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6.

Ein herrlicher Frühlingsmorgen weckte die Schläfer, welche nach den Anstrengungen der gestrigen Reise die köstliche Ruhe genossen. Das Gewitter selbst war nicht im Stande gewesen, sie in ihrem Schlummer zu stören. Dieses hatte sich um Mitternacht schnell entladen und die einzigen zurückgelassenen Spuren waren die schweren Regentropfen, welche jetzt an jedem Grashalme hingen und im goldnen Sonnenschein prächtig funkelten. Milton war zuerst erwacht und sogleich an das geöffnete Spitzbogenfenster getreten. Zu seinen Füßen lag der große Schloßgarten mit den sorgfältig gepflanzten Blumenbeeten, welche ihre süßen Wohlgerüche im Morgenwinde zu ihm heraufsandten. Ein wahres Blüthenmeer breitete sich vor seinen Blicken aus, unzählige Knospen hatte der warme Gewitterregen hervorgelockt, die Kirsch- und Aepfelbäume in weiße wohlriechende Schneeballen verwandelt. Dazwischen schimmerten die röthlichen Blüthenbüschel der Kastanien und Aprikosen, glänzte das junge Laub in allen möglichen Farbenabstufungen von Gelb zu Grün bis zum tiefen Schwarz der düsteren Zypressen, wie die Palette eines fleißigen Malers. Mit fröhlichem Muthwillen fuhr der frische Morgenwind darüber und mischte wie der Farbenreiber die verschiedenen Tinten zu neuen, überraschenden Verbindungen. So oft er dies that und rauschend durch die Blätter wehte, fielen die hängenden Tropfen als ein blitzender Juwelenregen zur Erde nieder. An den blühenden Garten schloß sich der nahe Park mit seinen mächtigen Bäumen, deren Gipfel noch ganz im Morgenlicht gebadet schienen; darüber hinaus dehnte sich die Landschaft mit grünen Wiesen und Feldern, vereinzelten Baumgruppen, zerstreuten Hütten, aus denen der blaue Rauch in grader Linie emporstieg Eine sanft aufsteigende Hügelreihe begränzte die Fernsicht, hier und da mit einem stattlichen Gebäude oder mit den Trümmern eines noch aus den Römerzeiten stammenden Kastell?s geziert. Es konnte keinen schöneren Anblick geben, als diese fruchtbare und zugleich malerische Gegend im Schmuck der schönen Maienzeit. Der blaue Himmel war so rein und klar, kein Wölkchen trübte seinen hellen Spiegel und die Sonne verbreitete mit ihren ersten, kräftigen Strahlen einen solch hellen Glanz, daß selbst die breiten Schatten auf der thauigen Flur wie große goldene Streifen mit Perlen und Diamanten durchwirkt dem Auge erschienen. Zugleich hatte der Morgen die weite Welt mit neuern Leben erfüllt. Aus der Ferne ließ der Haushahn seine Stimme erschallen, die Lerche wirbelte vom feuchten Kleefeld empor und schmetterte aus der Höhe ihren süßen Morgengruß hernieder; die emsigen Schwalben bauten am alten Gemäuer zwitschernd ihr Nest und all die übrigen lieblichen Sänger des Waldes und der Flur mischten ihre Stimmen in das Frühconzert der Schöpfung.

