Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

2.

So vorbereitet auf seine künftige Laufbahn nahm Milton von dem berühmten Staatsmann einen feierlichen Abschied, um sich auf dem nächsten Wege nach Italien zu begeben. Bald hatte er die Alpen überschritten und nach kurzer und glücklicher Reise langte er wohlbehalten in Florenz an. Der Eindruck, den er hier empfing, war überwältigend. Zwar die Glanzperiode der ersten Medizäer war verblichen, aber ein Nachhall jener für Kunst und Wissenschaft so bedeutenden Tage noch zurückgeblieben. Mit entzückten Blicken eilte der Dichter. durch die Straßen der schönen Stadt. An die Brücke des Arno gelehnt, verfolgte er den Lauf des Flusses, der wie ein silberner Pfeil dahinschießt, von beiden Seiten mit herrlichen Gebäuden und Palästen gekrönt, deren Bauart alles Edle, Wahre und Gediegene eines männlichen Styls athmete. Diese, Kastellen ähnliche Schlösser, Zeugen eines kühnen, republikanischen Geistes, steinerne Denkmäler erschütternder Parteikämpfe spiegelten sich in den Wellen des dahingleitenden Stromes mit ihren stolzen Zinnen und wallartigen Mauern ab. Der Geist der Republik mit seinem trotzigen Bürgersinn schien noch immer geharnischt vor den geschlossenen Portalen Wache zu stehen und aus das Zeichen zum blutigen Kampfe zu harren. Aber weit mehr noch als diese historische Erinnerungen fesselten Milton die aufgehäuften Schätze der Kunst und Wissenschaft. Täglich und stündlich verweilte er in den Gallerien und Bibliotheken, bald in einem alten Manuskripte blätternd, bald eine antike Statue, ein Gemälde von Tizians Meisterhand bewundernd. Eine neue Welt, die Welt der Kunst erschloß sich ihm, und das empfängliche Gemüth des Dichters erhielt hier die ersten unauslöschlichen Eindrücke einer nie geahnten Schönheit. Sein krankes Herz begann allmälig wieder zu genesen und die düstere Melancholie wich den mannigfachen bald heitern, bald erhabenen Empfindungen, welche Florenz mit seinen Denkmälern und seiner reizenden Umgebung in ihm erweckte.

Auch an geselligem Umgang sollte es ihm nicht fehlen. Er hatte in Genf einen jungen, dort lebenden Gelehrten, Namens Diodati, kennen gelernt, der ihn mit Empfehlungsbriefen an Freunde und Verwandte in Florenz versah. Milton fand bei diesen eine überaus freundliche Aufnahme und verdankte ihnen die Bekanntschaft mit den angesehensten und bedeutendsten Familien in der Stadt. – Es herrschte in Florenz ein reger Sinn für Wissenschaft und Kunst, die Vaterstadt Dantes', Boccacio's und Machiavelli's zählte noch immer eine Reihe ausgezeichneter Männer in ihren Mauern und Bildung wurde von Allen hoch geschätzt. Die vornehmsten und reichsten Familien setzten ihren Stolz darein, Künstler und Gelehrte zu beschützen und bei sich zu sehen. Ihre Häuser, Villen und Gärten waren der Sammelplatz der fremden und einheimischen Talente, hier wurde musicirt, über Kunst gesprochen, geistreiche Abhandlungen und Gedichte vorgetragen und selbst mit vielen Kosten ein Theater aufgeschlagen, auf welchem Liebhaber ein altes Lustspiel von Terenz, oder ein neueres dramatisches Produet wie den pastor fido von Guarini oder die ausgelassene Madragora von Machiavelli aufführten. Auch die Frauen nahmen an diesen und ähnlichen Unterhaltungen Theil, wobei sie an Kenntnissen und selbst an Gelehrsamkeit häufig den Männern in keiner Weise nachstanden.

