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15.

Milton hatte indeß mit Hülfe seines Freundes in einsamer Zurückgezogenheit an sein Werk die letzte Hand gelegt. Die Rollen wurden vertheilt und die Proben begannen. Außer Alice und ihren Brüdern waren noch King und Sir Kenelm Digby beschäftigt. Der Erstere sollte den Schutzgeist, der Letztere den Gott »Komus« spielen, wozu er sich selbst erboten hatte. Einer Anverwandten des Hauses war die Rolle der Nymphe Sabrina zugetheilt, weil sie eine schöne Stimme besaß, und ihre Partie vorzugsweise aus Gesängen bestand. Mehrere Gäste waren außerdem als Tänzer angeworben. Die weite Halle des Schlosses wurde vorläufig den Darstellern eingeräumt. Alle brachten den besten Willen mit und freuten sich auf die Ausführung. Der Dichter las noch einmal zunächst sein Werk vor und erhielt den größten Beifall, selbst Sir Kenelm Digby konnte sich nicht enthalten, einzelne Stellen lebhaft zu beklatschen.

Alice näherte sich Milton, um ihm zu danken. Von Begeisterung ergriffen, nahm sie seine Hand, ein Schauer durchflog ihn bei dieser sanften Berührung.

– Ihr habt, statt eines Gelegenheitsgedichtes, ein Meisterwerk geschaffen, sagte sie leise. Selbst Shakespeare brauchte sich der Verse nicht zu schämen, nur mir habt Ihr ein großes Unrecht zugefügt.

– Ich wüßte nicht wodurch, stammelte verlegen der Dichter.

– Ihr seid nicht der Wahrheit treu geblieben und habt ein Ideal aus mir gemacht, das Niemand in der Wirklichkeit finden wird. Wie weit bleibe ich hinter Eurem Bilde zurück, doch ich will mit dem Dichter nicht rechten, er gebraucht die ihm verliehene Freiheit, wie er will und kann. Ihr hättet mir das Erröthen sparen sollen, welches mich befallen muß, wenn ich Eure Verse öffentlich sprechen soll.

– Jedermann wird finden, daß mein Urbild noch größeren Lobes würdig sei.

– Genug davon, entgegnete Alice mit gesenktem Blicke. Ich danke Euch doppelt. für das herrliche Gedicht und die gute Meinung. Zwar will ich meine Anklage fallen lassen, doch nur um eine zweite zu erheben. Ihr entzieht Euch der Gesellschaft und sondert Euch von uns ab. Noch könnt Ihr Euch mit Eueren Arbeiten entschuldigen, aber von heute ab zähle ich auf Euch. Ich sehne mich nach einer besseren Unterhaltung, als sie der Haufe mir gewährt. Vor und nach dem Feste hoffe ich, unsere früheren Gespräche wieder aufzunehmen.

