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12.

Das Weib Milton's hielt, was sie versprochen und ward ihm eine Stütze. Der Friede kehrte in sein Hauswesen zurück, nur seine unnatürlichen Töchter verharrten in ihrem Widerstand gegen ihren blinden Vater. – Von Neuem jedoch drohten ihm von Außen Gefahren und Verfolgungen, seine Feinde waren geschäftig, ihm wieder Ungelegenheiten zu bereiten. Des Königs Bruder, der Herzog von York, der unter dem Namen Jakob der Zweite den Thron bestieg und später durch seine Tyrannei die Krone verlor, wurde auf ihn aufmerksam gemacht. Er bestürmte Karl so lange mit seinen Bitten, bis ihm dieser gestattete, den blinden Dichter zu sehen. Unerkannt begab er sich in Begleitung Sir Kenelm Digby's, mit dem er besonders befreundet war, nach der Wohnung Milton's. Sie fanden ihn, seiner Gewohnheit nach, in einer offenen Laube, wie er so eben einem jungen Manne einen Brief an einen fernen Freund dictirte. Im Gebüsch verborgen, belauschten sie den Blinden. Trotz der doppelten Bürde des Alters und des Unglücks, hatten seine Züge nichts an dem geistigen Adel verloren, durch den sie sich auszeichneten. In langen Locken fiel sein bereits grau gewordenes Haar bis zu den Schultern nieder, auf seiner hohen Stirn glänzte die Majestät des Geistes, und um seine feinen Lippen spielte ein schmerzliches Lächeln, der einzige Zeuge seiner Leiden, die er mit männlicher Resignation zu ertragen wußte. Seine Kleidung war höchst einfach, aber reinlich, ein grauer, bequemer Hausrock bedeckte seine schlanke, ungebeugte Gestalt. So saß er in dem kleinen Gärtchen, wo er meist während der schönen Jahreszeit zu verweilen pflegte. Die Herbstsonne beleuchtete sein würdiges Antlitz und schien eine Glorie über sein Haupt auszugießen. Leise rauschte der Wind durch das Weinlaub, das sich um die Laube rankte. Einige verspätete Blumen blühten in bunten Farben, während von Zeit zu Zeit ein gelbes Blatt herunterrieselte. In dem Gipfel der Linde ließ ein Vogel sein melancholisches Lied ertönen, welches er der scheidenden Jahreszeit sang. Das ganze war ein Bild des Friedens, vermischt mit einem Hauche sanfter Wehmuth. Unwillkürlich flößte der Dichter, welcher in seinen Lehnstuhl zurückgebogen dalag, den Besuchern trotz der feindlichen Absicht, in der sie gekommen waren, ein Gefühl von Achtung und Bewunderung ein.

– Ich habe mir diesen Feind der Religion und des Königthums ganz anders vorgestellt, sagte der finstere Herzog von York zu seinem Begleiter.

– Und doch, flüsterte dieser, hat kein Mann in England unserer heiligen Sache mehr Schaden zugefügt. Ihr kennt seine Schriften, welche den glühendsten Haß gegen den Katholicismus und den heiligen Vater in Rom athmen.

Jakob, welcher in Frankreich zur katholischen Religion übergegangen und ein fanatischer Anhänger derselben geworden war, wurde durch diese wohlberechnete Aeußerung Kenelm's von Neuem gereizt. Seine mildere Stimmung, der er sich beim Anblicke Milton's nicht erwehren konnte, wich der Verfolgungswuth.

– Es wäre eine Schmach, wenn ein solcher Ketzer und Republikaner unbestraft davon kommen sollte. Doch zuvor will ich ihn selber sprechen und mich an seinem wohlverdienten Unglück weiden.

– Er verdient um so mehr sein Geschick, da er in Rom die glänzendsten Anerbietungen ausgeschlagen hat, welche ihm von Seiten unserer heiligen Kirche gemacht worden sind. Ich selbst habe mir die größte Mühe gegeben und kein Mittel unversucht gelassen. Schon glaubte ich ihn gewonnen zu haben, als er mir entkam und zum Dank mich beschimpfte und verhöhnte. O, ich kann nicht sagen, wie ich diesen Menschen hasse, der mir überall hindernd in den Weg getreten ist.

– Verlaßt Euch darauf, daß ich mich und Euch an ihm rächen will. Die Zeit ist nicht mehr fern, wo ich offen mit meiner Ueberzeugung hervortreten und unsere Feinde vernichten werde.