Mitten in dieser schönen, gesegneten Landschaft erhob sich Ludlow-Castle, ein stolzer Bau im normännisch-gothischen Styl. Auf einem steilen Felsen gelegen stand das stattliche Fürstenschloß, welches noch aus den Zeiten Wilhelm des Eroberers stammte; seine Ringmauern besaßen damals, nach den Angaben des Chronisten Leland, einen Umfang von fast einer ganzen englischen Meile. Befestigte Wälle und Zugbrücken dienten ihm zum Schutze gegen feindliche Angriffe. Durch das mächtige Eingangsthor gelangte man in den großen, inneren Hof, den eine Reihe zu verschiedenen Zwecken dienende Seitengebäude einschlossen. Tiefer gelegen erblickte der Beschauer die imposante Facade der alten Burg, welche aus mächtigen Quadern und Steinblöcken von Riesenhänden aufgebaut erschien und Jahrhunderten zu trotzen vermochte. Zwei feste Thürme stiegen drohend und gebieterisch empor, mit Schießscharten versehen und von zackigen Zinnen gekrönt. An den mittleren Theil des Gebäudes schlossen sich in malerischen Winkeln und Vorsprüngen die Seitenflügel, welche jüngeren Ursprungs waren als der alte Bau und nach und nach diesem hinzugefügt wurden. Dieser Zuwachs verlieh dem Ganzen den Reiz der Mannigfaltigkeit bei gewaltiger Ausdehnung. Die schwerfälligen, normannischen Formen und Linien der ersten Anlage wurden durch die zierlichen, gothischen Erker, Pfeiler und Thürmchen auf das Angenehmste verdeckt und unterbrochen, ohne der Größe und Würde des Schlosses Abbruch zu thun. So war es durch Natur und Kunst zu einem wahren Königssitz geschaffen und die Herrscher Englands hatten es auch in der That seit dem Tode des ersten Besitzers und Erbauers, Roger Montgomery, inne gehabt und öfters selbst bewohnt. Erst unter der Regierung Heinrich des Achten wurde Ludlow-Castle dem jedesmaligen Lord-Präsidenten von Wales zur Residenz angewiesen.

Jetzt bewohnte der Graf von Bridgewater, welcher diese hohe Stellung bekleidete, mit seiner Familie dies wahrhaft fürstliche Gebäude. Ein großer Hofstaat, wie ihn ein Edelmann von seinem Rang und Stand in jener Zeit zu halten pflegte, hatte einen Theil der Seitenflügel und die Nebengebäude inne. Außerdem hielt eine kleine Garnison die Burg besetzt, um im Nothfall dieselbe gegen innere und äußere Feinde zu vertheidigen. Zahlreiche Gäste fanden in jenen Tagen der ausgedehntesten Gastfreundschaft hier eine willkommene Aufnahme in den stattlichen Räumen, an denen es nicht mangelte. Durch den seltsamen Zufall war auch Milton ein Bewohner des königlichen Schlosses geworden, welches er in früher Morgenstunde mit Aufmerksamkeit und Bewunderung betrachtete. Sein künstlerisches Auge verweilte mit Wohlgefallen auf dem imposanten Bau. Ein reizendes Spiel von Licht und Schatten schwebte um die alten, grauen Mauern. Noch stand über dem westlichen Thurme die blasse, silberne Mondsichel, während die Zinnen desselben im hellen Morgenlicht gleich einer goldenen Krone flammten. Von dort glitten die Strahlen an den Vorsprüngen und Pfeilern nieder, hier ein gothisches Fenster, dort eine Rose von Stein, oder einen vorspringenden Erker erhellend. Andere Theile dagegen waren noch in Schatten gehüllt, bis auch sie nach und nach im Glanz der siegreichen Sonne ihre düstere Physiognomie verloren. Aus der Tiefe blitzten die Wellen der Teme, welche in malerischen Windungen die Wälle des Schlosses umgab und in ihren Fluthen die stolzen Zinnen desselben wiederspiegelten.

