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19.

Ueber einen jener zahlreichen Sumpfmoore, welche sich oft Meilen weit im Inlande ausdehnen, und die unter dem Namen der Bogs bekannt sind, ritt an einem stürmischen Februartage Sir Kenelm Digby in Begleitung eines Mannes, welcher trotz der versteckten Tonsur und einer sorgfältigen Verkleidung den katholischen Priester nicht verleugnen konnte. Der Boden war durch die vorangegangenen Regengüsse vollkommen aufgeweicht und in einen schwarzen Brei aufgelöst. Bei jedem Tritte der Pferde zitterte die schlammige Masse und die kräftigen Thiere drohten zu versinken. Ein eisiger Wind, der die großen mit Schneeflocken vermischten Regentropfen den Reisenden ins Gesicht trieb, vermehrte ihre unbehagliche Stimmung.

Bei allen Heiligen! brummte Sir Kenelm. Ich wünschte, wir wären schon unter Dach und Fach. Bald wird es dunkel werden, und dann halte ich es für eine Unmöglichkeit, auch nur einen Schritt weiter zu kommen. Es würde uns nichts übrig bleiben, als hier in dem verwünschten Sumpfe unser Lager aufzuschlagen, wenn wir es nicht vorziehen, darin zu ersticken.

Bei dieser keineswegs tröstlichen Aussicht stieß der fromme Begleiter einen tiefen Seufzer aus und bekreuzte sich.

– Sollte nicht in der Nähe irgend eine Hütte sein, setzte er fragend hinzu, die uns für die Nacht Schutz und Obdach gewähren kann? Strengt Eure Augen an, werther Freund! Die meinigen sind von Schneetreiben ganz geblendet.

– Ich fürchte, daß auch ich nicht mehr zu sehen bekommen werde, als ihr selbst, ehrwürdiger Vater. Das schöne Erin hat keinen Ueberfluß an wohnlichen Häusern, und die wenigen, welche noch standen, haben unsere werthen Freunde, die rebellischen Irländer, mit Feuer und Schwert vom Boden vertilgt, daß auch keine Spur davon zurückgeblieben ist.

In majorem Dei gloriam, sagte der Geistliche mit gefalteten Händen, Alles zu Gottes Ruhm und Preis.

– Ich wünschte nur, daß die Hitzköpfe minder gründlich verfahren wären. Ueberhaupt hätten sie mit ihrem Ausstand noch immer einige Zeit warten können; aber so sind diese Irländer, sie kommen immer zur Unzeit, und lassen sich von ihrer tollen Hitze hinreißen. Alles war vortrefflich eingeleitet, die nöthigen Vorbereitungen getroffen, Dublin wäre ohne Schwertstreich in ihre Hände gefallen; doch diese Menschen können nicht warten, und wollen die Frucht vom Baume pflücken, ehe sie noch reif geworden ist.

– Ihr vergeßt ganz und gar, daß die Verschwörung vor der Zeit verrathen wurde. Das war nicht ihre Schuld.

– Und dann diese unnöthige Metzelei der Protestanten, diese Grausamkeit gegen unschuldige Frauen und Kinder. Ich bin kein Freund von Blut und mag nicht dulden, daß unsere gute Sache durch solche Ausschweifungen befleckt wird. Die natürliche Folge konnte nicht ausbleiben, daß der König sich von ihnen lossagen und mit ihnen kämpfen mußte. Er hätte den letzten Rest von Liebe bei dem englischen Volke eingebüßt, wenn er nicht die Rebellen als Feinde und Verräther behandelte. Schon aus Politik durfte er nicht anders thun.

– Aber im Stillen unterhandelt er mit den Irländern. Das müßt Ihr am Besten wissen, denn welchen andern Zweck könnte Eure Reise haben und wozu habt Ihr mich ausgesucht und mich ebenfalls zu dieser Reise beredet, die ich in Anbetracht ihrer Annehmlichkeiten schon mehr als einmal verwünscht habe. Mir ahnt nichts Gutes davon.