Das Herzutreten Digby's überhob den Dichter einer peinlichen Antwort. Er zog sich zurück mit einer kalten Verbeugung und die Probe nahm ihren Anfang. Auch am nächsten Tage suchte er jede nähere Berührung mit Alice zu vermeiden. Länger konnte ihr kaum die Absichtlichkeit seines Benehmens verborgen bleiben, vergebens suchte sie nach einem Grund. Sie prüfte sorgfältig ihr bisheriges Benehmen ihm gegenüber, sie rief sich jedes Wort, jeden Blick zurück, womit sie vielleicht das leicht reizbare Gemüth des Dichters verletzt haben konnte, doch sie war sich keiner derartigen Schuld bewußt. Um so schmerzlicher berührte sie sein verändertes Wesen. Unaufhörlich beschäftigte sie sich damit, die verborgene Ursache desselben zu entdecken. Bald schrieb sie diese Umwandlung einem körperlichen Leiden zu, wozu sie die krankhafte Blässe seines Gesichtes und der leidende Ausdruck seiner Züge verleitete, bald einem häuslichen Kummer. In ihrer Sorge um den Dichter wandte sie sich an King, um von diesem Auskunft zu erhalten. Die Antworten des Freundes lauteten ausweichend und keineswegs beruhigend. Nicht undeutlich ließ derselbe als die einzige Ursache eine unglückliche Leidenschaft des Dichters für eine hochstehende Dame ahnen. Diese nur flüchtig und mit gehörigem Rückhalt hingeworfene Aeußerung versetzte Alice in eine heftige Aufregung. Scharfsichtiger als King glaubte sie den Gegenstand zu kennen. Was hätte sie darum gegeben, den Namen zu erfahren, doch eine natürliche Scheu hielt sie ab, genauere Erkundigungen einzuziehen. Ein süßer unaussprechlicher Schauer erfaßte sie bei dieser Nachricht und jetzt war ihr Alles erklärlich, Miltons Verlegenheit, sein schüchternes Ausweichen, seine Zurückgezogenheit. Aber zugleich that sie auch plötzlich einen Blick in ihr eigenes Herz, und die Liebe für den Dichter, die ihr selbst ein verschleiertes Geheimniß war, wurde ihr zur Gewißheit. Sie fühlte bei dieser Entdeckung die höchste Wonne, doch schon im nächsten Augenblick regte sich der giftige Zweifel. Konnte nicht eine Andere der Gegenstand seiner heißen Neigung sein, eine ihr unbekannte Frau ihn gefesselt haben? Neues Schwanken, neue Bedenken. –

In dieser Stimmung vermied auch sie, mit Milton allein zu sein, obgleich sie eine Erklärung so gerne herbeigeführt hätte. Eine natürliche Verlegenheit bemächtigte sich ihrer, so oft er sich ihr näherte. Er hingegen legte ihr Schweigen, ihr Ausweichen im entgegengesetzten Sinne aus und genoß das schmerzliche Bewußtsein, mit jedem Tage die Kluft erweitert zu sehen, welche ihn von Alicen für immer trennen sollte.

Die Proben nahmen indeß ihren Fortgang, als plötzlich ein unerwarteter Zwischenfall die ganze Ausführung zu vereiteln drohte. Die Dame, welche die Rolle der Nymphe Sabrina übernommen hatte, erhielt unerwartet Nachricht von einer bedenklichen Erkrankung ihrer Mutter. Sogleich entschloß sie sich, abzureisen und ließ den Dichter und die Darsteller in keiner geringen Verlegenheit. Lawes rannte wie ein Rasender herum, weil er seine schöne Musik umsonst componirt zu haben glaubte. Keine von den anwesenden Damen besaß das nöthige Gesangtalent, um die Ausgeschiedene zu ersetzen.

– Was sollen wir beginnen? schrie der aufgeregte Musiker. Wo finden wir in so kurzer Zeit eine gleiche Sängerin?

– Ich kenne eine solche und noch eine bessere, sagte Thomas vorschnell.

– Du? fragten verwundert zu gleicher Zeit sein Bruder und Alice.

Thomas gerieth in einige Verlegenheit und stockte mit seiner Antwort. Er dachte an seine Geliebte, deren schöne Stimme er oft genug bewundert hatte.

– Um Gottes Willen! rief Lawes dazwischen. Sagt, wo sie ist und wer sie ist. Was besinnt Ihr Euch denn noch? Ihr seht, daß uns das Feuer auf den Nägeln brennt.

Von allen Seiten wurde der Jüngling dermaßen bestürmt, daß er nicht länger ausweichen konnte.

– Ihr kennt, sagte er erröthend zu seinen Geschwistern, unsere Jugendfreundin Lucy Henderson. Sie besitzt die herrlichste Stimme.

– Das ist wahr, bekräftigte Alice, doch sie hat sich von uns zurückgezogen.

– Thut nichts, schrie der eifrige Musiker, wenn sie nur singt. Man muß sie auffordern, holen und wenn es nöthig sein sollte, mit Gewalt entführen. Herzens-Thomas, Ihr müßt uns diesen Schatz, diesen Juwel herbeischaffen.

– Ich will mein Möglichstes versuchen.