Allmählig wurde es auch in dem Innern des Schlosses laut und das erwachende Leben kündigte sich an. In den nahen Ställen wieherten die Pferde, auf dem Hofe bellten die Jagdhunde; Thüren öffneten sich mit Geräusch und verschiedene Tritte schallten auf dem dröhnenden Pflaster. Zuerst eilten geschäftige Diener unter Milton's Fenster vorüber; dann kam der Haushofmeister mit würdevoller Geschäftsmiene, der die Säumenden schalt und, wo es Noth that, drohend den mit silbernem Griff versehenen Stab schwang. Rüstige Mägde mit vom Schlafe noch gerötheten Wangen standen am Brunnen laut plaudernd und reinigten die irdenen und kupfernen Gefäße von den Ueberbleibseln des gestrigen Nachtmahls, oder füllten die hölzernen Eimer mit Wasser aus dem rauschenden Brunnen. Andere kamen aus den Ställen und trugen auf den Köpfen die frisch gemolkene Milch unter Anführung der stattlichen Schaffnerin. Müßige Knechte und Jägerburschen scherzten mit ihnen, wofür sie weidlich von der alten Aufpasserin ausgescholten und an die eigene Arbeit verwiesen wurden. Der Koch mit seinen Gehülfen kehrte aus der Vorrathskammer zurück, beladen mit Wildprett und Fleisch, als gälte es ein Hochzeitsmahl zu rüsten. Im Triumph wurde der wilde Eber vorangetragen, welchen der Lord-Präsident vor wenigen Tagen mit eigener Hand erlegt hatte, und dessen vergoldeter Kopf noch heute auf der Tafel als Hauptstück prangen sollte. – Zwischendurch bewegte sich langsam mit ernsten Mienen ein Schreiber, oder der Rentmeister mit der Rechnung in der Hand, um den Zins eines Pächters, oder die Abgaben eines demüthigen Bäuerleins in Empfang zu nehmen, der mit abgezogenem Hute vor dem gestrengen Herrn stand. Immer lebendiger wurde das Treiben auf dem Edelhof. Der wohlgenährte Burgkaplan begab sich noch gähnend aus seiner Wohnung nach der Halle des Schlosses, um daselbst noch nach alter Sitte vor dem Imbiß den üblichen Morgensegen zu sprechen. Im Vorübergehen warf er einen freundlichen Blick auf den feisten Eber und die Fleischvorräthe, welche an ihm vorübergetragen wurden. Die angenehme Aussicht auf den reichen Mittagstisch verlieh seinem Gesichte einen überaus wohlwollenden Ausdruck. Mit schmunzelndem Lächeln dankte er dem Haushofmeister, welcher ehrerbietig den Geistlichen begrüßte.

– Schöner Morgen, sagte dieser, indem er mit dem Kaplan ein Gespräch anzuknüpfen suchte. Prächtiges Wetter. Nach dem Gewitter stehen die Saaten noch einmal so schön. Wir werden mit Gottes Hülfe ein fruchtbares Jahr haben.

– Ja, ja, Gottes Güte und Langmuth ist groß mit der sündigen Menschheit, erwiederte der Geistliche mit gefaltenen Händen.

– Nun, nun! Gar so arg ist es doch nicht mit der Welt.

– Was, nicht so arg? eiferte der Kaplan. Habt ihr nicht gehört, daß die Abtrünnigen und Verächter unserer Kirche sich täglich mehren? Nicht zu arg, sagt ihr, Meister Buller! und in unserer nächsten Nähe treiben allerhand Sektirer, Brownisten, Anabaptisten, Familisten, Arminianer, Antimonianer, Socianer, Puritaner und wie die gotteslästerlichen Schurken heißen mögen, ungescheut ihr Wesen.

– Was Ihr sagt? erwiederte ungläubig mit dem Kopf schüttelnd der würdige Haushofmeister.

– Was ich sage, ist so wahr, wie der helle Tag. Wie ich aus bester Quelle vernommen, halten sie in allerlei abgelegenen Schlupfwinkeln, in Höhlen und Wäldern ihre geheimen Versammlungen und Konventikeln ab, worin sie die Kirche Englands mit Schimpfreden begeifern und Empörung gegen das gesalbte Haupt des Königs predigen. Das kommt aber von der unzeitigen Nachsicht und Langmuth. Mit Feuer und Schwert würde ich darein fahren, wenn mir die Macht gegeben wäre, wie unserm gnädigen Herrn, dem Lord-Präsidenten.

