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20.

Zwischen den Bergen von Wales lag ein grünes, schattiges Thal, von einem frischen rieselnden Gebirgsbach durchströmt. Die ganze Gegend glich einem großen, romantischen Park; auf einem ziemlich steilen Hügel stand ein stattliches Schloß, welches aus den Zeiten der ersten Bürgerkriege zwischen den beiden Rosen stammen mochte, aber seitdem bedeutend erweitert und verschönert worden war. Es hatte seinen ursprünglich gothischen Styl sich bewahrt und schaute gebieterisch mit seinem hohen Thurme, den kühnen Vorsprüngen und Pfeilern von seiner Höhe hernieder. Von einer starken Mauer umgeben, durch eine Zugbrücke geschützt und außerdem mit vielfachen Wällen und Verschanzungen gedeckt, glich es einer kleinen Festung, wohl geeignet, selbst einem zahlreicheren Feinde längere Zeit zu widerstehen. Hier wohnte schon seit mehreren Jahren Alice Egerton an der Seite ihres Gatten. Nach Miltons Abreise hatte das treffliche Mädchen den andauernden Bewerbungen des edlen und tapferen Sir Carbury nachgegeben und war ihm in seine Heimath gefolgt. Sie fand keinen Grund, die getroffene Wahl zu bereuen, da ihr Gatte zu den besten Männern zählte, die sie kennen gelernt und jeden ihrer Wünsche, bevor derselbe noch ausgesprochen war, zu erfüllen sich bemühte. Dennoch vermochte sie nicht gänzlich das Andenken an Milton aus ihrem Herzen zu verdrängen. Es gab Stunden, wo sein theueres Bild ihr immer wieder erschien, obwohl sie gegen jede derartige Versuchung mit strengem Pflichtgefühl stets ankämpfte. – Wie viele und selbst hervorragende Frauen bewahrte sie das Ideal einer Jugendliebe in ihrem Herzen, ohne deshalb die Treue ihrem Gatten gegenüber zu verletzen. Sie liebte Carbury nur um so mehr und sie suchte für diese Erinnerungen, die sich ihr unwillkürlich aufdrängten, ihn durch die hingebendste Zärtlichkeit und Aufopferung zu entschädigen. Sie hatte ihm ein Kind geboren, einen Knaben, der das Band zwischen dem Ehegatten noch fester knüpfte. Heut saß sie in dem Schloßgarten und neben ihr stand die Wiege, in welcher der kleine Sohn schlummerte. Eine Bibel, die stete Begleiterin der wahrhaft frommen Alice lag vor ihr aufgeschlagen, doch während sie las, schweiften ihre zärtlichen Mutteraugen von den Zeilen auf das rosige Kind. Ein süßes Lächeln umspielte die Lippen des Kleinen und die Mutter beugte sich zu ihm hernieder nicht wagend, ihm den zugedachten Kuß zu geben, aus Furcht, das Kind aus seinem festen Schlafe zu erwecken. Ihre verklärten Blicke hingen mit Entzücken an dem theueren Wesen und sie belauschte mit heiliger Scheu die leichten Athemzüge der zarten Brust, die sich in melodischem Takte hob und senkte. Während sie dieses Schauspiel so genoß, fühlte sie sich plötzlich von zwei kräftigen Armen umschlungen.

– Alice, mein süßes, mein theures Weib, flüsterte die bekannte Stimme ihres Gatten.

Sie wandte sich um und erblickte Carbury an der Seite des würdigen Schloßkaplans. Ihr Gemahl war in Reisekleidern und seine Mienen verriethen, trotzdem sie heiter zu scheinen sich bemühten, einen gewissen feierlichen Ernst.

– Du willst verreisen? fragte sie betroffen.

– Nur auf kurze Zeit, morgen bin ich sicher schon zurück. Der würdige Doktor wird dir so lange Gesellschaft leisten.