– Ihr wolltet wirklich Euch vor aller Welt als Katholik bekennen?

– Nur zu lange habe ich gezögert, aber Ihr selbst und unsere römischen Freunde haben mir Vorsicht anempfohlen; doch der Augenblick ist da, wo ich die lästige Maske abwerfen darf. Unsere Herrschaft steht so fest, daß sie nichts zu erschüttern vermag. Auch mein Bruder Karl ist im Geheim unserer Kirche zugethan. Er selbst hat jedoch noch Rücksichten zu nehmen, auch ist sein Geist zu flüchtiger Natur, um die hohe Aufgabe zu erfassen, die unserem Hause zu Theil geworden. Ich dagegen bin fest entschlossen, in diesem Lande den Protestantismus für immer zu beseitigen. Das schwöre ich Euch, so bald ich zur Regierung gelange.

– Dann ist mein Tagewerk gethan und die Aufgabe meines Lebens erfüllt. Das unschuldige Blut meines Vaters, der für seinen Glauben gestorben ist, wird versöhnt und meine Rache ist vollständig gesättigt.

– Sie soll bei diesem Ketzer beginnen. Kommt, ich will ihn anreden, doch, er soll nicht sogleich erfahren, wer mit ihm spricht.

Mit diesen Worten näherte sich der Herzog und sein Begleiter dem Dichter, der bei ihrem Erscheinen mit dem feinen Gehör der Blinden aufhorchte und sich von seinem Stuhl erhob.

– Wer ist da? fragte er die Fremden.

– Ein guter Freund, sagte Sir Kenelm mit erheuchelter Zärtlichkeit. Ich wollte mir schon lange das Vergnügen machen, Euch in Eurer Einsamkeit aufzusuchen.

– Seid willkommen, Sir Digby, doch Ihr habt noch einen Gefährten mitgebracht?

– Es kann Euch nicht befremden, daß ein Bewunderer Eures Talents sich mit mir verbunden hat, um Euch seine Verehrung zu bezeigen.

– Sir Kenelm spricht die Wahrheit, fügte der Herzog mit grimmigem Lächeln hinzu. Schon längst wollte ich den berühmten Dichter und Republikaner kennen lernen, der den Königen ewigen Haß geschworen hat.

– Nicht den Königen, sondern nur den Tyrannen und ungerechten Fürsten.

– Außerdem seid Ihr ein Schild des Protestantismus und ein geschworner Feind der römischen Kirche.

Es lag ein gehässiger Ausdruck in dem Tone dieser Worte, der Milion unwillkürlich auffallen mußte, um so mehr, da der Sprecher in Gesellschaft Digby's gekommen war, dessen Anhänglichkeit an Rom allgemein bekannt war. Aus diesem Grunde vermied Milton anfänglich jede Entgegnung. Bald aber begnügte sich der Herzog mit diesen verhüllten Angriffen nicht; er sowohl wie Sir Kenelm traten immer mehr mit ihren wahren Gesinnungen hervor.

– Ihr habt jetzt Euer Ziel erreicht, sagte Digby höhnisch, Eure hochfliegenden Träume und Erwartungen sind herrlich in Erfüllung gegangen. Was ist aus Euch und Eurer Republik geworden? Ein Kinderspott, eine schmachvolle Erinnerung? Ihr seid ein Thor gewesen, gesteht es nur ein. Wahrlich, wenn ich an die Zeit denke, die wir in Rom gemeinschaftlich verlebt, und damit die Gegenwart vergleiche, so möchte ich fast Mitleid mit Eurer Lage empfinden. Damals lag die Welt zu Euren Füßen, Schönheit, Reichthum und Macht flogen Euch entgegen. Ihr brauchtet ja nur zuzugreifen. Warum seid Ihr nicht meinem Rathe gefolgt? Mit prophetischem Geiste habe ich die Dinge geahnt, wie sie kommen mußten. Statt der sogenannten Freiheit, steht der Thron fester, als je und in einigen Jahren, das läßt sich mit Bestimmtheit voraussehen, kehrt ganz England zu dem Glauben seiner Väter zurück.

