Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

20.

Seit dem Feste in Ludlow-Castle führte Milton ein einsames und zurückgezogenes Leben, lediglich mit ernsten Berufsstudien beschäftigt. Er hatte Alice nicht wieder gesehen und alle Einladungen der Familie Bridgewater abgelehnt. Selbst den Umgang des Freundes und die gewohnten Spaziergänge mußte er entbehren, da King nach Irland abgereist war. Seinen einzigen Trost und seine Zerstreuung fand er in den geliebten Büchern, welche er weder am Tage noch des Nachts aus Händen ließ. Dieser anhaltende Fleiß, durch den er seine Gedanken zu betäuben und von einer unglücklichen Liebe abzulenken versuchte, wirkte indeß schädlich auf seine Gesundheit zurück. Sein Gesicht nahm eine krankhafte Blässe an, sein helles Auge trübte sich und sein Gang wurde matt und schleppend. Diese Veränderungen entgingen nicht den zärtlich besorgten Blicken seiner Mutter, die selbst leidend war und schon seit längerer Zeit kränkelte. Aufmerksam durch sie gemacht, beredete Milton's Vater den Sohn zu einer kleinen Reise nach der nächsten Küste, um sich in der frischen Seeluft und am Anblick des gewaltigen Meeres zu erholen. Nur ungern und wie von einer bangen Ahnung ergriffen, willigte der Dichter in diesen Vorschlag. Ueberaus zärtlich war der Abschied, den er von seiner leidenden Mutter nahm.

Nach einer kurzen Reise langte er ohne Abenteuer an den Ort seiner Bestimmung an. Er fand die ganze Bevölkerung in einer gewissen Aufregung wegen eines großen Unglücks, das sich eben erst ereignet hatte. Der furchtbare Sturm, welcher die ganze Nacht hindurch gewüthet, hatte mehrere Fahrzeuge an die Klippen getrieben, wo sie fast unter den Augen der Einwohner gescheitert waren. Viele Menschenleben wurden beklagt und die Wellen trieben die Leichen der Untergegangenen an den Strand. Das Alles erfuhr Milton von der gesprächigen Wirthstochter in der Taverne, wo er eingekehrt war.

– Seht nur, seht! rief das geschwätzige Mädchen, da bringen sie wieder einen Ertrunken. O, mein Gott! welch ein schöner junger Mann. Er sieht aus, als ob er der Prinz von Wales selber wäre. Der muß vornehmer Leute Sohn sein. Mechanisch trat Milton an das geöffnete Fenster, welche nach dem Meere die Aussicht hatte. Er konnte das Brüllen der noch immer nicht beruhigten Wogen deutlich vernehmen. Längs des Strandes bewegte sich ein trauriger Zug. Mehrere Fischer trugen die Leiche eines Jünglings, der zu schlafen schien. Nur die triefenden von Sand und Seetang verunreinigten blonden Locken und die geschlossenen Augen verriethen seinen Tod. Seine Reisekleider, wie sie nur ein vornehmer und reicher Mann in jenen Tagen zu tragen pflegte, waren ganz durchnäßt und kündeten deutlich durch die feuchte Spuren, die sie im Sande zurückließen, die Art und Weise des Todes an. Ein müßiger und theilnehmender Haufe hatte sich angeschlossen und beklagte das traurige Geschick des Verunglückten. Der Zug kam dem Wirthshause immer näher und deutlich konnte Milton jetzt die Züge des Verblichenen erkennen.

Mit einem lauten Schrei stürzte er zum Hause hinaus und der Leiche entgegen.

– King, mein Eduard, mein Lycidas! rief er bei dem erschütternden Anblick aus und brach von seinem Schmerze überwältigt, zusammen.

Die neugierige Menge war sogleich bei diesem Ausrufe scheu zur Seite gewichen und die Träger hatten ihre Last sanft auf die Erde gesetzt. Jeder ehrte diesen Ausbruch eines traurigen Gefühls.

