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11.

Das Erkerzimmer, worin die Damen saßen, war im Geschmacke jener Zeit reich und kostbar ausgestattet. Scenen aus der Mythologie schmückten die vergoldete Decke. Hier fuhr Venus auf einem mit Tauben bespannten Wagen, umgeben von kleinen Liebesgöttern, welche in ihren Armen die Waffen des Mars, seinen Helm, Schild und Lanze mit komischen Gebärden schleppten. Seidene, gewirkte Tapeten von dunkelrother Farbe bedeckten die Wände, schwere Vorhänge von demselben Stoff wallten an den Thüren und Fenstern nieder. Die Stühle mit hohen Lehnen waren mit kunstreichen Schnitzereien versehen. In der Nähe des gewölbten Fensters stand ein Tischchen mit kostbarer Arbeit eingelegt. Die Platte desselben bestand aus feinen Hölzern, Elfenbein und Metallen, welche die zierlichsten Figuren, Schmetterlinge, Blumen und Vögel bildeten. Ein ähnliches Schränkchen war ganz in der Nähe befindlich. Hier verschlossen die Frauen ihren Schmuck und ähnliche Toilettengegenstände. Alice und ihre Mutter saßen auf niedrigen Sesseln mit weiblichen Handarbeiten beschäftigt, ihnen gegenüber Milton und sein Freund Edward King. In einiger Entfernung von diesen hatte sich der Musiker Lawes an der Hausorgel niedergelassen, ein damals noch unentbehrliches Möbelstück in jeder vornehmeren Familie. Der Künstler beendete soeben ein auf Verlangen der Gräfin componirtes Lied, für das ihm von allen Anwesenden das reichste Lob zu Theil wurde. Die durch seinen Vortrag unterbrochene Unterhaltung war kaum wieder aufgenommen, als Sir Kenelm Digby die Damen begrüßte. Seine Haltung, wie sein Benehmen, verriethen sogleich den gewandten Weltmann, der an den größten Höfen Europa's sich mit Beifall bewegt hatte. Wie er früher dem Grafen gegenüber mit Erfolg den Staatsmann herauskehrte und die Bewunderung seines Wirthes dadurch erregte, so entzückte er im Augenblicke jetzt die Frauen durch die Feinheit seines Geistes und durch seinen artigen Witz. Besonders wußte er die noch immer schöne Gräfin zu gewinnen, der er vorzugsweise seine ganze Aufmerksamkeit zu schenken schien, ohne deshalb Alice auch nur einen Moment außer Acht zu lassen, oder gar zu vernachlässigen. Mit gewohnter Sicherheit nahm er an der Unterhaltung Theil. Ohne daß sich Milton Rechenschaft darüber zu geben wußte, empfand er einen entschiedenen Widerwillen gegen den so unerwartet eingetretenen Gast. Es war nicht Neid, nicht einmal Eifersucht, was sich in seinem Busen regte und ihn mit Mißtrauen gegen den Unbekannten erfüllte. Vielleicht drückte der Dichter nur das Uebergewicht und eine nur allzusehr zur Schau getragene Selbstgefälligkeit des Ankömmlings, oder war es die eigenthümlich geheimnißvolle Atmosphäre, welche Sir Kenelm umgab. Es lag etwas Dämonisches in seinem Auftreten. Unwillkürlich mußte Milton an jene prächtigen Giftblumen denken, welche einen betäubenden Duft aushauchen und trotz aller Schönheit den Stempel des Unheimlichen an sich tragen. Die Hauptschuld an diesem Mißfallen trug wohl die Verschiedenheit der Charaktere. Hier begegneten sich zwei ganz entgegengesetzte Naturen, welche auch nicht einen einzigen gemeinsamen Berührungspunkt aufzuweisen hatten.

Alice bemerkte zuerst mit dem scharfen Auge der beginnenden Neigung die Verstimmung des Dichters und suchte diesen ins Gespräch wieder hineinzuziehen, nachdem er längere Zeit geschwiegen hatte.