– Ihr irrt in dieser Beziehung. Was ich thue, thue ich auf meine eigene Verantwortung. Zuerst bin ein guter Katholik und dann erst Unterthan. Die Irländer sind im Namen der katholischen Religion aufgestanden, ihre übrigen Gründe gehen mich nichts an. Deshalb halte ich es für meine Pflicht, ihnen mit meinem Rathe beizustehen. Die Leute, welche an der Spitze stehen, können ihn brauchen, denn Phelim O'Neale besitzt nicht mehr Verstand in seinem dicken Schädel als das Pferd, das ich jetzt reite.

– Und was gedenkt Ihr auszurichten?

– Vor allen Dingen will ich mir eine klare Einsicht in die Lage der Verhältnisse verschaffen. Weiß ich erst wie stark die Rebellen sind, über welche Kräfte sie zu verfügen haben, dann ergiebt sich das Uebrige von selbst.

– Und in welcher Eigenschaft wollt Ihr Euch den Führern vorstellen?

– Als Sir Kenelm Digby, als ein eifriger Katholik, als der treueste Freund unserer unterdrückten Religion.

– Man würde Euch gewiß willkommen heißen, wenn Ihr als Abgesandter des Königs gekommen wäret, um mit den Irländern zu unterhandeln.

Digby antwortete nicht den versteckten Fragen seines Reisegefährten, sondern trieb jetzt sein Pferd zu größerer Eile an, so weit dies der sumpfige Boden gestattete. Der kurze Tag ging zu Ende und es begann zu dunkeln. Die Lage der beiden Wanderer wurde immer unangenehmer. Weit und breit war kein Obdach, nicht die ärmlichste Hütte zu sehen, nur das schwarze Moor dehnte sich in unbegränzter Ferne aus und schien am Horizont mit dem finstern Himmel zu verschmelzen. Der Weg war fast nicht mehr zu finden und außerdem höchst beschwerlich. Es gab Stellen, wo die Pferde im Schlamme stecken blieben und nur mit der größten Anstrengung herausgerissen werden konnten. Dazu kam die Furcht vor einem möglichen Ueberfalle. Die Gegend war noch unsicherer als gewöhnlich durch die Unruhen im Lande geworden. Sir Kenelm hielt es daher für gerathen, seine Pistolen für alle Fälle in Stand zu setzen und den Hahn zu spannen. So mochten sie noch länger als eine halbe Stunde in die hineinbrechende Nacht geritten sein, als sich der bisher sichtbare Pfad gänzlich verlor. Die Dunkelheit hatte schnell zugenommen und es war keine Möglichkeit, auch nur einige Schritt weit vor sich zu sehen. Schon machten sie sich gefaßt, die Februarnacht unter freiem Himmel zuzubringen, als das laute Gebell eines Hundes neue Hoffnungen mit Befürchtungen gemischt in ihrer Seele erweckte.

– Es müssen Menschen in der Nähe sein, sagte Sir Kenelm, indem er zur Vorsicht seine Waffe in die Hand nahm.

– Heiliger Ignatius! betete der Jesuit, beschütze uns und schicke uns einen Engel, um uns wieder auf den rechten Weg zu bringen.

Einige Minuten vergingen in banger Erwartung, dann schlug der Hund noch einmal und zwar lauter an. Das Brausen des Windes und die herrschende Finsterniß verhinderten die Annäherung einiger Personen zu bemerken, welche bald die Reisenden umringten.

– Wer seid Ihr? fragte eine rauhe Stimme im irischen Dialekt.

– Arme Reisende, welche sich verirrt haben, lautete die Antwort.

– Woher kommt Ihr? und wohin wollt Ihr?

