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17.

Je länger Mary mit ihrer Rückkehr zögerte, desto mehr bestärkte sich Milton in dem Entschlusse, sich von ihr zu trennen. Indem er aber über das Wesen der Ehe und über die Scheidung reiflich nachdachte, hatte er weit weniger seine eigenen Verhältnisse, als das allgemeine Wohl im Auge. Er wollte den Uebelständen abhelfen, die sich ihm aufdrängten, wobei er weniger auf sich als auf seine Mitbürger Rücksicht nahm. Der Fall, der ihn selbst betraf, kümmerte ihn nicht so sehr, als die Gebrechen der Gesetzgebung, welche das Institut der Ehe zu einem unauslöslichen Zwang, zu einer unerträglichen Tyrannin für Alle machten. Nicht er wollte sich allein befreien, sondern die ganze Welt Antheil an der Freiheit nehmen lassen, die er erstrebte. So erhob er sich über den eigenen Schmerz und suchte die ihm auferlegten Leiden in einem minder egoistischen und im höheren Sinne zum Nutzen Aller zu beseitigen. Zu diesem Zwecke schrieb er die durch das Gespräch mit Overton angeregten Gedanken sogleich nieder, um sie weiter und gründlicher auszuführen. So entstand seine Abhandlung über »Lehre und Wesen der Ehescheidung«, die er dem Parlamente widmete.

Milton war jedoch nicht wenig über die unerwarteten Angriffe erstaunt, welche seine Schrift von einer Seite erfuhr, von wo er sie am wenigsten erwartete. Die presbyterianische Geistlichkeit, für die er in seinem Pamphlet gegen die bischöfliche Kirche so muthig und entschieden in die Schranken getreten war, nahm an seiner Arbeit Anstoß und klagten den Verfasser bei dem Oberhause seiner freisinnigen Gesinnungen wegen an. Dieselbe Partei, die noch vor Kurzem unter den Verfolgungen der Bischöfe geseufzt und für die Gewissens- und Glaubensfreiheit in die Schranken getreten war, trat jetzt selbst nach erlangtem Siege als Anklägerin und Verfolgerin der Wahrheit auf. Zum Glücke gab das Parlament ihrer Verketzerung kein Gehör und ließ die Sache in Vergessenheit gerathen.

Von seiner Gattin verlassen, suchte Milton Zerstreuung und Aufheiterung in der Gesellschaft einer edlen Dame. Lady Margaretha Ley war die Tochter des Grafen Malborough, eine Frau von seltenen Eigenschaften des Herzens und des Geistes. In ihrem Hause versammelten sich die vorzüglichsten Männer und Frauen, welche mitten in den Unruhen und Wirren eines blutigen Bürgerkrieges den Sinn für Wissenschaft und Kunst bewahrten und in dem friedlichen Asyle den Musen und Grazien opferten. Hier war Milton ein gern gesehener und willkommener Gast. Seine häuslichen Leiden vermehrten das Interesse, das die Frauen an dem Dichter nahmen, während er durch Kenntnisse und Geist die Männer fesselte. Die Abende flossen ihm so in anmuthigen und belehrenden Gesprächen hin. Es war ein seltener Kreis ausgezeichneter Menschen von allen Parteien, die sich auf neutralem Boden trafen. Milton lernte hier die fein gebildete Lady Ranelagh und deren ausgezeichneten Bruder, den berühmten Naturforscher Robert Boyle kennen. Die Naturwissenschaften erfreuten sich in jenen Tagen einer besonderen Pflege und es war Modesache, selbst für die Damen, von dem Phlogiston und den anziehenden und abstoßenden Kräften zu sprechen, durch das Fernrohr eine Mondfinsterniß zu beobachten und unter dem noch unvollkommenen Mikroskope die Vergrößerung der kleinsten Thiere zu bewundern.