– Thu' es, sagte Alice, und wir Alle werden uns freuen, nach langer Abwesenheit unsere Freundin wieder zu begrüßen.

Unter solchen Umständen sah sich Thomas genöthigt, Lucy Henderson aufzusuchen und sie mit den Wünschen seiner Schwester bekannt zu machen. Seit längerer Zeit hatte er mit der Tochter des Puritaners einen regelmäßigen Verkehr gepflogen. Die häufige Abwesenheit des alten Henderson erleichterten die Zusammenkünfte der Liebenden. Bei dieser Gelegenheit hatte Thomas dem Mädchen eine glänzende Schilderung von dem bevorstehenden Feste gemacht und ihre Neugierde dadurch erregt. Jetzt war ihr die Gelegenheit geboten, nicht nur als Zuschauerin, wie sie so sehnlichst wünschte, sondern selbst als Darstellerin dem prächtigen Schauspiele beizuwohnen. Ihr leichter Sinn war von der Aufforderung sogleich entzückt und mit einem Freudenschrei nahm sie die Nachricht des Jünglings auf. Alle Rücksichten auf den strengen Vater, der jedes derartige Vergnügen einer Todsünde gleich achtete, schwanden vor der lockenden Aussicht.

– Ich, ich, jubelte sie, soll vor all den Herrschaften und vor dir singen? O! Thomas, du treibst nur deinen Scherz mit mir.

– Ich gebe dir mein Wort zu Pfande, daß sich die Sache so verhält. Meine Schwester selbst läßt dich durch mich ersuchen.

– Und ich werde Alice, meine theure Milchschwester wiedersehen? Darf ich das wohl? fragte sie plötzlich mit niedergeschlagenen Augen.

– Sei ganz unbesorgt, erwiederte der Jüngling, den Sinn ihrer Rede vollkommen verstehend. Niemand in unserem Hause hat eine Ahnung von unserem Verhältnisse. Ich fürchte nur die Strenge deines Vaters, wenn er erfährt, daß du in einem nach seinen Begriffen sündhaften Schauspiele aufgetreten bist.

– Er soll und darf nichts erfahren, mein Entschluß ist gefaßt! Länger ertrage ich nicht diese Sklaverei. Ich fliehe mit dir, sobald du nach London gehst. Du hast mir feierlich gelobt, mich nicht zurückzulassen.

– Und ich werde mein Wort halten. Ich habe bereits mit Billy Green das Nöthige verabredet. Er wird dich nach London begleiten.

– Ich folge dir bis an's Ende der Welt, wenn es sein muß. Mehr verlange ich ja nicht, als in deiner Nähe zu leben; ich will ja gern deine Magd sein, nur laß mich die Luft athmen, in der du lebst. Ach! wie sehne ich den Tag herbei, wo ich diese Ketten abwerfen darf, welche mir zur Last sind. Ich zähle die Augenblicke und die Stunden, wo ich das düstere Haus verlassen kann. Du und London! Die Sinne schwindeln mir, wenn ich daran denke.

– Halte dich nur vorläufig ruhig, damit du dich nicht verräthst. Doch wie willst du es möglich machen, die dir angebotene Rolle zu übernehmen und in Ludlow-Castle zu erscheinen, ohne daß es dein Vater merkt?

– Er ist verreist und kehrt erst in fünf Tagen wieder. Die Muhme geht zeitig zu Bett und ich werde schon eine Ausrede ersinnen. Die Magd ist längst durch dein Geld gewonnen, nur der Knecht wäre zu fürchten, doch er schläft nicht im Hause. Das Thor ist zwar verschlossen, aber Billy hat mich mit einer Strickleiter für alle Fälle versehen, die ich unter meinem Kopfkissen schon seit geraumer Zeit verborgen halte.

– Und der Hund? fragte Thomas besorgt. Kann dich sein Gebell nicht verrathen?

