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18.

Digby hatte richtig geurtheilt, weder Alice noch ihr Beschützer klagten ihn an, seine That blieb ein Geheimniß für alle Welt und nur den Betheiligten bekannt. Zwischen beiden fand eine kurze Auseinandersetzung statt, welche nicht ohne nachhaltige Folgen für ihr Schicksal war. Carbury legte bei dieser Gelegenheit seine gewohnte Schüchternheit ab, und zeigte, daß er nicht nur tapfer zu handeln, sondern auch zartfühlend und hochherzig zu empfinden und zu denken vermochte. Kein Zweifel wegen ihrer Unschuld regte sich in seinem Herzen und nach wie vor blickte er zu ihr, wie zu einer Heiligen empor. So gewann er mit Alicen's Vertrauen auch ihre Achtung und als er, so wie alle die übrigen Gäste, nach der Feier das Schloß verließ, sagte ihm eine innere Stimme, daß er nicht ganz ohne Hoffnung sei. In minder heiterer Stimmung gingen auch Milton und sein Freund von Ludlow-Castle. King hatte einen dringenden Brief von seinem Vater erhalten, der ihn nach Irland berief. Er sollte seine Reise ohne Aufschub antreten und der doppelte Abschied von dem Freunde und der Geliebten betrübte ihn. Nie war ihm die Trennung so schwer gefallen als unter solchen Verhältnissen, aber es blieb ihm nichts übrig, als zu gehorchen.

Nach dem Rausche des Festes war für alle Betheiligten mehr oder minder eine gewisse Ernüchterung eingetreten, welche Niemand schmerzlicher, als die lebenslustige Lucy Henderson empfand. Das Leben in dem Hause des Puritaners war ihr doppelt widerwärtig geworden, nach dem Glanz und der Pracht, die sie von Neuem in dem Schlosse des Grafen kennen gelernt hatte. Dazu kam noch die Furcht vor der Entdeckung ihres Schrittes. Wie leicht konnte ihre Mitwirkung bei der Ausführung des Schauspiels verrathen werden. – Ihr Vater war zurückgekehrt und seine finsteren Züge schienen der Schuldbewußten nur noch strenger und drohender als je. So oft sie seinem scharfen, unheimlichen Blick begegnete, erfaßte sie ein unwillkürlicher Schauder. Sein brütendes Auge schien sie durchbohren zu wollen und verkündete nichts Gutes. Sonst sprach er doch, wenn auch in rauher Weise mit ihr, seit seiner Rückkehr beobachtete er ein drückendes Stillschweigen; er richtete keine Frage an sie, und erkundigte sich nicht einmal, wie sie während seiner Abwesenheit die Zeit verbracht, was er doch sonst gewöhnlich zu thun pflegte.

Den ganzen Tag saß er mit aufgestemmten Armen am Tische und las in der von ihm aufgeschlagenen Bibel, während Lucy ihm gegenüber mit einer weiblichen Handarbeit beschäftigt war. Wenn er nicht las, so starrte er vor sich hin, nach der Wand, wie es schien, und doch war es Lucy, als wendete er kein Auge von ihr ab und als schaute er bis in die Tiefen ihrer Seele. Wo sie sich auch hinwenden mochte, begegnete sie seinen Augen und sein durchdringender Blick schwebte vor dem ihrigen. Seine Nähe hatte etwas Unheimliches, Gespenstisches.

So verging der freudenlose Tag, als der Abend kam, nahm sie das Licht, bot dem Vater eine gute Nacht und begab sich in ihre Kammer. Sie versuchte zu schlafen, doch eine innere Angst verhinderte sie, ruhelos wälzte sie sich aus ihrem Lager. So oft sie auch die Augen zu schließen versuchte, immer sah sie die drohende Gestalt des Vaters und den entsetzlichen Blick, der ihr Blut zu Eis gerinnen ließ. Stunde um Stunde verging und sie konnte noch immer keine Ruhe finden, vergebens wollte sie die Schreckbilder ihrer Phantasie durch lieblichere Erinnerungen verscheuchen; sie rief die jüngst verlebte Vergangenheit zurück, das zauberische Fest, die Huldigungen, welche ihr zu Theil geworden, die glänzenden Gewänder und den Schmuck, den sie von Alice zum Geschenk erhalten hatte und jetzt heimlich unter ihrem Kopfkissen verbarg; das Alles wollte nicht fruchten und die Angst lastete wie ein schwerer Alp auf ihrer Brust.