– Wir kommen über den Kanal und wollen in das Lager. Guter Freund, setzte der Geistliche hinzu, könnt Ihr uns nicht ein Obdach geben, wir werden Euch gerne dankbar sein.

– Folgt mir!

Mit diesen Worten ergriff der Unbekannte die Zügel des Pferdes, während sein Begleiter desgleichen mit dem Thiere Sir Kenelm's that. Beide schienen mit der eigenthümlichen Beschaffenheit des Bodens und mit dem Wege vollkommen vertraut zu sein. Trotz der tiefen Dunkelheit ging es jetzt schneller als vorher und bald wurde ein Lichtschimmer sichtbar, welche die Nähe einer menschlichen Wohnung verkündigte. Auf einen gellenden Pfiff des Führers stürzten aus der Thür mehrere dunkle Schatten, welche sich der Reisenden bemächtigten. Diese wurden in ein weites Gemach geführt, in dessen Kamin ein wohlthätiges Feuer loderte. Um dasselbe saßen oder lagen mehrere bewaffnete Männer, deren Aussehen oder Benehmen kein besonderes Zutrauen einzuflößen im Stande war. Ihre Kleidung bestand aus einigen zerrissenen Lumpen und das wirre, ungekämmte Haar hing ihnen bis zu den Schultern herab. Die Sprache und das lebendige Mienenspiel verrieth die Eingebornen des Landes. Bei dem Eintritt der Fremden erhoben sie sich mit blitzenden Augen und drohenden Geberden.

Es sind Engländer! schrie ein athletischer Mann, indem er spielend das Beil erhob, welches er in seinen Händen hielt.

Dann müssen sie sterben, fügte ein Anderer hinzu, wobei er einen habgierigen Blick aus die goldne Kette und die kostbaren Waffen Sir Kenelms warf.

Der Geistliche zitterte und bebte vor Angst, während Digby ruhig und gefaßt blieb.

– Ihr irrt, meine Freunde! sagte dieser mit überlegenem Lächeln. Wir sind zwar Engländer, aber gute Katholiken und Irlands Freunde. Wir wollen nach dem Lager, um Euren Anführer Phelim O'Neal zu sprechen, da wir ihm wichtige Nachrichten mitzutheilen haben.

Diese Rede schien einigen Eindruck auf die Männer zu machen, wenigstens traten sie zu einer kurzen Berathung zusammen, deren Resultat ein für die Reisenden günstiges war. An dem Beschlusse nahm auch der Führer Antheil, welcher nicht minder zerlumpt gekleidet wie die Uebrigen, doch eine Art Herrschaft über sie auszuüben schien. Dieser verkündigte ihnen auch, daß vorläufig ihrem Leben keine Gefahr drohe, sie ihm aber sogleich in das Lager folgen müßten. Mit einem schweren Seufzer entschloß sich der Geistliche, von dem zwar unbehaglichen, aber wenigstens warmen Obdach Abschied zu nehmen und wieder in die finstere Nacht, Gott wußte, wohin zu reiten. Indeß, es blieb ihm nichts übrig, als dem Gebot des Führers und dem Beispiele Sir Kenelm's Folge zu leisten. Mitternacht mochte vorüber sein, als die Reisenden in das Lager gelangten. Schon von ferne sahen sie unzählige Wachtfeuer in der Dunkelheit glänzen. Als sie näher kamen, glaubten sie jedoch, sich eher in dem Aufenthalte höllischer Geister, als in einem Kriegslager zu befinden. Um die Flammen kauerte ein Gewirre halbnackter Gestalten, in den verschiedensten Stellungen und Lagen, Männer und selbst Frauen und Kinder hockten um das Feuer und wärmten sich, andere tanzten in wilder Trunkenheit um die brennenden Holz- und Strohbündel. Die rothen, zuckenden Gluthen beleuchteten ihre seltsamen Sprünge und Verrenkungen, welche von einem Gesange begleitet wurde, der an das Geheul der Verdammten erinnerte. Durch diese Gruppen geleitete der Führer die Reisenden, hier und da einen Schläfer, welcher quer über den Weg lag, mit einem unsanften Fußtritt weckend oder bei Seite schiebend. Endlich gelangten sie zu dem Zelte des Häuptlings, wo sie längere Zeit warten mußten, ehe sie vorgelassen wurden. Umgehen von seinen Offizieren und von mehreren katholischen Priestern, welche sich im Lager aufhielten, trat Phelim O'Neale ihnen mit dem stolzen Bewußtsein seiner Würde entgegen. Die kräftigen, aber rohen Züge seines Gesichtes verriethen mehr Willensstärke als Einsicht und Verstand.