– Und Ihr könnt wirklich hoffen, meinen Muth zu beugen? fragte Milton. Wohl bin ich arm und elend, ein unglücklicher Mann vom Schicksal schwer heimgesucht, aber darum verzweifle ich nicht. Ich besitze den Trost, den Ihr mir nicht rauben könnt. Aus dem Schiffbruch des Lebens habe ich mir das Köstlichste gerettet, das Gefühl, mir selber treu geblieben zu sein. Ich genieße das Bewußtsein, nie meine Ueberzeugung verleugnet zu haben. Wohl weiß ich, daß der Mensch nicht unfehlbar ist, aber der Herr verzeiht dem Irrthum, welcher aus dem Drang nach Wahrheit stammt. Gott wird mir ein milder Richter sein. Jetzt sitze ich hier wie Hiob, der den Himmel in die Hand des Versuchers gegeben hat. Meine Häuser sind zusammengestürzt, meine Gärten verwüstet, die Kinder todt für mich; meine Feinde frohlocken und selbst meine Freunde verspotten mich; ich aber bleibe fest wie er im Glauben. Darum wird mich auch der barmherzige Vater nicht verlassen, sondern mich aufrichten in meiner Noth.

– Ich glaube nur, daß Ihr noch nicht das ganze Maaß Eurer selbstverschuldeten Qualen erduldet habt, bemerkte der Herzog, ergrimmt über diese Festigkeit, welche Milton noch immer im Unglück zeigte.

– Was könnte mich noch treffen? fragte dieser. Seitdem ich blind geworden bin, fürchte ich nichts mehr. Der größte Verlust, den ich beklage, ist der meines Augenlichts. Blind sein! o, daß ist schlimmer als das Gefängniß, Armuth und die Hinfälligkeit des Alters, denn der Blinde ist zugleich gefangen, in ewiger Nacht begraben, ärmer wie der elendste Bettler und hinfälliger wie der schwächste Greis. Das erbärmlichste Thier ist besser daran, der Wurm kriecht im Staube, aber er sieht, während ich im Dunkeln lebe. O Finsterniß! Finsterniß! Und ich weiß, daß die goldene Sonne jetzt am Himmel leuchtet. Unbezwingliche Finsterniß raubt mir jede Hoffnung, jede Freude. Ach warum ist das edelste der Güter einem solch' schwachen Werkzeug wie dem Auge anvertraut?

So klagte der Dichter mit rührender Stimme über sein Geschick, selbst Sir Kenelm wurde ergriffen, nur der Herzog kannte kein Mitleid. Mit jener angebornen Grausamkeit weidete er sich an den Qualen des Unglücklichen, welche er durch seine bittern Worte nur zu schärfen suchte.

– Und seht Ihr noch immer nicht, fragte er mit kaltem Hohn, daß in Eurer Blindheit nur die gerechte Strafe für Eure Thaten liegt?

– Ich bin mir keiner Schuld bewußt, entgegnete Milton mit der Ruhe eines Gerechten.

– Ihr vergeßt ganz und gar Eure Sünden gegen den verstorbenen König, dessen Andenken ihr noch im Grabe geschmäht habt. Gesteht Ihr nicht Eure Schuld ein?

– Nein, denn ich habe nur nach meiner Ueberzeugung gehandelt.

– Ihr wißt nicht, mit wem Ihr redet, flüsterte Sir Kenelm dem Dichter heimlich zu. Nehmt Euch in Acht, Eure unbedachten Worte können Euch noch das Leben kosten.

– Ich fürchte keinen Menschen, entgegnete Milton laut.

– Auch mich nicht? fragte der Herzog.

– Auch Euch nicht, mögt Ihr auch der König selber sein.

– Der bin ich nicht, antwortete Jakob mit gerunzelter Stirn, aber sein Bruder, der Herzog von York. Nochmals wiederhole ich Euch, daß der Himmel nur gerecht ist. Er hat Euch das Augenlicht geraubt, weil Ihr ein unverbesserlicher Republikaner meinen armen Vater, die hochselige Majestät von England, noch nach seinem Tode beleidigt habt. Ihr verdient Euer Geschick, die Rache des Himmels hat Euch ereilt.

Milton erschrack nicht über diesen unerwarteten Besuch, noch demüthigte er sich vor dem mächtigsten seiner Feinde. Mit überlegenem Lächeln erhob er sich von seinem Stuhl und begrüßte den Herzog sich leicht vor ihm verneigend.

– Wenn Eure königliche Hoheit, antwortete er, die Meinung haben, daß unser Mißgeschick ein unzweifelhaftes Zeugniß ablegt für den Zorn Gottes und uns nur um unsere Verbrechen trifft, was, Mylord, müßt Ihr da zu dem Tode Eures Vaters sagen?