Er deutete dabei auf den Geistlichen, der das vierzigste Jahr überschritten haben mochte und dessen sanftes, kluges Gesicht unwillkürlich Zutrauen einflöste. Nichtsdestoweniger war Alice durch diese plötzliche Abreise sehr besorgt.

– Ich kann mir, sagte sie, gewiß keinen bessern Schutz und keine angenehmere Gesellschaft wünschen, als die mir die Gegenwart des Herrn Taylor gewährt, dennoch überrascht mich dein Entschluß und gerade in einer Zeit, wo uns von allen Seiten Gefahr droht. Du weißt, daß das Heer des Parlaments in Wales eingedrungen ist und nur wenige Meilen von unserem Schlosse entfernt steht. Man kennt deine Gesinnung und Anhänglichkeit an unsern König.

– Diese ist auch der Grund meiner Reise. Ich habe Nachricht erhalten, daß man einen Handstreich gegen unsere Besitzung beabsichtigt. Die Besatzung des Schlosses ist zu schwach, um eine längere und strenge Belagerung auszuhalten. Ich habe mich deshalb um Unterstützung an den König gewendet und obgleich er selbst von allen Seiten bedrängt wird, hat er mir doch die nöthigen Truppen zugesagt. Dein eigener Bruder soll dieselben mir zuführen und ich reite ihnen entgegen, weil mich das längere Ausbleiben derselben besorgt macht.

– Du erwartest also einen förmlichen Angriff auf das Schloß? fragte Alice gespannt.

– Das gerade nicht, entgegnete Carbury ausweichend, aber ich will für alle Fälle die nöthige Vorsorge treffen. Sehen unsere Feinde, daß wir hinlänglich gerüstet sind, um sie zu empfangen, so werden sie gewiß nicht ihre Zeit mit einer unnützen Belagerung verlieren wollen, da sie selbst im günstigsten Falle wenig oder nichts dabei gewinnen.

– Und mein Bruder Thomas soll uns die gewünschte Hülfe bringen? Ich habe schon lange Zeit nichts von ihm und von den Meinigen gehört.

– Er hat bis jetzt in der Umgebung der Königin gelebt. Seitdem dieselbe jedoch England verlassen und nach Frankreich sich geflüchtet hat, dient er im Heere des Königs, wo er sich bereits bei mehr als einer Gelegenheit rühmlich ausgezeichnet hat.

– Wie freue ich mich, ihn wieder zu sehen, wenn auch die Veranlassung seines Besuches eben keine besonders erfreuliche zu nennen ist.

– Sei unbesorgt, mein geliebtes Weib! Ich hoffe, daß auch diesmal die Gefahr an uns vorübergehen wird.

– Das gebe Gott! fügte der fromme und gelehrte Schloßkaplan mit gefalteten Händen hinzu.

Sir Carbury nahm den zärtlichsten Abschied von seiner Gattin und drückte einen Kuß auf den Mund des noch schlummernden Kindes, das, aus seinem Schlafe erwacht, weinend emporfuhr und die kleinen Händchen nach der Mutter ausstreckte. Alice beruhigte das schreiende Söhnchen mit einem Schlummerlied und bald schlossen sich wieder die kleinen blauen Augen, welche denen der Mutter glichen. Der Geistliche begleitete den Schloßherrn bis an das Thor und kehrte dann wieder zurück, um der Dame des Hauses Gesellschaft zu leisten. Er fand sie mit dem Lesen der Bibel beschäftigt. Nach einer kleinen Weile legte sie das Buch bei Seite.

– Ist es nicht wunderbar, sagte sie, daß dasselbe Buch, welches für mich eine Quelle des Friedens und des Trostes ist, die übrige Welt in Feuer und Flammen versetzt. Katholiken und Reformirte, Puritaner und Presbyterianer, sowie die bischöfliche Kirche berufen sich auf die heilige Schrift und streiten in ihrem Namen.

