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6.

Cromwell speiste heute bei seiner Lieblingstochter, Lady Claypole. Diese übte auf ihren Vater eine ganz besondere Anziehungskraft aus; sie war eine Frau von edlem und zartem Gefühl, von einem feinen und gebildeten Geist, treu gegen ihre Freunde, großmüthig gegen ihre Feinde, voll zärtlicher Liebe für ihren Vater, an den sie stets nur mit Stolz und Besorgniß dachte. War Cromwell abgespannt durch seine Umgebung, von Sorgen erfüllt, so suchte er mit Freuden Ruhe und Erholung in der Gesellschaft eines Herzens, das den ehrgeizigen Kämpfen und gewaltthätigen Handlungen, die sein Leben erfüllten, so gänzlich fremd war. Gerade der Gegensatz in ihren beiden Charakteren vermehrte nur die gegenseitige Liebe. Lady Claypole war im Stillen eine Anhängerin der vertriebenen Stuarts und der bischöflichen Kirche, sowie ihre Schwester, die Gattin des General-Majors Fleetwood, die republikanische Gesinnung ihres Mannes theilte. – So stieß der Protector innerhalb seiner eigenen Familie oft auf Widerspruch und fand im Schooße derselben alle Parteien vertreten, die er außerhalb zu bekämpfen hatte. – Mancher Bittende wandte sich an Lady Claypole, deren Einfluß auf ihren Vater bekannt war. –

Jetzt wartete in ihrem Zimmer der Dichter Harrington in ähnlicher Absicht. Cromwell hatte das Manuscript zu seinem republikanischen Utopien, die »Ozeana« bei dem Drucker fortnehmen und nach Withehall bringen lassen. Vergebens waren die Bemühungen des Dichters, sein Werk frei zu machen. Seine letzte Hoffnung war die Fürsprache der Lady Claypole. Die Kammerfrau derselben ging durch das Zimmer, begleitet von der kleinen Tochter der Lady, einem reizenden dreijährigen Kinde mit blondem Lockenkopf. Harrington hielt das Kind an, nahm es fest in seine Arme und spielte so lange mit ihm, bis Lady Claypole kam.

– Madame, sagte der Dichter, indem er das Kind niedersetzte, es ist ein Glück, daß Ihr kommt, denn ich hätte Euch gewiß Euer allerliebstes Töchterchen gestohlen.

– Mein Töchterchen stehlen und warum? fragte die Mutter, das Kind fester an sich ziehend.

– Sie ist allerdings dazu geschaffen, einst glänzendere Eroberungen zu machen, aber ich will es Euch nur gestehen, Madame, nicht Liebe, sondern Rache treibt mich zu diesem Diebstahl an.

– Und was habe ich Euch gethan, Sir, fragte sie verwundert, daß Ihr mir meine Tochter stehlen wollt?

– Nichts, Madame; ich wollte nur Wiedervergeltung ausüben, da mir Euer Vater ebenfalls ein Kind gestohlen hat, das ich nicht minder liebe, als Ihr das Eurige.

– O, einer solchen That ist mein Vater nicht fähig. Der Protector ist streng, aber gerecht.

– Dennoch hat er mir mein Kind genommen, freilich ist es nur ein Buch, eine Art von politischem Roman, aber der Verlust schmerzt mich tief.

Lady Claypole lächelte über das Mißverständniß.

– Ich will mit meinem Vater sprechen und er soll Euch Euer Kind wiedergeben.

– Ich danke im Voraus und werde das Werk dem Protector widmen und Euch, gnädige Frau, das erste Exemplar überreichen.

Der Dichter entfernte sich und Lady Claypole eilte ihrem Vater entgegen, der wenige Augenblicke später erschien.

– Mylord Proteetor, sagte die liebenswürdige Frau nach einer zärtlichen Umarmung, ich bitte um Gnade für ein armes Kind, das Ihr seinem Vater gestohlen habt. Kennt Ihr den Dichter Harrington?

– Allerdings, meine Tochter!

– Ich habe ihm versprochen, daß Ihr ihm sein Buch freigeben werdet.

Cromwell runzelte die Stirn, welche die Tochter so lange mit ihren zarten Händen streichelte, bis sie wieder glatt wurde.

– Du fürchtest dich doch nicht vor einem Buche?