– Wer seid Ihr? herrschte er den Fremden zu.

– Mein Name ist Kenelm Digby, erwiederte dieser, und meinen Reisegefährten werdet Ihr wohl kennen.

Bei diesen Worten trat der Jesuit dem Häuptling einige Schritte näher.

– Ehrwürdiger Vater! rief dieser erstaunt. Wie, Ihr selbst habt mich aufgesucht und zwar in einer solchen Nacht?

– Auf den Wunsch des Sir Kenelm Digby habe ich mein sicheres Asyl verlassen und keine Gefahr gescheut, um seine Pläne bei Euch zu unterstützen. Er kommt, wenn ich nicht irre, mit wichtigen Nachrichten und mit dem besten Willen, Euch und der guten Sache zu nützen.

– Und er soll uns so wie auch Ihr willkommen sein, sagte der Häuptling, indem er Beiden seine Hand entgegenstreckte.

Während Phelim O'Neale sich mit ihnen unterhielt, erschien ein Trupp Bewaffneter mit zwei Gefangenen. Der Offizier sprach einige Worte mit dem Häuptling, worauf dieser eine zustimmende Bewegung machte.

– Hängt sie bei Sonnenaufgang, entschied er kurz.

Die so Verurtheilten wollten sich vertheidigen, doch Phelim gebot ihnen still zu schweigen.

– Ihr seid überwiesene Spione, fügte er hinzu, denn was habt Ihr sonst in der Nähe des Lagers zu suchen? Außerdem seid Ihr gebotene Engländer, demnach unsere Feinde. Bereitet Euch zum Tode vor.

– Verzeiht, entgegnete der eine dieser Gefangenen ohne Furcht. Ich habe eine geheime Botschaft für Euch und deswegen näherte ich mich dem Lager.

– Von wem ist diese Botschaft?

– Das kann ich Euch nur ganz allein und ohne Zeugen anvertrauen.

Bei den ersten Tönen dieser Stimme warf Sir Kenelm einen Blick auf den Sprecher, den er sogleich erkannte.

– Sir Thomas Egerton! rief er erstaunt.

– Ihr kennt den Mann? fragte der Rebellenhäuptling.

– Und ich verbürge mich für ihn. Er kann kein Feind, kein Verräther sein, da er im Dienste Ihrer Majestät der Königin steht.

Auf einen Wink des Häuptlings wurde Thomas und sein Begleiter, der kein anderer als Lucy Henderson in ihrer männlichen Kleidung war, von ihren Banden befreit. Thomas dankte Digby zuerst für den geleisteten Dienst mit vieler Wärme und Erkenntlichkeit.

– Wie kommt Ihr hierher? forschte dieser erstaunt.

– Mich sendet die Königin, erwiederte Thomas leise. Ich komme im Auftrage meiner hohen Gebieterin.

Ein seltsames Lächeln schwebte um die Lippen Digby's, als er diese Antwort erhielt.

– Dann freue ich mich doppelt, Euch diesen kleinen Dienst geleistet zu haben. Wie ich glaube, führt uns Beide derselbe Grund hierher und wir können daher offen gegen einander sein.