– Ist keine Rettung möglich? fragte Milton nach einer längeren Pause.

– Der ist todt, erwiederte ein treuherziger Schiffer. Da ist Alles umsonst, Ihr seht ja selbst, daß die Leiche mehrere Stunden im Wasser gelegen hat. Schade um das junge Blut.

– Wo habt Ihr ihn gefunden?

– Droben, zwischen den Klippen hat das Meer ihn hingespült. Es liegen noch mehr Leichen dort, Alle von demselben Schiff. Weil der junge Herr aber so fein aussah, wollten wir ihm zuerst ein christliches Begräbniß verschaffen.

– Das lohn' Euch Gott.

– Ihr scheint sein Bruder, oder sonst ein Verwandter zu sein, da werdet Ihr wohl selber Sorge tragen und seine Beerdigung übernehmen. Wohin befehlt Ihr, daß wir die Leiche bringen?

– In das Wirthshaus. Bis er in's Grab gesenkt wird, soll er nicht von meiner Seite kommen.

Auf Milton's Wunsch nahmen die Träger wieder die Leiche auf und brachten sie in die Taverne, wo sie sogleich auf ein bereit stehendes Bett niedergelegt wurde. Nachdem der Dichter die wackeren Leute bezahlt hatte, blieb er allein mit dem Todten und seinen Schmerz.

– Mein Freund, mein Bruder, mein Lycidas! jammerte er laut. So mußtest du untergehen und an der Schwelle der Jugend, mitten in der Fülle des Lebens sterben. – O, hätte mich der grausame Tod statt deiner genommen. In dir begrabe ich meine Freundschaft und meine Liebe. Weh' mir! Das Opfer, das ich dir gebracht, war umsonst. Das finstere Schicksal hat es anders beschlossen, statt in das Brautbett mußtest du in die feuchte Gruft des Meeres steigen.

So klagte Milton an der Leiche des Freundes, von der er nicht weichen wollte. Erst am nächsten Tage war er so weit gefaßt, um dem Vater King's einen Boten mit der traurigen Nachricht nach Irland zu schicken und die nöthigen Vorbereitungen für die vorläufige Beerdigung des Entschlafenen zu treffen. Hinter dem Sarge schwankte der Dichter als einziger Leidtragender.

– Fahr' wohl, fahr' wohl! rief er dem Freunde nach.

Längst hatte sich der Todtengräber entfernt, er aber saß noch auf dem frischgemachten Grabhügel. Es dunkelte bereits und der Wind wehte scharf vom Meere, die Wogen brausten und am Himmel trieb das dunkle, zerrissene Gewölk, durch welches der bleiche Mond gespenstisch hervorbrach. In seiner Verzweiflung bemerkte Milton nicht wie die Stunden vergingen. Ein unaussprechlicher Jammer lastete auf ihm; er hatte ja Alles hier verloren und in demselben Grabe ruhte sein Freud, seine Geliebte und die eigene Jugend. Als er sich von dem Schmerzenshügel endlich erhob, war er zum Manne herangereift, seine Ideale waren versunken, seine reinsten und heiligsten Gefühle von ihm geschieden. Er lernte andere Männer und Frauen später kennen, sein Dichterherz schlug auch für sie, aber nicht mehr so frisch und urkräftig wie es einst für King und Alice geschlagen. Ach, nur einmal erhebt sich der Mensch auf den Schwingen der Jugend zum Himmel empor, doch gelähmt durch den Blitz des Schicksals oder durch die Hand der vernichtenden Zeit vermag er sich nie mehr zu jener Höhe aufzuschwingen.