– Er ist ein guter Herr. Gott segne ihn, entgegnete der loyale Haushofmeister, indem er seinen Hut lüftete.

– Seine Güte ist aber übel angewandt. Es ist eine Zeit gekommen, wo nur noch Strenge helfen kann, um das um sich fressende Gift der Ketzerei auszurotten. Auch in meiner Gemeinde fangen einzelne Glieder an, faul zu werden. Ich muß mit dem Herrn Grafen ein ernstes Wort sprechen, daß er einmal mit Schärfe dazwischen fährt, damit nicht die gesunden Schafe von den räudigen angesteckt werden. Da ist einer Namens Henderson.

– James Henderson von Huntington, den Mann kenne ich, ein tüchtiger Arbeiter, fleißig und pünktlich in allen Stücken, nur ein wenig verdrossen und mürrisch seit dem Tode seiner Frau.

– Sagt lieber aufrührerisch und rebellisch gegen Gott und König. Ich kenne ihn besser, diesen fleißigen James Henderson. Freilich fleißig im Lästern und pünktlich im Punkte des Ungehorsams. Hat er nicht neulich erst laut und vor allen Leuten behauptet, daß die Steuer auf Seife und das Schiffsgeld nicht bezahlt zu werden brauchte? Eine unrechtmäßige Abgabe nannte der Schlingel die neue Taxe, weil das Geld ohne Bewilligung des Parlaments erhoben wird. Unrechtmäßig, seh doch einmal Einer, als ob der König je Unrecht thun kann, und selbst, wenn das der Fall wäre, darf ein Unterthan dagegen sich auflehnen? Steht nicht in der heiligen Schrift: Du sollst unterthan sein deiner Obrigkeit? Hat nicht der Heiland selbst gesagt: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist? Und dieser Kaiser war ein Heide und rein Bekenner des wahren Glaubens, wie König Karl, den Gott segnen und noch lange Jahre erhalten mag.

– Aber wozu ist das Parlament denn da? wandte schüchtern der Haushofmeister ein, welcher, wie die meisten Engländer, voll Ehrfurcht für die alte Verfassung seines Landes erfüllt war. – Ohne Parlament darf nach der Magna Charta keine neue Steuer dem Volke auferlegt werden.

– Hm! murmelte einlenkend der Geistliche. Das Parlament ist eine schöne Einrichtung und ich will auch nichts dagegen sagen. Gott behüte mich davor, seine Privilegien und Freiheiten anzutasten. Aber darum handelt es sich auch gar nicht, sondern um den verwünschten James Henderson, der respektwidrig von unserm allergnädigsten König spricht, und schon seit länger als einem Jahre keine Kirche besucht und meine Predigten nicht hört. Seinetwegen will ich mit dem Herrn Grafen ein ernstes Wort reden. Als Lord-Präsident und Stellvertreter des Königs soll er den besagten Henderson in Strafe nehmen, wegen lästerlichen Redens und Betragens. Ginge es mir nach, so ließ ich ihn durchpeitschen und steckte ihn in das tiefste Loch.

– Ihr vergeßt, daß Henderson eine mächtige Fürsprache hat. Seine Tochter ist die Milchschwester unseres gnädigen Fräuleins.

– Immerhin, das soll mich aber nicht abhalten, meine Pflicht zu thun. Vor Gott gilt kein Ansehen der Person.

Mit diesen Worten entfernte sich der eifrige Burgkaplan, da indeß die Stunde zum Gebet, oder vielmehr zum Frühstück herangekommen war. Der liebliche Duft von frisch gebackenem Kuchen, der ihm aus der großen Halle entgegenströmte, besänftigte einigermaßen seinen heiligen Zorn und dämpfte seine Verfolgungswuth gegen Brownianer, Arianer und all die übrigen Sekten, welche in jenen Tagen von der herrschenden bischöflichen Kirche und der Regierung mit furchtbarer Strenge bestraft und verfolgt wurden. Eiligst folgte ihm der Haushofmeister, um weder den Segen, noch das Frühmahl zu versäumen.