– Ich fürchte weder das Buch noch diesen Herrn, der mich gerne aus dem Besitz der Gewalt verdrängen und an meine Stelle seine Chimären setzen möchte; aber was ich mit dem Schwerte gewonnen habe, werde ich vor einem kleinen Papiergeschoß nicht fahren lassen. Ich muß das Amt eines Groß-Constables übernehmen, um den Frieden zwischen den Parteien der Nation wieder herzustellen; denn sie können über keine Regierungsform einig werden und wenden ihre Macht nur an, um sich zu verderben. – Das Buch will ich lediglich aus Liebe zu dir losgeben und sogar die Widmung annehmen. –

Bei Tische war Cromwell, wie gewöhnlich im Hause seiner Tochter, sehr heiter, heute noch mehr als sonst, so daß seine Stimmung ihr auffiel.

– Gewiß ist Eurer Herrlichkeit etwas sehr Angenehmes widerfahren? fragte sie theilnehmend.

– Das Parlament hat mir die Krone heut zum dritten Male angetragen. Am Ende werde ich sie doch noch annehmen müssen; schon um dir den Titel Königliche Hoheit zu verschaffen.

Lady Claypole erbleichte und seufzte tief auf. Ihre Unruhe und Blässe machte den größten Eindruck auf den Proteetor und erschütterte den ehrgeizigen Mann.

– Mein Kind, beruhige dich, rief er tief ergriffen. Noch habe ich mich nicht entschieden. Du wirst dich mit dem Gedanken allmälig vertraut machen.

– Niemals, erwiederte die Tochter mit Entschlossenheit. Die Krone auf Eurem Haupte wäre nur ein Unglück für unser ganzes Haus. Ich würde, wie meine arme Großmutter, keine Minute ruhig schlafen können, immer sähe ich den Dolch in Mörderhand gegen Euch gezückt. O, mein Vater, hört mich ruhig an und zürnt mir nicht. Ich bin nur ein schwaches Weib und vermag nicht, Eure hohen Pläne zu beurtheilen, wenn Ihr mich aber liebt, wenn Ihr nur die geringste Zärtlichkeit für mich besitzet, so begnügt Euch mit der Größe, die Ihr bereits erlangt habt, trachtet nicht nach einem Titel, der, wie Ihr selber sagt, keinen größeren Werth hat, als die Feder an Eurem Hut. Ich fühle, daß Eure Erhebung nur mein Tod sein würde.

– Nein, nein! rief Cromwell erschrocken. Du sollst, du darfst nicht sterben. Was sollte dein alter Vater beginnen, ihm bliebe nichts übrig, als dir sogleich zu folgen.

Thränen benetzten seine Wangen und der Mann, vor dem ganz England sich beugte, der ohne Schonung und Mitleid seine Feinde vernichtete, zitterte bei dem bloßen Gedanken an einen solchen Verlust. Vor der Vaterliebe mußte der Ehrgeiz schweigen und jene Pläne, an denen vergebens die einflußreichsten und bedeutendsten Menschen rüttelten, schwanden, momentan wenigstens, vor dem Blick und dem Worte eines schwachen Weibes. – Aber so schnell vermochte Cromwell nicht Alles aufzugeben. Sein Gefühl hatte ihn zwar übermannt, aber sein Verstand und die innere rege Leidenschaft in ihm ließen ihm keine Ruhe. Zu groß und verlockend war der Preis, um den es sich handelte. So lange er bei seiner Tochter verweilte, vergaß er seine ehrgeizigen Pläne, in ihrer Nähe war er nichts weiter, als ein liebender Vater, kaum aber diesem friedlichen Kreise entrückt, stürzte er sich von Neuem in den Strudel der Intriguen und Geschäfte, unverrückt sein Ziel im Auge behaltend. – Aber nicht allein die frommen und zärtlichen Bedenken seiner Tochter hatte er innerhalb seiner Familie zu bekämpfen. Auch andere Mitglieder derselben, sein eigener Schwager Desborough und sein repubikanischer Schwiegersohn Fleetwood lehnten sich gegen den Königstitel auf. Als er mit Beiden darüber in seinem gewohnten heiteren und vertraulichen Tone scherzte und seine Lieblingsphrase wiederholte, daß die Königswürde nur eine Feder auf dem Hute sei und daß er sich wundern müsse, wenn Männer den Kindern nicht die Freude lassen wollten, sich an ihrem Spielzeug zu ergötzen; blieben diese ernst und verharrten bei ihrer Ueberzeugung.

– Diese Angelegenheit, sagte der General-Major Desborough, ist weit wichtiger, als Ihr zugeben wollt. Diejenigen, welche Euch dazu drängen, sind keine Feinde Karl Stuart's, und wenn Ihr einwilligt, so stürzt Ihr Euch und Eure Freunde unfehlbar in's Verderben.

