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8.

Nach einem Aufenthalte von mehreren Wochen, die ihm in solcher Gesellschaft und Umgebung schnell und angenehm verflossen, stand Milton im Begriff seinen längst gefaßten Beschluß auszuführen und nach Griechenland zu reisen. Er hatte bereits die nöthigen Vorbereitungen genossen und von dem edlen Marchese schriftlich und mündlich Abschied genommen, als er von seinem Vater einen Brief aus der Heimath erhielt, der ihn seine Pläne wieder aufgeben ließ. Aus dem Schreiben ersah er, daß während seiner Abwesenheit wichtige Ereignisse vorgefallen waren, der Bürgerkrieg stand vor der Thür und eine große erschütternde Revolution schien unausbleiblich. Der verblendete König, dem es nicht an vielen und trefflichen Eigenschaften des Geistes und des Herzens fehlte, ließ sich von seiner Umgebung und noch mehr von dem hohen Begriff, den er von seiner königlichen Würde hegte, zu offenbaren Verletzungen der alten Institute und Satzungen des Landes hinreißen. Drei Mal hatte er das Parlament berufen und drei Mal wieder aufgelöst. Seit zehn Jahren regierte er schon ohne Volksvertreter. Da ihm die nöthigen Geldsummen fehlten, deren Bewilligung lediglich vom Parlament abhing, so griff er in seiner Verlegenheit zu allerlei willkürlichen Erpressungen und verwerflichen Mitteln. Alte, bereits verjährte Steuern wurden hervor gesucht und gegen das Gesetz dem Volke auferlegt; wer sich zu zahlen weigerte, mit schweren Geldbußen und Kerker bestraft. Eine solche willkürliche Steuer war das sogenannte Schiffsgeld, eine Abgabe, die frühere Herrscher nur in Kriegszeiten erhoben und die lediglich zur Vertheidigung des Landes zur See verwendet werden durfte. Selbst die königlich Gesinnten mußten zugeben, daß das Geld nicht zur Unterhaltung der Marine eingetrieben wurde, sondern lediglich den König mit Hilfsmitteln versehen sollte, die er nach Willkür zu jeder Höhe steigern und zu jedem beliebigen Zwecke verwenden konnte. Die ganze Nation gerieth deshalb in Aufregung und Erbitterung, die Anhänglichkeit an die alte Constitution sah durch eine solche Maßregel das heilige Palladium der Freiheit selbst bedroht. Besonders fürchtete man die Verwendung des Geldes zur Einführung und Unterhaltung eines stehenden Heeres, das in den Händen eines despotischen Herrschers zur Unterdrückung der Freiheit und Aufhebung der bestehenden Institute und Bollwerke gegen den Absolutismus dienen konnte. Da trat John Hampden, ein wohlhabender Gutsbesitzer aus Buckinghamshire und von guter Abkunft, hoch geachtet in seiner Nachbarschaft, aber bis dahin noch wenig bekannt, mit Muth und Entschlossenheit der königlichen Willkür entgegen. Er weigerte sich entschieden auch nur einen Heller der unrechtmäßigen Steuer zu bezahlen und bestritt in einem Prozesse, den er gegen die Regierung anstellte, dieser das Recht und die Befugniß, Schiffsgeld zu erheben. Trotzdem er von den feilen und größtentheils vom Hofe abhängigen Richtern verurtheilt wurde, gab sein muthvolles Benehmen das Signal zu einem allgemeinen Widerstand. Die gegen den König und den Hof bereits sehr gereizte Stimmung steigerte sich zu einer solchen Höhe, daß es nur eines unbedeutenden Ereignisses bedurfte, um das Volk zum Aufstand zu bewegen.