Dies Gespräch, welches dem lauschenden Milton nicht entgangen war, versetzte den schwärmenden Dichter, mit einem Schlage wieder aus der blühenden Natur in die trostlosen religiösen Wirren und Händel der Gegenwart. Der Protestantismus war in England nicht wie in Deutschland das Ergebniß des Volksbewußtseins und von diesem ausgegangen. Die Streitigkeit Heinrich des Achten mit dem Papste wegen seiner Scheidung hatten hier den Bruch mit der katholischen Kirche herbeigeführt. Im Gegensatz zu der deutschen Reformation, welche auf geistiger Freiheit beruhte und diese allein erstrebte, war die englische durch den Machtspruch und die Willkür eines tyrannischen Königs zum Theil aufgedrungen. Luther, der schlichte, gottbegeisterte Mönch, wagte den Kampf mit dem mächtigen Rom lediglich auf die öffentliche Meinung und die Autorität der Bibel gestützt; Heinrich der Achte dagegen pochte auf seine königliche Macht und die Gewalt, welche ihm zu Gebote stand. Persönliche Rücksichten und weltliche Vortheile leiteten den Einen, während der deutsche Reformator sein unsterbliches Werk im Namen der Wahrheit und geistigen Freiheit einzig und allein begann und vollendete. An die Stelle des Papstes setzte sich in England der König selbst, doch blieb er in der Hauptsache noch eifrig katholisch und änderte, die Oberherrschast des Papstes in geistlichen Dingen und das Mönchswesen ausgenommen, nur wenig in der alten Lehre seiner Kirche. So unterschieden sich dies beiden Reformationen schon bei ihrem Ursprung wesentlich von einander. Sie gingen von entgegengesetzten Punkten aus und nahmen auch im ferneren Verlauf eine entgegengesetzte Richtung an. Die religiöse Strömung, welche in Deutschland begonnen, stieg von Unten nach Oben, von dem Volke zu dem Adel und den Fürsten empor, welche theils aus wirklicher Ueberzeugung, theils ebenfalls um irdischer Zwecke willen die Reformation förderten. Umgekehrt in England; hier verbreitete sich die religiöse Bewegung von der Spitze nach der Basis, vom Thron zu den unteren Schichten des Volkes herab. Dieses nahm bald die Umänderung seines Glaubens nicht als eine weltliche, sondern rein göttliche Angelegenheit in seine Hand. Unbekümmert um die Rücksichten, welche den König bei seinem Abfall von Rom leiteten, suchte das Volk statt der irdischen Schätze, um welche es der Krone hauptsächlich zu thun war, die ewigen Güter der Gewissensfreiheit und der Duldung. Aus der reichen Erbschaft der römischen Geistlichkeit, aus den Schatzkammern der Klöster wählte es statt der goldenen Geräthe, der köstlichen Geschmeide und der Kirchengüter nichts als – die Bibel, welche ihm bisher vorenthalten worden war. Aus der heiligen Schrift quoll ihm eine Fülle von Belehrung, die Offenbarung einer neuen Weltanschauung. Die Bibel wurde in der Hand des