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8.

Im raschen Fluge drängten sich die Ereignisse. Nur kurze Zeit regierte der kleine Sohn eines großen Vaters; Richard Cromwell war zu schwach für eine solche Last, er erlag den Parteien, welche nach dem Tode des Gewaltigen, befreit von dem Drucke seiner ehernen Hand, sich von Neuem erhoben. Die Generäle des Protectors strebten, von Ehrgeiz getrieben, nach seiner Macht, sie besaßen wohl seine niederen, aber nicht seine hohen Eigenschaften. Nur ein einziger unter ihnen hatte wenigstens den berechnenden Verstand und die zuschauende Vorsicht von ihm geerbt, aber ihm fehlte die Begeisterung, durch welche Cromwell im raschen Fluge sich emporgehoben hatte. Mit seinen ihm ergebenen Truppen marschirte Monk nach London, wo er die Ruhe herstellte und einstweilen den Gang der Ereignisse ruhig verfolgte. –

Nach den langjährigen Bürgerkriegen und der politischen Aufregung war wie gewöhnlich ein Zustand von Erschlaffung eingetreten. Müde der Kämpfe, enttäuscht und durch Cromwell's Herrschaft um die Freiheit betrogen, sehnte sich die Mehrzahl der Nation nach ruhigen Zuständen. Die Jugend haßte die puritanische Sittenstrenge und verlangte nach dem Genuß der verbotenen Lebensfreuden. So waren alle Verhältnisse der Wiederkehr der Stuarts günstig. Während noch die Republik bestand, eiferten die Geistlichen jetzt von den Kanzeln für das Königthum, wie einst gegen dasselbe. Haufen von bewaffneten Lehrjungen durchzogen mit lautem Lärm die Straßen der Stadt und ließen Karl den Zweiten leben. Seine Unterhändler traten nunmehr offen und ungescheut hervor und warben täglich neue Anhänger für ihn. – Von einem einzigen Manne hing das Geschick Englands ab und dieser war der General Monk. Bis jetzt hatte er noch nicht seine Absichten kund gethan, er besaß die Kunst des Schweigens im höchsten Grade. Selbst dem eigenen Bruder verbarg er seine Gedanken. Kalt und nüchtern beurtheilte er die Verhältnisse und seine eigene Stellung; ohne Enthusiasmus, ohne Begeisterung war ihm die Republik eben so gleichgültig, wie das Königthum und nur die Sache, welche ihm den meisten Vortheil versprach, auch die seinige. – Dieser Mann war jetzt Herr der Revolution, auf den schwärmerischen Fanatismus war die kühle Berechnung, der egoistische Verstand gefolgt. – Alle äußeren und inneren Zeichen deuteten auf den nahen Fall der Republik. Die Anhänger des Königthums jubelten laut, während die Freunde der Freiheit im Stillen trauerten; Niemand jedoch mehr, als Milton. – Seit seinem letzten Gespräche mit Cromwell hatte er neues Vertrauen gefaßt und die Hoffnung war für ihn zurückgekehrt. Durch seine zunehmende Blindheit sah er sich genöthigt, von den Staatsgeschäften sich zurückzuziehen, auf seine Empfehlung wurde ihm Marvell, jener junge Engländer, den er in Rom kennen gelernt hatte, als Beistand zur Seite gegeben. Dadurch erhielt Milton wieder die nöthige Muße, an größere und poetische Arbeiten zu denken. In einsamen Nächten, wo der Schlaf ihn floh, dichtete er an seinem »verlorenen Paradiese.« Einzelne Bruchstücke theilte er den Freunden mit, welche voll Bewunderung die ersten Gesänge aufnahmen und ihn zur Fortsetzung aufmunterten. Besonders war Alice begeistert von den mitgetheilten Proben. Er hörte auf ihren Rath und ihr feines Urtheil, ihr geläuterter Geschmack, vor Allem der ihr innewohnende religiöse Sinn übte einen bedeutenden Einfluß auf seine berühmte Schöpfung. Nicht minder vortheilhaft wirkte sie auf seine Stimmung. Sein eheliches Verhältniß war durch den Tod seiner Gattin gelöst; sie hatte ihm trotz der Versöhnung nie besonders nahe gestanden, dennoch bedauerte er aufrichtig ihren Verlust, der ihm jetzt um so schwerer fiel, da er fast erblindet mit drei halberwachsenen Töchtern zurückblieb. An der treuen Freundin fand er eine Stütze, seine Kinder eine Mutter. Sie sorgte für ihn und verließ ihn nicht. In dem steten Verkehr mit ihr nahm sein Geist eine mildere Färbung an, unwillkürlich lernte er von ihr jene Sanftmuth und Duldung, von der die edle Frau beseelt war. Ohne seiner eigenen Ueberzeugung untreu zu werden, beurtheilte er die Meinung Anderer mit weit mehr Schonung, als früher. Ernstlich dachte er über eine Aussöhnung der verschiedenen Sekten und religiösen Spaltungen innerhalb des Protestantismus nach und seine Gespräche mit ihr berührten jetzt häufig diesen Gegenstand.