Der Mittelpunkt für all diese Bestrebungen bildeten die nach Plato's Vorbild gestifteten und benannten Akademieen, welche in keiner größeren Stadt Italiens fehlen durften, und den bedeutendsten Einfluß auf die Bildung und öffentliche Meinung der Nation ausübten. In diesen Versammlungen fanden die poetischen und wissenschaftlichen Wettkämpfe statt, Dichter und Gelehrte lasen ihre Werke und Abhandlungen vor einem auserwählten Publikum vor, das darüber mit Geist und Scharfsinn aburtheilte und den Sieger mit dem Lorbeerkranze krönte. So trat eine lebendige Wechselwirkung und Theilnahme an allen geistigen Bewegungen hervor, wie sie in unseren Tagen nirgends mehr gefunden wird, wo der todte Buchstabe das gesprochene Wort längst verdrängt hat. – Allerdings trugen die Akademieen ein gewisses theatralisches Gepränge zur Schau und litten oft an einer fast spielerischen Nachahmung der antiken Formen mit steifer Pedanterie verbunden, aber die Vortheile überwogen entschieden die gerügten Mängel.

In eine solche Akademie wurde Milton von seinen italienischen Freunden eingeführt und aufgefordert, einige seiner lateinischen Gedichte vorzulesen. Die abgelegten Proben seines Talents erhielten einen weit über seine Erwartung gehenden Beifall; selbst schriftliche Lobsprüche, mit welchen Italiener gegen die Bewohner diesseits der Alpen nicht eben besonders freigebig zu sein pflegen, wurden ihm von allen Seiten zu Theil. Dieser kaum gehoffte Erfolg machte indeß den Dichter keineswegs eitel. Er fand nur einen neuen Sporn darin, Besseres zu schaffen, indem er weit strenger über seine Leistungen urtheilte, als seine entzückten Zuhörer. Vor allen Dingen aber kam er zu der Erkenntniß, daß der wahre Dichter sich nicht einer fremden, sondern der eigenen Muttersprache bedienen müßte. Immer mehr befestigte er sich in dem Entschlusse, einst ein würdiges Werk in dieser zu schreiben, und die künstlichen, lateinischen Formen, in denen er sich meist bisher bewegt hatte, für immer zu verlassen.

So verlebte der Dichter in angenehmsten Verhältnissen die Tage in Florenz, geehrt und gesucht von den besten Kreisen, die sich ihm gastfreundschaftlich öffneten. Wieder wandte er sich dem heiteren Lebensgenusse zu, und die traurigen Erinnerungen der jüngsten Vergangenheit verblichen nach und nach. Er fand von Neuem Wohlgefallen an einer geistreichen und feinen Geselligkeit, wie sie ihm hier geboten wurde. Zuweilen machte er auch Ausflüge in die benachbarte Umgebung, wo die reizende Natur seine Heilung vollendete. Ein seiner nächsten Besuche galt dem Städtchen Arcetri, wo der berühmte Galilei in einer Art von gezwungener Verbannung lebte. Zwischen Weinbergen und fruchtbaren Oelbäumen erstieg Milton den Hügel, auf welchem das bescheidene Häuschen des größten und unglücklichsten Naturforschers stand. Auf dem höchsten Punkt angelangt, ruhte der Dichter noch einmal aus, und warf einen Blick auf das herrliche Thal zu seinen Füßen. Da lag die Stadt mit ihren Thürmen, Palästen und Brücken im goldenen Sonnenschein so klar und duftig, daß man sie zu greifen meinte; wie ein silbernes Band schlängelte sich der Arno durch das fruchtbare Gefild, ein Bild des Wohlstandes und des gesegneten Fleißes; üppige Wiesen, schwellende Hügel mit Reben und Oelbäumen bepflanzt, von weißen Landhäusern bedeckt, begleiteten den Strom auf seinem irrenden Lauf. Einem großen Garten glich das ganze Land, das sich unendlich weit vor dem Auge des Beschauers ausdehnte, bis die zackigen Berge Carraras den trunkenen Blicken Halt geboten.

In den Anblick dieser herrlichen Natur versenkt, bemerkte Milton einen Greis, der in seiner Nähe auf einer Marmorbank sich niedergelassen hatte, und neben dem eine Nonne mit wallendem Schleier stand. Erst im Umwenden wurde er die beiden Gestalten gewahr, die sogleich seine Aufmerksamkeit im höchsten Grade in Anspruch nahmen. Der alte Mann zeigte das ehrwürdigste Antlitz, das der Dichter je in seinem Leben gesehen zu haben glaubte; die erhabene Stirn, welche den tiefen Denker verrieth, und der gewölbte Scheitel waren mit silberweißen Lockengeziert; ein Bart von gleicher Farbe, der fast bis zur Brust herniederfiel, umgab die abgezehrten, bleichen Wangen. Doch den rührendsten Eindruck machten dies dunklen Augen, deren Licht erloschen war. Glanzlos und unbeweglich starrten sie in die ewige Nacht der unheilbaren Blindheit. Zu dem unglücklichen Greis beugte sich die schlanke Nonne hernieder, über ihr zartes, kränkelndes Gesicht schwebte die doppelte Verklärung der Religion und Kindesliebe.