– Ihr seid ein Paar allzuängstliche Burschen, antwortete Cromwell lachend, mit Euch ist nichts anzufangen.

– Dann halte ich die Sache und Eure Familie für verloren, und obgleich ich nie etwas gegen Euch thun werde, so werde ich doch von nun an nichts mehr für Euch thun.

Sie schieden in gereizter Stimmung, indeß hielt Cromwell noch immer den Widerstand in seiner Familie nicht für unüberwindlich, auch war er nicht der Mann, welcher einen einmal gefaßten Plan so schnell wieder aufgab. Desborough, der im Heere eine bedeutende Stelle bekleidete, benutzte jedoch sein Ansehen, und brachte eine Petition zu Stande, wodurch sich die angesehensten Offiziere gegen den Königstitel erklärten. Dieser letzte Schritt gab den Ausschlag für Cromwell; so nahe dem Ziele schon, ward dasselbe ihm entrückt, da er nur mit Hülfe des Heers sich auf dem Throne zu behaupten vermochte. Unter der Miene frommer Gleichgültigkeit lehnte er die ihm angetragene Krone ab. Er blieb nach, wie vor Protector von England. – Nichtsdestoweniger wuchs die Zahl seiner Feinde und Gegner mit jedem Tage. Unzählige Verschwörungen gegen sein Leben wurden durch seine zahlreichen Spione entdeckt, unter denen Billy Green wieder eine Hauptrolle spielte.

In den Straßen London's wurde eine Flugschrift unter dem Titel »Todschlag kein Mord« auf geheimnißvolle Weise verbreitet; sie wanderte von Hand zu Hand, wie ein Lauffeuer gelangte sie in die Häuser unter verschiedenen Adressen, bald in einem Kasten verborgen, bald in Form eines Briefes. Weiber und Kinder beschäftigten sich mit ihrer Verbreitung. Sie predigte geradezu den Mord des Protectors, und begann mit einer Zuschrift an Seine Hoheit, Oliver Cromwell. Der unbekannte Verfasser schrieb ihm folgendermaßen: »Ich beabsichtige, Eurer Hoheit die Gerechtigkeit zu verschaffen, die Euch noch Niemand zukommen läßt, und dem Volke zu zeigen, welch großen Schaden es sich selbst und Euch thut, wenn es dieselbe länger hinausschiebt. Eurer Hoheit kommt die Ehre zu, für das Volk zu sterben, und es kann in Euren letzten Augenblicken nur ein unaussprechlicher Trost für Euch sein, zu bedenken, mit welch großem Nutzen ihr dieselbe verlaßt. Erst dann, Mylord, geziemen Euch in Wahrheit die Titel, welche Ihr Euch jetzt anmaßt; alsdann werdet ihr wirklich der Befreier Eures Vaterlandes sein, und es von einer Sclaverei erlösen, die wenig der nachsteht, aus welcher Moses sein Volk befreit hat. Alsdann werdet ihr wirklich der Reformator sein, als der ihr jetzt bloß zu erscheinen sucht; denn alsdann wird die Religion wieder hergestellt, die Freiheit wieder gewonnen sein, und das Parlament die Rechte besitzen, für die es gekämpft hat. Alles dies hoffen wir von dem baldigen Tode Eurer Hoheit. Um diese Wohlthat schneller herbeizuführen, habe ich diese Schrift verfaßt, und wenn sie die Wirkung hat, welche ich mir davon verspreche, so wird Eure Hoheit bald außer dem Bereiche menschlicher Bosheit sein, und Eure Feinde können nur noch gegen Euer Gedächtniß die Schläge führen, die Ihr nicht mehr fühlen werdet.«

Cromwell war eben so erbittert, als bestürzt über diese Flugschrift, und setzte alle seine Spione in Bewegung, um sowohl den Verfasser, wie auch die Verbreiter derselben zu entdecken. Billy Green war so glücklich, eine Frau beim Austheilen des gefährlichen Blattes zu betreffen und zu verhaften. Die Gefangene wartete im Vorzimmer des Protectors, der den Gegenstand für so wichtig hielt, daß er in eigener Person das Verhör leiten wollte. Er war entschlossen, mit der größten Strenge zu verfahren, und nur der Tod schien ihm die genügende Strafe für ein so großes Verbrechen. Mit heftigen Schritten durchmaß er sein Kabinet, seine Stirn war gerunzelt und die dunkle Zornader auf derselben bläulich angeschwollen.