– Selig sind die Friedfertigen, entgegnete der Geistliche. Die ächten Bekenner der göttlichen Lehre soll man an der Liebe und Duldung erkennen, die sie den Andersgläubigen erweisen. Als Abraham, so erzählt die Sage, vor der Thüre seines Zeltes saß, um nach seiner Gewohnheit müde Wanderer einzuladen, erblickte er einen alten Mann, der von den Jahren und den Anstrengungen des Weges gebeugt, mühsam auf ihn zukam. Abraham empfing ihn freundlich, wusch seine Füße, und lud ihn ein, niederzusitzen und an dem Mahle Theil zu nehmen. Als er aber die Bemerkung machte, daß der alte Mann weder vor noch nach dem Essen betete, noch seinen Segen sprach, frug er ihn, warum er nicht Gott im Himmel verehrte. Der alte Mann sagte ihm, daß er nur das Feuer anbete und keinen andern Gott anerkenne. Ueber diese Antwort wurde Abraham so ergrimmt, daß er den alten Mann aus seinem Zelte fortstieß und ihn allem Ungemach der Nacht und der Wüste Preis gab. – Als der alte Mann gegangen war, rief Gott Abraham und frug ihn, wo der Fremde wäre? Er antwortete: Ich habe ihn fortgejagt, weil er dich nicht anbetete. Gott aber antwortete ihm: Ich habe hundert Jahre ertragen, daß er mich verunehrte und du konntest nicht eine Nacht ihn dulden, obgleich er dich nicht im mindesten beleidigte. Da sah Abraham sein Unrecht ein und eilte dem alten Manne nach, bat ihn um Verzeihung und führte ihn mit allen Ehren in sein Zelt zurück.

– Und so wollen auch wir thun, sagte Alice, indem sie sich von der Bank erhob. Ich kenne manchen trefflichen Mann, der in religiösen Dingen einen andern Glauben hat, als ich, dennoch möcht' ich ihn darum nicht hassen. Wer nach Wahrheit strebt, soll unser Freund bleiben, ob er auch einen andern Weg einschlägt, wie wir. Am Ziele müssen all die Besseren sich zusammenfinden.

Der Tag verging für Alice wie jeder andere in treuer Erfüllung ihrer Pflicht. Sie hatte ein großes Hauswesen zu versorgen, viele Diener zu beaufsichtigen, die Mägde in Zucht und Ordnung zu erhalten. Pächter kamen und gingen, sie brachten den Zins für ihre Pachtungen, den die Hausfrau in Empfang nahm und getreulich in ein Buch eintrug. Fast Alle klagten jetzt über die schweren Zeiten und verlangten bald einen größeren, bald einen geringeren Nachlaß von der schuldigen Summe. Gern gewährte Alice, was in ihren Kräften stand und mehrte so durch ihre Güte die Freunde und treuen Anhänger des Hauses, welche bereit waren, im Falle der Noth ihr Leben für den Gutsherrn hinzugeben. – Gegen Abend ging sie in Begleitung des Schloßkaplans und einer treuen Dienerin zu den Hütten der Armen und Kranken, überall Trost und Hülfe spendend, begleitet von dem Segen derer, denen sie eine wahrhaft liebevolle Pflegerin und Mutter war. – Nachdem sie noch einmal ihr Kind geküßt, zog sie aus einem verborgenen Schubfach des zierlichen, mit Elfenbein und Silber ausgelegten Schrankes ein Buch hervor, dem sie ihre geheimsten Gedanken, Empfindungen, Gefühle und Erlebnisse anzuvertrauen pflegte. Seit Jahren gab sie sich selbst die strengste Rechenschaft von ihrem Denken und Thun, sie prüfte sich und diese wohlverwahrten Blätter waren gleichsam der Spiegel ihrer Seele, der getreue Abdruck ihres Seins. Hier hatte sie auch das Geheimniß ihres Herzens, ihre erste Liebe für Milton, niedergelegt. Jetzt schrieb sie folgende Worte nieder, welche das schönste Zeugniß für ihre Reinheit und ihre Trefflichkeit ablegen dürften.