Zu der politischen Unzufriedenheit gesellten sich die weit gefährlicheren religiösen Wirren. Zugleich geistliches und weltliches Oberhaupt hielt es der König für seine Pflicht, die bischöfliche Kirche zur herrschenden sowohl in England als in Schottland zu erheben. Von dem bigotten und fanatischen Laud geleitet, hatte Karl neue und wo möglich noch strengere Gesetze gegen die Presbyterianer und andere Sekten erlassen. Excommunication mit all ihren Folgen wurde gegen Jeden verhängt, der das göttliche Recht der verhaßten Bischöfe nur zu bezweifeln wagte. Alle Versammlungen und Conventikeln von Privatpersonen und Predigern Behufs der Auslegung der Bibel waren auf das strengste untersagt. Doch die gefährlichste Neuerung, weil sie dem gemeinen Volke unmittelbar in die Sinne fiel, betraf den öffentlichen Gottesdienst. Dieser sollte von nun an streng nach den Vorschriften der englischen Hochkirche abgehalten und die an den Katholicismus erinnernden Formeln wieder eingeführt werden. Schon die bloße Nachricht von diesen königlichen Beschlüssen versetzte ganz Schottland in die größte Aufregung, besonders war das Volk in der Hauptstadt auf das höchste gereizt und erbittert. An dem Tage, wo zum erstenmal der Gottesdienst in der neuen vorgeschriebenen Weise abgehalten werden sollte, füllten sich die Kirchen mit einem Haufen von Männern und Frauen, die zum Aeußersten entschlossen waren, ehe sie die an Rom erinnernden Cermonien dulden wollten. So bald der Bischof in dem weißen Ueberwurf die Kirche in Begleitung der übrigen Prälaten und der Magistratsmitglieder betrat, erhob sich gegen ihn ein Sturm von Verwünschungen und Flüchen. Der Diakonus, welcher den Gottesdienst verrichtete, wurde durch das laute Schluchzen und Weinen der vornehmen Damen unterbrochen, während die Frauen der niederen Klasse ihn mit wildem Geschrei empfingen und mit abgebrochenen Stuhllehnen und Schemelbeinen nach ihm warfen. Als der Bischof die Kanzel betrat, wurde der Lärm noch größer; Von allen Seiten wurde er angegriffen und er konnte zu keinem Worte kommen. Unter dem Rufe »ein Papst, ein Papst, der Antichrist, steinigt ihn, schlagt ihn nieder!« mußte er sich zurückziehen und mit Gefahr seines Lebens aus der Kirche flüchten. Der ergrimmte Haufe zertrümmerte die Fenster des Doms und die Betpulte. Der Aufstand fand bald eine allgemeine Verbreitung. Man feuerte sich gegenseitig an, jeder Neuerung auf religiösem Gebiete männlich entgegenzutreten; auch die Frauen nahmen an der Bewegung Theil und wie dies gewöhnlich zu geschehen pflegt, mit fanatischem Eifer. Die presbyterianische Geistlichkeit donnerte laut gegen Papstthum und Liturgie, welche sie für ein und dasselbe Ding erklärte. Die Kanzeln hallten von Verwünschungen gegen den Antichrist und das Volk, welches zuerst sich gegen die Liturgie ausgesprochen, wurde nicht eben schmeichelhaft mit dem Esel Bileams verglichen, einem für sich zwar dummen und einfältigen Thiere, dessen Mund aber der Herr geöffnet zum Wunder und Zeichen für alle Welt. Zu dem Fanatismus gesellte sich noch die Leidenschaft der politischen Parteien, mit dem Geist der Freiheit vermischten sich Privatinteressen und von allen Seiten zeigten sich die bedrohlichsten Symptome, welche einen baldigen Ausbruch einer Revolution erwarten ließen. Hätte der König unter diesen Umständen eine Amnestie erlassen und in Bezug auf die Liturgie sich nur einigermaßen nachgiebig gezeigt, so wäre die Gefahr noch abgewendet worden. Statt dessen verfuhr er mit der äußersten Strenge und beschleunigte nur durch unbeugsamen Starrsinn, der bei ihm die Stelle des Muthes vertrat, die Krisis. Bald wurden auch die angesehensten Männer von der Bewegung ergriffen, welche ursprünglich nur von der niedrigsten Volksklasse ausging und so wurde aus einem Straßentumult eine wirkliche und bedeutende Revolution. Die Häupter des schottischen Adels und die vorzüglichsten Bürger schlossen einen Bund, den sogenannten Konvenant, und verpflichteten sich dadurch feierlich zur Abwehr jeder Neuerung und zur gegenseitigen Vertheidigung. – Karl wüthete und machte einen Versuch, den Aufruhr mit dem Schwerte niederzuschlagen. Da es ihm jedoch an einem Heere und den nöthigen Geldmitteln fehlte, so blieb ihm nichts übrig als gezwungen ein neues Parlament einzuberufen; dies geschah im Frühjahr sechszehn hundert und vierzig.