Eines Abends brachte Sir Robert Boyle die von Otto Guerike erfundene und von ihm verbesserte Luftpumpe mit und setzte durch geschickte Experimente seine Zuschauer in Erstaunen, Indem er aus zwei Hohlkugeln die in ihnen enthaltene Luft entfernte, preßte er beide so aus einander, daß dieselben trotz aller Anstrengung nicht von einander gerissen werden konnten; so zeigte er, welchen gewaltigen Druck die uns umgebende Atmosphäre auf alle Körper ausübt.

– Ist es doch, sagte bei dieser Gelegenheit Milton, mit der Luft, die uns umgiebt, wie mit den Gedanken. Beide üben eine unsichtbare Gewalt auf den Menschen aus. Wir sind gewohnt, nur die Kräfte als solche anzuerkennen, welche in greifbarer Gestalt sich geltend machen, während wir allzu geneigt sind, jene geheimnißvollen Mächte, die sich den gröberen Sinnen entziehen, als nicht vorhanden zu betrachten. Grade sie aber sind die Lenker der Welt und die Triebräder der Schöpfung.

– Ihr habt ganz Recht, entgegnete Lady Ley, doch vor Allem möchte ich die Liebe zu jenen geheimnißvollen Naturgewalten zählen, die dem Menschen nur durch ihre Wirkung offenbar werden. Leider fehlt uns der Naturforscher, der uns ihr innerstes Wesen so klar macht, wie es unser Freund Boyle mit der Luft gethan.

– Die Liebe könnte nur dadurch verlieren, warf eine junge schüchterne Dame ein. Ihre Natur verlangt das Geheimniß, in das sie sich vor der Welt verbirgt. Nehmt Ihr den Schleier, der sie keusch verhüllt, und sie ist nicht mehr die Liebe. Nicht der Naturforscher, sondern der Dichter hat allein das Recht, das menschliche Herz in seinen heiligsten und reinsten Gefühlen zu offenbaren.

Milton drückte der jugendlichen, mehr anmuthigen als schönen Sprecherin seinen Beifall aus. Schon längst war ihm die reizende Erscheinung ausgefallen. Ein sinniger Ernst umschwebte die schlanke, etwas vorüber gebeugte Gestalt und die feinen edlen Züge des Mädchens, welche eine Tochter des Doktor Davies war. Aus ihren dunkelblauen Augen sprach eine Tiefe der Seele, sie glichen dem Gebirgssee, geheimnißvoll und klar wie er. Meist blieb sie still und in sich gekehrt, sie gehörte zu jenen seltenen Frauen, die noch besser zu hören, als zu sprechen verstehen und die darum geistreiche Männer willkommen sind. Ihr ganzes Wesen zeigte von ächter Weiblichkeit und von einer Bescheidenheit, die eben so weit entfernt von beschränkter Blödigkeit wie von verstecktem Stolze blieb. Als sich Milton ihr jetzt näherte, überzogen sich die meist bleichen Wangen der liebenswürdigen Anna mit einer holden Röthe, die sie fast schön erscheinen ließ. Bald hatte der Dichter mit ihr ein lebhaftes Gespräch angeknüpft, wobei sie ohne alle Absicht eine Fülle von überraschenden Kenntnissen und selbstständigen Gedanken entwickelte. Im Verlaufe der Unterhaltung ließ sie eine wohlthuende Theilnahme für die Verhältnisse des Dichters hindurchschimmern und die feine Weise, worin sich ihr Mitleid äußerte, erhöhte den Werth desselben.

Am nächsten Tage, wo er Lady Ley besuchte, zog ihn die freundliche Dame wegen der Aufmerksamkeit, welche er Anna am gestrigen Abend geschenkt, im scherzenden Tone auf.

– Wärt Ihr schon geschieden, sagte sie, so gäbe Miß Anna ein treffliches Weib für Euch. Ich glaube, daß sie Euch nicht ungern sieht. Sie ist mir eine theure Freundin und wird gewiß den Mann einst glücklich machen, dem sie ihre Hand reicht. Durch ihre Bildung und treffliche Erziehung, welche sie von ihrem Vater erhalten, dürfte sie sich vorzugsweise zur Frau eines Gelehrten, wie Ihr einer seid, eignen.