Den fünfzehnten September. Heute früh ist Mylord abgereist, um Erkundigungen wegen des Feindes einzuziehen, der nur noch fünfzehn Meilen von unserem Schlosse entfernt sein soll. Er hofft, mit meinem Bruder und einer königlichen Besatzung zurückzukehren. Als er gegangen, war mein Herz voll Trauer, ich griff nach der Bibel, um mich zu trösten. Das Kapitel, welches ich zufällig aufschlug, ließ mich lebhaft die Güte Gottes gegen seine schwachen und unwissenden Kinder empfinden. Gott sei Dank, es bedarf nicht der Wissenschaft und des Talents, um das Evangelium zu verstehen. Ich glaube, daß das schlichte und einfache Weib oft das Leben besser und gesünder auffaßt, als wir mit all unserm Kenntnissen. Selten sehe ich die alte, blinde Betty, die ich gestern erst wieder in ihrer Hütte besucht habe, ohne von ihr zu lernen und mich an ihrem Beispiele aufzurichten. Sie hat ihren Gatten und alle ihre Kinder verloren, bis auf einen Sohn, der sie schon lange Zeit verlassen hat und von dem sie nicht einmal weiß, ob er noch lebt. Dabei ist sie seit fünfzehn Jahren erblindet, dennoch ist sie heiter und voll Vertrauen auf Gott. Diese Blinde sieht heller, als wie ich mit meinen offenen Augen. – Während ich so las und nachdachte, kam unser guter Schloßkaplan zurück, der Mylord begleitet hatte. Er brachte mir die Grüße meines Gatten und wir sprachen von der Duldung gegen Andersgläubige. Der würdige Geistliche theilte meine Meinung und ich freute mich, daß auch er so mild urtheilte. Im Stillen gedachte ich dabei des Mannes, der meinem Herzen noch immer theuer ist, unbeschadet meiner Pflichten als Gattin und Mutter. Mein kleiner Sohn schlief ruhig und ich dankte Gott für das theure Pfand, welches er mir anvertraut hat. All meine Trauer verschwindet, so oft ich das lächelnde Gesicht meines Kindes betrachte, jeder unlautere Gedanke schweigt in der Nähe dieser Unschuld. Ich fühle mich gereinigt und geheiligt durch seinen Anblick. – Bei Tisch fühlte ich mich einsam, da Mylord nicht zugegen war. Es ist nicht bloß die Macht der Gewohnheit, die mich zu meinem Gatten zieht, sondern die aufrichtigste Achtung und Liebe zu dem trefflichsten der Männer. Er hat mein Herz durch seine Tugenden bezwungen und jede frühere Neigung in mir verdrängt. Für den Genossen meiner Jugend empfinde ich jetzt nur die aufrichtigste Freundschaft. Ich bin fest überzeugt, daß auch er mich vergessen hat. – Gegen Abend habe ich das Vorwerk besucht und Alles in bester Ordnung gefunden. Cicely ist eine treue Magd und das Vieh gedeiht unter ihrer Pflege. Ich habe sie darum gelobt, denn das Lob der Herrin thut den treuen Dienern wohl. Man soll stets sparsamer mit seinem Tadel, als mit seinem Lobe sein. Die Schafe sind wieder mit ihrer Wolle bedeckt, sie wurden im Mai geschoren. Arme Thiere! Wie haben sie sich anfänglich gesträubt gegen das kalte Eisen und wie ruhig haben sie doch endlich sich in ihr Geschick ergeben. Die jungen Lämmer blöckten nur, sie schienen ihre Mütter in so veränderter Gestalt gar nicht zu erkennen. Der Herr hat ihnen einen milden Wind geschickt und so ist wieder das Sprüchwort wahr geworden, daß Gott den geschorenen Lämmern warme Lüfte giebt. – Ich bin durch den Park zurückgekehrt. Niemals habe ich die Kastanienbäume und die Buchen so schön in ihrer herbstlichen Färbung gefunden. Ein Sonnenstrahl vergoldete das roth und gelbe Laub, die trockenen Blätter rauschten angenehm zu meinen Füßen. Mir kam der Gedanke an meinen Tod, aber er schreckte mich nicht, ich wünschte nur so sanft und lächelnd hinzugehn, wie jetzt die scheidende Natur. – Alle Rechnungen mit den Pächtern habe ich in Mylords Abwesenheit in Ordnung gebracht. Ich fürchte fast, daß ich mich zu sehr mit den weltlichen Geschäften befasse und darüber die Prüfung und Ausbildung meines Inneren verabsäume. Andere dürfen freilich glauben, daß ich alle meine Pflichten erfülle; wer dringt auch in die geheimen Fehler des Herzens ein, wer kennt die Trägheit, Unvollkommenheit und Kälte, mit der ich meinem Schöpfer diene, den Egoismus und die selbstsüchtigen Gründe, welche meine wohlthätigen Handlungen leiten. Jetzt, wo ich Mutter bin, muß ich nicht doppelt mich selbst bewachen! Als ich von meinen Rechnungen ermüdet und von Besorgnissen erfüllt, den Kleinen an die Brust legte, schien er vor meinem finsteren und sorgenvollen Gesichte zu erschrecken. Das Kind, obgleich noch in so zartem Alter, ist schon äußerst aufmerksam auf die Physiognomien seiner Umgebung. Der Ausdruck meiner Mienen mußte ihm fremd vorkommen, denn es schrie heftig. Mein Lächeln und meine Zärtlichkeit beruhigten den Kleinen wieder, er stützte sein Köpfchen von Neuem an meine Brust und schlief bald darauf ein. Dieser Vorfall ist an sich unbedeutend und doch belehrt er mich, wie es Noth thut, fortwährend auf sich selber Acht zu geben. Wenn aber diese Pflicht uns gegen unsere Kinder, und gegen alle Menschen obliegt, um wie viel mehr gegen den, der unser Herz durchschaut und unsere geheimsten Gedanken kennt.