Da die Nacht zu weit vorgerückt war, um noch von Geschäften zu reden, so verabschiedete der Häuptling seine Gäste, denen er ein gemeinschaftliches Zelt anweisen ließ. Erschöpft von den Anstrengungen der Reise und der ausgestandenen Gefahr schliefen Lucy und der Geistliche bald ein, während Thomas und Sir Kenelm noch längere Zeit sich unterhielten. Bald hatte Digby den Zweck der Mission erfahren, welche dem Jüngling aufgetragen war. Die Königin bot den irischen Rebellen durch ihn heimlich ihre Unterstützung an und gab ihnen zugleich die Versicherung, daß Karl geneigt sei, einen Waffenstillstand mit ihnen abzuschließen. Diese Mittheilung erfüllte Sir Kenelm mit den besten Aussichten für die katholische Partei, deren Sieg ihm vorzugsweise am Herzen lag. Er selbst hatte sich in das irische Lager begeben, um daselbst durch seine Einsicht die von ihm vertretene Sache zu unterstützen.

Am nächsten Morgen hatte Thomas mit dem Rebellenhäuptling die gewünschte Unterredung und erhielt einen eigenhändigen Brief desselben an die Königin, worauf er das Lager verließ, während Sir Kenelm noch längere Zeit daselbst verweilte. Beim Abschiede von seinem jungen Freunde erbot dieser sich freiwillig, die Unterhandlungen zwischen Karl und den Irländern unter dem Siegel der tiefsten Verschwiegenheit zu leiten. Von allen Seiten gedrängt, nahm der König dieses Anerbieten an und während er offen die Rebellen bekriegen ließ, leitete Sir Kenelm im Geheimen die Fäden einer Intrigue, welche zunächst nur einen Waffenstillstand, für spätere Zeit aber den völligen Abschluß eines Bündnisses bezweckte, um mit Hülfe irischer Truppen das Parlament zu unterdrücken und die Freiheit Englands für immer zu vernichten. Durch derartige Schritte, welche nicht verborgen bleiben konnten, verscherzte Karl die Sympathie selbst derjenigen seiner Unterthanen, welche ihm noch zugethan waren, deren Liebe zur protestantischen Religion und Abscheu vor dem Papstthum jedoch ihre Anhänglichkeit und Treue für den König bei weitem überwog. Sein schlimmster Feind war seine Doppelzüngigkeit, welche wie alle seine Fehler aus der ihm angeborenen Schwäche herzuleiten war.

Auch das Kriegsglück, von dem Karl bisher begünstigt worden war, schien ihn verlassen zu wollen. Die schottischen Convenanters hatten sich mit dem Heer des Parlaments verbunden und die vereinigte Armee lieferte den Königlichen bei Marstonmoor eine Schlacht, welche für die Letzteren höchst ungünstig ausfiel. Prinz Rupprecht, ein naher Verwandter, der Schwestersohn Karl's, befehligte dessen Cavallerie und ließ sich von seiner Hitze zu weit gegen den Feind fortreißen. Er fand einen eben so tapferen als umsichtigen Gegner an Oliver Cromwell, einem Manne, dessen Name erst seit kurzer Zeit genannt wurde. Im Parlamente selbst, dessen Mitglied er war, hatte er sich bisher nur wenig bemerkbar gemacht. Er war ein schlechter Redner, aber ein geborener Feldherr und Parteiführer. In wenig Monaten hatte er sich durch seine Tapferkeit und sein Organisationstalent emporgeschwungen. Bei Marstonmoor entschied er allein durch seine Kühnheit mit Besonnenheit verbunden das Treffen zu Gunsten des Parlaments.