Milton antwortete nicht, sondern versank in tiefes Nachdenken. Nach ächter Frauenart ließ aber seine Gönnerin den einmal angeregten Plan nicht so leicht fallen. Sie rühmte die Tugenden und trefflichen Eigenschaften Anna's so lang, bis sie in ihm den lebhaften Wunsch erregte, das treffliche Mädchen näher kennen zu lernen. Es fiel Milton nicht schwer, in dem Haufe des Doktor Davies Zutritt zu erhalten. Hier lernte er Anna in ihrer Häuslichkeit noch weit höher schätzen, als in der Gesellschaft. Der tiefe aber doch nicht abschreckende Ernst, mit dem sie ihn stets empfing, eine immer sich gleich bleibende, würdevolle Freundlichkeit, fesselten ihn an sie und sprachen ihn wohlthuend an. Nach und nach entwickelte sich zwischen Beiden eine innige Freundschaft, welche jedoch nie die Gränzen zu überschreiten und in ein wärmeres Gefühl überzugehen drohte. Milton war von seiner Gattin noch immer nicht geschieden und konnte daher keine neue Verbindung schließen und Anna war zu gewissenhaft und zu verständig, um die Rechte eines andern Weibes zu kränken, das allerdings durch eigene Schuld ihr Schicksal verdient hatte. Mit anscheinender Ruhe sah sie den Dichter kommen und gehen, nur in der Tiefe ihrer Seele hegte sie eine innigere Neigung, die sie vor ihm wie vor der Welt sorgfältig verbarg. Sie besaß eine eigene Selbstbeherrschung und wäre eher gestorben, als daß sie das Geheimniß ihres Herzens verrathen hätte. Zu ihrer natürlichen Scheu gesellten sich auch allerlei religiöse Bedenken wegen ihrer Leidenschaft zu einem verheiratheten Manne, denn als solcher galt ihr Milton, so lange er noch nicht von seiner ersten Frau geschieden war. Der fortwährende Kampf drohte sie aufzureiben, sie wurde noch bleicher, als gewöhnlich und ihr Vater, der selbst ein geschickter und einsichtsvoller Arzt war, fürchtete den Beginn der Schwindsucht, an der Anna's Mutter gestorben war.

Trotzdem die Gattin Milton's von ihm getrennt im Hause ihrer Eltern lebte, so war doch ihre Liebe noch immer nicht gänzlich erloschen. Sie ließ ihn nicht aus den Augen und erkundigte sich häufig bei ihren Bekannten in London nach seinem Leben und allen Vorgängen in seinem Hause. So erhielt sie auch die Nachricht von seinen häufigen Besuchen, die dieser Anna abstatte. Sie nahm dieselbe mit großer Betrübniß auf. Reue und Furcht bemächtigten sich ihrer Seele und was weder die Vorstellungen Milton's noch die eigene Vernunft vermochten, bewirkte die Eifersucht und der Gedanke, daß eine andere Frau ihre Stelle einnehmen könnte. Bisher hatte sich Mary ausschließlich in ihrem Benehmen gegen ihren Gatten von ihren Eltern und vorzugsweise von ihrer Mutter leiten lassen, jetzt erhielt sie plötzlich ihre Selbstständigkeit zurück und ihre Schwäche verwandelte sich fast in unkindliche Härte. Frau Powell war nicht wenig über diese Veränderung und noch mehr über die Vorwürfe erstaunt, welche sie aus dem Munde ihrer Tochter zu hören bekam. Beide hatten ihre Rollen vertauscht, die schwache Tochter zeigte eine ungewohnte Heftigkeit und die herrschsüchtige Mutter eine sonst ihr fremde Nachgiebigkeit, da sie von Mary's Charakter das Aeußerste befürchten mußte. Tage lang schloß diese sich in ihr Zimmer ein, badete ihr Gesicht mit heißen Thränen und verschmähte jede Nahrung zu sich zu nehmen. Es fehlte nicht viel, so hätte sie ihrer Mutter geflucht, wie diese ihr zu thun gedroht, wenn sie zu ihrem Manne zurückkehren würde. Es war auch hier wieder die gewöhnliche Erscheinung eingetreten, daß der Mensch nicht eher den Werth der Dinge schätzen lernt, als bis er im Begriffe steht, sie zu verlieren. Der Besitz macht uns nicht halb so glücklich, als uns der Verlust unglücklich macht.

