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8.

Auf dem Rückwege nach dem Schlosse begegnete Alice ihrem jüngeren Bruder. Thomas war später als seine Geschwister und erst nach Mitternacht in Ludlow-Castle eingetroffen. Er hatte sogleich sein Lager mißmuthig aufgesucht, nachdem er von einem Diener die glückliche Ankunft Alicens in Gesellschaft der Freunde vernommen hatte. Seine aufgeregte Stimmung ließ ihn nicht sogleich zur Ruhe kommen. Die Erinnerung an sein Abenteuer mit den Puritanern und die Aussicht auf Vorwürfe von Seiten seiner Eltern und des bedächtigeren Bruders raubten ihm auf längere Zeit den Schlaf. Trotzdem war er bei Zeiten wieder aufgestanden und Alice fand ihn bereits angekleidet auf dem Hof. Der Jüngling stand Mitten in einer Meute von Jagdhunden, welche ihn liebkosend und mit ihrem lauten Gebell begrüßend umsprangen. Ein Diener hielt das wiehernde, ungestüm mit den Hufen scharrende Pferd, worauf sich Thomas eben schwingen wollte, um auszureiten.

– Guten Morgen, Orlando! rief ihm Alice freundlich schon von Weitem entgegen. Ei! ist das schön? Du willst mich verlassen, ohne mich zuvor begrüßt zu haben. Nicht einmal nach meinem Befinden hast du dich zuvor erkundigt und wie es mir ergangen ist, seitdem du mich so treulos und unbedacht verlassen hast. Weißt du auch, daß ich ernstlich böse bin.

– Eben deswegen wollte ich mich entfernen. Ich kann einmal diese ewigen Vorwürfe nicht ertragen.

– Du Wilder! habe ich dir denn schon welche gemacht? Wer wird auch so empfindlich sein. Zur Strafe mußt du hier bleiben und mir erzählen, welch eine Fee oder schöne Zauberin dir begegnet ist und dich in den Wald so tief hineingelockt hat, daß du darüber deine Schwester vergessen hast!

Das ist schnell geschehen, entgegnete der Jüngling mit dem Erröthen, welches stets die erste Lüge zu begleiten pflegt. Als ich dich verließ, glaubte ich in der That Menschenstimmen in der Schlucht gehört zu haben. Es war jedoch nur eine Täuschung. Je weiter ich vordrang, desto mehr entfernten sich diese verführerischen Töne. Als es zu spät war, sah ich meinen Irrthum leider ein. Ich wollte sogleich umkehren, aber ich hatte jetzt selber den Rückweg verloren. So irrte ich in derWildniß einige Stunden umher, ohne mich zu Recht zu finden, bis ich auf einige Landleute stieß, mit deren Hülfe ich die Hauptstraße wieder gewann. Ich eilte sogleich nach der Stelle zurück, wo ich dich noch anzutreffen glaubte. Du warst indeß verschwunden. Vergebens rief ich nach deinem Namen, Niemand antwortete mir. Eine unaussprechliche Angst ergriff mich da und ich verbrachte längere Zeit, um dich zu suchen. Unterwegs begegnete ich den Dienern, welche der Vater uns entgegengeschickt hatte. Beruhigter über dein Geschick trat ich in ihrer Gesellschaft den Rückweg an. Bald erfuhr ich die näheren Umstände deiner Rettung durch zwei junge Männer, von denen wenigstens der Eine dir kein Fremder ist.

– Und nun willst du uns wieder verlassen und Gott weiß, wo herumschwärmen. –

– Ich habe dir meine Gründe gesagt. Ich mag diese allseitigen Vorwürfe nicht ruhig hinnehmen. Morgen kann ich schon eher einen Tadel ertragen. Das Gewitter, welches über meinem Haupte steht, muß sich erst verziehen, dann kehre ich wieder. Du freilich hast die gegründetste Ursache, mit mir zu zanken, aber du thust es nicht und hast mir sicher längst vergeben.

– Allerdings, du Tollkopf! und ich will auch bei dem Vater ein gutes Wort für dich einlegen, wenn du bei uns bleibst.

– Nur heute nicht, bat der Jüngling. Ich würde nur eine traurige Rolle unter Euch spielen. Erspare mir diese Beschämung vor den Leuten und laß mich gehen.