Die untergehende Sonne beleuchtete das blutige Schlachtfeld und die Leichen der Erschlagenen. Hier und da stieß ein schwer Verwundeter einen tiefen Seufzer aus und wimmerte um Hülfe. Herrenlose Pferde flogen ohne Reiter gespenstig durch die Dunkelheit. Der laute Kanonendonner war verstummt und hatte einer tiefen, fast unheimlichen Stille Platz gemacht. Ueber das blutgetränkte Moor ritt Cromwell, gefolgt von dem alten Henderson, der während der Schlacht nicht von seiner Seite gekommen war. Eine breite nur dürftig verbundene Stirnwunde gab Zeugniß von der Tapferkeit des finsteren Puritaners. Beide Männer beobachteten ein ernstes Stillschweigen. Erst als der Mond im Westen ausging und mit seinem bleichen Lichte das Schlachtfeld überglänzte, öffnete Cromwell seine Lippen, um die ein Lächeln des Triumphes spielte.

– Der Herr hat seine Feinde in unsere Hand gegeben. Wahrlich England und die Kirche Gottes haben große Gnade vor seinen Augen gefunden. So lang der Krieg gedauert hat, ist kein größerer Sieg erfochten worden.

– Und dir vor Allen gebührt der Dank, denn du hast die Feinde vor dir hergejagt wie Spreu im Winde.

– Preis und Ehre gehört dem Allmächtigen, sein ist der Ruhm. Ich bin nur sein und des Parlamentes Diener.

– Wenn du wolltest, könntest du der Herr des Parlamentes sein.

– Was sagst du, Henderson! Solche Rede darf ich nicht mit anhören.

– Willst du dein Ohr der Wahrheit verschließen? Du bist nicht blind, Oliver! du weißt so gut wie ich, daß die Versammlung in Westminsterhall nicht mehr vom Geiste Gottes erleuchtet wird. Viele darunter gleichen der Rotte Korah und lehnen sich auf gegen den Herrn und seine Heiligen.

– Leider muß ich dir Recht geben, seufzte Cromwell.

– Auch die Feldherren sind nicht alle wie du, Oliver, Auserwählte des Herrn. Esset, Fairfax und Waller hängen den Presbyterianern an, welche mit Karl nicht mehr Krieg führen wollen. Ihr Arm ist lässig und ihr Herz zaghaft geworden.

– Du schmähst tapfere und würdigere Männer als wir Beide sind; doch in deiner Rede steckt ein Körnchen Wahrheit, dem ich nachforschen will. Vor allen Dingen vermisse auch ich die nöthige Eintracht und den Eifer, der die Krieger Gottes beseelen soll. Ich werde darüber nachdenken, wie dem Uebel abzuhelfen ist, mich mit den Freunden berathen und ganz besonders im Gebet die nöthige Erleuchtung suchen. Der Krieg muß mit mehr Eifer und Nachdruck fortgeführt werden, wenn er zu einem glücklichen Ziele führen soll. Ich fürchte sehr, daß nicht alle Leute so reinen Herzens sind wie du und ich. Es giebt Ehrgeizige darunter, welche, um ihrer hohen Stellung und anderer irdischen Vortheile willen, den Krieg in die Länge ziehen möchten. Das darf nicht sein.

– Du kannst auf die Unterstützung der Gottseligen rechnen, wenn du die Sache zur Sprache bringst.

– Gott soll mich bewahren, rief Cromwell mit natürlich scheinendem Entsetzen, daß ich gegen diese würdigen Männer auftrete, die noch dazu meine Freunde sind.

– So werden es andere Leute thun. Ich werde mit Harry Vane, mit St. John oder Nathaniel Fines sprechen. Der Oberbefehl muß in würdigere Hände übergehen und. ich kenne Niemand, der unser Vertrauen so verdient, wie du.

– Was der Herr über mich beschließt, wird geschehen und ich werde mich seinem Willen fügen. Thue du, wozu der Geist dich treibt und handle nach der Eingebung Gottes. Vor allen Dingen aber geh jetzt und lasse deine Wunde verbinden, damit du in der kühlen Nachtluft keinen Schaden an deinem Körper nimmst.