So lauteten die Berichte, welche Milton von seinem Vater erhielt. Er zögerte keinen Augenblick und traf als Freund der Freiheit und seines Landes seine Wahl. Sogleich beschloß er die Rückreise anzutreten, indem er es für schimpflich hielt, müßig herumzuwandern, während seine Mitbürger sich zum Kampfe für die Freiheit rüsteten. Kurz vor seinem Scheiden von Neapel wurde er jedoch von einigen englischen Freunden in Rom schriftlich vor dem Besuche dieser Stadt gewarnt. Dort ansässige Geschäftsleute schrieben ihm, daß seine allzukühne Auslassungen über den Katholicismus, besonders aber sein Besuch bei Galilei, ihm gefährliche Feinde, vorzugsweise unter den Jesuiten, erweckt hätten. Nichts desto weniger kehrte er nach Rom zurück. Noch einmal umschlang ihn die ewige Stadt mit ihren Sirenenarmen und es war als könnte er sich nimmermehr von ihr trennen. Auch die Liebe hatte an diesem Verweilen wohl den größten Antheil. So lange er von Leonora Baroni getrennt war und in Neapel sich durch den Umgang mit dem trefflichen Marchese zerstreute, schlummerte seine Leidenschaft, die beim Anblick der Künstlerin mit neuer Kraft und Stärke erwachte. Sie selbst empfing ihn mit einem Freudenschrei und fesselte ihn mehr als je mit ihren Liebkosungen. Wohl gedachte er der Zauberin Armida aus Tasso's befreitem Jerusalem, aber es fehlte ihm der Muth, sich aus ihren Rosenbanden zu befreien. So oft er von seinem Abschied sprach, schloß sie seinen Mund mit glühenden Küssen. Trotz des Glückes aber, das er in ihrer Nähe genoß, überschlich ihn mitten im Genuß eine tiefe Trauer. Eine Ahnung überkam ihn von den Kämpfen und Verwirrungen, denen er entgegenging. Er glaubte eine Stimme zu hören, die ihn aufrief dem bedrängten Vaterlande zu Hülfe zu eilen. Oft schreckte er in ihren Armen auf und starrte wild um sich.

– Was fehlt dir, mein Giovanni? fragte die Geliebte erschrocken.

– Ich darf nicht länger bei dir bleiben, ich muß in die Heimath. Mein Vaterland ist in Gefahr.

– Böser Mann! Was kümmert dich dein Vaterland? Mein Herz, mein Busen soll immer deine Heimath sein.

– Leonora! folge mir, ich kann mich nicht länger meinen Mitbürgern entziehen.

– Ich soll dir folgen und wohin? In ein Land, dessen schwerer, grauer Himmel mich zu erdrücken drohte, dessen Sprache ich nicht verstehe. Bleibe bei mir in Rom, in dem herrlichen Italien, wo die Sonne freundlich scheint, wo das Leben mit dem süßesten Genuß sich eint. Geh nicht von mir, denn dein Abschied würde mich tödten.

Thränen begleiteten ihre Worte und Milton fühlte sich zu schwach, ihren Thränen zu widerstehen. Fast täglich wiederholten sich ähnliche Gespräche und Auftritte. Vergebens kämpfte seine Vernunft gegen die gewaltige Leidenschaft. Zuweilen zwar machte er den Versuch, sich zu befreien und er irrte dann allein in der stillen Nacht unter den Trümmern und Ruinen der ewigen Stadt. Bei solchen einsamen Wanderungen bemerkte er, daß ihm häufig eine dunkle Gestalt nachschlich, die er indeß wenig oder gar nicht beachtete. Als er in der Dunkelheit nach gewohnter Weise das Kolosseum besuchte und in phantastischer Mondbeleuchtung den erhabenen Bau bewunderte, stürzte plötzlich ein verhüllter Mann mit breitem Hute, der sein Gesicht bedeckte, auf Milton los. In der Hand hielt derselbe einen geschwungenen Dolch. Ehe jedoch der Mörder seinen Vorsatz ausführen konnte, war ihm die Waffe von einem starken Arm entwunden. In der Finsterniß gelang es dem Verbrecher, unerkannt zu entkommen. Milton dankte seinem Befreier, der sich ihm als einen Landsmann, Namens Marvell zu erkennen gab. Der junge und liebenswürdige Geselle gefiel dem Dichter und bald schlossen sich unter solchen Verhältnissen Beide fest aneinander an.

– Ich bin Euch zu großem Danke verpflichtet, sagte der Dichter.

– Nicht mir, sondern dem Zufall, der mich hierhergeführt. Mein Name ist Marvell.

– Und der meinige Milton.

– Ich habe bereits früher von Euch gehört und freue mich daher doppelt, Euch einen kleinen Dienst geleistet zu haben. Vor allen Dingen aber muß ich Euch warnen. Bekannte haben mir erzählt, daß man hier in Rom Euch nach dem Leben trachtet.

– Ich wüßte nicht warum.

– Doch habt ihr bei allen Gelegenheiten eine so freie Sprache geführt, daß man auf Euch aufmerksam geworden ist. Ihr besitzt hier Feinde und Gegner, die vor keinem Gewaltstreich zurückschrecken. Heut habt Ihr ein Pröbchen selbst erlebt, wie man in Rom einen religiösen Disput durch einen Dolchstich abzumachen und einem geistreichen Redner nicht nur das Wort, sondern auch den Lebensfaden abzuschneiden versuchte.