So erging es auch der armen Mary und erst jetzt, wo eine Nebenbuhlerin ihr die Liebe Milton's zu rauben drohte, empfand sie das volle Maß der Schuld, und die ganze Bedeutsamkeit des Mannes, den sie noch vor Kurzem so bitter gekränkt hatte. Maßlos in allen ihren Empfindungen, nicht von der Vernunft, sondern nur von ihrer Leidenschaft beherrscht, überließ sie sich der gränzenlosesten Verzweiflung. Wie ihr früher der Aufenthalt in London, so war ihr jetzt ihr längeres Verweilen im elterlichen Hause zur unerträglichen Last geworden. Der Boden brannte unter ihren Füßen und sie hatte keinen anderen Wunsch, als so bald als möglich zu ihrem Gatten zurückzukehren.

Unterdeß verkehrte Milton nach wie vor in dem Hause des Doktors, wo er ein täglicher Gast war. Auch ihm war Anna's Blässe und Schwäche aufgefallen.

– Ihr scheint nicht wohl zu sein, sagte er theilnehmend, indem er ihre Hand ergriff.

Ein leiser Schauer durchrieselte sie dabei und auch er merkte das Zittern ihrer Hände.

– Was fehlt Euch, liebe Anna? forschte er, sie noch immer festhaltend. Wenn Euch ein Kummer drückt, so vertraut ihn mir, denn Ihr habt gewiß keinen besseren Freund als mich auf dieser Welt.

– Es ist nur ein leichtes Unwohlsein, das mich befallen, entgegnete sie ausweichend.

– Euer Vater ist besorgt und ängstlich. Ich bitte Euch, schont Euch um Seinet- wie um Meinetwillen.

– Was ist daran gelegen? antwortete sie mit einem verdächtigen Hüsteln. Die Welt verliert nicht viel an einem armen Mädchen, wie ich eines bin. Ich fürchte mich auch nicht vor dem Tode, seitdem ich meine Mutter sterben sah. Sie schlief so sanft und selig mit verklärtem Lächeln auf ihren bleichen Lippen ein, daß ich sie fast um ihre Ruhe beneidete. Selig sind die Todten.

– Ihr begeht eine schwere Sünde, wenn Ihr Euch solchen trüben Gedanken überlaßt. Ich kenne aus eigener Erfahrung diese finsteren Geister der Melancholie, sie liegen im Blute, in der Luft, aber der Mensch muß sie bekämpfen. Das Leben ist so schön, wenn man es nur zu nehmen weiß und selbst unsere Leiden sind nur die vorübergehenden Schatten, welche das Licht begleiten und erhöhen.

– Ihr habt Recht, und ich will die kurze Frist noch genießen, die mir vergönnt ist.

Ein melancholisches Lächeln schwebte um ihre blassen Lippen und sie bemühte sich, wenigstens heiter zu scheinen. Nichtsdestoweniger blieb die ernste Stimmung in ihrer ferneren Unterhaltung vorherrschend, wozu wohl auch die ganze Umgebung mit beitragen mochte. Sie saßen in dem kleinen Gärtchen, das bereits zu verblühen begann. Der Herbstwind rauschte durch die Bäume, und gelbe, fahle Blätter rieselten leise zu ihren Füßen nieder: Eine unnennbare Wehmuth lag über die ganze Natur ausgegossen, es war, als ob sich diese zum Abschied rüstete. Anna blickte nachdenklich auf das vergilbte Laub und auch ihr kam unwillkürlich ein Gefühl des Scheidens. Gegen ihre Gewohnheit war sie weich geworden und eine Thräne zitterte in ihrem Auge.