– Der Vater hat ihn auf meine Bitten fortgegeben. Das Thier mochte mich nicht leiden und knurrte mich immer an, seitdem ich ihn einmal mit einem Stein geworfen. Ich mochte ihn nicht länger um mich haben, sein Auge blickte mich so eigen an. Es war mir immer wie ein stiller Vorwurf, da ruhte ich nicht eher, bis er fortgethan wurde. Unser neuer Wächter kennt mich, ich habe ihn mit Kuchen zahm gemacht. Ihn brauche ich nicht zu fürchten.

– Um so besser, sagte Thomas zerstreut. Du kannst also und willst die Rolle übernehmen.

– Mit tausend Freuden, antwortete Lucy, denn was thäte ich nicht für dich. Erwarte mich an dem bewußten Orte.

Am nächsten Tage erschien Lucy Henderson, um an den Proben des Schauspiels Theil zu nehmen. Alice empfing die Jugendfreundin mit ungekünstelter Herzlichkeit, welche diese mit einer gewissen Befangenheit erwiederte. Diese anfängliche Scheu gab sie jedoch bald auf, nachdem ihr von allen Seiten wegen ihrer Schönheit und der Trefflichkeit ihres Gesanges die besten Lobsprüche ertheilt wurden. Mit bewunderungswürdigem Takte traf sie den richtigen Ton für die Gesellschaft, in die sie sich plötzlich versetzt sah. Sie bewegte sich darin, wie in ihrem eigenen Lebenselement, denn sie besaß im reichsten Maße jenes Talent der Frauen, sich besonders leicht in die verschiedensten Lagen des Lebens zu schicken und wenigstens das äußere Wesen der Vornehmen anzunehmen. Ihre Augen leuchteten und ihre Lippen lächelten vor Wonne bei dem Anblick der Pracht und des Luxus, den sie so lange vermißt hatte. Der leichte Sinn, den sie besaß, verscheuchte jede Furcht vor den möglichen Folgen ihres bedenklichen Schrittes. Die Schmeicheleien, Huldigungen und Freundschaftsbeweise, welche ihr von allen Seiten zu Theil wurden, versetzten sie in den seligsten Taumel, aber mitten in diesem höchsten Glücke suchten ihre Blicke den Geliebten. Thomas hielt es indeß für gerathen, sich ihr so wenig als möglich zu nähern, um sein Verhältniß mit ihr nicht zu verrathen. Um so mehr beschäftigte sich der enthusiastische Musiker mit der schönen Sängerin. Kaum hatte er die ersten Töne gehört, so erklärte er laut und öffentlich, daß sie geboren sei, alle Primadonnen der Welt durch ihr Talent zu verdunkeln. Er übernahm es, ihr seine Lieder einzustudiren, und schon nach wenigen Stunden machte sie die erfreulichsten Fortschritte.

– Bei den Musen, rief der entzückte Musiker, wir haben hier einen Phönir entdeckt. Man möchte fast an ein Wunder glauben. Herzens-Thomas, wie seid Ihr zu diesem Schatz gelangt?

– Ihr habt ja gehört, erwiederte der Gefragte, daß das Mädchen die Milchschwester Alicen's ist, die Tochter des alten Henderson.

– Wo denkt ihr hin? Eher glaube ich, daß ein Dornstock Trauben und ein Schlehenbaum kostbare Südfrüchte hervorbringt. Ihr wollt Euch über mich lustig machen. Der mürrische, griesgrämige, sauertöpfische Henderson mit einer Stimme wie ein heiserer Hund sollte der Vater dieses lieblichen Geschöpfes sein? Geht, geht! Ihr schwatzt nur Unsinn. Ich will Euch sagen, wer sie ist und woher sie kommt.

– Da bin ich in der That neugierig.

– Sie ist die Nymphe Sabrina in eigener Person und wohnt in den kühlen Fluthen des blauen Stromes. Habt Ihr denn nicht bemerkt, daß sie sich unsichtbar machen kann und verschwindet, ehe man sich dessen versieht. Neulich habe ich mit eigenen Augen gesehen, wie sie in der Dunkelheit an dem Ufer der Temme umherirrte. Ich wollte ihr nachgehen, plötzlich war sie mir entrückt. Ich möchte schwören, daß sie in die Wellen niedertauchte.