Nun meinetwegen, Unverbesserlicher! aber nur unter der Bedingung, daß du am Abend wieder hier bist. Deine Abwesenheit will ich, so gut es angeht, bei den Eltern entschuldigen.

Thu' es, erwiederte der Jüngling, indem er sich auf das ungeduldige Roß schwang und mit einem flüchtigen Gruße davonsprengte.

Alice sah ihm nach, bis er verschwand, dann begab sie sich auf ihr Zimmer, wo sie in Gesellschaft der Mutter sich bis zur Mittagsstunde mit allerlei weiblichen Arbeiten beschäftigte, wobei sie am besten Gelegenheit hatte, ungestört an den abwesenden Dichter und an seine bedeutungsvolle Unterhaltung zu denken. –

Unterdeß sprengte Thomas in Begleitung seiner Meute nach dem nahgelegenen Forst. Wer indeß den Jüngling genauer beobachtete, mußte bald von der Meinung abkommen, daß es ihm um die Jagd ernstlich zu thun war; sie sollte ihm nur zum Vorwand dienen, um seine Unruhe, die ihn von Hause wegtrieb, vor sich selber zu beschönigen. So unachtsam reitet kein Waidmann durch Feld und Wald, wie er es that. Bald überließ er es seinem Pferde, selbst den Weg zu finden. Es schien ihm gleichgültig zu sein, welche Richtung dasselbe einschlug. Nachläßig hing er im Sattel, die Zügel lose in den Händen haltend. Zuweilen streifte ein Blüthenzweig ihm Hut und Wange, ohne daß er darauf achtete. Die Hunde trabten im Anfange lustig nebenher und schlugen, so oft sie ein Wild witterten, mit leisem Gebelle an, aber der verdrossene Jäger hörte sie nicht. Er ging ja auf einer ganz andern Fährte und trieb in diesem Augenblick – Gedankenjagd. Sein Wild war ein junges, schlankes Mädchen mit nußbraunen Augen und dunkeln Locken. Die schöne Lucy Henderson beschäftigte ihn ausschließlich und ihr Bild verfolgte er, oder es verfolgte vielmehr ihn auf seinem Weg. Er kannte ihre Wohnung, die drunten im Thale, nicht fern von dem Ufer der Temme lag. Dorthin zog es ihn mit Macht, aber die Scheu, dem strengen Puritaner zu begegnen, ließ ihn nicht die gerade Richtung einschlagen. Je näher er der Hütte kam, welche der alte Henderson mit seiner Tochter bewohnte, desto hörbarer schlug das Herz in der Brust des Jünglings.

Schon konnte er das kleine Haus bemerken, welches mitten unter den blühenden Obstbäumen stand. Wie oft hatte er hier mit seinen Geschwistern und der kleinen Lucy gespielt und sie im Scherze seine Braut genannt. Die Tage der unschuldigen Kinderzeit waren vorüber, heißere Wünsche und Begierden bestürmten jetzt die Seele des herangewachsenen Jünglings. Was hätte er darum gegeben, so unbefangen und ungestört mit ihr verkehren zu dürfen, wie noch vor einigen Jahren. Nun stand er nicht mehr fern von dem Eingangsthor, aber er wagte nicht Einlaß zu begehren. Drüben am jenseitigen Ufer des Flusses hielt er hoch zu Roß und schaute sehnsuchtsvoll hinüber, wo die Jugendfreundin verweilte. Wie ein Dieb schlich er in der Nähe der Geliebten, von den dichten Weiden und dem saftigen Erlengebüsch des Ufers gedeckt. Durch die Lücken desselben warf er von Zeit zu Zeit einen verstohlenen Blick nach der Hütte, aber sie blieb verschlossen und keine weiße Hand schob den Riegel zurück, kein blühendes Mädchenantlitz zeigte sich am Fenster.

Nicht fern von Thomas saß oder lag vielmehr unbemerkt von ihm ein Mann im Gebüsch verborgen auf dem Rasen des Ufers hingestreckt. Scheinbar theilnahmlos sah er vor sich auf die Angel hin, welche er in der Hand hielt, doch das schlaue Blinzeln seiner schielenden Augen verrieth, daß ihm die Anwesenheit des Jünglings nicht entgangen war. Mit großer Aufmerksamkeit und voll Neugierde beobachtete der Angler das Thun und Treiben desselben. Seinem Scharfblick war es nicht entgangen, daß Thomas auf der Lauer stand und vorzugsweise das Haus des alten Henderson in's Auge faßte. Zuweilen stahl sich ein spöttisches Lächeln über das breite, pfiffige Gesicht des struppigen Gesellen.