Volkes die mächtige Waffe, mit der es den endlichen Sieg über die Tyrannei erkämpfte und sich endlich die religiöse und politische Freiheit erstritt. Von dieser Zeit ab begann der Kampf gegen die königliche Autorität, welche an die Stelle der päpstlichen sich eigenmächtig gesetzt hatte. Die Nachfolger Heinrich des schien verfuhren mehr oder minder in seinem Geiste. Die große Tochter desselben, Elisabeth von England, gab der Kirchenverfassung von England erst eine festere Gestalt, die sie noch gegenwärtig hat, und überließ die Aufsicht darüber den Bischöfen und Erzbischöfen. Nach derselben blieben die Könige von England stets das Haupt der Kirche und übten die höchste Gewalt in dieser aus, sie stützten sich auf die von ihnen ernannten Bischöfe, welche das königliche Ansehen unter solchen Bedingungen mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln beförderten. So entstand die sogenannte anglikanische, oder bischöfliche Kirche von England. An die Stelle des Papstes waren die Könige getreten und die Bischöfe waren nur die abhängigen Träger der unumschränkten Willkür in allen kirchlichen Angelegenheiten. Ein solches System konnte unmöglich dem neu erwachten, religiösen Bewußtsein des Volkes Befriedigung gewähren und stieß von Anfang an auf entschiedenen Widerspruch. Von Genf her hatte das Bekenntniß des großen Schweizer Reformators Kalvin, sich in England Eingang zu verschaffen gewußt und mit demselben eine freiere politische Gesinnung, wie sie in den kleineren Republiken zu herrschen pflegt. Jede Bewegung auf dem religiösen Gebiete wird stets von einer ähnlichen auf politischem begleitet sein. Dies war auch hier der Fall. Die Krone sah sich daher doppelt bedroht, nicht nur in ihren kirchlichen, sondern selbst in ihren Herrscherrechten angefochten. Im Gegensatz zu der bischöflichen Kirche, welche sich auf die Autorität des Königs und auf die von ihm übertragene Macht der Bischöfe stützte, verlangte die volksthümliche Glaubenspartei die freie Wahl ihrer Geistlichkeit und ihrer Vorsteher, welche Aelteste, Presbyteren, genannt wurden, woraus später der Name Presbyterianer für ihre Anhänger entstand. Die Gemeinde forderte für sich das Recht, selbstständig ihre religiösen Angelegenheiten zu ordnen, sie berief sich dabei lediglich auf die Bibel und die ersten christlichen Gemeinschaften, welche zur Zeit der Apostel in gleicher Weise handelten. Außerdem verwarfen die meisten Presbyterianer alle von der bischöflichen Kirche noch zum Theil beibehaltenen Gebräuche des katholischen Gottesdienstes, welche an das verhaßte Rom erinnerten, weßhalb sie die »Puritaner« geheißen wurden. Vorzugsweise hatte dies Sektenwesen in Schottland um sich gegriffen, wo die meisten Schüler Kalvins ihre Grundsätze predigten und lebhaften Anklang damit fanden.