– Nun Herr Milton, sagte sie scherzend, Ihr sinnt wohl in diesem Augenblicke über das Versprechen nach, welches Ihr mir und Euerem Freunde Lawes gegeben habt.

– Welch ein Versprechen? fragte der Dichter zerstreut aus seinen Gedanken auffahrend.

– Ei! Ich hätte Euch nicht für so vergeßlich gehalten. Erinnert Ihr Euch nicht mehr, daß Ihr so eben erst drein gewilligt, unsere Irrfahrten im Haywood-Forst durch ein Gedicht zu verewigen?

– Allerdings, stammelte Milton verlegen und ich will Euch mein Wort halten.

– Auch zu mir, bemerkte Sir Digby dazwischen, hat die geschwätzige Fama bereits den Ruf Eures Abenteuers, mein edles Fräulein, getragen und ich beneide die jungen Herren, denen es vergönnt war, Euch einen solchen Ritterdienst zu erweisen. Der Dichter der Arkadier, denn ich erkenne ihn als solchen wieder, kann aber nach meiner Meinung keinen würdigeren Gebrauch von seinem Talente machen, als wenn er die Schönheit und Unschuld in zierlichen Versen besingt. Das ist der einzige Fall, wo ich die Poesie gelten lassen will, von der ich sonst nichts wissen mag.

– Und darf man fragen, wodurch sich die Musen Euren Widerwillen zugezogen haben? fragte Alice durch den Spott des Gastes verletzt.

– Weil sie nur Lügen und Unwahrheiten in der Welt verbreiten. Die Dichter kennen meist das wirkliche Leben nicht und setzen an die Stelle desselben ihre Einbildungen und Träume voll Irrthümer. Ihre Phantasie spiegelt ihnen und dem Leser nur Nebelbilder vor, welche bei näherer Betrachtung und Prüfung sich als leere Schatten erweisen. Besonders ist der Einfluß der Poesie auf jugendliche Gemüther schädlich, weil sie den Verstand irre führt, die Gegenstände in einem falschen Lichte erscheinen läßt und Herz und Kopf mit phantastischen Gedanken und Empfindungen erfüllt. Wie der göttliche Plato würde ich ebenfalls die Poeten aus dem Staat verweisen.

– Mit gerötheten Wangen und von Unwillen blitzenden Augen hatte Milton diesen ungerechtfertigten Angriff angehört. Sein Stolz empörte sich gegen den Verächter der Poesie, welche er von allen Künsten am höchsten hielt. Für ihn war die Muse kein bloßer Zeitvertreib, keine irdische Magd, die nur dem Vergnügen und der Unterhaltung dienen sollte. Dazu hatte er einen zu hohen Begriff von der Göttlichen. Dichter und Prophet galt in seinen Augen gleich; darum durfte er keine Schmähung seines Berufes und noch dazu in Gegenwart der Geliebten dulden. Plötzlich hatte er seine bisherige Schüchternheit abgelegt; er war von seinem Sitze aufgesprungen und stand nun im Feuereifer der Begeisterung dem Spötter gegenüber.

