis endlich die Zeit, welche eher die Hebamme, als die Mutter der Wahrheit ist, das Kind gereinigt, gebadet und für legitim erklärt hat.

– Ich fürchte nicht nur den Widerspruch, auf den Ihr sicher stoßen werdet, sondern weit mehr die Zügellosigkeit der Gottlosen, die sich auf Euer Beispiel berufen werden, wenn ein Mann, wie Ihr, das Institut der Ehe angreift.

– Die Bösen saugen, gleich den Spinnen, auch aus den unschuldigsten Blumen Gift. Diese Bedenklichkeit darf uns jedoch nicht abhalten, die Wahrheit auszusprechen, daß nämlich maßvolle Freiheit der größte Feind maßloser Ungebundenheit ist. Ich halte die Frage der Ehescheidung als eine der bedeutendsten für die bürgerliche Gesellschaft, obgleich ihr lange noch nicht die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt wird, die sie verdient. In der That sind die menschlichen Neigungen so beschaffen, daß wir zwar geneigt sind, nach der Entdeckung werthloser Neuigkeiten zu forschen, dagegen bei den Verhandlungen einer schwierigen Frage, die sich aus die Aufhebung eines unvernünftigen Unrechts und die Erleichterung unserer Mitmenschen von einer ihr Leben bedrückenden Last bezieht, unglaublich kalt, gleichgültig und dem Gefühl der Gemeinsamkeit entfremdet bleiben, den einzigen Fall ausgenommen, daß wir selbst dabei interessirt sind. – Welche Einrichtung ist aber mehr bestimmt, zum Troste und zum Genusse des Menschen, als die Ehe? Und doch hat das Mißverständniß einiger Bibelstellen des neuen Testaments den Segen der Ehe nicht selten zu einem hartnäckigen Fluche des Familienlebens gemacht, und so die Natur derselben verändert. – Keinen Platz gibt es im Himmel und auf Erden, mit alleiniger Ausnahme der Hölle, wohin nicht die Liebe dringe, und die Ehe dieses Institut zu unserem Glück, dieses Heilmittel unserer Verlassenheit, soll der Liebe und Milde baar bleiben, ohne den Frieden, welcher den Ernst dieser wohlthätigen Anordnung bedarf, ohne ein anderes Heilmittel gegen die innerhalb derselben mögliche geistige Einsamkeit. Derjenige, der heirathet, beabsichtigt ebensowenig den Untergang seiner Selbstständigkeit, wie derjenige, welcher den Vasalleneid leistet, und dasselbe Verhältniß, welches zwischen einem ganzen Volke und einer schlechten Regierung besteht, waltet zwischen dem Individuum und einer unglücklichen Ehe ob.

Wie die ganze Nation, gestützt auf das allerhöchste Gesetz der Liebe gegen die Autorität und das Vertragsverhältniß Leben und Freiheit aus unwürdigen Ketten retten darf, eben so gut darf auch der Einzelne aus einem privatrechtlichen Vertragsverhältnisse, welches niemand zu seinem Elende doch eingehen wird, sich selbst von unerträglichen Leiden befreien, und so die Achtung des Friedens und eine gerechte Selbstgenugthuung sich verschaffen, denn keine Art von Tyrannei lastet schwerer auf dem Gemeinwesen, als dieses häusliche Unglück auf der Familie. Eine Verbesserung im Staatswesen kann man unmöglich fordern, so lange noch solche Uebel, wie diese, innerhalb der Häuslichkeit unbeachtet und ohne Rücksicht bleiben. An ihrer Abhülfe hängt nicht allein das geistige und leibliche Leben unserer erwachsenen Mitmenschen, sondern die freie und sorgsame Erziehung unserer Kinder.

– Ich bezweifle nicht die Richtigkeit Eurer Ansichten, doch stehen dieselben mit den Lehren und Grundsätzen der Kirche in Widerspruch. Diese erkennt nur den Ehebruch als den einzigen Grund der Scheidung an.