– Lass' uns gehen, sagte der alte Mann, indem er sich auf den Arm der Tochter gestützt erhob. Du wirst in dein Kloster zurückkehren müssen, denn, wenn ich nicht irre, muß es bald Abend sein. Ich fühle es an dem kühlen Winde, der aus dem Thale emporsteigt. Es war ein schöner Tag heute, und die Nacht wird hell und klar in ihrer Sternenpracht erscheinen. O, die Sterne vermisse ich am meisten, weit mehr als die Sonne. Dürfte ich nur noch einmal mich an ihrem prächtigen Anblick freuen, und von meinem Observatorium ihren herrlichen Anblick bewundern.

– Armer Vater! flüsterte die Nonne mit klagender Stimme.

– Bedauere mich nicht. Ich fühle es an der Abnahme meiner Kräfte, daß der Tag nicht mehr fern sein kann, wo ich mitten unter meinen Sternen wandeln darf. Dann werden mir die ewigen Gesetze ihres Wandelns, die ich von meinem irdischen Standpunkte nur geahnt, klar und offenbar werden. In meinen Träumen, die mir einen Vorgeschmack der künftigen Seligkeit geben, sehe ich die großen, goldenen Welten, wie sie im heiligen Reigen um die strahlende Sonne schweben. Die holde Venus, der glühende Mars und der erhabene Jupiter schaaren sich wie Kinder um die Mutter, von der sie das Leben empfangen, und auch dieser Erdball dreht sich in harmonischen Rhythmen mit. Nein! ich habe mich nicht getäuscht, die Wissenschaft lügt nicht. Gott selbst hat mit leuchtender Sternenschrift die Wahrheit an sein Firmament geschrieben, und er wird mir in seiner Barmherzigkeit ein milderer und weiserer Richter sein, als seine Inquisition, die mich zum Widerrufe zwingt.

– Beruhige dich, mein Vater! flehte die fromme Tochter, wir müssen der Kirche gehorchen und uns fügen in ihr Gebot.

– Der Kirche wohl, aber nicht der Inquisition. Ich bin ein so gut katholischer Christ, wie irgend ein Mann in Italien, auch glaube ich, daß sich Gott in der heiligen Schrift ebenso, wie in der Natur, geoffenbart hat; die Welt ist demnach das Werk, die Schrift das Wort desselben Gottes, aber das Wort, in menschlicher Sprache ausgedrückt, wird so vieldeutig, daß es an hundert Stellen Aussprüche bringt, die, nach dem einfachen Wortsinne genommen, nicht nur Ketzereien, sondern schwere Lästerungen enthalten würden, indem sie Gott selbst des Zornes, der Reue, der Vergeßlichkeit und der Rache fähig darstellen; die Natur dagegen, die Dienerin Gottes, ist ewig unveränderlich, durch menschliche Wünsche und Anschauungen nicht zu verrücken; in Betreff der Bewegungen, Gestalt und Anordnung der Theile behält das Weltall immer denselben Gang und dieselbe Form. Der Mond wird und muß stets sphärisch bleiben, obgleich das gewöhnliche Volk ihn lange Zeit für eine flache Scheibe hielt. Die Natur läßt sich nicht wie das Wort deuten und menschlicher Ansicht und Glauben gemäß ummodeln. Darum habe ich sie zu meiner Führerin erwählt, und ihre heiligen Gesetze und Lehren mich aufzufinden bemüht. Sie war meine Bibel, in der ich bei Tag und Nacht ohne Ermüdung las. Und das sollte Ketzerei sein, daß ich den Schöpfer aus seinen Werken zu erkennen versuchte? O, das schmerzt, aber weit schmerzlicher ist mir der eigene Widerruf, dieser Abfall von der Wahrheit.