– Mag Plato sprechen was er will, sagte er gereizt, ich glaube dagegen, daß die Poesie das höchste ist, was der Mensch besitzt. Sie sollte dem Staate und der Gesellschaft schädlich sein, sie die größte Wohlthäterin der Menschheit? Erhebt sie nicht die Seele durch das Bewußtsein ihrer Verwandtschaft mit Allem, was göttlich, rein und edel ist? Wenn sie sich zu ihrer wahren Höhe emporschwingt, verschmilzt sie mit der Religion, mit dem Christenthume selbst, denn wie dieses durchgeistigt sie die ganze Natur. Zugegeben, daß die Poesie auch zuweilen dem Laster fröhnt und im Gefolge böser Neigungen erscheint; aber selbst dann noch, wenn der Genius sich so verirrt, bewahrt er noch seine Göttlichkeit und selbst wenn die Poesie der Wollust oder dem Hasse dient, kann sie ihren erhabenen Ursprung nicht ganz verleugnen. Spuren einer reinen Empfindung, Züge voll Zartheit, Bilder eines unschuldigen Glückes, Sympathie mit den Leiden der Tugend brechen aus der dunklen Zorneswolke aus der Nacht der Verzweiflung hervor; Stellen voll sittlichen Gefühls finden sich selbst in jedem unmoralischen Werk und sie beweisen nur wie schwer dem dichterischen Geiste der Abfall von seiner angebornen Trefflichkeit wird; denn die Poesie ist der stete Verbündete unserer besten Gefühle. Sie ergötzt sich an der Schönheit und Größe der Natur wie der Menschenseele. In der That, sie schildert mit schrecklicher Wahrheit die Verirrungen der Leidenschaft, doch nur solche, welche von einer mächtigen Natur Zeugniß ablegen, von einer Furcht gebietenden Kraft, die ein tiefes schauerndes Mitleid hinterläßt. Ihr hauptsächliches Streben und ihre größte Aufgabe ist es, den Geist über die ausgetretenen, staubigen und schmutzigen Bahnen des gewöhnlichen Lebens hinwegzutragen, ihn zu einer reineren Höhe emporzuheben, wo er in einer Atmosphäre voll edler und tiefer Gefühle athmen darf. Sie offenbart uns einzig und allein den Liebreiz der Natur, bringt uns die Frische jugendlicher Empfindungen wieder zurück, belebt den Geschmack an den einfachsten Vergnügungen, bewahrt die heilige Flamme der Begeisterung, welche den Lenz unseres Lebens erwärmt, die Liebe der getrennten Geschlechter veredelt, unsere Theilnahme an allen menschlichen Verhältnissen und für alle Klassen der Gesellschaft anregt, fortwährend neue Bande mit der Welt knüpft und endlich durch prophetische Ahnungen den Grund zu dem beseligenden Glauben an ein künftiges Leben legt.

– Vortrefflich! erwiederte Sir Kenelm Digby ironisch. Ihr vertheidigt Eure eigene Sache mit einem großen Aufwande von Geist und Phantasie. Als wahrer Dichter seid Ihr aber meiner Anklage eigentlich ausgewichen und habt Euch nur auf ein Loblied der Poesie beschränkt. Meine ihr gemachten Vorwürfe habt Ihr noch keineswegs widerlegt.