– Hm! murmelte dieser für sich, ich möchte eine Wette machen, daß der feine Junker nicht umsonst hier Wache hält. Wenn ich nicht irre, hat der alte Puritaner eine schmucke Dirne, die wohl einer Sünde werth wäre. Ein feiner Bissen für einen solchen Jäger. Will doch sehen, wie der Vogelsteller es anfängt, um das Vöglein zu locken. Aufgepaßt Billy Green! vielleicht giebt es hier für dich zu thun; Verliebte sind großmüthig und meine Taschen sind eben so leer wie mein Magen. Wie wär's, wenn ich ihm meine Hülfe anböte. Ich kenne die Schliche zehnmal besser wie jeder Andere.

Mit diesen Worten erhob sich der uns bereits bekannte Billy Green aus seiner bequemen Lage und richtete sich hoch empor. Bei dem Geräusch, welches er dadurch verursachte, schlugen die Hunde laut an, so daß Thomas aus seinen Träumen emporfuhr.

– Wer ist da? frug er den Burschen, der plötzlich vor ihm stand.

– Euer Diener, entgegnete dieser demüthig mit abgezogener Kappe. Mein Name thut nichts zur Sache und kann Euch nichts nutzen, desto mehr meine Person. So wie Ihr mich hier seht, bin ich der beste Spürhund weit und breit. Ich stöbere Euch das Wild auf, wonach ihr jagt.

– Da nimm, sagte der Jüngling, indem er eine kleine Münze in die Kappe des Burschen fallen ließ. Du siehst, daß ich allein sein will. Entferne dich daher, deine Dienste kann ich nicht gebrauchen und an Hunden fehlt es mir nicht, wie du dich überzeugen kannst.

– Oho! Ihr seid kurz angebunden. Zwischen Hunden und Hunden ist aber immer noch ein Unterschied. Die Eurigen verstehen höchstens ein mageres Kaninchen, oder ein verhungertes Feldhuhn aufzujagen; ich aber treibe Euch das schönste Mädchen in der ganzen Grafschaft auf. Ich kenne hier ein Wild, das Lucy Henderson heißt und das sich wohl der Mühe verlohnen dürfte.

Kerl! rief der Jüngling erhitzt. Was weißt du von dem Mädchen? Sprich!

– Aha! Ich sehe, daß ich auf der rechten Fährte bin, denn Ihr seid dahinterher wie ein ächter Jägersmann, wenn er einen feisten Sechszehnender zu Gesicht bekommt. Nun an mir soll es nicht liegen, wenn ihr nicht noch heute Hallali aus vollem Halse blast.

– Lass' deine schlechten Scherze und antworte mir ohne Umschweife: Kennst du das Mädchen?

– Wie sollte ich nicht die Blume des Thals, die schönste Rose von Herefordshire kennen? Aber nehmt Euch in Acht. Das alte Sprichwort sagt: keine Rosen ohne Dornen, und der mürrische Henderson ist ein ganzer Dornbusch, der das Röschen vor profanen Händen schützt. Wenn Ihr nicht wenigstens ein Heiliger, oder ein Erzengel mit rund geschorenem Kopfe seid, so wirft er Euch die Thür vor der Nase zu. Außerdem ist er im Stande, Euch aus seiner alten Donnerbüchse ein Paar blaue Kugeln nachzuschicken, die Euch jede Wiederanfrage schwer machen könnten. Der alte puritanische Hund versteht keinen Spaß und führt ein grimmiges Gebiß.

– Ich weiß, ich weiß, murmelte Thomas, und doch muß ich Lucy sprechen und bewachte sie die ganze Hölle mit einer Legion Teufel. Willst du mir einen Gefallen thun?

– Zwei für einen, erwiederte der lose Bursche, wenn Ihr nämlich doppelt zahlt.

– Daran soll es nicht fehlen. Hier nimm einstweilen diese zwei Kronen auf Abschlag.