– Eine solche Versöhnung, sagte er einst zu ihr, ist nur möglich, wenn die Kirche ihre vollkommene Unabhängigkeit vom Staate gewonnen hat.

– Das dürfte kaum jemals geschehen.

– Und doch sprechen alle Gründe für meine Forderung. Jeder Mensch hat das angeborne Recht, seinen Ueberzeugungen zu folgen, wenn er nur überhaupt einem offenbarten Glauben angehört. Der Protestantismus gründet sich auf die Autorität der heiligen Schrift, welche aber Jedermann nach seiner Einsicht und Erleuchtung auslegen kann; daraus geht klar hervor, daß weder die Tradition, noch die Verordnungen der sichtbaren Kirche, am wenigsten die Entscheidung der Regierung in Glaubenssachen herrschen darf. In den Augen der Protestanten nimmt die Bibel und nicht die Kirche, das Gewissen und nicht die Geistlichkeit die erste Stelle ein. Kein Mensch kann aber sein eigenes Gewissen sich durch die Ueberzeugung eines Andern ersetzen lassen. Aus demselben Grunde verwerfen wir auch den Papst, weil er sich für unfehlbar hält. –

– Wenn Ihr aber jede Autorität leugnet, so öffnet Ihr der Ketzerei und Gottlosigkeit das Thor, wandte ihm die strenggläubige Freundin ein.

– Das großmächtige Wort, das ihr mir da in den Weg werft, erschreckt mich nicht, obgleich ich weiß, daß man es seit Jahrhunderten als eine Vogelscheuche gebraucht, um die freien Geister von dem Felde der Erkenntniß abzuwehren. Der wahre Ketzer ist nicht der, welcher die heilige Schrift befolgt, so weit er sie versteht und auffaßt, sondern derjenige, welcher blind der Kirche folgt, ohne sein eigenes Gewissen zu befragen. Offene und unbeschränkte Freiheit der Prüfung ist der Lebensnerv des Protestantismus. Die Kirche hat kein Recht sich in religiöse Ueberzeugungen zu mischen, um wie viel weniger der Staat. Fragt nur die Geschichte, und sie wird Euch Antwort geben. Die Religionskriege, diese blutigsten der Kämpfe, fließen aus dieser trüben Quelle. Verbannung, Kerker, Leibesstrafen, alle Grausamkeiten und die wildesten Verfolgungen haben ihren Grund in der Abhängigkeit der Kirche vom Staate. Das Christenthum ist in seiner ursprünglichen Gestalt, rein geistiger Natur und beruht auf der unumschränkten Freiheit; es bedarf zu seinem Wachsthum und seiner Entwickelung nicht die weltliche Macht, die ihm offenbar untergeordnet ist und deren Joch es nicht dulden kann. Es heißt die Religion selbst erniedrigen, wenn man für sie eine derartige Stütze nöthig hält; es heißt ihr ganzes Wesen verkennen und was noch mehr sagen will, die göttliche Wahrheit beleidigen.

– Der Staat muß nach meiner Meinung wenigstens das Recht haben, die Religion zu beaufsichtigen, um den Skandal zu hindern und die Unmoralität zu bestrafen. Es ist dieses seine heiligste Pflicht.