– Führt das Weib herein, befahl er dem wachthabenden Offizier. Die Gefangene erschien; ruhig und gefaßt ertrug sie den drohenden Blick des Protectors, vor dem selbst die muthigsten Männer zu zittern pflegten.

– Ihr habt Euch eines todeswürdigen Verbrechens schuldig gemacht, sagte dieser, dicht an sie herantretend.

– Ich weiß es und fürchte nicht den Tod; entgegnete sie mit stolzem Lächeln.

– Doch ehe Ihr sterbt, werdet Ihr mir Eure Mitschuldigen nennen. Von wem habt Ihr diese Schrift erhalten?

– Dies ist mein Geheimniß, und Niemand wird dasselbe mir entreißen.

– Auch ich nicht, wenn ich Euch unter dieser Bedingung das Leben und die Freiheit schenke?

– Beide haben keinen Werth für mich.

– Ihr seid noch jung, erwiederte Cromwell, von ihrer Festigkeit betroffen. Wie. kommt es, daß das Leben keinen Reiz mehr für Euch hat?

– Weil mein Gatte zum Tode verurtheilt ist und morgen sterben soll.

– Und wie heißt Euer Gatte?

– Thomas Egerton.

Bei diesem Namen verschwand die Theilnahme und das Mitleid, welches sich bereits in der Brust des Protectors zu regen begann. Er erinnerte sich seiner verführten Tochter, und der Rache, die er dem Verführer gelobt hatte.

– Thomas Egerton, rief er ergrimmt. O! ich kenne ihn, und wenn er tausend Leben hätte, er müßte sie mir alle geben. Du bist sein Weib, auch du sollst sterben. Der Himmel ist gerecht, und der Herr liefert seine und meine Feinde in meine Hände.

– Eure Grausamkeit erschreckt mich nicht. Mit meinem Gatten zu gleicher Zeit zu sterben, war der sehnlichste Wunsch meines Herzens.

– Er soll dir in Erfüllung gehen, aber nicht so, wie du gedacht hast. Du sollst vor ihm und vor seinen Augen hingerichtet werden.

– Ihr erweis't mir auch damit nur eine Wohlthat wider Euren Willen; denn so wird mir wenigstens der Schmerz erspart, meinen Gatten sterben zu sehen.

– Dieses Weib läßt sich nicht bändigen, murmelte Cromwell in ohnmächtiger Wuth, und doch unwillkürlich ihr Benehmen bewundernd.

Je länger er mit ihr sprach, desto mehr sah er sich gezwungen, ihren männlichen Geist anzuerkennen; er spürte die Nähe eines ihm verwandten Geistes. Selbst in ihren Zügen lag eine gewisse Aehnlichkeit mit den seinigen. In der ganzen Erscheinung war etwas Unheimliches für ihn, und er konnte sich eines leisen Schauders nicht erwehren, jemehr er sie betrachtete. Noch einmal versuchte er, ein Geständniß wegen der Flugschrift ihr zu erpressen; sie blieb verschlossen, wie vorher, und seine Drohungen vermochten sie nicht einzuschüchtern.

– So komme, sagte er düster, dein Blut über dich. Führt sie fort; sie soll mit ihrem Manne sterben.

– Ich danke Euch, entgegnete das ungebeugte Weib, indem sie sich zum Gehen anschickte.

– Ruft mir Henderson, befahl der Protector, er mag sie nach dem Tower bringen.

Gleichgültig wandte er sich zu seinem Geheimsecretär Thurloe, dem er den Auftrag gab, Billy Green den Sündenlohn in einigen Goldstücken auszuzahlen. Bald darauf erschien der alte Henderson. Cromwell gab ihm mit leiser Stimme seine Aufträge für den Gouverneur des Towers. Der Puritaner näherte sich, um die Gefangene fortzuführen; bei seinem Anblicke stieß die Frau einen Schrei der Ueberraschung aus, welcher dem Protector nicht entging. Auch Henderson schien erschüttert, doch bald faßte er sich wieder, und seine starren Mienen verriethen auch nicht die geringste Bewegung.

– Kennst du das Weib? fragte der Protector seinen früheren Freund.

– Ich kenne sie nicht.

– Und doch schrie sie bei deinem Anblick auf. Du lügst, Henderson! Doch ich werde die Wahrheit von Euch Beiden erfahren. Tretet alle ab, bis auf diese hier.

Die Anwesenden verließen das Gemach, in welchem nur Cromwell mit dem Puritaner und der Frau zurückblieb.


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