Bald standen sich die religiösen Parteien schroff gegenüber. Die Verfolgungen der Regierung weckten den Widerstand des Volkes. Je größer der Druck von der einen Seite, desto höher stieg der Eifer von der andern, der bald als glühender Fanatismus in hellen Flammen stand. An der Spitze der bischöflichen Kirche stand der bekannte Laud, Bischof von London, welcher einen unglückseligen Einfluß auf den König ausübte. Er war die Seele dieser gehäßigen Verfolgungen und die furchtbare »Sternkammer«, der Gerichtshof für alle religiösen Vergehen, verfuhr unter seiner Anleitung mit rücksichtsloser Strenge und Unbarmherzigkeit gegen die Sektirer. Aber weder die unerschwinglichen Geldbußen, die langjährigen Einkerkerungen, noch das zahllose Heer von Strafen an Leib und Leben vermochten den Glaubenseifer zu erkalten. Die so Bestraften wurden vom Volke als Märtyrer gepriesen und ihr Beispiel fand immer neue Nachahmer. Mit bewunderungswürdigem Muthe trotzten sie der härtesten Verfolgung, eher geneigt ihr Leben, als ihre Ueberzeugung aufzugeben.

All diese Thatsachen standen vor Milton's Seele, nachdem er das Gespräch des bischöflich gesinnten Schloßkaplans mit dem Haushofmeister des Grafen mitangehört hatte. Er selbst war ein Anhänger der religiösen Freiheit, obgleich weit entfernt von aller Schwärmerei und Fanatismus. Durch das Beispiel seines eigenen Vaters hatte er Duldung und Toleranz kennen und schätzen gelernt. Dieser war von seinen katholischen Eltern vor langer Zeit verstoßen und enterbt worden, weil er sich der Reformation zugewendet hatte. Für den Dichter gab es kein größeres Gut als Gewissensfreiheit. Er hatte deßhalb einzig und allein das Studium der Theologie aufgegeben und auf die kirchliche Laufbahn verzichtet, die ihm in damaliger Zeit und bei seinem Fleiße und Talent die glänzendsten Aussichten bot. – »Als ich bemerkte,« schrieb er über diesen Gegenstand zu seiner eigenen Rechtfertigung, »daß der herrschende Despotismus, welchem sich die Kirche beugt, denjenigen, der ihre Weihen empfängt, gewissermaßen zwingt, seine eigene Sklaverei zu unterschreiben und ihm außerdem einen Eid auferlegt, den man nur bei einem weiten Gewissen schwören kann; so habe ich ein ehrenvolles Schweigen dem Dienste des heiligen Wortes vorgezogen, weil sich dieser nur durch Knechtschaft und einen Meineid erkaufen läßt.«

Diese Gründe bestimmten Milton, ungeachtet des väterlichen Wunsches, das Studium der Theologie aufzugeben und eine andere Lebensrichtung einzuschlagen. An die Stelle der Kirchenväter waren für ihn die Dichter und Schriftsteller des klassischen Alterthums getreten, aber nichts desto weniger nahm er noch den lebendigsten Antheil an den Glaubenskämpfen seiner Zeit und so oft er daran wie jetzt erinnert wurde, stellte er sich auf die Seite der Unterdrückten und Verfolgten.

Das eben gehörte Gespräch erfüllte ihn von Neuem mit Abneigung gegen die Anmaßung und Strenge der bischöflichen Kirche und er hätte nicht Dichter sein müssen, um nicht auf Seiten der freieren Glaubensrichtung sich zu stellen und den Bekennern derselben beizustimmen. Durch all diese Betrachtungen, welche in seiner Seele aufstiegen, erhielt seine ganze Umgebung eine andere und düstere Färbung. Die schöne Landschaft verlor ihren Reiz für ihn, das fürstliche Schloß vermochte ihn nicht länger zu begeistern. Seine lebhafte Phantasie führte ihn in die niedrigen Hütten des Volkes, wo der arme Landmann bei verschlossenen Thüren seinen verbotenen Gottesdienst ausübt. Er sah den angeklagten Henderson aus dem Bette gerissen, mit Fesseln beladen, zitternd vor dem strengen Richter stehn. Das herrliche Gebäude, welches noch kurz vorher ihn mit Bewunderung erfüllt hatte, verwandelte sich in einen großen Kerker, in dessen unterstem Verließe die gequälten Sektirer schmachten. Es drängte ihn selbst, als ihr Vertheidiger aufzutreten und für die Freiheit des Glaubens, für das Recht des gedrückten Volkes ein großes Wort zu sprechen, eine erlösende That zu thun.

Solche Gedanken tauchten wohl von Zeit zu Zeit schon früher in der Seele des Dichters auf, aber die Liebe zu den Wissenschaften, die Beschäftigung mit den idealen Schöpfungen des Alterthums und der Poesie verdrängten wieder diese Ideen und ließen ihn in seiner Studirstube über die Herrlichkeit der vergangenen Tage die Leiden und Mängel der Gegenwart vergessen. Noch war für ihn nicht die Zeit gekommen, an den politischen und religiösen Kämpen seines Landes den lebendigen Antheil zu nehmen, wie er es später that. Auch in diesem Augenblicke erlitten seine Anschauungen bald wieder eine andere Richtung.