– Ihr seid ein Phantast, lächelte der Jüngling, doch will ich Euch noch einen wohlgemeinten Rath geben: Schleicht künftig nicht der holden Nymphe nach, Ihr könntet sonst in Ungelegenheiten gerathen.

– Wie so? «

– Der alte Henderson versteht keinen Spaß. Ueberhaupt wünscht Lucy, so viel ich weiß, daß ihr Vater nichts von ihrer Betheiligung an unserem Feste erfährt. Seid daher vorsichtig, sonst könnt Ihr uns und Euch den ganzen Spaß verderben.

– Sorgt nicht. Ich weiß zu schweigen. Lieber wollte ich mir ja die Zunge abbeißen, als eine solche Sängerin verlieren, die meine Lieder zu Ehren bringt. Aber ich bleibe dabei, daß sie die Nymphe Sabrina ist.

Trotz dieser wohlgemeinten Warnung hatte der Musiker sein Herz bereits an die schöne Lucy verloren. Diese schnelle Eroberung vermehrte nur die Heiterkeit des schönen Mädchens. Im Stillen scherzte sie mit Thomas darüber, der ihr den Rath gab, Lawes Huldigungen nicht abzuweisen, um den Verdacht von ihm selber abzulenken. Wie die schwankende Libelle flatterte so das reizende Geschöpf in dieser berauschenden Atmosphäre, sorglos den Reiz des Lebens genießend und den bunten, schillernden Glanz ihres Wesens entfaltend. Ihr Entzücken stieg jedoch auf das Höchste, als ihr Alice eines Tages, kurz vor der Ausführung des Schauspiels, die für sie gefertigten und zu ihrer Rolle passenden Kleidungsstücke mit Hülfe einer Kammerfrau anlegen ließ. Ein weißes mit Gold durchwirktes Gewand und ein durchsichtiger Schleier umschlossen die schlanke Gestalt. Durch das dunkle Haar, welches in langen, losen Flechten bis zu den Hüften niederfiel, schlang sich ein Kranz von bläulich grünen Schilfblättern mit Seerosen und Anemonen durchflochten. Den üppigen Nacken und die zierlichen Arme umgab ein Schmuck von rothen Korallen. So stand sie, selbstgefällig ihr eigenes Bild in dem kostbaren Venezianischen Spiegelglase bewundernd, während Alice sich neidlos an der Schönheit der Jugendfreundin weidete und mit geschickter Hand noch hier und da etwas an ihrem Anzuge ordnete.

– Weißt du auch, sagte die Herrin, daß du eines der schönsten Mädchen geworden bist, das ich seit langer Zeit gesehen. Du hast auch schon eine Eroberung gemacht.

Lucy's Wangen brannten wie Feuer und ihr Herz klopfte hörbar.

– Nun, du brauchst dich deines Triumphes nicht zu schämen. Herr Lawes ist ein trefflicher Mann und ein ausgezeichneter Musiker. Wie würde ich mich freuen, wenn du auf solche Weise wieder in unsere Nähe kommen würdest, denn er ist in unserem Hause angestellt. Darf ich ihm Hoffnung geben?

– Nein, nein, flüsterte das Mädchen mit niedergeschlagenen Augen.

– Und warum denn nicht? Findest du an ihm etwas auszusetzen? – Er ist noch jung, liebenswürdig, ein Meister auf allen Instrumenten und was die Hauptsache, verliebt bis über die Ohren. Auch scheint er dir nicht gleichgültig zu sein. Vor mir brauchst du kein Geheimniß zu haben, wir kennen uns ja von Jugend auf. Sag' mir aufrichtig, ob er dir gefällt?

– Ich, ich weiß nicht, stammelte Lucy verlegen.