– Der Beschützer wird nur allzu leicht ein Tyrann. Indem er vorgiebt, die Religion vor ihren Feinden zu behüten, wird er bald auch die Freiheit des Gewissens und des Denkens antasten. Wenn man den Ungläubigen zwingen will, wenigstens äußerlich die Formen der Religion zu beobachten, oder den gewissenhaften Mann gegen seine Ueberzeugung zu handeln, so wird man in beiden Fällen stets dasselbe Resultat erreichen und nur Heuchler machen. Ich kann nur in der Freiheit und in der völligen Unabhängigkeit der Kirche von dem Staate das wahre Heil des Glaubens sehen. Erst dann ist jene Duldung möglich, die sowohl, Ihr meine Freundin, wie ich für alle Menschen wünschen.

– So gebe Gott, daß der Tag bald komme, wo alle Welt die Schonung und Liebe übt, die seit Jahren trotz unserer verschiedenen Ansichten, uns beseelt.

– Amen! sagte der Dichter, und nun will ich, Euch den Anfang des dritten Gesanges aus meinem »Verlorenen Paradieses« recitiren.

Mit zitternder, bewegter Stimme sprach der erblindende Dichter:

Sei, heil'ges Licht, gegrüßt, du Erstgeburt
Des Himmels! oder darf ich deinen Strahl
Gleich ewig nennen mit dem Ewigen,
Da Gott Licht ist und in unnahbar'm Lichte,
In dir also, Von Ewigkeit her wohnt?
Du klarer Ausfluß unerschaff'ner Klarheit,
Du reinsten Aethers heller Strom, wer ist,
Der deine Quelle kennt? Denn vor der Sonne
Und vor den Himmeln warst du; du umgabst,
Von Gott berufen, wie mit einem Mantel
Die Welt, als sie aus tiefen Wassern stieg
Und Finsterm, formlos Oedem sich entwand.
Zu dir kehr' ich mit kühnem Schwung zurück,
Dem styg'schen Pfuhl entronnen, der mich lang
Im Dunkel hielt, als ich auf meinem Fluge
Durch äußerste und mittle Finsterniß
Mit andern Tönen als mit Orpheus Leier
Vom Chaos sang und von der ew'gen Nacht.
Die Himmelsmuse lehrte mich, hinab
Den dunklen Pfad und wieder aufzusteigen, –
Ein schwerer, seltener Gang! Ich nah' dir wieder
Und fühl' dein allbelebend Sein; doch du
Nahst meinem Auge nicht, die deinen Glanz
Vergebens suchen, selbst nicht Dämm'rung finden;
So dicht hat ihre Kreise Abendthau
Mit Dunkelheit umwölkt. Deshalb jedoch
Laß ich nicht ab, zu wandeln mit den Musen
Am Quell, im Schattenhain, auf sonnigen Höh'n
Von Lieb' erfüllt für heiligen Gesang
Vor allen, Sion, dich und jene Bäche,
Die dir umrieseln den geweihten Fuß,
Besuch' ich gern bei Nacht; dann denk' ich oft
Des Paars, das gleiches Loos mit mir getheilt; –
O, theilte ich auch gleichen Ruhm mit ihm! –
An Mäons blinden Sohn und Thamyris,
An Phineus auch und an Tiresias;
Und lebe in Gedanken, die sich selbst
Zu Maaß und Wohllaut fügen, wie, versteckt
Im dichtesten Gebüsch, die Nachtigall
Ihr nächtlich Lied anstimmt. – Wohl kehrt zurück
Der Jahreszeiten Lauf; mir kehrt kein Tag
Zurück, kein Morgen- und kein Abendroth,
Nicht Lenzes Blüthe, nicht des Sommers Rosen;
Mir lacht der Menschen göttlich Antlitz nicht;
Das stete Dunkel, das mich einhüllt, trennt
Mich von des Lebens fröhlichem Verkehr;
Und reicht mir statt des Buchs lebend'gen Wissens
Ein leeres Blatt; verwischt und ausgelöscht
Sind mir die Werke der Natur, und ganz
Ist ein Weg zur Erkenntnis mir verschlossen.
Um so viel heller strahlst im Innern mir,
Du Himmelslicht durch hehre Geisteskraft!
Dort pflanze Augen hin! von da verscheuch'
Des Nebels Dunst, damit ich schau und künde,
Was unsichtbar dem Aug' der Sterblichen. –

Tief erschüttert lauschte Alice der rührenden Klage, welche der Dichter über seine eigene Blindheit anstimmte. Als er geendet hatte, ergriff sie seine Hand, eine Thräne fiel darauf.