– Ich hätte nicht geglaubt, daß man meiner geringen Person eine so große Wichtigkeit beilegt.

– Ihr seid zu bescheiden und verkennt Euren Werth. Eure Poesieen, welche Ihr in Florenz und hier öffentlich in den verschiedenen Akademien vorgelesen habt, fanden ungetheilten Beifall und Anerkennung. Außerdem hat unser Landsmann Sir Kenelm Digby, der eben so gewissenlose, als hochbegabte Mann, wie ich höre, allerlei Pläne mit Eurer Person vorgehabt. Gott Lob! daß Ihr nicht darauf eingegangen seid. Viele Landsleute, die an Euch den redlichsten Antheil nahmen, befürchteten das Aergste und man sprach allgemein von Eurer bevorstehenden Bekehrung zur alleinseligmachenden Kirche.

– Welch schändliche Verläumdung!

– Ihr selbst habt durch Euer männliches Benehmen am besten diese albernen Gerüchte widerlegt, die nichts desto weniger sehr wahrscheinlich klangen, da Ihr im Hause des Kardinals Barberini über alle Maßen freundlich aufgenommen worden seid. Vorzugsweise wurde der Verdacht jedoch durch den Verkehr mit der Signora Baroni verstärkt. Verzeiht, daß ich mich so offen äußere, aber ich halte es für Pflicht, einem Manne wie Euch nichts zu verschweigen.

– Was wißt Ihr von Leonora Baroni? fragte Milton hastig.

– Daß die gefeierte Künstlerin halb bewußt, halb unbewußt von den Jesuiten und Sir Kenelm als ein Werkzeug zu Eurer Bekehrung benutzt wurde. Es thut mir Leid, Euch dies zu sagen, aber es ist nicht das erste Mal, daß die Signora zu ähnlichen Zwecken gebraucht wird. Im vergangenen Jahre schmachtete ein junger französischer Edelmann, ein vornehmer Hugenotte in ihren Netzen grad wie Ihr. Nachdem er erst seinen Glauben abgeschworen, erkaltete auch die Liebe der Sängerin. Der arme Bursche überlebte nicht den doppelten Verlust und den Gedanken, seine Ueberzeugung einer Chimäre geopfert zu haben. Er stürzte sich in den Tiber und ruht nun in ungeweihter Erde. Wenn Ihr wollt, können wir sein Grab besuchen. Es dürfte eine heilsame Warnung für Euch, Herr Milton, sein.

– Aber wer ist diese Leonora Baroni? fragte der Dichter erschüttert.

– Einige behaupten die Tochter, Andere die Geliebte des Kardinals, vielleicht Beides zugleich, wie das ja in Rom seit Lukrezia Borgia nicht eben zu den Seltenheiten gehört. Dem sei aber wie ihm wolle, folgt meinem Rath und verlaßt die Sirene je zeitiger um so besser. Flieht und entzieht Euch der Gefahr, denn noch schlimmer als die Dolche der Italiener sind die Augen der Italienerinnen.

Marvell's Worte schienen einen großen Eindruck auf den Dichter zu machen. Er hatte bereits ähnliche Gerüchte gehört, denen er jedoch keinen Glauben schenken wollte. Jetzt nahm er sich vor, eine genauere Prüfung vorzunehmen und wenn sich die Wahrheit bestätigen sollte, für immer mit Leonora zu brechen. In Begleitung des neuen Freundes kehrte er in seine Wohnung zurück. Unterwegs sprachen sie noch viel von der veränderten Lage des Vaterlandes und tauschten darüber ihre Gedanken aus. Milton fand an Marvell einen politischen und religiösen Gesinnungsgenossen, einen begeisterten Anhänger der Freiheit.

– Wir stehen am Vorabende wichtiger Ereignisse, sagte dieser, und kein Mann darf jetzt fehlen, wo es sich um die Vertheidigung unserer heiligsten Güter handelt. Ich selbst trete aus diesem Grunde sogleich meine Rückreise nach England an. Die Zeit der müßigen Schwärmerei und des Genusses ist für mich vorüber, die Pflicht ruft und ich werde ihr gehorchen.

– Und ich will Euch folgen.

– Gebt mir die Hand darauf, entgegnete der Jüngling, indem er begeistert seine Rechte Milton hinreichte. Wir wollen Beide unsere Kräfte dem bedrängten Vaterlande weihen. Kampf der Tyrannei, Kampf der Gewissensfreiheit.

– Kampf der Tyrannei, Kampf der Gewissensfreiheit! wiederholte Milton feierlich.


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