– Ich komme jetzt darauf zurück. Ihr werft der Dichtkunst vor, daß sie unrichtige Ansichten und falsche Erwartungen von dem wirklichen Leben verbreitet, daß sie den Geist mit Schatten und Illusionen erfüllt, daß sie Luftschlösser aus den Ruinen der Weisheit aufbaut. Ich leugne auch in der That nicht, daß sie jene Weisheit bekämpft, welche lediglich auf sinnlichen Anschauungen beruht, materielle Genüsse und Vergnügungen als das höchste Gut betrachtet und den Erwerb als die einzige Aufgabe des Lebens ansieht; ja ich leugne es nicht und ich preise diesen Umstand nicht als den geringsten Dienst, welchen die Poesie der Menschheit leistet, indem sie uns von der Sklaverei dieser staubgebornen, weltlichen Klugheit befreit. Aber ich will lieber diesen Punkt unberührt lassen und nur den Beweis führen, daß all die Anschuldigungen, welche den Dichter wegen Täuschung und Lüge treffen, gänzlich grundlos sind. In manchen Gedichten ist weit mehr Wahrheit, als in der Geschichte selbst und in den philosophischen Systemen gefunden wird. Die Schöpfungen des Genius sind öfters die Offenbarungen der höchsten Wahrheit, sie erschließen uns unbekannte Regionen des Gedankens und erhellen mit einem neuen Licht die Mysterien des Daseins. In der Poesie erscheint das Wort selbst zuweilen falsch, aber der Geist enthält die höchste Wahrheit. Und wenn so die Wahrheit sogar noch in den kühnsten Schöpfungen des Dichters weilt, um wie viel mehr wird dies der Fall sein, wo er das wirkliche Leben malt; denn unser gegenwärtiges Leben ist nur die Vorschule des unsterblichen Geistes, überreich an poetischem Gehalt. Die hohe Aufgabe des Sängers wird es sein, dies göttliche Element aus der Hülle des groben Stoffes und der irdischen Zerstreuungen hervorzuziehen. Dies Leben ist durchaus nicht prosaisch, schaal und nüchtern wie man glaubt. Für das geöffnete Auge strömt es über von Poesie. Die Gefühle, welche es in unseren eigenen Herzen erweckt und als Samenkörner für die Zukunft ausstreut, die Kräfte der allmächtigen Leidenschaft, welche die Seele mit einer übermenschlichen Energie zu waffnen scheint, die unschuldigen und ewig neuen Freuden der Jugend, die Schauer des Herzens, wenn es zum ersten Male der süßen Macht der Liebe unterliegt, und von einem Glücke träumt, zu hoch für diese Welt; das Weib mit seiner Schönheit und Anmuth, seiner Liebenswürdigkeit und Hingebung ohne Gränzen; das Erröthen der Unschuld, der Ton, der Blick, welche allein dem Herzen einer Mutter zu Gebote stehn, das Alles ist Poesie. Es ist eine Lüge, daß der Dichter ein Leben malt, das nicht in der Wirklichkeit besteht. Er destillirt und koncentrirt nur des Lebens himmlischen Essenz, bewahrt und sichert seinen flüchtigen Duft, vereint die getrennten und zerrissenen Theile seiner Schönheit und gibt eine längere Dauer seinen leider nur zu schnell hinwelkenden Blüthen. Und daran thut er wohl, denn es ist gut, sich daran zu erinnern, daß das Leben nicht allein der Sorge für die irdische Existenz gehört, sondern Empfindungen noch zuläßt, welche ins Unermeßliche ausgedehnt, uns mit Wonnen und Entzücken erfüllen, werth eines besseren Seins. Diese Macht der Poesie, unsere Anschauungen vom Leben und vom Glück zu verfeinern und zu läutern thut um so mehr uns Noth, je weiter die Gesellschaft vorschreitet. Sie thut uns Noth, um den Anmaßungen unseren herzlosen und gekünstelten Zustände zu begegnen, welche durch die Bildung herbeigeführt die Welt so öde und interessenlos erscheinen lassen. Sie thut uns Noth, um die einseitigen Bestrebungen der Wissenschaft zu bekämpfen, welche nicht wie früher um ihrer selbst Willen gelehrt wird, sondern aus schnöder Gewinnsucht und wegen der Vortheile, die sie verspricht. Darum muß die Poesie einen neuen Aufschwung nehmen, um die Menschheit zu verhindern unter der Last dieses irdischen, materiellen und genußsüchtigen Lebens der Gegenwart gänzlich zu versinken und so unterzugehen.

Als der Dichter geendet hatte, entstand eine auffallende Stille in dem Gemache, über die er fast erschrack. Die Begeisterung hatte ihn selber fortgerissen, so daß er Alles ringsumher vergaß, den Ort, wo er stand und die Personen, zu denen er sprach. Erröthend blickte er wie aus einem Traum erwachend auf seine Zuhörer, die unter dem Zauber seiner Worte noch wie gebannt erschienen. Alice hatte ihre Arbeit auf den Schoos niedergleiten lassen und saß in andächtiger Stellung mit gefalteten Händen da. Ein seliges Lächeln schwebte um ihre Lippen und in ihrer reinen Seele hallte noch das Echo der eben gehörten Worte nach. Das waren ja ihre eigensten Gedanken und Empfindungen, nun unendlich schöner und tiefer als sie selbst gedacht und gefühlt. Der enthusiastische Musiker war von seinem Sitze aufgesprungen und drückte dem verlegenen Milton zum Danke warm die Hand. Selbst der ironische Weltmann vergaß seinen Spott und begnügte sich die offenbare Niederlage, die er erlitten, mit höfischer Gewandtheit zu verdecken, indem er selbst zuerst dem Dichter für seine Vertheidigung der Poesie das reichste Lob spendete.