– Bald wird der Winter kommen, sagte sie nach einer Pause mit bebender Stimme, nur um das gefährliche, lastende Schweigen zu unterbrechen.

– Und aus dem Winter folgt der Frühling, entgegnete Milton mit trostreichem Lächeln.

– Tod und Auferstehung! flüsterte Anna leise.

– So bestätigt die Natur den Glauben, der den Menschen aufrecht hält. Die Unsterblichkeit, welche nur von Thoren angezweifelt werden kann, predigt jeder Baum, jede Blume im Herbst. Wir werden uns einst wiedersehen.

– Gewiß! Wir werden uns wiedersehen, wiederholte Anna mit überirdisch strahlenden Augen.

– Und was wir einst verloren, finden wir geläutert wieder, setzte Milton hinzu.

– Das wünsche ich Euch und so bald als möglich. Ihr habt eine Gattin –

Bei der Erwähnung von Mary's Namen machte der Dichter eine ablehnende Bewegung und sah Anna bittend an.

– Nein, nein! sagte diese. Ihr sollt und Ihr müßt mich anhören. Bisher habe ich es vermieden, ein Verhältniß zu erwähnen, das in Euch nur trübe Erinnerungen erwecken kann, doch die Zeit ist gekommen, wo ich offen und als Eure Freundin mit Euch sprechen darf. Ich habe Eure Schrift über die Ehescheidung mit Aufmerksamkeit gelesen und muß trotz meiner religiösen Bedenklichkeiten Euch in der Hauptsache Recht geben. Ihr habt zwar meinen Geist, aber nicht mein Herz überzeugt und Frauen, wie Ihr wißt, urtheilen weit mehr mit dem Herzen, als mit dem Verstande. Eure Gattin trifft gewiß der größte Theil der Schuld, doch seid Ihr von jedem Vorwurf frei? Müßt Ihr Euch nicht auch anklagen und dürft Ihr die ganze Schuld auf die Schultern Eures schwachen Weibes laden?

– Kein Mensch ist von Fehlern frei und ich am wenigsten.

– Richtet also nicht, damit Ihr nicht gerichtet werdet.

– Mich hat ein tieferer Grund bestimmt. Je länger ich mit meiner Frau lebte, desto mehr kam ich zu der Erkenntniß, daß uns die zur Ehe nöthige Sympathie fehlt, daß unsere Charakteren nicht für einander passen.

– Ihr habt nur nicht die nöthige Zeit und Aufmerksamkeit auf die Hervorbringung dieser Harmonie verwendet. Wir Frauen gleichen einem zartbesaiteten Instrumente, das von künstlerischen Händen behandelt werden muß, um den richtigen Ton zu geben. Leicht verstimmt uns schon ein Hauch der Luft, geschweige eine rauhe Berührung. Wir wollen zart und liebevoll angesprochen werden. Verfehlt Ihr dies im Anfange, so bleibt eine falsche Stimmung zurück, die sich nur schwer wieder beseitigen läßt. Ich fürchte, daß dies in Eurer Ehe der Fall gewesen ist. Ihr habt das Instrument nicht zu spielen verstanden, das man Euch anvertraut hat und weil es nicht gleich süße Töne von sich gab, verächtlich bei Seite geschoben. Macht nur einen neuen Versuch damit, nehmt es liebevoll wieder auf, lernt erst seine innerste Natur genau kennen, widmet Euch mit Hingebung seiner Eigenthümlichkeit und Ihr werdet mit jedem Tage neue und schönere Harmonien entdecken, wie sie in jeder Frauenseele schlummern und die der rechte Mann und Künstler fast immer hervorzulocken weiß.

– Mein Weib ist kein wohltönendes Instrument. Erziehung und Gewohnheit haben ihre bessere Natur verdorben.

– Indem Ihr sie anklagt, entschuldigt Ihr sie auch. Was die elterliche Erziehung verschuldet, soll die eheliche wieder gut machen.