Am nächsten Tage kehrte Sir Carbury in Begleitung einer kleinen Truppenabtheilung zurück, welche der König ihm unter Anführung von Thomas Egerton zuschickte. Alice eilte dem Gatten und dem lang ersehnten Bruder mit ungeheuchelter Freude entgegen. Bald bemerkte sie jedoch in den Zügen und in dem Benehmen der beiden Männer den Ausdruck eines schlecht verhehlten Kummers.

– Robert! sagte sie zu ihrem Gatten, was ist dir widerfahren? Verberge mir nichts. Du weißt, daß ich nicht furchtsam bin und als dein Weib habe ich ein Recht, auch deine Sorgen wie deine Freuden zu theilen.

– Ich fürchte, entgegnete Carbury nach einigem Zögern, daß wir uns trennen müssen. Du darfst nicht länger auf dem Schlosse bleiben. Der Feind rückt immer näher und schon morgen kann er hier sein und die Belagerung beginnen. Du wirst dich noch heute auf den Weg machen und nach Ludlow-Castle in Begleitung eines treuen Diener reisen, wo du im Hause deiner Eltern sicher bist.

– Wie, und du glaubst, daß ich dich verlassen würde? Mein Platz ist hier an deiner Seite. Keine Gefahr kann mich von deiner Seite reißen. Wir haben uns gelobt, bis zum Tode neben einander auszuharren.

– Ich kann, ich darf dich nicht den Schrecken einer solchen Belagerung aussetzen.

– Und ich fürchte mich nicht, stelle mich auf die Probe und du sollst sehen, daß ich nicht zittere.

– Denke an unser Kind. Seinetwegen bitte und beschwöre ich dich, das Schloß zu verlassen.