– Wie, du weißt's nicht und doch läßt du dir seine Huldigungen gefallen und munterst ihn durch dein Lächeln und deine freundlichen Blicke auf. Weißt du auch, mein Kind, daß dein Benehmen strafbar ist und nicht zu entschuldigen wäre, wenn Lawes wirklich dir gleichgültig erschiene. Es gibt in meinen Augen kein verächtlicheres Wesen, als ein Weib, das einen Ehrenmann zum Narren hält, mit seinen besten Gefühlen ihr Spiel treibt und dann den Armen von sich stößt. Der Dieb auf der Heerstraße steht in meinen Augen höher, denn er nimmt nur, was er braucht. Die Noth macht ihn zum Verbrecher, während eine solche Frau an dem Edelsten frevelt, was Gott dem Menschen verliehen und das Heiligste dem Manne stiehlt, was er besitzt, den Glauben an die Frau und seine Liebe. Nein, nein, das willst du nicht thun. Ich kenne meine Lucy besser. Du hast vielleicht noch nicht darüber nachgedacht und dich selbst geprüft. Jung und unerfahren kennst du nicht das Leben und die Welt. Du bist schön, aber die Schönheit ist die gefährlichste Gabe für uns arme Mädchen. Sie zieht zu oft den Geist von den höheren Dingen ab und bringt der unsterblichen Seele nur Gefahr. Unser schwaches Geschlecht ist zwar auf den äußeren Reiz hauptsächlich angewiesen, aber wie schnell verweht die irdische Blüthe, sie welkt über Nacht und wehe denen, die nichts besseres aufzuweisen haben. Sie gleichen den thörichten Jungfrauen, deren Lampe erloschen ist, wenn der himmlische Bräutigam erscheint.

Ein tiefer Seufzer entrang sich aus Lucy's Busen. Scham und Reue erfüllten ihr Herz und sie wagte nicht der unschuldigen Schwester ihres Geliebten gegenüber die Augen aufzuschlagen.

– Fasse Vertrauen zu mir, fuhr diese fort. Hat vielleicht eine andere Liebe bereits sich deines Herzens bemächtigt, so lass' es mich wissen. Unsere alte Freundschaft gibt mir ein Recht dazu. Ich habe keine Schwester außer dir und auch du stehst allein ist einer Welt voll Arglist und Verführung. Wie leicht wird ein junges Mädchen hintergangen und verliert in einem unbewachten Augenblick ihr ganzes Lebensglück. Alle Leiden, alle Freuden des Weibes fließen aus derselben Quelle. Wohl dem Mädchen, das auf ihrem Wege einen edlen Mann findet, der ihre Liebe nicht mißbraucht.

Wie schneidende Schwerter drangen Alicen's Worte in die Brust der Jugendfreundin, die noch nicht für derartige Ermahnungen abgestumpft war, aber die Macht der Verhältnisse ließ sie verstummen. Sie war bereits zu weit gegangen, um noch zurückkehren zu können.

– Nein, nein, murmelte sie mühsam ihre Thränen unterdrückend. Ich verdiene diese Güte nicht, aber nicht desto weniger will ich dir bis an mein Lebensende dankbar sein, denn du wirst mich nicht verdammen, nicht verachten.

Ehe Alice noch nach dem Grunde dieser seltsamen Aeußerung fragen konnte, stürzte Lucy überwältigt von ihren Gefühlen an die Brust der Freundin. Diese suchte das aufgeregte Mädchen vergebens zu beschwichtigen. Ein Thränenstrom benetzte die blühenden Wangen und ein krampfhaftes Schluchzen verrieth ihre tiefe Erschütterung. Aber schon nach wenigen Minuten kehrte das frühere Lächeln anfänglich erzwungen, später natürlich zurück. Ueber diesen plötzlichen Ausbruch der tiefsten Verzweiflung trug in dieser chaotischen Frauennatur, die ein seltenes Gemisch von guten und schlechten Eigenschaften in sich vereinte, der ursprüngliche Leichtsinn den Sieg davon.

Verwundert und gedankenvoll blickte ihr Alice nach, deren ganzes Wesen im entschiedensten Gegensatze zu diesem leichtbeweglichen Frauencharakter stand.


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