– Du hast ihn gethan auf das Zureden deiner Kinder, deiner Freunde und des Fürsten selbst, der dich so lang beschützte, als es irgend möglich war.

– Und dennoch hätte ich nicht nachgeben sollen, denn die Wahrheit muß und soll uns höher stehen, als Weib und Kind, als die ganze Welt. Haben die heiligen Märtyrer ihren Glauben je verleugnet und sich vor den falschen Göttern ihrer Peiniger gebeugt? Lieber litten sie die grausamsten Qualen und den Tod. O! ich mußte thun, wie sie gethan; daß mir der Muth dazu gefehlt, ist jetzt mein schwerstes Leid. Die Natur, die ich abgeschworen, hat sich aber für mein Vergehen furchtbar gerächt. Sie nahm mir das Augenlicht, damit ich ihre erhabenen Schönheiten nicht mehr sehen und bewundern darf. Das ist die gerechte Strafe für meinen Abfall von ihr.

Die fromme Tochter antwortete nicht, nur eine heiße Thräne fiel auf die Hand des Vaters.

– Weine nicht, sagte der würdige Greis mit vor Rührung zitternder Stimme. Diese irdische Blindheit kann nicht mehr lange dauern, bald werde ich sehen, was kein irdisches Auge je erschaut. Schon dringen die Strahlen einer höheren Sonne in die dunkle Nacht meines Daseins, und ein Abglanz des ewigen Lichts erfüllt meine Seele. Oft ist es mir, als säße ich auf einem hohen Thurm von reineren Lüften angeweht, mit einem Fernglas in der Hand, das unendlich schärfer und vollkommener ist, wie meine bisherigen Instrumente; vor meinen Blicken zieht die Milchstraße vorüber, die dem bloßen Auge nur als ein feiner, silberner Nebel jetzt erscheint; mir aber verwandelt sie sich in ein Meer von Licht, erfüllt von einem Gewimmel neuer leuchtender Sonnen, umtanzt von Planeten und Monden, größer und schöner als all die bisher entdeckten. Kreis an Kreis, Ring an Ring schlingt sich fort bis zu dem Thron des Ewigen, der hinter jenem feurigen Glanz sich verbirgt, und dessen Antlitz allein die Seligen schauen. Auch ich hoffe ihn mitten in seiner herrlichen Sternenwelt zu sehen.

Unter einem vorstehenden Baum verborgen, hatte der lauschende Milton das Gespräch mit angehört, welches er nicht zu unterbrechen wagte. Er konnte nicht länger zweifeln, daß jener unglückliche Greis der berühmte Galilei war, an den ihn Grotius empfohlen. Da sich der Blinde jetzt anschickte, in sein Haus zu treten, so eilte auch der Dichter, ihm zu folgen und ihn anzureden. An der Schwelle holte er ihn ein.

– Irre ich nicht, sagte Milton, so begrüße ich in Euch den berühmten Galilei, dem ich von einem seiner vielen Verehrer und Bewunderer, Hugo Grotius, einen Gruß und dieses Schreiben bringe.

– Tretet ein, entgegnete der Greis, damit meine Tochter mir den Brief des trefflichen Mannes vorlies't.

Milton folgte der Einladung und wurde in ein bescheidenes Zimmer geführt, welches mit Büchern und verstaubten Instrumenten angefüllt war. Die Nonne, welche vor dem unbekannten Manne sich sogleich verschleiert hatte, schlug den Schleier wieder zurück und las mit schüchterner Stimme die Empfehlung und das Lob, das dem talentvollen Jüngling reichlich gespendet wurde. Ihr zartes, ätherisches Gesicht färbte sich dabei mit einem rosigen Hauch, und trotz ihrer Frömmigkeit ließ sie unwillkürlich ihren sanften Blick von den Zeilen des Briefes auf die schlanke, zierliche Gestalt des Gastes herüberschweifen. Als sich dabei zufällig ihre Blicke mit dem seinigen begegneten, vermochte sie kaum ihre Verlegenheit zu verbergen, und sie entfernte sich auf kurze Zeit unter dem Vorwande, für das Abendbrod zu sorgen.