Durch eine Seitenpforte, welche nach dem Garten führte, trat ein holdes Mädchen. Sogleich erkannte er Alice wieder, trotzdem sie in gänzlich veränderter Kleidung erschien. Den prächtigen Reitrock von grünem Sammt, reich mit Gold gestickt, hatte sie mit einem leichten weißen Morgengewande vertauscht, das wie eine silberne Welle sich um die herrliche Gestalt schmiegte und die reizenden Formen im Morgenwinde umflatterte. Statt des kühnen Baretts mit der wehenden Feder wallte ein Schleier um das jugendliche Haupt, nur zum Theil die üppige Fülle der goldenen Locken verbergend. Neben ihr stand ein Kammermädchen, welches auf ihren Armen einen Korb mit allerlei Getreidearten angefüllt trug. Von Zeit zu Zeit griff Alice mit ihren weißen Händen in denselben und streute seinen Inhalt auf dem Boden aus; zugleich ließ sie einen sanften, lockenden Ruf erschallen. Es dauerte auch nicht lang und der Platz, auf dem sie stand, füllte sich mit den geflügelten und selbst vierfüßigen Bewohnern des Hofes. Flatternde Hühner unter Anführung des stattlichen Haushahns und gefräßige Enten sammelten sich um ihre Wohlthäterin. Aus der sonnigen Höhe des Daches und von den Zinnen schwirrten die girrenden Tauben nieder, dazwischen wandelte der stolze Pfau und blähte sich, sein glänzendes Gefieder entfaltend, wobei er sein unangenehmes Geschrei ertönen ließ. Auch ein zahmes, weißes Reh kam herangesprungen und zupfte, weil es sich vernachläßigt glaubte, die schöne Herrin an ihrem Kleid.

Es war ein reizendes Schauspiel, das sich dem lauschenden Dichter darbot und er genoß mit Entzücken den heiteren Anblick.

Mitten unter dem kollernden, krähenden und glucksenden Haufen stand das liebliche Mädchen, wie eine Göttin, welche mit segensreichen Händen den Creaturen das tägliche Brod spendet. Ein heiteres Lächeln der Zufriedenheit umschwebte ihre Lippen und oft steigerte sich dasselbe zu einem lauten Ausbruche des fröhlichsten Muthwillens, wenn eines der Thiere im allzugroßen Eifer umpurzelte, oder die ihm bestimmten Körner von den andern ihm vor der Nase weggeschnappt wurden. Im nächsten Augenblick entschädigte sie jedoch die zu kurz Gekommenen mit reicher Spende. Niemand durfte unbefriedigt von ihrem Mahle gehen. Selbst dem melancholischen Puterhahn entlockte sie ein anerkennendes Kullern der Zufriedenheit; ja er vergaß seinen Stolz und die üble Laune so sehr, daß er sich auf ihren Zuruf unter den gemeinen Hühnerpöbel mischte, freilich dieselben keines Blickes würdigend. Schnell stürzte er sich auf die ihm zugedachte Gabe, erhaschte sie und zog sich dann verächtlich mit den Flügeln zuckend wieder aus der nicht ebenbürtigen Gesellschaft zurück. Besonders reichlich bedachte Alice ihre Lieblinge, die Gluckhenne mit ihren Küchlein und die Tauben, welche sie kosend umflatterten. Das weiße Reh war aber am besten daran, denn es durfte sein Frühstück aus den Händen seiner Gebieterin nehmen, wofür es zum Dank dieselben küßte. Bald war der reiche Vorrath des Körbchens geleert, das die Dienerin zurückempfing. Alice klatschte jetzt in ihre Hände und der ganze Schwarm zerstob. Wie eine Silberwolke stiegen die Tauben mit einem schwirrenden Ton von der Erde auf, wiegten sich hin und her in der reinen Lust, bis auch sie verschwanden. – Nur das weiße Reh folgte in gewohnter Treue der gütigen Herrin, welche den Weg nach dem Garten einschlug, um dort ihren Blumen den täglichen Morgenbesuch abzustatten.


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