– Sei meinetwegen ganz unbesorgt. Diese Wunde schmerzt nicht mehr wie ein Mückenstich, sie soll mich an den stets gemahnen, der sie mir geschlagen hat und den ich mit Hülfe des Herrn einst besser zu treffen gedenke als er mich.

– Wer war der Mann?

– Dein Feind wie der Meinige, jener gottlose Jüngling, welcher deine Lucy entführt hat.

– Weh ihm, wenn ich ihm begegnen sollte.

– Mitten im Kampfgewühl hab' ich ihn bemerkt und suchte ihn im dichtesten Gedränge heraus. Unsere Schwerter kreuzten sich und schon glaubte ich, daß der Herr ihn in meine Hand gegeben, als plötzlich ein unbärtiger Knabe, der sein Diener zu sein schien, mich hinterrücks anfiel. Während ich mich umwendete, um den neuen Feind abzuwehren, erhielt ich diese Wunde über die Stirn. Das herabströmende Blut blendete meine Augen und verhinderte mich am Sehen. Im nächsten Augenblicke waren meine Gegner verschwunden und ich habe sie nicht wieder erblickt.

– Er wird uns nicht entgehen und dann soll ihn die gerechte Strafe treffen. Hast du von Lucy nichts gehört?

– Meine Nachforschungen waren vergebens, nur so viel erfuhr ich, daß sie sich von London heimlich entfernt hat, doch Niemand weiß wohin.

– Ihr Tod kann mich nicht mehr schmerzen als ihr sündhaftes Leben. Sie ist verloren für mich, für immer verloren.

Wiederholt drang Cromwell auf die Entfernung Henderson's, damit dieser seine Wunden verbinden lassen und sich die nöthige Ruhe gönnen sollte. Er selbst blieb allein in tiefem Nachdenken zurück. Sein ganzes vergangenes Leben zog an seinem inneren Blick vorüber. Vor wenigen Jahren noch ein unbekannter Mann, ein Flüchtling, der sein Vaterland verlassen und um des Glaubens Willen in die Wälder Amerikas sich zurückziehen wollte, war er jetzt durch den Umschwung der Verhältnisse ein berühmter General, ein einflußreiches und bedeutendes Mitglied der mächtigsten Partei geworden. Der Ehrgeiz, welcher bisher ungeahnt in seiner Seele schlummerte, begann sich gewaltig zu regen. Er gehörte zu jenen großen und eigenthümlichen Männern, welche die Vorsehung in Zeiten einer Welt erschütternden Bewegung hervorruft, um eine besondere Mission zu erfüllen. Cromwell vereinte die widersprechendsten Eigenschaften in seiner außerordentlichen Natur. Aufrichtige Verehrung Gottes und der Vorsehung, wahre und ächte Gottesfurcht schlossen bei ihm keineswegs eine gewisse Weltklugheit und Verstellungskunst aus. Mit dem schärfsten Verstande begabt, war er ein fanatischer Schwärmer und sein durchdringender Geist, sein stets richtiges und treffendes Urtheil erhielt häufig einen kleinen Beigeschmack von scuriler Laune. Er war ein Held mit dem Benehmen eines Buffo, ein feiner Politiker in der plumpen Gestalt eines englischen Viehzüchters; das Genie seiner Zeit mit all ihren Fehlern. Es konnte keinen größeren Gegensatz geben als Cromwell und seinen königlichen Gegner. Schwäche war der Grundzug des Einen, Willenskraft der des Anderen. Karl stammte von einer Reihe erlauchter Ahnen ab und vereinte in seiner Person alle Vorzüge und Mängel der Aristokratie, während sich in Cromwell das Bürgerthum jener Zeit verkörperte; er war gleichsam der inkarnirte Glaubenseifer, verbunden mit dem schärfsten Verstande, der revolutionäre Geist des Jahrhunderts, der dem despotischen Starrsinn des Königs gegenüberstand. Beide Principien mußten sich durch eine höhere Nothwendigkeit gezwungen mit einander messen und einen Kampf auf Leben oder Tod bestehen.