– Ihr habt Eure Sache so trefflich geführt, daß ich mich fast besiegt erklären muß. Ihr seid nicht nur ein Dichter, sondern auch ein ausgezeichneter Advokat. Mit solchem Talente könnt Ihr es noch weit bringen, wenn Ihr es zu nutzen versteht. Ich will nicht auf den alten Streit zurückkommen, sonst würde ich Euch den Rath ertheilen, gebt lieber die Poesie auf, welche ihre Verehrer nur mit Dornenkronen lohnt. Der Lorbeer bleibt ewig unfruchtbar.

– Deswegen ist er auch das Symbol des höchsten Ruhms. Wer das Göttliche erstrebt, verzichtet auf jeden irdischen Gewinn.

– Wir leben aber einmal aus dieser Erde und darum thätet Ihr besser Euer Talent zu nützen und so viel als möglich auszubeuten. Der Staatsdienst steht Euch offen und bei Eurer Begabung kann es Euch nicht fehlen, daß Ihr zu den höchsten Aemtern einst gelangt, wenn Ihr nur wollt.

– Vorläufig, entschied die Gräfin Bridgewater, dürft Ihr Herrn Milton nicht dem Dienst der Musen entziehen. Wir bedürfen seiner. Noch in diesen Monat fällt der Geburtstag meines Gatten, des Lord Präsidenten. Wir haben beschlossen, bei dieser Gelegenheit irgend eine Maske, oder ein Schäferspiel zur Aufführung zu bringen und wollten den Dichter eben darum ersuchen, uns mit Rath und That an die Hand zu gehen.

– Von ganzem Herzen stehe ich mit meiner geringen Kraft zu Diensten, entgegnete Milton bereitwillig.

– Und die Musik liefere ich dazu, sagte Conrad Lawes. Wie freue ich mich auf die schönen Verse, die du mir gewiß dichten wirst.

– Du thust mir eine große Ehre an, entgegnete der Dichter, doch bin ich wirklich wegen des Stoffes in Verlegenheit.

– O, da ist leicht geholfen, rief der Musiker, und du kannst gleich zwei Fliegen mit einem Schlage abthun. Wie wäre es, wenn du das Abenteuer im Haywood-Forst zum Gegenstande dieses Maskenspieles wähltest. Das giebt herrliche Scenen und Auftritte. Die Personen, die darin erscheinen, kannst du gleich nach der Natur zeichnen; unser gnädiges Fräulein, die beiden Brüder und den närrischen Komus Du hast nur halbe Arbeit und ich will dir eine Musik dazu machen, daß sich die Engel im Himmel darüber freuen sollen.

– Es frägt sich nur, wandte Milton dagegen ein, ob Fräulein Alice und ihre Brüder damit einverstanden sind, daß ich sie auf die Bühne bringe. Auch fühle ich mich einer solchen Aufgabe nicht gewachsen.

– O, versucht es nur, nahm Alice jetzt das Wort. Ich gebe Euch gerne dazu die Erlaubniß und meine Brüder werden ebensowenig dagegen etwas einzuwenden haben. Nur eine Bedingung knüpfe ich noch daran, daß Ihr uns nicht allzusehr idealisirt und mit zu großer poetischer Freiheit behandelt. Die Dichtkunst soll der Wahrheit dienen, habt Ihr selbst gesagt, und ich nehme Euch beim Wort.

– Seid ganz unbesorgt, denn ich werde mich hüten, mich selbst Lügen zu strafen. Die Wirklichkeit ist hier schon volle Poesie. Sogleich will ich mich an die Arbeit machen und Lawes soll schon in einigen Tagen die ersten Verse erhalten, welche er componiren wird.

– Ich danke Euch im Voraus, sagte die Gräfin, für Euere Bereitwilligkeit. Und um der Wahrheit so treu als möglich zu bleiben, sollen Alice und ihre Brüder selbst das Abenteuer auf der Bühne darstellen, das ihnen begegnet ist.

– Vortrefflich! jubelte der Musiker. So erleben die Betheiligten doppelt die wundersame Begebenheit.