Ja, Ihr seid meine Muse und steht vor meinen verdunkelten Augen als solche da. In Euch finde ich die göttliche Natur des Weibes wieder, welche uns das verlorene Paradies zurückgiebt. Acht ich hatte es einst besessen und durch eigene Schuld verscherzt; doch der Himmel war gnädig und schickte einen seiner Engel in Euch zu mir herab, der mir die Pforten eines neuen und schöneren Edens erschlossen hat. Die irdische Leidenschaft ist verschwunden und nur jene himmlische Liebe mir geblieben, welche jetzt mein Trost in Nacht und Unglück ist. In dieser Stunde will ich Euch gestehen, wie heiß und innig ich Euch einst geliebt. Die Zeit hat meine Leidenschaft geläutert, meine Neigung verklärt, frei von jedem irdischem Wunsch darf ich heute laut vor Euch bekennen, was ich sorgsam scheu vor aller Welt verbarg.

– Und in demselben Sinne erwiedere ich Euer Geständniß, flüsterte Alice innig bewegt. Auch ich liebte Euch in jener schönen Zeit. Das Schicksal trennte uns und ich wurde die Gattin eines andern Mannes. Gott weiß es, wie theuer er mir wurde. Es war nicht jene berauschende Liebe, die mich zu Carbury zog, sondern die höchste Anerkennung der edlen, männlichen Natur in ihm. Lange Zeit kämpfte ich mit der Erinnerung an die Vergangenheit und an Euch, bis ich in der Erfüllung meiner Pflicht ein volles Genügen und meine Beruhigung fand. Ich lernte meinen Gatten nicht nur achten, sondern wirklich auch lieben, und bald war er mir das Theuerste auf dieser Welt. – Euch aber bewahrte ich die innigste Theilnahme in meinem Herzen, eine Zuneigung, welche wie die Eurige, frei von jedem Wunsche, von jedem unerlaubten Wunsche, von jedem unlauteren Gedanken geblieben ist.

– Und so wurde mir ein Glück zu Theil, das ich kaum mehr gehofft. Ihr habt mir den Glauben an die bessere Natur der Frauen wiedergegeben; in Euch lernte ich die heilige Weiblichkeit verehren und achten, die ich für ein eitel Hirngespinst einst hielt. Wohl darf ich Euch gestehen, daß es eine Zeit in meinem Leben gegeben hat, wo ich ernstlich glauben konnte, daß die Frau, aus schlechterem Stoff gebildet, eine niedre Schöpfung sei.

– Wie beklag ich Euch darum und was müßt Ihr grade dabei gelitten haben; denn dem Mann, welcher den Glauben an die edle Natur des Weibes verloren hat, blüht kein Glück auf dieser Erde. Der Schöpfer hat uns zwar die Schwäche zum Erbtheil gegeben, aber dafür auch die Milde in das Herz gepflanzt. Wenn Eva die Menschheit um ein Paradies gebracht hat, so ward uns durch ein anderes Weib der Erlöser und das Heil der Welt gegeben.

– Ihr habt mein eigenes Schicksal mit Euren Worten bezeichnet. Auch ich besaß einst ein Weib, welches der Eltermutter Eva glich. Sie hat das Paradies meines ehelichen Glückes zerstört, ich habe ihr verziehen, wie einst Adam seinem Weib, der großen Sünderin vergab. Nun aber ist mir eine andere Frau erschienen, welche frei von allen Schwächen ihres Geschlechtes sich hoch emporschwingt über diese niedere Welt und mich mit sich von der Erde zum Himmel führt. Schon fühle ich ihren beseligenden Einfluß, wie sie trotz meiner Blindheit meinen Geist mit Licht erfüllt, durch Sanftmuth und Duldung mich läutert und mit der Welt versöhnt, durch ihre ächte und wahre Frömmigkeit mir ein Vorbild wird und mir mein schweres Geschick ertragen hilft. Durch ihre Theilnahme und feines Verständniß mein Werk fördert, das sicher ohne ihre Anregung nie zur Vollendung gelangt sein würde. Ein solches Weib giebt mir das verlorne Paradies zurück und ich preise die Güte des Herrn, der mir, wenn auch spät, eine so große Gnade erwiesen und mir die wahre und hohe Natur der Frau offenbart hat.

Der blinde Dichter fühlte einen leisen, keuschen Kuß auf seinen Lippen, ehe er jedoch denselben erwiedern konnte, war seine Muse verschwunden.


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