Je höher Cromwell gestiegen war, desto klarer und weitreichender wurde sein Blick. Er wuchs mit den Verhältnissen und auf der höchsten Stufe angelangt, stand er in riesiger Größe da. Nicht nur sein Verstand, sondern ein gewisser dämonischer Instinkt trieben ihn auf der einmal betretenen Bahn immer weiter und weiter. Der Augenblick beherrschte ihn zwar, aber er wußte ihn immer richtig zu benutzen und war so der Herr desselben und sein Diener zu gleicher Zeit. Seine Verstellungskunst und die ihm oft vorgeworfene Heuchelei entsprangen nicht aus seinem innersten Wesen, sie waren nur durch seine eigenthümliche Lage bedingt, gewissermaßen seine Hülfstruppen, die er jedoch nach erlangtem Siege wieder verabschiedete. Er dachte stets groß, war aber häufig gezwungen, klein zu handeln, dennoch verlor er nie sein Hauptziel aus den Augen, England mächtig und gefürchtet zu machen.

In diesem Augenblicke schweifte sein Blick über das blutige Schlachtfeld in die dunkle Ferne. Aus dem Moor stiegen die weißen Nebel empor und hüllten die Leichen der Todten ein, sie ballten sich zusammen und nahmen, vom Mondlicht beschienen, allerlei phantastische Gestalten an. Ein langer gespenstiger Zug wie Geister der Erschlagenen wallte an ihm vorüber, es überfiel ihn keine Furcht, denn die kannte er nicht, aber wohl ein leiser Schauder. Er gedachte der nächsten Zukunft und der drohenden Ereignisse im Gefolge dieses Bruderkampfes.

– Nein, nein! murmelte er für sich. Dieser Krieg darf nicht länger dauern, er muß ein Ende nehmen, wenn nicht England darüber zu Grunde gehen soll. Noch einige Siege und Karl muß nachgeben, oder –

Er vollendete nicht, sondern starrte düster vor sich nieder. Erst nach einer Pause fuhr er fort.

– Wenn der König unterliegt, fällt die Herrschaft an das Parlament zurück, an das Parlament, welches ruhig in London sitzt, um Unbedeutendes streitet, während der Soldat sein Blut im Felde verspritzt. Wie mich dünkt, ruht nicht mehr der Geist Gottes aus der Versammlung und ihr Thun ist eitel. Je mehr Köpfe, desto mehr Sinne, es fehlt der eine feste Wille; der thut uns Noth. Nicht Essex, nicht Fairfax sind berufen, das große Werk zu beenden. Der Herr wird sich einen anderen Diener erwecken, der seinen Willen offenbart. Wer es auch sein mag, er nimmt eine schwere Last auf seine Schultern, eine Prüfung, die kaum der Beste übersteht. Was aber Gott beschließt, ist wohlgethan und sein Wille geschehe im Himmel, wie auf Erden. – Der Mond beleuchtete die betende Gestalt Cromwells. So fand ihn in stiller Verzückung ein Reitertrupp, an dessen Spitze der alte Henderson ritt, nachdem er seine Wunden sorgfältiger verbunden hatte.

– Sehet! rief der schwärmerische Puritaner, indem er auf den fortbetenden Cromwell zeigte, das ist das Rüstzeug des Herrn, der auserwählte Streiter Israels.

Ehrfurchtsvoll begrüßten die Soldaten ihren Führer. Er schien wie aus einem tiefen Traume zu erwachen und blickte verwundert umher, als hätte er sie nicht zuvor bemerkt.

– Geht! rief er ihnen zu, und thut Eure Pflicht. Verfolgt den Feind, schont ihn nicht, wo Ihr ihn trefft. Ich werde für Euch beten, während Ihr fechtet.


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