Es schlug Mitternacht, da öffnete sich geräuschlos die Kammerthür. Ein Grauen durchrieselte sie und sie schloß unwillkürlich ihre Augen. War es Traum jetzt oder war es Wirklichkeit? – Auf der Schwelle stand der alte Henderson und sie konnte deutlich im Mondlicht seine hagere, dürre Gestalt erkennen. Ein blitzendes Messer hielt er in seiner Hand, so schlich er leise wie ein Schatten, bis er vor ihrem Bette stand.

Lucy unterdrückte gewaltsam den Schrei, der auf ihren Lippen schwebte und wagte kaum zu athmen. Er beugte sich vorsichtig zu der Tochter nieder und strich leise tastend über ihr Gesicht, als wollte er sich zuerst überzeugen, ob sie auch fest schliefe. Keine Bewegung, nicht das geringste Zucken in ihren Zügen verrieth, daß sie noch wachte. Jetzt kniete der Puritaner auf den Boden nieder und murmelte ein Gebet. Die Angst hatte die Sinne des Mädchens noch geschärft, so daß ihr kein Wort entging.

– Gott Israels! rief der fanatische Henderson, höre deinen Knecht. Wie der Erzvater Abraham nicht zögerte, seinen einzigen und geliebten Sohn dir darzubringen, so will ich dir thun. Besser, daß dies Kind heute stirbt und sein Leben verliert, als daß seine Seele zur Hölle fährt. Du kennst mein Herz und meine Qual in dieser harten Stunde der Prüfung und des Trübsals, die du über mich verhängt hast. Du aber wirst mir auch Kraft und Stärke verleihen. Mein Arm soll nicht wanken, wenn er den Stahl in die Brust der Tochter senkt.

Lucy hielt sich für verloren, sie hatte ihren eigenen Grabgesang gehört. Geräuschlos erhob sich der Vater vom Boden und näherte sich wieder ihrem Lager. Ehe er jedoch die blutige That vollführte, schien ein Bedenken in seiner Seele aufzusteigen.

– Sie soll nicht ohne Gebet zu Grunde gehen, flüsterte er, mit sich selber redend. Ich will sie zuerst wecken.

Der starre Puritaner verrieth eine tiefe Bewegung, eine Thräne schimmerte in seinen tiefliegenden Augen, als er noch einmal die dem Tode geweihte Tochter betrachtete.

– Wie schön sie ist, murmelte er, von ihren enthüllten Reizen ergriffen, so schön war auch das erste Weib im Paradies, von dem alles Unheil und die Sünde in die Welt gekommen ist. Sie gleicht der blühenden Rose mit ihren gerötheten Wangen, aber in der Tiefe des Kelches schlummert der giftige Wurm. Besser, daß sie zeitlich, als daß sie ewig verdirbt.

Bald jedoch verschwand diese letzte Gefühlsregung des harten Mannes und sein Fanatismus behielt die Oberhand. Sein Arm streckte sich nach dem Mädchen aus, während er in der rechten Hand das scharfe Messer hielt.

– Steh' auf! herrschte er Lucy zu.

– Um Gottes willen, schrie sie entsetzt, was wollt Ihr von mir, mein Vater?

– Ich bin gekommen, um Gericht zu halten über dich.

– Was hab' ich verbrochen? rief sie händeringend.

– Du hast die Gebote des Herrn übertreten, dich in die Gesellschaft der Unreinen begeben und an ihren Gaukeleien Theil genommen. Kannst du es leugnen, daß du in Ludlow-Castle in einem sündhaften Schauspiel wider meinen Willen aufgetreten bist, daß du eine heidnische Göttin dargestellt, lästerliche Lieder gesungen hast? Du siehst, daß ich von Allem unterrichtet bin.

– Und darum wollt Ihr mich so grausam strafen? Ich gestehe ja ein, daß ich gefehlt habe und will mein Vergehen bereuen.

– Die Reue kommt zu spät. Du mußt sterben, doch zuvor sollst du ein Gebet sprechen, damit wenigstens deine Seele gerettet wird.

– Sterben, sterben! stöhnte das Mädchen verzweiflungsvoll. Ich will, ich kann nicht sterben. O, habt Erbarmen mit meiner Jugend, ich bin kaum achtzehn Jahre alt und schon soll ich die Welt verlassen und in das dunkle Grab hinuntersteigen. Nein, nein! das ist nicht möglich. Denkt an meine Mutter, sie hätte mich mit ihrem Leben gegen Euch vertheidigt. Ihr durftet mir, so lange sie mir zur Seite stand, nicht ein böses Wort geben, keinen schiefen Blick zuwerfen. Wenn mich eine Biene stach, so legte sie mir ein heilendes Pflaster auf, wenn mich ein Dorn ritzte, so klagte und weinte sie mit mir. Sie sieht und hört uns in diesem Augenblick. Fürchtet Ihr nicht, daß sie im Himmel Euerer Grausamkeit jetzt flucht?