– Für die übrigen Rollen, die Ihr noch hinzuzufügen gedenkt, fuhr die Gräfin fort, werden sich wohl ebenfalls die geeigneten Darsteller finden. Natürlich rechne ich dabei zunächst auf Euch und Euren Freund, Herrn King. Als Befreier und Erretter dürft Ihr Beide dabei nicht fehlen.

– Erlaßt mir, bat Milton, diese Aufgabe. Ich selber besitze auch nicht die geringste Anlage zum Schauspieler. So oft ich öffentlich sprechen soll, schnürt sich mir die Kehle zusammen und ich vermag auch nicht ein Wort hervorzubringen. Ich würde deshalb nur eine sehr traurige Rolle bei einer derartigen Gelegenheit spielen. Auch gebührt die Ehre der Befreiung, wenn dieselbe überhaupt so zu nennen ist, lediglich der Tapferkeit und dem Muthe meines Freundes. Es wird somit genügen, wenn er als solcher in dem Maskenspiel, wie es mir vorschwebt, erscheint.

– Wer aber wird den Gott Komus darstellen? fragte Alice.

– Ich! Wenn Ihr es erlaubt, antwortete Sir Digby.

– Wie, Ihr wolltet? rief die Gräfin verwundert aus.

– Auch ich möchte gern ein Scherflein zu dem allgemeinen Vergnügen mit beitragen; und da ich einmal von der Natur zum prosaischen Menschen geschaffen bin, so laßt mich auch in Gottes Namen als solchen eine Rolle übernehmen, die meinem Wesen am meisten zusagt. Von allen Göttern des Olymps hat mir Freund Komus, der Gott des Scherzes und der Laune, immer am besten gefallen und ich will mich bemühen, ihn so weit als möglich zu Ehren zu bringen, vorausgesetzt, daß der Dichter und Ihr nichts dagegen einzuwenden habt. Herr Milton wird gewiß dafür Sorge tragen, daß Freund Komus nicht allzu schlecht fährt und ihn mit der gehörigen Dosis von Witz und Humor ausstatten. In diesem Falle erlaube ich ihm sogar, der Wahrheit ein wenig zu nahe zu treten und den plumpen, spöttischen Gesellen nicht ganz nach der Natur zu schildern. Ein wenig Bosheit und Ironie darf er dagegen aufweisen. Denn sie würzen das Leben und ein sanftes Schäferspiel kann nur dabei gewinnen.

– Ich danke Euch für diesen Fingerzeig, erwiederte der Dichter, und hoffe ihn nach meinen Kräften zu benutzen. Ihr sollt Euch nicht über mich zu beklagen haben und ich werde gewiß Eure Angaben getreulich befolgen.

– Aber wie soll die Maske heißen? fragte der Musiker.

– Alice, oder die befreite Unschuld, antwortete schnell Edward King, der bisher geschwiegen und sich nur in Gedanken mit dem lieblichen Mädchen beschäftigt hatte.

– Ihr thut mir zu viel Ehre an, wandte dieselbe dagegen ein. Laßt das Stück lieber »Komus« heißen.

– Ihr habt nur zu gebieten, erwiederte der Dichter; auch ich finde diesen Titel am besten und will sogleich an die Arbeit gehen. In einigen Tagen hoffe ich damit fertig zu sein.

– Und ich werde mich pünktlich zur rechten Zeit einstellen, sagte Sir Digby und meine Rolle gewissenhaft lernen und spielen.

– Wir nehmen Euch beim Wort, entgegnete die Gräfin. Natürlich versprechen mir alle die Betheiligten ihr Stillschweigen, da es auf eine Ueberraschung für meinen Gatten abgesehen ist.