Das anfängliche Mißtrauen, womit der blinde und von Spähern umringte Galilei jeden betrachten mußte, wich schon nach wenigen Worten einem herzlicheren Einverständniß. Beide Männer hatten und fanden so viele Berührungspunkte, denn auch der große Naturforscher war ein Freund der Poesie und der Musik.

Je länger Milton verweilte, desto zutraulicher wurde der liebenswürdige Greis, nur über die Verfolgungen, die er durch die Inquisition erlitten, beobachtete er ein vorsichtiges Stillschweigen, ungeachtet der Gast ihn mehrfach im Verlaufe der Unterhaltung auf diesen Punkt hinzuleiten versuchte. – Um so beredter wurde er, als er auf die Fortschritte der Naturwissenschaften zu sprechen kam.

– Auch in Eurem Vaterlande, sagte Galilei, ist ein Mann aufgestanden, der wie ich die Irrthümer der scholastischen Philosophie bekämpft und den einzig richtigen Weg der Beobachtung und des Experimentes eingeschlagen hat; ich meine den großen Kanzler Bako, den Vater und Restaurator der neuen Wissenschaft. So regt sich aller Orten der Geist der Wahrheit und sprengt die Fesseln, in die ihn Aristoteles oder vielmehr dessen blinde Anhänger geschlagen haben. Jahrhunderte lang irrte die Menschheit gleich den Kindern Israels in der Wüste der Lüge und Täuschung und erst eine kräftige Generation findet das gelobte Land. Ich aber komme mir wie der sterbende Moses vor, der das heilige Land der Verheißung nicht betreten, sondern nur von Ferne erschauen darf. Welch ein entzückender Anblick! Die Saat, welche der Geist ausgestreut, trägt hundertfache Frucht. Der Wissenschaft werden überall Tempel und Altäre erbaut, neue und kaum geahnte Erfindungen bringen die Erde dem Himmel näher und mit der erhöhten Erkenntniß gehen alle Tugenden Hand in Hand. Mildere Sitten verdrängen die alte Barbarei, der Aberglaube schwindet, Krieg und Zwietracht müssen entfliehen und die Segnungen des Friedens und der Eintracht beglücken diese Welt.

– Dann wird auch die Wahrheit ungescheut ihre Stimme erheben dürfen und ihre Bekenner weder Henker noch Tortur zu fürchten haben, setzte der Dichter bezüglich hinzu.

Eine feierliche Pause war eingetreten, Galilei mit dem schwärmerischen Ausdruck eines Propheten in dem würdigen Gesicht schien jenen Traum fortzuträumen, den die Besten aller Zeiten tief in ihrer Seele bergen und der uns an den höheren Ursprung mahnt. Ein mildes Lächeln umschwebte die abgezehrten, eingefallenen Wangen des Dulders. Die Sonne war im Untergehen und ihre letzten feurigen Strahlen drangen durch das geöffnete Fenster in die kleine Stube und verbreiteten ein goldenes Licht, gleich einer Glorie um das greise Haupt. Milton dachte an die ersten Märtyrer des Glaubens, denen die der Wissenschaft folgen sollten. Eine Ahnung seines eigenen künftigen Geschicks überkam den Jüngling bei dem Anblick des Erblindeten. Unauslöschlich prägte sich das Bild des italienischen Gelehrten seiner Seele ein. –

Die Nonne öffnete leise die Thür und stellte, von einem alten Diener unterstützt, geräuschlos die Speisen auf den Tisch, dann lud sie den Gast durch eine Handbewegung zum Essen ein. Auch Galilei nahm an dem einfachen Mahle, das größtentheils aus Früchten bestand, Theil. Während des Essens hatte Milton Gelegenheit, einige Worte an das fromme Mädchen zu richten, ihre Antworten zeigten von einem seltenen Verstand und von großer Bildung. Unumwunden sprach er dem Vater gegenüber sein Bedauern aus, daß er die Gesellschaft einer solchen Tochter entbehren müsse, da die Klosterregel ihr nur selten einen Besuch, wie den heutigen, gestattete.