– Rufe nicht deine Mutter an, entgegnete düster der Puritaner. Sie war ein tugendhaftes Weib, wie es kein zweites mehr auf dieser Erde giebt. Hätte sie von deinem jetzigen Lebenswandel eine Ahnung gehabt, so hätte sie dir selber statt der Milch ihres Busens ein schnell tödtendes Gift gereicht. Sie wird mich im Paradiese, wo sie jetzt mit den Gerechten weilt, wegen meines Vorhabens nicht verfluchen, sondern jauchzen und jubeln, daß ich ihr Kind vor fernerer Verderbniß bewahren will. Warum zitterst du vor dem Tode? Früher oder später ist er unser Aller Loos. Wer jung stirbt, ist vor Sünden geschützt und seiner wartet die ewige Seligkeit. Dein Verbrechen kann noch Gnade vor dem Herrn finden, aber je länger du lebst, desto größer wird die Schuld, bis dich ihre Last zur Hölle stürzt. Glaubst du, daß ich gern dein Blut vergieße, daß meine Seele nicht trauert über deinen Verlust, aber der Vater züchtigt sein Kind, eben weil er es liebt.

– Wohlan! so straft mich, züchtigt mich so hart und so streng, wie Ihr nur immer wollt. Sperrt mich in den dunkelsten Keller ein, entzieht mir Nahrung und Licht, laßt mich die ganze Schwere Eurer Hand empfinden, oder stoßt mich hinaus in Armuth und Elend, nur schenkt mir das Leben. Ach! es ist so süß zu leben und der Tod so furchtbar, daß ich den Gedanken nicht zu fassen vermag.

Lucy war von ihrem Lager aufgesprungen und hatte die Knie des Puritaners umfaßt. Die Verzweiflung lieh ihr Kraft und krampfhaft klammerte sie sich an den grausamen Vater fest. Mit aufgelösten Haaren und todesbleichen Wangen, in Thränen gebadet, von Schluchzen unterbrochen, flehte sie um ihr Leben. Vergebens suchte er, sie abzuwehren, sie ließ sich am Boden von ihm fortschleifen.

– Nein, nein! schrie sie laut, du kannst mich nicht tödten.

– Ich muß, erwiederte der starre Henderson. Wohl hab' ich gerungen und gebetet, mich gesträubt und gekämpft gegen die Prüfung, welche der Herr mir auferlegt hat. Den ganzen Tag suchte ich, dem Gedanken zu entfliehen, aber der Geist ließ mir nicht Ruhe und Rast. Die Stimme Gottes befahl mir, wie sie einst Abraham geheißen, sein einziges Kind zu opfern. Wenn der Herr mir befiehlt, thu' ich nach seinem Willen.

– Der Barmherzige will solch ein Opfer nicht. Er hat Isaak geschont und den Widder für ihn genommen. Gott verlangt nicht mein Blut, er verzeiht den Schuldigen.

– Und hat er nicht seinen eigenen Sohn, unsern Erlöser, selbst zum Opfer für die Menschheit dargebracht. Denk' an ihn, der da starb für unsere Sünden, und blick' zum Kreuze empor. Bete, bete!

– Ich kann nicht, stöhnte die Unglückliche. Ich kann nicht beten, wie ich nicht sterben kann.

– So will ich es für dich thun. Vater unser!

– Vater unser! hauchte sie mit ersterbender Stimme nach.

– Der du bist im Himmel.

– Im Himmel, stöhnte Lucy.

– Dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe auf Erden, wie im Himmel. – Lucy! warum betest du nicht? fragte der Vater, welcher neben der Tochter niedergekniet war. Willst du den einzigen Rettungsanker von dir stoßen und mit all deinen Sünden beladen zur Hölle fahren?

– Unser tägliches Brod gieb uns heute, ächzte sie mechanisch.

– Und vergieb uns unsere Schuld, wie wir unsern Schuldigern vergeben.

– Unsern – Schuldigern – vergeben, stammelte sie.

– Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns vom Uebel. –

Sie betete nicht mehr, sondern sprang vom Boden auf. Jedes Wort war ja nur ein Todesbote, wie konnte sie es noch länger aussprechen. Auch der Puritaner hatte sich erhoben und murmelte nur noch den Schluß des Vaterunsers zwischen seinen Zähnen.

– Amen! rief er zuletzt mit lauter Stimme, in der Hand das Messer schwingend.

Lucy flüchtete in den äußersten Winkel der Kammer, bereit, ihr Leben gegen den Vater zu vertheidigen.

– Füge dich in dein Schicksal, rief ihr der fanatische Henderson zu. Du kannst ihm nicht entgehen.

Sie stieß einen furchtbaren Schrei aus, der die Wände erschütterte. Alles umsonst! Kein Mensch hörte sie, der alte Henderson hatte alle seine Hausbewohner entfernt, um keinen Zeugen seiner That zu haben. Er war allein mit ihr und sie in seiner Gewalt. Noch einmal raffte sie ihre ganze Kraft zusammen.

– Mörder! schrie sie ihm zu. Du bist nicht mein Vater, denn ein Vater kann nicht sein eigenes Kind tödten.

Bei diesem Ausruf, den ihr die Verzweiflung eingegeben, trat der Puritaner betroffen einen Schritt zurück und das Messer fiel aus seinen Händen. Statt es aufzuheben, stand er einige Augenblicke, in tiefes Nachsinnen Versunken. Er schien mit sich selber zu kämpfen, ehe er einen Entschluß fassen konnte. Athemlos beobachtete Lucy den Ausdruck seines Gesichts.

Eine furchtbare Pause war inzwischen eingetreten. Durch die stille Kammer schien der Todesengel unentschlossen zu schweben, ob er bleiben oder fliehen sollte.

– Sie spricht wahr, murmelte der alte Henderson. Ich habe kein Recht, sie zu tödten. Einer, der mehr Macht hat, als ich, soll ihr Richter sein und was er beschließt, will ich ausführen. –

Ohne mit Lucy noch ein Wort zu wechseln, verließ er das Zimmer, welches er sorgfältig hinter sich verschloß. Nur das Messer, welches noch immer am Boden lag, gab ihr die Gewißheit, daß sie nicht geträumt; sie wäre sonst geneigt gewesen, das ganze Ereigniß für einen Spuk ihrer erhitzten Phantasie zu halten. Sie war gerettet, aber eine Gefangene. Nach und nach erholte sie sich von dem furchtbaren Schreck und der erlittenen Angst, ihre Besinnung kehrte wieder zurück und sie zog ihre eigenthümliche Lage in Erwägung. Ihr nächster Gedanke war, zu fliehen und für immer das väterliche Haus zu verlassen, wie sie bereits früher mit ihrem Geliebten verabredet hatte. Der letzte Auftritt mit ihrem Vater machte ihrem Schwanken ein Ende, jedes Band, das sie an das väterliche Haus noch fesseln konnte, war dadurch gelöst. An Mitteln zur Flucht fehlte es ihr nicht. Sie besaß eine Strickleiter, mit deren Hülfe sie leicht ihre Kammer und das Haus verlassen konnte; jetzt zog sie dieselbe unter ihrem Kopfkissen hervor, dann raffte sie eilig einige von ihren Kleidungsstücken und ihren besten Habseligkeiten zusammen, so ausgerüstet, schickte sie sich an, für immer der Heimath Lebewohl zu sagen. Vorsichtig öffnete sie das Fenster und lauschte; Niemand ließ sich hören, der alte Henderson schien ebenfalls zur Ruhe gegangen zu sein. Mit zitternden Händen befestigte sie die schwankenden Stufen, sie waren stark genug, um die leichte Last zu tragen. Leise schwebte sie nieder, bis ihr Fuß wieder den sicheren Boden betrat. Erst als sie im Freien war, athmete sie wieder auf, sie hatte keine Zeit zur Ueberlegung, wohin sie sich zunächst wenden sollte. Wie leicht konnte nicht ihre Flucht bemerkt und ihr nachgesetzt werden; deshalb eilte sie, so schnell dies ihre Kräfte erlaubten, nach der Richtung von Ludlow-Castle hin. Dort erst glaubte sie sich unter dem Schutze des Geliebten geborgen.

Kaum eine Viertelstunde mochte sie so in größter Hast und unter fortwährender Furcht gegangen sein, als sie einem Reitertrupp begegnete. Aengstlich wollte sie ausweichen und sich in dem nahen Gebüsch verbergen, doch sie war bereits bemerkt worden.