Gebrochen kehrte Milton in das Vaterhaus zurück, auch hier empfing ihn neues Unglück. Der Zustand seiner kränkelnden Mutter hatte sich in seiner Abwesenheit so sehr verschlimmert, daß das Schlimmste zu befürchten stand. Der treue Sohn wich nicht von ihrem Krankenlager bis sie in seinen Armen entschlummerte. Es war zu viel, der doppelte Verlust untergrub seine eigene Gesundheit. Nur noch wie ein bleicher Schatten wankte er umher, seine Lieblingsbeschäftigungen waren ihm zum Ekel geworden und eine tiefe Melancholie hatte sich seiner Seele bemächtigt. Der besorgte Vater ließ den tüchtigen Hausarzt kommen und fragte ihn um seinen Rath. Dieser schlug eine längere Reise in fremde Länder vor. Anfangs weigerte sich Milton, seinen Vater allein zu lassen; er drang indeß so lange in den Sohn, bis derselbe sich fügte. Da ihm die Wahl vollkommen frei gestellt wurde, so entschied er sich für Italien.

Ehe er jedoch für lange Zeit von England Abschied nahm, besuchte er noch einmal die Gräber seiner Mutter und des geliebten Freundes. Ihr Andenken begleitete ihn und in lieblichen Versen besang er den dahingeschiedenen King. »Lycidas« nannte er die schönste Todtenklage, die je ein Dichter seinem Freunde gewidmet hat.

Wir wohnten Beide auf demselben Hügel
Und weilten bei dem gleichen Quell zusammen,
Dieselbe Heerde nährt' uns an dem Bach.
Eh' noch die Dämm'rung kam, das erste Blinzeln
Des gold'nen Sonnenauges uns erschien,
Da eilten wir zusammen in's Gefild
Und horchten auf das Horn des Morgenwind's,
Der nächi'gen Thau von seinen Schwingen goß;
Oft bis der Abendstern im Westen kam
Verweilten wir mit fröhlichem Gesang.

—————

Doch, schmerzliches Geschick, du gingst dahin
Du gingst dahin und lehrst nicht mehr zurück.
Ihr Schäfer, Wälder und verborg'ne Höhlen
Mit Thymian und wildem Wein umzogen,
Du Echo klaget, so wie ich, um ihn! –
Die Weide und der grüne Haseldusch
Soll dich nicht mehr erblicken, säuselnd
Zu deinem Lied mit leisem Blätterspiel. –
So tödtlich wie der Wurm der jungen Rose,
Die Seuche für die Lämmerheerde ist,
Der Frost den Blumen in des Frühlings Schmuck
Und wann der Schlehdorn weiß wie Schnee erscheint;
So war dein Tod für jedes Schäfers Ohr:

—————

Doch weint nicht mehr, ihr Schäfer, weint nicht mehr!
Denn Lycidas, betrauert, ist nicht todt,
Sank er auch in das feuchte Grab hinab. –
So sinkt des Tags Gestirn zum Ocean
Und hebt sein träufelnd Haupt von Neuem hoch,
Hell strahlend und mit frischem Glanzgefunkel
Flammt es im Osten an des Morgens Stirn.
So sank auch Lycidas nur um zu steigen
Durch dessen Macht, der auf den Wellen ging
Und auf des Meeres Wogen sicher schreitet.
Mit reinem Nektar salbt er seine Locken
Und hört den hochzeitlichen Hochgesang
In jenem Reich, wo ew'ge Lust und Liebe.
Dort wandelt er mit all den Heil'gen droben
Im feierlichen Zug und sel'gem Bunde;
Sie singen ihm und singend jauchzt er mit
Und seine Thränen trocknen in der Freude.
Weint nicht um Lycidas! Er ist der Geist,
Der Genius, der an der Küste weilt
Und jedem Wandrer Heil und Rettung bringt. –
So sang ein Jüngling in der Eiche Schatten,
Am Quell, als kaum der Morgenstern verblich.

—————

Die Sonne kam, hell strahlten alle Hügel
Dann sank sie wieder in die ros'ge Bai.
Er aber hüllte sich in seinen Mantel,
Und suchte neue, fremde Länder auf. –


 << zurück weiter >>