– So kommt ein armer Teufel wie ich zu zwei Kronen, während der König doch nur eine hat, die ihn oft genug schwerer wie meine beiden drücken mag. Jetzt aber sagt, was ich thun soll, denn umsonst ist der Tod und wegen meines schönen Gesichtes habt ihr mir das Geld doch nicht gegeben. Billy Green ist kein Bettler der Heerstraße, sondern ein ehrlicher Bursche, der sich mit dem Teufel selber herumschlägt, wenn er dafür bezahlt wird.

– Ich will dir vertrauen, obgleich ich dich nicht näher kenne. Du scheinst mir ein schlauer und gewandter Bursche zu sein.

– Gebt mir nur erst Gelegenheit, meine Schlauheit und Gewandtheit zu zeigen, Ihr sollt dann ein blaues Wunder sehen. Nicht wahr, ihr habt da drüben einen Liebeshandel mit der schönen Lucy? Lass't mich nur machen, Ihr sollt sie in kurzer Zeit sprechen. Beim Himmel! Für mich giebt es keine größere Freude, als einem solch heuchlerischen, näselnden und Psalmen plärrenden Puritaner eine rechte Nase zu drehen. Denkt nur, was er mir neulich that, als er mich in einem allerdings nicht ganz nüchternen Zustande am Sonntag traf.

Er nannte mich einen ruchlosen Sabbathschänder, einen Sohn des Antichrist und Babylon's, kurz es gab kein Schimpfwort in der englischen Sprache, das er mir nicht angehängt und das Alles, weil ich mich am Sonntag ein wenig lustig gemacht hatte. Hol der Henker diese puritanischen Schurken, welche einem ehrlichen Burschen kein Vergnügen mehr gönnen wollen.

– Du kannst ein andermal deiner Galle freien Lauf lassen und auf die Puritaner fluchen, so viel du willst. Ich werde dich nicht dran hindern, sondern aus vollem Herzen miteinstimmen. Aber jetzt hast du keine Zeit zu verlieren, wenn du dein Versprechen erfüllen willst.

Da habt Ihr Recht, doch vor allen Dingen muß ich wissen, wie weit Ihr mit der Dirne schon gekommen seid, ob Ihr beim A oder Z der Liebe steht, ob das Vöglein nur nach den Beeren blinzelt, oder schon von der verbotenen Frucht gekostet hat.

– Was geht das dich an, Bursche! Du erlaubst dir da eine Sprache, die ich nicht zum zweitenmale hören mag.

– Ganz wie Ihr befehlt; doch das erschwert mir das Geschäft. Ich kenne die Mädchen und die Vögel, denn Billy Green ist kein Neuling mehr in solcher Jagd. Lucy wird mir nicht glauben, wenn Ihr mir nicht ein sicheres Zeichen gebt, woran sie erkennt, daß die Botschaft, welche ich ihr bringen soll, von Euch herrührt. Verliebte haben ihre eigene Spitzbubensprache, woran sie sich erkennen. Solch einen geheimnißvollen Gruß muß ich ihr bestellen, sonst traut sie mir nicht. Habt Ihr ein besonderes Wort, oder ein Erkennungszeichen, um das nur sie und Ihr allein wißt. Lass't hören!

Thomas, welchem die Gründe des Burschen einleuchteten, sann einige Augenblicke nach. Es war eine geraume Zeit vergangen, seitdem er mit dem Mädchen zum letzten Male gesprochen hatte. Woran sollte sie in der That erkennen, daß er es war, der sie zu sehen wünschte? Zum Glück fiel ihm ein kleines Lied ein, das Beide in der Kinderzeit vielfach gesungen hatten und dessen Schlußverse folgendermaßen lauteten:

Er hob das Mädchen auf sein Roß
Er führte sie ins Grafenschloß,
Aus Liebe, ja aus Liebe.