– Und doch sind Vernunft und Billigkeit von vornherein dagegen, daß irgend ein Gesetz und Vertrag, wie feierlich und bestimmt derselbe auch sein mag, dem ursprünglichen und hauptsächlichen Zweck seiner Einrichtung entgegen, binden kann. Was Gottes Hauptzweck bei der Erschaffung des Weibes zur Vereinigung mit dem Manne gewesen, besagen seine eigenen Worte, die uns in untrüglicher Weise davon unterrichten, was die Ehe ist, und was keine Ehe ist. »Es ist nicht gut,« sagt er, »daß der Mensch allein sei, ich will ihm eine hülfreiche Gefährtin schaffen.« Aus diesen so klaren Worten kann und ist auch wirklich von gelehrten Erklärern nichts anders geschlossen worden, als daß nach der Absicht Gottes ein hülfreicher und glücklicher Verkehr des Geistes der wichtigste und edelste Zweck der Ehe ist, denn wir finden an den genannten Stellen keinen Ausdruck, der die bürgerliche Vereinigung so nothwendig in sich schlösse, wie die Verhinderung einer geistigen Vereinsammung der menschlichen Seele. Auch zeigt sich wirklich bei allen in der Ehe lebenden Personen von edlerem Charakter, daß wo Geist und Gemüth übereinstimmen, irgend ein körperlicher Mangel und Fehler leichter zu ertragen ist, als wenn der Geist zum Geiste in einem niemals anzunähernden Verhältnisse steht, der Körper dagegen ganz tadellos gebaut ist; und zwar aus dem einfachen Grunde, weil jeder sinnliche Genuß in einem solchen Falle sehr bald zur Uebersättigung und Abneigung führen muß. – Eine solche Isolirung des Menschen, welche Gott namentlich und ausdrücklich durch die Ehe zu verhindern beabsichtigte, soll ohne Heilmittel bleiben und ist doch offenbar ein schlimmerer Zustand als das einsamste Leben eines Unverheiratheten, denn in dem Letzteren ist der Mangel und die Entbehrung einer Gehülfin möglicher Weise noch Grund, um aus sich selber Trost zu schöpfen, oder nach einer Verbesserung mit Erfolg zu suchen, wogegen in der Ehe der beständige Anblick getäuschter Hoffnungen, die niemals wieder belebt werden können, unzweifelhaft und ganz besonders bei einem zum Ernst geneigten Gemüthe, Betrübniß und Schmerz zu einem solchen Grade Tag für Tag erneuern, wie ihn die Verdammten fühlen müssen.

– Darum soll der Wahl auch die sorgfältigste Prüfung vorangehen und wer sich zu heirathen entschließt, mit der größten Ueberlegung zu Werke gehen.

– Bei aller möglichen Sorgfalt und Vorsicht ist der Irrthum in allen menschlichen Angelegenheiten darum nicht ausgeschlossen. Grade die überlegtesten und ruhigsten Männer haben in derartigen Verhältnissen am wenigsten praktische Erfahrung. Daraus folgt aber noch nicht, daß jemand eines entschuldbaren Irrthums wegen für sein ganzes Leben das Glück verscherzt haben soll. – Die Ehe ist eine rechtliche Vereinigung, deren wahres Wesen nicht in äußerer Nöthigung zum Zusammenleben und nicht in einer erzwungenen Reihe von Pflichten, sondern in ungeheuchelter Liebe und Harmonie zu suchen ist. Ich weiß nicht, ob ihr die Parabel der alten Weisen kennt, die mir hierher zu passen scheint.

– Ich erinnere mich nicht und will sie gern aus Eurem Munde hören.

– Eros, der Gott der Liebe, hat, wenn nicht einen Zwillingsbruder, doch einen ihm auffallend ähnlichen Bruder, Namens Anteros, die Gegenliebe. Während er diesen, von inniger Neigung getrieben, aufsucht, trifft es sich, daß er auf viele falsche Schattenbilder, die einsam unter der angenommenen Gestalt seines Bruders herumwandeln, häufig stößt. Durch sie wird Eros öfters getäuscht, da er, wenn auch nicht der falschen dichterischen Anschauungsweise nach völlig blind, doch nur ein Auge besitzt. Er ist nämlich mit einem des Zielens wegen geschlossenen Auge als Bogenschütze geboren und sein anderes Auge ist in der irdischen Dunkelheit nicht sehr scharfblickend. Deshalb und weil er außerdem von Natur unschuldsvoll und leichtgläubig ist, verbindet sich Eros mit jenen Schattenbildern, als wären sie seiner Mutter rechte Söhne, wofür er sie um so leichter halten kann, als sie sich beständig auf der nicht sehenden Hälfte seines Gesichts aufhalten. Wenn er sich jedoch nach einiger Zeit, wie es seine Art ist, aus die hohe Warte einer reineren Region aufschwingt, dann erst erkennt er mit den pfeilscharfen Blicken seines hellen Auges die ihm widerfahrene Täuschung, durchschaut die ihm vorgespiegelten Maske und erkennt, daß sie nicht sein wahrer Bruder sind, wie er geglaubt. Außer Stand, die Gesellschaft solcher Wesen länger zu ertragen, verlieren seine Pfeile plötzlich ihre goldene Spitze und entfiedern sich ihrer Purpurfedern; seine seidenweiche Locken lösen sich auf aus ihrer Verflechtung und seine feurige, ihm durch das Schicksal gewährte Kraft erlischt, so daß er seiner Kräfte beraubt entgöttlicht zusammensinkt. Endlich findet er den wahren Anteros und entzündet an den Ausstrahlungen eines gleichartigen und verwandten Feuers die fast verschwundene Flammennatur seiner Gottheit wieder, so erhält er seine frühere Macht zurück. – Also lautet die Dichtung und wahrlich es liegt kein bloßer Liebesroman darin, sondern die tiefe und ernste Wahrheit, welche uns lehrt, daß Liebe ohne Gegenliebe in der Ehe nicht bestehen kann, und daß diese letztere, wenn keine Liebe vorhanden, ein leerer Schein und eine bloße Aeußerlichkeit ist.