– Beim Himmel! rief eine ihr bekannte Stimme, da ist ja unsere Puritanerin. Straf mich Gott! die hat eine Witterung, wie der beste Spürhund. Um so besser, dann brauchen wir sie nicht erst aufzusuchen und abzuholen. Nun, mein Täubchen, was hat Euch so früh aus dem warmen Nest getrieben?

– Gott Lob! daß ich Euch hier treffe, entgegnete Luch ermuthigt, ist Herr Thomas mit zugegen?

– Das will ich meinen. Da steht er ja vor Euch. Wo habt Ihr denn Eure Augen, schönes Kind?

– In der That, sagte dieser selbst, das ist eine wunderbare Fügung. Ich bin eben im Begriff, nach London abzureisen und war deinetwegen in Sorgen. Billy Green hatte den Auftrag erhalten, dich zu benachrichtigen und wo möglich gleich mitzubringen. Ich wollte mit meiner Dienerschaft solange in der nächsten Schenke warten, bis er mir Bescheid gebracht hätte; und nun kommst du selbst, als wenn du geahnt hättest, mit welcher Ungeduld ich deiner harrte. Aber so rede doch, was ist geschehen? Du siehst so bleich und scheu dich um, als fürchtetest du, verfolgt zu werden.

Hastig und mit wenigen Worten theilte Lucy dem Geliebten ihr Abenteuer mit, von Zeit zu Zeit unterbrochen durch laute Ausrufe seines Erstaunens und Schreckens.

– Zum Teufel! das hätt' ich dem alten Henderson nicht zugetraut, aber warte nur, du schurkischer Puritaner. Du wirst mir noch einmal begegnen, und dann nimm dich in acht vor mir. Armes Kind! was mußt du gelitten haben, selbst ein Mann hätte gezittert. Bebe ich doch noch beim bloßen Zuhören. Weine nicht, ich werde dich nicht verlassen. Du sollst stets einen Beschützer an mir finden.

– Nun hab' ich Niemand aus der Welt als dich, jammerte das arme Mädchen, indem es sich an die Brust des Geliebten stürmisch warf. Weder Mutter noch Vater, keinen Winkel, um mein Haupt niederzulegen.

– Sei unbesorgt, tröstete Thomas. Ich will dir Alles ersetzen. Du folgst mir sogleich.

– Bis in den Tod, wohin du willst.

Auf einen Wink des Jünglings stieg einer der Diener von seinem Pferde und bereitete aus dem vorhandenen Gepäck einen Damensattel, aus welchem Lucy bequem sitzen konnte. Thomas selbst half ihr das Roß besteigen, dann gab er das Zeichen zum Ausbruch. Zuvor jedoch rief er seinen Vertrauten, Billy Green herbei.

– Hier! sagte er, indem er ihm einige Goldstücke einhändigte, das ist dein Lohn und nun kannst du gehen, wohin du willst.

– Wie, Ihr wollt mich verabschieden? fragte der Bursche erstaunt. So haben wir nicht gewettet, edler Herr; jetzt, da Ihr das Vöglein habt, mögt Ihr von dem Vogelsteller nichts wissen. Ist das recht von Euch gehandelt?

– Du siehst, daß es mir nicht an Dienern fehlt.

– Ihr habt Tölpel, aber keine Diener. Glaubt Ihr denn, daß einer dieser rothröckigen und goldbetreßten Affen Euch nur halb soviel nutzen kann, als Billy Green, der im kleinen Finger mehr Verstand, und Grütze hat, wie alle Lakaien in England zusammengenommen? Ihr gebt mir den Abschied, aber ich nehme ihn nicht an. Seid ganz unbesorgt, ich verlange weder Lohn noch Kost von Euch, erlaubt mir nur, in Eurem Gefolge mitzureisen. Ich will und muß einmal London sehen. Das hab' ich mir eingebildet und davon soll kein Mensch mich abbringen. Auf dem Lande behagt es mir nicht länger, vielleicht glückt es mir in der Stadt. Unter die Bauerntölpel taug ich nicht mehr, am Hofe ist mein Platz, das fühl' ich ganz klar und deutlich. Da hat schon mancher Spitzbube und Schalk, wie ich, mit weit weniger Geist sein Glück gemacht.

Endlich gab Thomas den dringenden Bitten des Burschen nach, der auch die schöne Lucy für sich zu gewinnen wußte.

– Juchhe! jubelte Billy Green, nun geht es nach London, an den Hof, fort in die weite Welt.


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