– Mein Kind hat Recht gethan, sagte Galilei, daß sie vor den Versuchungen der Welt und allen Leiden Zuflucht bei Gott gesucht hat. Ich selbst bin zu alt und gebrechlich, um ihr den nöthigen Schutz zu gewähren. Sie ist ein frommes Kind, das seinen alten Vater nicht vergißt. So oft ihr es die Priorin gestattet, kommt sie nach Arcetri und leistet mir Gesellschaft. Von Jugend auf hat sich ihr Sinn dem Himmel zugewendet und sie hat wohl daran gethan. Manche Prüfung ist ihr dadurch erspart worden, denn der Glaube ist der sicherste Führer auf dieser Welt. Einst wenn ich meine Augen schließe, wird sie an meinem Sterbelager stehen und ein Engel wird für mich um Gnade bitten.

Eine Thräne schimmerte in dem Auge der Nonne und auch Milton war ergriffen. Die ernste Stimmung wurde noch vermehrt durch das Ave Maria, welches von den Thürmen der Stadt herüberklang und das Scheiden des Tages verkündete. Die Nonne war sogleich bei den ersten Tönen niedergekniet und betete, den Rosenkranz in der zarten, weißen Hand; auch Galilei, der trotz seiner wissenschaftlichen Forschungen ein gläubiger Katholik geblieben war, folgte ihrem Beispiele. Wie verschieden aber mochten die Gebete sein, die von Beider Lippen zum Himmel emporstiegen. Während dieser frommen Handlung blieb der Dichter stehen und betrachtete schweigend den Greis und das liebliche Mädchen, welche ihm wie eine Verkörperung der Wissenschaft und des Glaubens erschienen.

Sobald das Gebet beendet war, erhob sich die Nonne und warf einen forschenden, fast vorwurfsvollen Blick auf den Fremden, der ihre Andacht nicht theilte.

– Ihr betet nicht? fragte sie verwundert.

– Verzeiht mir, Signora! entgegnete der Dichter mit fester Stimme, ich gehöre nicht Eurer Kirche an.

– Ihr seid doch kein Ketzer? rief sie bestürzt. Das ist nicht möglich. –

– Der Herr, belehrte Galilei seine fromme Tochter, ist ein Engländer und diese Nation hat den Glauben Kalvin's angenommen.

– Also doch ein Ketzer, murmelte die blasse Nonne. Sancta Maria! Ihr betet nicht, Ihr glaubt auch nicht an Gott und den Heiland? fügte sie lauter und mit schmerzlichem Bedauern hinzu.

– Ihr irrt Euch, Signora! erwiederte Milton mit mildem Lächeln. Auch wir glauben an einen Gott und den Erlöser, der am Kreuz für uns gestorben ist, wenn wir auch in anderer Weise ihn verehren.

– Ich hoffe, daß der Herr Euch in den Schoos seiner heiligen Kirche zurückführen wird, Euch und Euer Volk. Zu diesem Zweck will ich täglich für Euch zur Madonna flehen. Nehmt auch diesen geweihten Rosenkranz von mir, er wird Euch vor allen Gefahren einer weiten Reise schützen und soll Euch zugleich an diese Stunde und an unser Beisammensein erinnern.

Milton vermochte nicht, den frommen Wahn, der ihm hier in so rührender Gestalt entgegentrat, zu verspotten und nahm mit herzlichem Dank den Rosenkranz aus den Händen der Nonne. Als seine ausgestreckte Hand die ihrige berührte, fühlte er das leise Beben derselben.

– Die Madonna beschütze Euch, flüsterte sie mit bewegter Stimme, ich muß gehen, denn meine Zeit ist bereits abgelaufen.

Sie neigte sich vor dem blinden Vater, der einen zärtlichen Kuß auf ihre Stirn hauchte, dann wandte sie sich noch einmal zu dem Gast.

– Lebt wohl, sagte sie fast zitternd. Ich werde nie vergessen, Euch in mein Gebet einzuschließen.

In den Schleier gehüllt, verließ sie das Gemach, um in ihr Kloster zurückzukehren. An's Fenster gelehnt, starrte ihr der Dichter nach, den Rosenkranz gedankenvoll in der Hand haltend, bis die eintretende Dunkelheit der Nacht und die Entfernung ihm die schlanke Gestalt verbarg. Nach kurzem Verweilen nahm auch er von seinem Wirthe Abschied, tief ergriffen von den mannigfachen Eindrücken dieses Besuches.

Die Tochter Galileis aber kniete in ihrer Zelle und betete heiß und inbrünstig zu der Madonna für das Seelenheil des jungen Ketzers. –


 << zurück weiter >>