Es hielt nicht schwer für den Burschen, sich diese Strophen eines alten Volksliedes und die dazu gehörige Melodie, welche ihm der Jüngling leise vorsang, sogleich einzuprägen. So ausgerüstet begab sich Billy Green auf den Weg mit dem Versprechen, die schöne Lucy Henderson aufzusuchen und bald von ihr Bescheid zu bringen. Vorsichtig näherte er sich dem Hause des Puritaners, dessen Begegnung er gern vermieden hätte, weil der mürrische Alte eben nicht allzufreundlich gegen derartige Tagediebe und Herumstreicher gesonnen war. Wie ein Fuchs um den Taubenschlag, so strich der schlaue Bursche erst einige Zeit um den verschlossenen Hof herum. Er hoffte irgend eine Gelegenheit, ein offenes Seitenpförtchen zu finden, durch das er unbemerkt in die Wohnung schlüpfen wollte. Dieser Plan erwies sich jedoch bald als unausführbar. Der mißtrauische und menschenscheue Henderson hatte dafür gesorgt, daß nicht so leicht ein Fremder bei ihm eindringen konnte. Um das ganze Gebäude zog sich eine stattliche Mauer, welche überdies mit spitzen Eisenstäben versehen war. Billy Green hatte weder Lust, seine Gliedmaßen auf das Spiel zu sehen, noch eine Wunde davon zu tragen. Es blieb ihm daher nichts übrig, als an der Einlaßpforte mit Macht zu klopfen und Einlaß zu begehren. Sein erfinderischer Geist hatte bereits eine passende Ausrede selbst für den Fall ersonnen, wenn er dem Puritaner begegnen sollte. Er suchte deshalb seinem Gesichte einen so ernsten und scheinheiligen Anstrich zu geben, als dies ihm nur immer möglich war.

Längere Zeit hatte er schon vergeblich geklopft, ohne durch den Lärm einen Menschen herbeizuziehen. Das Haus schien gänzlich ausgestorben, keine Stimme ließ sich vernehmen, um seinem Ruf zu antworten, kein Fuß und keine Hand regte sich, um ihm zu öffnen. Fast gab er die Hoffnung auf, seinen Auftrag an die schöne Lucy auszurichten. Bereits gedachte er den Rückzug unverrichteter Sache anzutreten, nur noch einen Versuch wollte er machen, ehe er umkehrte. Der Kitzel des Muthwillens regte sich in ihm und außerdem stachelte ihn der Ehrgeiz, selbst auf die Gefahr hin, eine tüchtige Tracht Prügel zu bekommen, mußte er sich den Eingang verschaffen.

Zu diesem Zwecke begann er aus vollem Halse zu schreien: Feuer, Feuer! Es brennt, rettet, helft.

Dieses letzte Auskunftsmittel verfehlte auch in der That nicht seine Wirkung. In der Wohnung wurde es lebendig. Eine ältliche Frau und ein junges Mädchen stürzten in den Hof mit ängstlichen Gebärden, aus dem Stalle eilte ein Knecht herbei. Alle drei hatten den Schrei gehört und suchten nach dem Urheber desselben, der sich wohlweislich hinter einem benachbarten Baum versteckt hielt, um die Wirkung seiner Kriegslist abzuwarten. So viel hatte er bereits erfahren, daß der alte Henderson, welchen er am meisten fürchtete, nicht zugegen war. Die erschrockenen Bewohner des Hauses gelangten bald zu der Ueberzeugung, daß ein Vorübergehender sie geäfft, da sich nirgends, trotz des sorgfältigsten Nachforschens, keine Spur eines Brandes zeigte. Lucy und die alte Wirthschafterin schickten sich wieder an, in das Haus zurückzukehren, nur der Knecht mochte sich nicht zufrieden geben.

– Dem Spaßvogel will ich es eintränken, rief er mit geballter Faust. Ich wette, daß er hier ganz in der Nähe steckt. Er soll uns für den Schreck bezahlen.

Ehe die noch immer geängstigten Frauen ihn daran hindern konnten, hatte er den Riegel am Thore zurückgeschoben und stürzte ins Freie. Billy Green rieb sich in seinem Versteck vergnügt die Hände, da ihm jetzt kein Hinderniß mehr im Wege stand, um in das Haus zu kommen. Sobald der Knecht sich im Eifer der Verfolgung eine hinlängliche Strecke entfernt hatte, verließ der Bursche seinen Schlupfwinkel und trat ganz ungescheut in den Hof. Beim Anblicke der fremden und keineswegs Vertrauen einflößenden Gestalt erhob die furchtsame Wirthschafterin ein lautes Geschrei und entfloh. Lucy, der es nicht an Muth gebrach, blieb indeß ruhig stehen und wartete das Begehren des Burschen ab.

– Was wollt Ihr hier? fragte sie ihn ohne Scheu. Mein Vater ist nicht zu Hause. Wenn Ihr ihn sprechen wollt, so müßt Ihr morgen wiederkommen, da er eine kleine Reise angetreten hat.