Ist doch die Ehe eine fortdauernde, gegenseitige Schule, wo beide Gatten zugleich Lernende und Lehrer sind. Die Strenge des Mannes soll durch weibliche Milde, die Schwäche des Weibes durch die Kraft des Mannes ergänzt und gehoben werden. Und wie man bei längerem Zusammenleben zwischen Gatten eine körperliche Aehnlichkeit bemerkt haben will, so wird auch dann mit der Zeit jene geistige Sympathie nicht ausbleiben, die Ihr als Grundbedingung einer glücklichen Ehe in Eurer Schrift über die Scheidung aufgestellt habt. – Darum hört auf meinen Wunsch und versöhnt Euch mit Eurer Frau. Ich kann den Gedanken weder fassen, noch gut heißen, daß Ihr Euch von ihr trennen wollt.

– Wie, Ihr verlangt, daß ich sie wieder aufnehmen soll? fragte Milton erschüttert.

– Ich fordere sogar diesen Schritt, entgegnete Anna mit würdevoller Resignation. Ich verlange ihn als einen Beweis Eurer Freundschaft, Eurer Achtung.

Er wollte antworten, doch Anna, welche eine Erklärung befürchtete, unterbrach ihn schnell.

Gebt mir Euer Versprechen, Euer Wort, daß Ihr Euch mit Eurer Gattin versöhnen wollt, sobald sie Reue empfindet und zu Euch zurückkehrt.

Milton zögerte, doch er vermochte nicht länger ihren dringenden und wiederholten Bitten zu widerstehen. Er reichte ihr endlich zur Bestätigung die Hand, die sie einige Zeit gedankenvoll und in schmerzlicher Selbstvergessenheit in der ihrigen hielt. Dann wandte sie sich von ihm ab und winkte ihm, sie zu verlassen. Sobald sie sich allein sah, preßte sie ihr weißes Taschentuch an die trockenen Lippen, als sie es zurückzog, war das feine Linnen mit dem Blut gefärbt, das ihren Lungen entströmte. Erschöpft stützte sie das bleiche Haupt auf ihren Arm.

– Bald ist es vollbracht, flüsterte sie leise.

Ihr Vater kam den Garten entlang, sie erkannte ihn und beeilte sich sogleich, die Spuren ihres Seelenkampfes und ihrer Krankheit vor seinen forschenden Blicken zu verbergen.

– Wie geht es dir? fragte er besorgt.

– Besser, viel besser, antwortete sie, während ihre bleichen Wangen ihre Worte Lügen straften.

Aus Milton's Seele wollte Anna's Bild nicht schwinden, den ganzen Tag über beschäftigte er sich mit dem trefflichen Mädchen, das er zu spät kennen gelernt hatte. Lebhaft fühlte er jenen Gedanken, den er später in seinem verlorenen Paradiese ausdrückte:

– – – – erspart wär' aller Gram,
Der die Verbindung mit dem Weibe noch
Unzählig oft dem Mann bereiten wird:
Er findet keine gleichgestimmte Gattin,
Ein leid'ger Mißgriff ist dann seine Wahl;
Die er sich wünscht, wird selten ihm zu Theil;
Zieht sie nicht launisch einen Schlechtern vor,
Wird sie von ihren Eltern ihm versagt;
Ein Andrer sieht sein Ideal zu spät,
Wenn Ehebande ihn an ein Geschöpf,
Unwürdig und verhaßt gekettet haben.
So wird des Menschen Lebensglück zerstört,
Des Hauses Frieden untergraben sein.

Einige Wochen später stattete Milton einem nahen Verwandten in St. Martins-Lane einen Besuch ab. Wie immer wurde er von der Familie freundlich, aber mit einer gewissen Befangenheit aufgenommen. Während er mit dem Manne sich über verschiedene Verhältnisse angelegentlich unterhielt, ging die Frau in großer Unruhe ab und zu. Zuweilen mischte sie sich auch in das Gespräch, das sie absichtlich auf Milton's Gattin zu bringen versuchte.

– Habt Ihr von Mary nichts gehört? fragte sie.