– Die Pflichten der Gattin sind nicht minder groß wie die der Mutter. Mein Leben gehört dir eben so wie meinem Sohne. Ich weiche nicht von dir.

Vergebens waren alle Bitten und Befehle Carbury's, Alice beharrte bei ihrem Beschlusse, alle Gefahren mit ihm zu theilen. Auch Thomas, der seine Schwester aufrichtig liebte, vermochte nicht, ihren Willen zu erschüttern. So blieb sie und erwartete ruhig die nahe bevorstehende Belagerung. – In wenig Stunden hatte das Schloß seine friedliche Gestalt verloren. Der Hof und die Säle füllten sich mit lärmenden Soldaten. Auf die Mauern wurden zwei kleine Geschütze aufgestellt, welche früher nur zum Spiele und bei festlichen Gelegenheiten als Freudenboten gedient hatten; sie waren zum letzten Male bei der Geburt eines Erben abgefeuert worden und lagen seitdem unbenutzt in einem Winkel des Schlosses. Jetzt wurden sie wieder hervorgezogen und mit Kugeln, gehacktem Blei und Eisen geladen. Einige Diener erhielten den Auftrag, die alten Bäume des Parks zu fällen, damit die Belagerer an diesen keinen Schutz und Anhalt fänden. Die schadhaften Stellen der Mauer wurden noch schnell ausgebessert und mit Schießscharten versehen, die Zugbrücke aufgezogen und die nöthigen Wachen aufgestellt. Alice stand bei allen diesen Anordnungen ihrem Gatten und Bruder hülfreich zur Seite, sie sorgte mit ihren Mägden für die Bedürfnisse der Besatzung und ließ, so weit dies die Zeit noch erlaubte, durch die ihr ergebenen Pächter- und Landleute die nöthigen Vorräthe an Getreide und Vieh von den Vorwerken herbeischaffen. Bald füllte sich der Hof mit brüllenden Rindern und blökenden Schafen, die Speicher mit Korn und Mehl. In der Küche loderte ein mächtiges Feuer und die Wirthschafterin kochte den ganzen Tag für die hungrige Besatzung.

Carbury hatte einige tüchtige Burschen abgeschickt, um die nöthigen Erkundigungen über die Bewegungen des Feindes einzuziehen. Sie kehrten mit keineswegs tröstlichen Nachrichten zurück. Das Herr des Parlaments hatte die meisten Schlösser und Festungen des Landes unter Anführung von Fairfax erstürmt und zerstört, eine Abtheilung setzte sich unter dem Befehle des Majors Overton gegen die Besitzungen Carbury's in Bewegung und stand nur noch wenige Meilen davon entfernt, sie konnte schon. am nächsten Tage eintreffen. Ueber das Ziel ihres Marsches konnte kein Zweifel mehr sein, da Sir Carbury für einen der eifrigsten Anhänger des Königs galt. Unter banger Erwartung verging die Nacht, am nächsten Morgen traf der Schloßherr die Anordnung, daß alle Frauen, Kinder und Kranke aus dem Schloße entfernt werden sollten. Nur die treue Cicely mit zwei Mägden blieb zurück, um die Herrin in ihren vielen und schweren Arbeiten zu unterstützen.