Overton hatte beifällig die Parabel angehört, trotzdem erhob er immer wieder von Neuem Einspruch gegen den Entschluß Milton's, sich von Mary scheiden zu lassen. Dieser dagegen beharrte dabei und fuhr fort den Freund durch seine Gründe zu überzeugen.

– Es giebt, sagte er, im Verlaufe des Gespräches, keine größere Entstellung der Naturgesetze, keine größere Gewaltthätigkeit gegen dieselben, als eine Vereinigung von Characteren erzwingen zu wollen, die in der Wirklichkeit unvereinbar sind, und in die menschliche Natur die Saat zusammenhangsloser und wiederstrebender Neigungen absichtlich hineinzustreuen. Meistens zeigt die tägliche Erfahrung, daß Liebe und Haß im Menschen sowohl wie in allen andern lebenden Wesen, eine verborgene an und für sich natürliche, ja sittliche Wirkung offenbaren. Was die Ursache davon ist, ob angeborner Genius oder ein eigenes Verhältniß, oder ein überirdischer Einfluß, oder die elementare Mischung hierunten, ob alles dies für sich allein oder in seinem Zusammenhange aufzufassen ist, dies zu erklären, reicht mein Wissen und meine Philosophie nicht aus. So viel steht indeß fest, daß es von Hause aus in der Natur eine zwiefache Kraft giebt, aus welcher Liebe und Haß entspringen, von welcher her die ganze Masse der erschaffenen Dinge durchströmt wird, daß es Gottes Wille ist, das Gleiche und Harmonische in seiner Schöpfung zusammenzuführen, ausgenommen, wenn etwa aus zwei zu eigener Zerstörung erschaffnen Gegensätzen ein drittes Wesen entstehen soll. Erkennt man ferner an, daß nur Irrthum oder ein böser Engel zwei unglücklich verheirathete Personen verblendet und zusammengeführt hat, indem er sie absichtlich unter falschen Vorspiegelungen einschläferte, um dann zum Kampf auf Tod und Leben wieder zu erwachen, wenn Niemand mehr zurück kann und alle Versuche der Einigung und Versöhnung fruchtlos bleiben müssen; so ist es gewiß die größte Thorheit, in dem Kampfe gegen unüberwindliche Ursachen und Wirkungen so lange zu verharren, bis in dem Streite zwischen zwei feindlichen Gegensätzen unsere schönsten Tage zerstört werden oder in hinraffender Betrübniß enden. Wenn körperliche Entstellung und Häßlichkeit so leicht Abneigung erzeugen und die Sympathie in der Ehe zerstören kann, wie viel mehr muß sich dann geistige Zwietracht und Mangel an Uebereinstimmung allen Fähigkeiten und Verrichtungen des Lebens mittheilen. Was ist das Leben noch ohne Kraft und Tüchtigkeit des Geistes? Wie kann dasselbe zum Nutzen des Einzelnen oder des Gemeinwesens verwendet werden? Nichtsdestoweniger soll es erniedrigt, entwerthet und nur dazu bestimmt sein, unter schwerem Drucke zu verfaulen, bloß um der abergläubischen und ganz unmöglichen Erfüllung unglücklich eingegangener Verbindlichkeiten zu genügen. Nicht wenn zwei unglücklich vereinigte Personen durch kirchliche Rechtssätze gezwungen werden, unter hartem Joche ein schweres Tagewerk der Sorge so lange zu verbringen, bis sie der Tod befreit, nicht dann erhält das Gesetz die Ehe rein von Entheiligung, sondern dann, wenn es sich bemüht, die Ehe verantwortlich und schuldpflichtig zu machen für die Erfüllung jener religiösen bürgerlichen und leiblichen Gemeinschaft, welche man in ihr suchen darf. Damit die Ehe unauflöslich wird, mache man sie zur gerechten und unparteiischen Form des Verkehrs und zu einer Erfüllung der schuldigen Hülfsleistungen, welche der ihr zu Grunde liegende Vertrag erheischt. Ohne dies ist sie ein ungerechtfertigtes Verhältniß und des gesetzlichen Schutzes eben so wenig würdig, als der gemeinste Betrug, Fälschung oder Diebstahl. Hüten wir uns daher, für das Menschengeschlecht nutzlose Qualen zu erfinden, eine Strenge auszuüben, die uns niemals von Oben auferlegt worden. Seien wir nicht zu eifrig auf die Spaltung eines Atoms bedacht. Während wir der erlaubten Freiheit den Ausgang versperren, würde die Natur, so ihrer Athmungsorgane und Poren beraubt, plötzlich durch einen gewaltsamen Riß des offenen Lasters und sinnloser Ausschweifungen hervorbrechen, oder unter dem unvernünftigen, fruchtlosen Schutze einer nutzlosen Gesetzgebung in trauernden und gotteslästerlichen Gedanken dahinsiechen.


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