– Das ist mir lieb, dann kann ich mich meines Auftrags um so ungestörter entledigen.

– Eures Auftrages und an wen? fragte sie erstaunt, indem sie einige Schritte zurücktrat, da ihr das Benehmen des Fremden Verdacht einflößte.

– An wen anders, als an Euch selber, schöne Lucy!

– Ich wüßte nicht, wer einen solchen für mich hätte.

– Ein junger Mann, den Ihr kennt und der Euch liebt.

– Ihr seid ein Schelm und ein Bösewicht, daß Ihr solche Worte mir zu sagen wagt. Entfernt Euch, oder ich lasse Euch mit Schimpf und Schande aus dem Hause werfen.

– Ereifert Euch nicht so sehr, sagte mit frechem Lächeln der Bursche, obgleich der Zorn Euch gar nicht übel kleidet. Mich täuscht Ihr doch nicht, ich bin meiner Sache zu gewiß. Man weiß ja, wie es alle Mädchen machen.

– Schweigt still! dort kommt unser Knecht und bei Gott! Er soll Euch für Eure frechen Reden strafen.

– Bis der wiederkehrt, werdet Ihr aus einem andern Tone pfeifen. Wenn Ihr denn durchaus nichts von meinem Auftrag hören wollt, so kann ich Euch mit einem schönen Liedchen dienen.

Er hob das Mädchen auf sein Roß,
Er führte sie ins Grafenschloß
Aus Liebe, ja aus Liebe.
Nun wie gefällt Euch das?

Lucy hatte sogleich die Verse und die Melodie wieder erkannt, welche der Bursche zwar leise, aber von ausdrucksvollen, komischen Gebärden begleitet, ihr vorsummte. Dabei blinzelte er sie mit seinen schlauen Augen schelmisch von der Seite an, und beobachtete sie so genau, daß ihm ihre Bewegung nicht entgehen konnte.

– Ich sehe schon, fügte er lachend hinzu, daß ich diesmal den rechten Ton getroffen. Nun, was steht Ihr und reißt die braunen Augen auf, als wär' Euch Gott weiß was für ein Wunder widerfahren.

– Wie kommt Ihr zu dem Liede? stammelte Lucy hastig und erregt.

– Mein Gott! wie man zu einem Liede kommt. Ein lustiger Vogel hat's mir unter den Weiden vorgesungen, und da es mir gefallen hat, so hab' ich's behalten.

– Nein, nein! Er hat's Euch gelehrt. Quält mich nicht und redet offen, ist der Auftrag, den Ihr für mich habt, von ihm?

– Wenn Ihr unter Er und Ihm einen schlanken Jägersmann von vornehmen Ansehen, feinen Manieren, mit einem Gesichte wie Milch und Blut und dem Anfluge eines zierlich schwarzen Bärtchens versteht, so habt Ihr allerdings das Richtige getroffen.

– Und Ihr sagt, daß er ganz in der Nähe weilt.

– Nicht viel weiter, als ein Schuß aus einer guten Büchse reicht. Mit Euren Rehfüßchen seid Ihr in fünf Minuten drüben und in den Armen des Geliebten.

So saßen sie, so lagen sie,
Im grünen Feld, im grünen Feld,
Sie saßen und vergaßen
Die ganze Welt, die ganze Welt.

– Ich bitte Euch und laßt diese Narrenpossen sein. Der Knecht kann in jedem Augenblicke zurückkehren, und außerdem beobachtet uns bereits die Wirthschafterin, welche nur noch von der Furcht, die Ihr ihr eingeflößt, zurückgehalten wird, ihre Neugierde zu befriedigen.

– Gut! dann sputet Euch und gebt mir einen günstigen Bescheid, den ich dem harrenden Junker bringen kann.

– Was verlangt er denn von mir?

– O, über Euch Mädchen. Wie die Kätzchen schleichen sie um den heißen Brei herum, von dem sie gar zu gerne naschen möchten. Sehen, sprechen, umhalsen und küssen will Euch der junge Herr. Wenn Ihr nicht kommt, thut er sich ein Leids an. Er stirbt vor Ungeduld und kommt vor Sehnsucht um. Vielleicht hat er sich schon, weil ich nicht schnell genug ihm Eure Antwort gebracht habe, sich in die kühlen Wellen der Temme gestürzt, um seine süße Liebesglut abzukühlen.