Der Herzog erbleichte vor Wuth und Zorn, zwischen den gekniffenen Lippen eine furchtbare Drohung murmelnd, verließ er in stürmischer Aufregung den unbeugsamen Republikaner.

– Bei dem blutigen Haupte meines Vaters! rief er im Abgehen. Das blinde Ungeheuer soll erfahren, daß es noch ein schlimmeres Loos giebt, als der Verlust seiner Augen.

Glühend vor Rachedurst suchte er den König, seinen Bruder auf. Karl der Zweite lustwandelte in seinem Park; mitten unter seinen Günstlingen und überließ sich seinem Lieblingsvergnügen, die Enten im Teiche von St. James zu füttern. Während die Thiere gierig nach den zugeworfenen Brocken schnappten, machte er allerlei witzige Bemerkungen über ihre Hast und die Art und Weise, wie eine Ente die andere gefräßig zu verdrängen suchte.

– Das sind meine Parasiten, sagte der gutgelaunte König. Sieh nur Buckingham, wie sich das Lumpenvolk um die Bissen herumschlägt. Wenn das so fortgeht, sind bald meine Taschen leer und ich selbst behalte keinen Bissen übrig. Das Gesindel frißt mich noch arm. Meinst du nicht auch, Rochester? Wie sie laut schreien; wahrscheinlich erzählen sie mir ihre Verdienste um mich. Ich wette, dieser alte Enterich ist ein wackerer Cavalier, der gerechte Ansprüche auf meine königliche Dankbarkeit zu haben glaubt und die watschelnde Frau Ente dort empfiehlt mir sehr dringend ihre junge Brut zur Beförderung und Unterstützung. Für heute sind alle Gnaden ausgetheilt und ich bedaure für die Bestien nichts mehr thun zu können.

Die Höflinge stimmten in diese scherzhaften Ausfälle mit ein und belegten zum besonderen Ergötzen des Königs die einzelnen Guten mit dem Namen bekannter Stellenjäger. Unterdeß war der Herzog näher gekommen. Als Karl seinen Bruder bemerkte, rief er ihm schon von Weitem freundlich zu.

– Komm nur, Jakob, wir geben hier im Freien unsere Audienz und verleihen Gnaden und Pfründen und Orden an unsere getreuen Unterthanen zu Land und zu Wasser.

– Dann bitte ich Euch um eine Gnade, sagte der Herzog.

– Nun, auf ein Stück Brod für dich soll es mir nicht ankommen, obgleich es dir daran nicht fehlt, weil du immer ein besserer Wirth, wie ich gewesen bist.

– Ich verlange weder Gut noch Geld, nur die Bestrafung eines Schuldigen.

– Immer die alte Leier, sagte der König ernster, ewig das Geschrei um Rache. Weißt du auch, Jakob, daß du mich damit zu langweilen anfängst. Ich denke, daß wir genug gethan haben, und du kannst zufrieden sein.

– Noch lebt ein Verfolger unseres hochseligen Vaters, der in meinen Augen schlimmer ist, als seine Mörder. Sir! Ihr seid zu tadeln, daß Ihr den alten Milton noch nicht gehängt habt.

– Also du bist bei ihm gewesen? fragte Karl, indem er mit gleichgültiger Miene die noch übrig gebliebenen Brocken in den Teich warf.

– Ich habe ihn gesehen und gesprochen.

– Und in welchem Zustande hast du ihn getroffen?

– Vom Alter gebeugt und wie es auch scheint in tiefer Armuth.

– Und blind ist er auch, nicht wahr?

– Er ist völlig erblindet.

– Geh', geh', Jakob, entgegnete der König, du bist ein rechter Narr, wenn du glauben kannst, daß für einen solchen Mann der Galgen eine Bestrafung sei, das hieße ja, alle seine Qualen mit einem Male beenden und ihm eine Wohlthat erzeigen. Wenn er alt, arm und blind ist, dann hat er schon seine Strafe und wir können ihn mit gutem Gewissen am Leben lassen.

Trotz aller Einwendungen seines Bruders verblieb Karl diesmal bei seinem Entschluß. Dafür entriß ihm jedoch der blutgierige Jakob den Befehl zur Hinrichtung des jüngeren Vane, obgleich der König diesem feierlich seine Begnadigung zugesichert hatte. Durch dies eine Opfer wenigstens entschädigt, verließ der Herzog den Park von St. James und schwelgte in den Gedanken, wenn er sich die Qualen des Verurtheilten mit seiner finsteren Phantasie in den wildesten Farben ausmalte.


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