Bald darauf nahm das Gespräch eine mehr allgemeine Wendung. Sir Kenelm Digby mußte von seinen Reisen erzählen, und er that dies in einer Weise, welche seine Zuhörer entzückte. Er hatte den größten Theil Europa's und zwar unter durchaus eigenthümlichen und glänzenden Verhältnissen gesehen. Er wußte eben so lebendig als ergötzlich das Leben am spanischen wie am französischen Hofe zu schildern. Dadurch, daß er die hervorragendsten Persönlichkeiten von Angesicht kannte und vielfach mit ihnen in Berührung getreten war, erhielt seine Erzählung noch einen ganz besonderen Reiz. So entwarf er ein höchst entsprechendes Bild von dem Kardinal Richelieu, den er für den größten Staatsmann der Welt erklärte. Seine Schilderung wußte er noch außerdem mit allerhand witzigen Anspielungen und piquanten Anekdoten zu würzen, wobei die Liebe des Kardinals zu der Königin Anna von Oestreich und ihre Abneigung gegen den allmächtigen Minister nicht vergessen wurde. Am längsten und ausführlichsten verweilte er bei den Herrlichkeiten Italiens. Hier wurde er fast selbst zum Dichter und indem er die Wunder Venedig's, die Schönheiten von Florenz und die Erhabenheit Roms seinen Zuhörern pries, erwärmte er sich selbst und vergaß seine gewöhnliche Ironie, indem er sich von seiner Begeisterung hinreißen ließ.

– Ja, Ihr müßt nach Rom, sagte er zu dem Dichter gewendet. Dort wird Euch ein neues Leben aufgehen. Keine Stadt auf Erden vereint in dem Maße die Wunder der alten und der neuen Zeit. Wohin Ihr tretet, ist der Boden geheiligt. Dort erhebt sich das Kolosseum selbst in seinen Ueberresten noch erdrückend durch die Größe und die Kühnheit seines Baues; hier erblickt Ihr Sct. Peters Dom, dessen erhabene Kuppel dem Beschauer groß wie die Wölbung des Himmels erscheint. Ein frommer Schauer erfüllt das Herz in solch riesiger Umgebung und wenn von dem Chore die mächtige Orgel und der Gesang zum Hochamt erschallt, dann beugt sich unwillkührlich jedes Knie. – Tempel und Paläste wechseln mit einander ab und die unsterblichen Schöpfungen der Kunst strahlen Euch in ewiger Schöne von ihren Wänden und aus den Nischen entgegen. Der ganze Olymp läßt sich zu Euch herab und Ihr seht jene Götter, welche die blühende Phantasie den Hellenen geschaffen hat. Groß und ernst schaut Euch der Kopf der Juno an, heiter lächelnd steigt die Göttin der Liebe vor Euren Blicken aus dem Wellenbad. Der Marmor scheint zu leben und ihr erwartet, daß sie ihre verlangenden Arme Euch entgegenstreckt. Die keusche Diana eilt mit schnellem Fuß an Euch vorüber, Ihr glaubt die Pfeile in ihrem Köcher rasseln zu hören und wünscht im Stillen, wie Endymion von diesen jungfräulich strengen und doch so feinen Lippen im Schlafe geküßt zu werden. An den Baumstamm gelehnt steht Apollo, der Gott des Gesanges, das Urbild der Schönheit. Von seiner glänzend reinen Stirn wallt das ambrosische Haar wie lichter Sonnenglanz. Ein edler Sängerstolz schwellt den kräftigen Mund und bläht die königlichen Nüstern auf. – Und als genügten diese Zeugen einstiger Herrlichkeit noch nicht: so tauchen mit jedem Tage neue Wunderwerke aus dem Schoos der Erde auf, welche getreu solche Schätze vor den barbarischen Horden verborgen hielt, um sie einer besseren und gebildeteren Zeit aufzusparen, die ihren Werth zu schätzen weiß. An diesen Reliquien des Alterthums entzündete sich in Italien die neuere Kunst. Nicht umsonst hat ein Raphael sich in den Anblick solcher Schönheit versenkt, ein Michel Angelo mit großem Blick die Einfachheit und Größe der antiken Welt erkannt. Beide schufen Werke, die ihre Vorbilder nicht nur zu erreichen, sondern selbst zu übertreffen suchten. An die Stelle des kalten Marmors ist die heitere Farbenpracht getreten. Das Christenthum zeigt sich nicht minder reich wie der heidnische Götterdienst. Um wie viel schöner find diese Madonnen, diese Heiligen von der Meisterhand eines Raphael, welcher den irdischen Liebreiz mit der himmlischen Glorie zu umgeben weiß, als all die Liebesgöttinnen, um wie viel erhabener das jüngste Gericht von Michel Angelo als der Streit der Titanen. Und um dies Alles schlingt sich der liebliche Kranz ländlicher Villen und Gärten, wo der Lorbeer auf Ruinen sprießt, die Weinrebe traubenschwer sich um die schlanke Pappel rankt und die dunkle Cypresse wie ein warnender Finger an die Vergänglichkeit uns mahnt, zugleich zum Genuß des Lebens einladend.