– Er will mich sehen und sprechen, hat er gesagt?

– Gesagt, geschworen, geras't, wie es alle Verliebten thun; denn er ist verliebt bis über die Ohren. Das kann ich bezeugen. Seine lauten Seufzer haben mich aus dem Schlafe geweckt und nur aus Mitleid mit seiner Liebespein habe ich mich zum Boten hergegeben. Jetzt aber beeilt Euch mit Eurem Entschluß, denn ich sehe wirklich, wie der Tölpel von Knecht auf uns zusteuert, nachdem er jeden Busch durchsucht und hinter jeden Grashalm nach mir sich blind geguckt. Was soll ich dem Herzliebsten sagen?

Feinsliebchen! willst du kommen,
Ich wart' und harre dein.
Die Bäume sind verschwiegen
Und stumm die Sternelein.

Obgleich Lucy den herannahenden Knecht ihres Vaters bemerkt hatte, und darum keine Zeit zu verlieren war, so zögerte sie doch mit der Antwort. Sie fürchtete die Strenge des alten Henderson, auch regte sich noch ein Gefühl von jungfräulicher Scheu in ihrer Brust. Aber grade die puritanische Zurückgezogenheit und der Zwang, dem sie so lange Zeit unterworfen war, hatte den Trieb nach Freiheit in ihr geweckt. Schon lange Zeit empörte sich heimlich ihr Geist gegen die ihm ausgelegten Beschränkungen. Sie sehnte sich hinaus in die weite Welt, welche ihr verschlossen war. Das Verbot, Ludlow-Castle und seine Bewohner je wieder zu sehen, erregte stets von Neuem ihren Widerspruch. Ihr letztes Zusammentreffen mit Thomas brachte eine wahrhaft fieberhafte Wirkung in ihrem heißen Blut hervor. Die ganze Nacht hatte sie von dem Jugendfreund geträumt, und auch während des Tages stand sein Bild vor ihrer Seele. Jetzt hatte er den ersten Schritt gethan und sie aufgesucht; konnte, durfte sie noch länger widerstehen?

Nur noch höchstens fünfzig Schritte war der Knecht von der Eingangsthür entfernt, auch der Kopf der alten Wirthschafterin zeigte sich neugierig am Fenster. Lucy hatte keine Zeit zu verlieren.

– Geht, flüsterte sie leise dem Burschen zu, und sagt dem, der Euch geschickt, daß ich ihn sehen und sprechen will. Mein Vater ist über Land in Geschäften fortgereis't und kehrt vor morgen nicht wieder; aber trotz seiner Abwesenheit bin ich wie eine Gefangene bewacht. Erst nach Tisch kann ich mich unbemerkt fortstehlen. Um diese Zeit soll er mich an den drei Fichten an dem alten Grabstein erwarten. Jedes Kind kennt den Ort, er braucht nur zu fragen.

– Ich will ihn selber hinführen und Wache stehen, damit Ihr nicht belauscht werdet.

– Thut das, guter Mann, und nehmt für Eure Mühe diese Gabe.

Billy Green steckte vergnügt die kleine Münze ein, welche Lucy ihm reichte und gelobte dafür unaufgefordert ewige Treue und Verschwiegenheit, die er auch zu halten Willens war, nur aus Haß gegen den Puritaner. Mit frohem Lächeln ging er an dem zurückkehrenden Knecht vorüber.

– Habt Ihr den gefunden, den Ihr sucht? fragte er ihn muthwillig.

Dieser begnügte sich, nur mit mißtrauischen Blicken den Burschen anzusehen.

– Ich will Euch noch einen guten Rath geben, rief ihm Billy nach. Wenn Ihr künftig fortgeht, so schließt die Thüre fein zu, damit nicht der Fuchs Euch euere puritanische Hühnchen stiehlt, während Ihr seine Spur verfolgt.

Mit einem lauten Gelächter verschwand er unter dem Gebüsch des Ufers, ehe der Knecht sich auf eine passende Antwort besinnen konnte. Der Stein, den dieser dem Landstreicher nachsenden wollte, fiel in das Wasser mit lautem Schall und erregte nur von Neuem die Lustigkeit und Spottsucht des Burschen, von welchem sich der Knecht in jeder Beziehung geäfft sah.


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