Gleich nach Tisch stiegen Thomas und Carbury auf den Thurm, um mit Fernröhren die Annäherung des Feindes zu erkundschaften. Gegen drei Uhr glaubten sie am Horizont eine Staubwolle zu beobachten, welche immer näher und näher rückte. Hier und da schimmerte eine glänzende Waffe, eine Muskete oder der Griff eines Schwertes wie ein zuckender Blitz hervor. Die Lauscher auf der Warte glaubten den dröhnenden Ton und gleichmäßigen Tritt eines Heerhaufens zu vernehmen. Noch ließ sich nicht die Zahl der Truppen bestimmen, doch konnte dieselbe nach der Ausdehnung der Staubwolle nicht unbedeutend sein. So nahte die Gefahr, verhüllt wie ein dunkles Geheimniß, das in seinem Schooße Tod und Verderben birgt. Erst nach und nach wurde der ganze Zug sichtbar, der sich zwischen den Hügeln und Thälern wie eine ringelnde Schlange bewegte, bald zwischen den Bäumen verschwindend, bald wieder in der Ebene emportauchend. An der Spitze ritt der Führer, umgeben von einigen Offizieren, dahinter folgten mehrere hundert Soldaten in der charakteristischen Haltung der Heiligen Israels, wie sie sich selber nannten. Beim Anblick des Schlosses stimmten sie einen frommen Psalm an und rückten so ruhig vor, als ständen sie im Begriff nicht einen Sturm zu wagen, sondern irgend eine gottesdienstliche Handlung zu begehen.

– Ich glaube die Schurken, sagte Thomas, schmeicheln sich mit der Hoffnung, die Mauern dieses Schlosses wie die von Jericho durch ihr bloßes Geplärre einzunehmen. Wäre es nicht gut, durch einen gut gezielten Kanonenschuß ihnen eine andere und bessere Meinung beizubringen.

– Dazu haben wir noch immer Zeit, entgegnete Carbury. Wir müssen unser Pulver sparen, sie stehen noch zu entfernt, als daß sie vor unseren Kugeln sich zu fürchten brauchten. Wie sie aber auch singen und plärren mögen, es sind doch tüchtige Männer und ihre ganze Haltung verräth wackere Soldaten und erprobte Krieger.

– Halt! unterbrach Thomas seinen Schwager. Die Kerls scheinen doch mehr Lebensart zu besitzen, als ich ihnen zugetraut habe. Bei Gott! Sie schicken einen Parlamentair, der uns wahrscheinlich zur Uebergabe auffordern soll.

– Komm'! wir wollen ihn empfangen und hören, was er uns zu sagen hat.

Als Carbury vom Thurm herabstieg, fand er bereits einen Offizier des Parlaments an der Zugbrücke, der ihn zu sprechen verlangte. Der Abgesandte forderte ihn auf, das Schloß zu übergeben und sich ohne Bedingung dem Parlament zu unterwerfen, dann sollte sein Leben wie das der Besatzung geschont werden. Der Schloßherr erklärte mit Entschiedenheit seine Anhänglichkeit an den König und daß er bis auf den letzten Blutstropfen sich vertheidigen würde.

– So komme Euer Blut über Euer Haupt, rief der puritanische Offizier ihm zu, indem er seinem Pferde die Sporen gab.

Gleich darauf schlug der Feind sein Lager auf und entwickelte noch an demselben Abend seine ganze Thätigkeit. Als Carbury vom Walle aus die nöthigen Beobachtungen anstellte, kam er zu der Ueberzeugung, daß er einen eben so tapferen als kriegsgeübten Gegner vor sich habe.

– Es wird einen harten Strauß geben, sagte er zu Thomas. Der Anführer dieser Puritaner scheint mir ein Mann zu sein, der sein Handwerk versteht.

– Ich kenne ihn von früher und freue mich, daß ich bald eine Gelegenheit finden werde, eine alte Rechnung mit ihm auszugleichen. Dieser Overton steht noch immer in meiner Schuld.

Die Annäherung Alicen's und des Schloßkaplans gab dem Gespräche eine andere Wendung. Sie lud die Männer zum Abendbrode ein, das in feierlich-ernster Stimmung verzehrt wurde. Nach Beendigung desselben stellte Carbury die Wachen aus und schärfte ihnen die nöthige Vorsicht ein; er selbst begab sich nicht zu Bett, sondern durchwachte die ganze Nacht, um sogleich bei der Hand zu sein. Alice mußte bei ihrem Kinde bleiben. Ehe sie einschlief, faltete sie die Hände und betete um Abwendung der drohenden Gefahr.


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