– Wahrlich! rief Milton, von der Schilderung des Redners ergriffen, ich will dies Wunderland noch einmal sehen.

– Und Ihr thut wohl daran, fuhr Digby mit seinem eigenthümlichen Lächeln fort. Wo Virgil gelebt, Horaz gedichtet, Cicero gesprochen und gedacht, kann es dem Dichter nicht an neuen Anregungen fehlen. Die große vatikanische Bibliothek wird sich vor Euch aufthun mit ihren Geistesschätzen, ihren Büchern und seltenen Handschriften. Dort findet Ihr auf einem einzigen Punkt vereint, was der menschliche Genius seit Jahrhunderten geschaffen, ein Arsenal des Wissens, eine Schatzkammer der edelsten Art, wie sie nirgends zum zweiten Male in der Welt angetroffen wird. Aber der klassische Geist ruht nicht blos todt in den Büchern, er ist noch immer lebendig in diesem wunderbaren Land Italien und Ihr werdet dort eine Anzahl Männer kennen lernen, reich an Kenntnissen und von der feinsten Humanität beseelt. Nach wie vor bleibt Italien die Wohnstätte der Genies, das Vaterland der Dichter und seine großen Männer sind noch immer die Lehrer der ganzen Welt.

In diesem begeisterten Tone sprach Digby mit Milton und fachte in der Brust desselben den längst genährten Wunsch, Italien zu schauen, fast zur verzehrenden Sehnsucht an. Schon früher hatte er oft daran gedacht, das klassische Land zu besuchen. In jenen Tagen wurden die jungen Leute zur Vollendung ihrer Ausbildung dahin geschickt, wie später nach Frankreich und Paris. Rom und Florenz galten damals noch für die Hochschulen des Geistes und kein Kavalier wurde für vollgültig angesehen, der nicht daselbst längere Zeit verweilt hatte. Miltons Vater war von der Nothwendigkeit einer solchen Reise für den talentvollen Sohn vollkommen überzeugt und hatte längst ihm die Erlaubniß dazu bewilligt; nur war der Zeitpunkt noch nicht für die Ausführung derselben festgestellt und durch manche häusliche Verhältnisse weiter hinausgeschoben. Digby's Schilderungen erweckten von Neuem den alten Plan, dem jetzt nichts im Wege stand, als die beginnende Neigung für Alice. Diese hatte in den wenigen Tagen, welche der Dichter in Ludlow-Castle zubrachte, entschiedene Fortschritte gemacht. Seit jener Begegnung im Garten waren Beide sich mit jeder Stunde näher gerückt und wenn auch weder der Dichter noch Alice ihren Gefühlen bis jetzt Worte liehen, so hatten sie dennoch die Gewißheit ihres gegenseitigen Glückes.

Die Abschiedsstunde schlug indeß. Länger konnten Milton und sein Freund nicht in Ludlow-Castle verweilen und die großmüthige Gastfreundschaft benutzen. Der Trennungsschmerz wurde jedoch durch die Hoffnung eines baldigen Wiedersehens gemildert. Der Dichter mußte der Gräfin nochmals das Versprechen geben, in wenig Tagen mit seinem Werke zu erscheinen, die nöthigen Anordnungen für das Festspiel selbst zu übernehmen und die Ausführung desselben zu leiten. Alice reichte ihm zum Abschied unbefangen die Hand, welche er ehrerbietig an seine Lippen führte.

– Auf baldiges Wiedersehn! flüsterte sie dem Dichter zu.

– Auf baldiges Wiedersehn! wiederholte er gedankenvoll.


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