– Seit Monden bin ich ohne jede Nachricht von Foresthill, entgegnete er, kurz abbrechend.

– So wißt Ihr nicht, daß sie sich heimlich von ihren Eltern entfernt hat?

– Ich erfahre es von Euch zuerst. Welche Gründe können sie aber zu einem solchen Schritte bewogen haben und wohin hat sie sich begeben?

– Ich glaube, daß sie ihr Unrecht einsieht und von Reue ergriffen das elterliche Haus verlassen hat. Das arme Weib weiß sicher nicht, wohin es sich wenden soll und irrt jetzt in der Fremde herum, ohne Eltern, ohne Gatten.

– Wenn sie wirklich Reue empfände, so würde sie nicht zögern, sich ihm zu nahen.

Bei diesen Worten öffnete sich plötzlich die Thür, welche in das Nebenzimmer führte. Ein schluchzendes Weib näherte sich Milton und stürzte weinend zu dessen Füßen.

– Mary! rief der erstaunte Gatte.

– Ja, ich bin es, seufzte sie, dein schuldbewußtes Weib, das hier zu deinen Füßen um Verzeihung fleht. Kannst du mir vergeben?

Er wandte sich zögernd ab. Stolz und gerechte Empfindlichkeit kämpften in seinem Herzen mit der angeborenen Güte und mit dem Mitleid, welches ihm ihre demüthige Lage einflößte. Sie hatte seine Füße umklammert und benetzte seine Hände mit ihren heißen Thränen. Ihr blondes Haar hing aufgelöst um den wogenden Busen und ihr rosiges Gesicht verrieth den tiefsten Schmerz, dessen sie überhaupt nur fähig war.

– Verstoße mich nicht, jammerte sie mit aufgehobenen Händen. Ich gestehe ja gern ein, daß mich allein jede Schuld trifft, aber ich vermag nicht mehr, ohne dich zu leben. Heimlich habe ich das Haus meiner Eltern verlassen, um dich aufzusuchen. Wenn du mich nicht aufnimmst, so weiß ich nicht, wohin ich mich wenden soll; dann bleibt mir nichts übrig, als zu sterben.

Seine Verwandten vereinten ihre Bitten mit denen Mary's. Sein Zorn begann zu schwinden und er warf einen milderen Blick auf die schuldige Gattin. Seine Augen verloren den strengen Ernst und von Rührung ergriffen, neigte er sich zu dem reuigen Weibe nieder und hob es vom Boden auf. Sie umschlang ihn mit ihren weichen Armen und preßte ihren wogenden Busen an sein bewegtes Herz.

– O, du bist gut, viel besser, als ich, rief sie unter Thränen lächelnd. Von nun an will ich dir gehorchen, wie eine Magd nur deinen Willen thun.

– Du sollst nicht meine Magd, du sollst mein Weib sein, sagte er, ihre Heftigkeit beschwichtigend. Auch mich trifft ein Theil der Schuld.

– Nein, nein! widerstritt sie laut. Du hast eine Nachsicht gezeigt, wie ich sie nicht um dich verdiente. O, wiederhole es mir, daß ich bei dir bleiben und dich nicht mehr verlassen darf.

– Du darfst es, entgegnete er, indem er einen Kuß auf ihre frischen Lippen drückte.

Vollkommen ausgesöhnt verließ er mit Mary das Haus seiner Anverwandten. Wenige Monate darauf wurde Anna Davies begraben, sie starb, wie ihr Vater sagte, an der erblichen Schwindsucht. Sie selbst kannte und verschwieg den Grund ihrer Leiden. Kurz vor ihrem Tode erhielt Milton ein Schreiben von ihr, dessen schwankende Schriftzüge den höchsten Grad von Schwäche verriethen. Die Schlußworte lauteten: Seid glücklich und vergeßt Eure Freundin!

Ein welkes Lindenblatt war dem Briefe beigefügt. Milton benetzte die Zeilen und das Blatt mit seinen Thränen. Nie in seinem ganzen Leben vergaß er die tugendhafte und reizende Anna.


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