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7.

Eine dunkle Ahnung überschlich die Seele des Protectors. Tiefe Stille herrschte in dem Kabinet, die Niemand zu unterbrechen wagte. Von den verschiedensten Gefühlen bestürmt, standen die drei Menschen einander gegenüber. Erst nach einer längeren Pause trat Cromwell auf den Puritaner zu.

– Rede! wer ist jenes Weib? fragte er gebieterisch.

Dabei blickte er den Puritaner mit jenen durchdringenden Augen an, deren dämonischer Gewalt nur Wenige sich zu erwehren vermochten. Auch Henderson konnte sich dem Zauber nicht entziehen, und verrieth, gegen seine ursprüngliche Absicht, die Wahrheit.

– Du willst es wissen, sagte er trotzig mit finsterem Lächeln, so erfahre denn, jenes Weib ist – deine Tochter.

– Tochter! wiederholte Cromwell, und bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen.

Als er wieder aufblickte, war die Röthe von seinen Wangen geschwunden, und sein ganzer Körper zitterte.

– Du lügst! schrie er laut. Ich weiß, daß ich dir weh gethan habe, und nun willst du dich rächen.

– Ich habe nie gelogen, entgegnete der Puritaner. Ich rede auch jetzt die Wahrheit, obgleich ich es anders mit dir vorhatte.

– Du wolltest mich mein Kind tödten lassen? fragte Cromwell, der die Absichten des Fanatikers errieth. Und dann wärest du vor mich hingetreten und hättest mich ein Mörder geheißen.

Henderson antwortete nicht, sondern begnügte sich nur, mit dem Kopfe zu nicken. Lucy war zu den Füßen des Vaters hingesunken, den sie hier so unvermuthet fand.

– Vergib mir, stöhnte sie, aber ich wußte nicht, daß Oliver Cromwell mein Vater sei.

– Dich trifft keine Schuld, entgegnete er tief erschüttert; nur mich allein. Du bist nur ein Werkzeug in der Hand des Herrn, der jetzt die Sünden meiner Jugend straft. Ich verzeihe dir.

– Und mein Gatte?

– Dein Gatte? fragte er zweifelnd. Ich habe ihn stets für deinen Verführer gehalten, und darum gehaßt.

Er hat sein Unrecht eingesehen und mir die Ehre wiedergegeben. Wir sind durch die Hand des Priesters vereint. Ohne ihn vermag ich nicht zu leben.

– Ich schenke dir sein Leben, obgleich er den Tod hinreichend verdient hat; doch nur unter einer einzigen Bedingung.

– Ich will jede eingehen, die ihn retten kann; sei sie noch so hart.

– Du wirst ein ewiges Stillschweigen vor ihm und aller Welt bewahren, und zugleich mit ihm England sogleich verlassen. Henderson wird Euch begleiten, und ebenfalls mir geloben, nie zurückzukehren.

– Ich werde gehen, nicht weil du mir befiehlst, sondern weil der Geist mich treibt. Das Reich der Heiligen ist noch nicht gekommen, darum will ich meine Lenden gürten und den Staub von meinen Füßen schütteln. Zwischen dir und mir kann keine Gemeinschaft mehr bestehen, denn du bist abgefallen von dem Herrn und hast seine Sache verrathen. Darum wird er sich abwenden von dir und deinem Hause, weil du ihm ein Greuel geworden bist.

Cromwell war diese Sprache längst gewohnt, darum zürnte er dem Puritaner nicht, und ließ ihn ruhig scheiden.

Noch an demselben Tage erhielt der bereits zum Tode verurtheilte Thomas seine Begnadigung. Das Gefängniß und die Nähe des Grabes hatten einen wohlthätigen Einfluß auf den leichtsinnigen Mann ausgeübt; die Aufopferung seines Weibes, ihre Treue und Zärtlichkeit ihn vollkommen umgestimmt. An ihrer Hand verließ er England auf längere Zeit, wohin er erst nach dem Tode des Protectors zurückkehrte. Von Zeit zu Zeit erhielt Lucy von geheimnißvoller Hand bedeutende Summen zugeschickt, welche vollkommen zu ihrem Lebensunterhalte ausreichten. Dies war das einzige Lebenszeichen, das sie von ihrem Vater empfing. Das Geheimniß ihrer Geburt bewahrte sie treu, wie sie ihm gelobt, und erst nach seinem Ableben entdeckte sie es ihrem Gatten. –

Die Flugschrift, welche den Oberst Serby zum Verfasser hatte, war nur der Vorläufer neuer und gefährlicher Verschwörungen, welche in allen Theilen Englands gegen den Protector jetzt ausbrachen. Karl der Zweite hatte mit den Unzufriedenen aller Parteien, selbst mit den Republikanern Verbindungen angeknüpft und beabsichtigte eine neue Landung in England. Levellers und Cavaliere, ehemalige Mitglieder des Parlaments und Offiziere der Armee, die widerstrebendsten Elemente hatten sich vereinigt, um ihren gemeinschaftlichen Feind zu stürzen. Sogar in London und unter den Augen Cromwell's trieben die Verschwörer ihre Kühnheit so weit, daß sie den Tag und die Stunde bestimmten, wo sie die vornehmsten Posten der City besetzen, den Lord-Major festnehmen, den Tower in Brand stecken und während der allgemeinen Verwirrung sich der Person des Protectors bemächtigen wollten. Dieser verdoppelte indeß seine Wachsamkeit und die Thätigkeit seiner Spione, die er überall, selbst in der Umgebung und unter den Vertrauten Karl des Zweiten besoldete. Sobald er die nöthigen Beweise in der Hand hatte, handelte er mit gewohnter Umsicht und Energie. Am Morgen des zur Ausführung festgesetzten Tages, in demselben Augenblick, wo die Verschworenen sich in der Stadt verbreiteten, um sich auf ihre Posten zu begeben, wurden die Führer plötzlich verhaftet; alle Wachen verdoppelt. Oberst Birkstead, der Lieutenant des Towers, marschirte mit einer starken Truppenabtheilung und fünf Geschützen mitten durch die City und nahm gegen vierzig Verschworene und eben so viele Lehrjungen gefangen. Unter ihnen befanden sich Sir Henry Slingsby, ein Onkel des Lord Faulconbridge, der Lady Mary Cromwell geheirathet hatte und Doktor Hewet, ein Geistlicher der bischöflichen Kirche und von Lady Claypole hoch geachtet und verehrt. Beide Frauen machten die größten Anstrengungen, die zum Tode Verurtheilten zu retten. Umsonst verschwendete die Lieblingstochter des Protectors ihre Bitten und Thränen, diesmal blieb derselbe ungerührt; er wollte seine Feinde einschüchtern und zeigte deshalb eine Strenge, die er sonst nicht immer walten ließ. Cromwell liebte seine Tochter sehr, aber seine rauhe Natur hatte keine Ahnung von dem tiefen Schmerz dieser edlen Frau. Sie litt unaussprechlich und ihr schwacher Körper begann zu verfallen.

Für den Augenblick hatte er sein Ziel erreicht; die Furcht hielt den Haß im Zaume, aber er selbst und seine Ruhe war das Opfer dieses Sieges. Ueberall sah er sich von Feinden umringt, welche sein Leben bedrohten; er trug von nun an ein verborgenes Panzerhemd, um sich vor den Dolchstößen der Mörder zu schützen; so oft er den Palast verließ, begleiteten ihn mehrere vertraute Personen in seinem Wagen. In Withehall hatte er mehrere Schlafzimmer mit geheimen Thüren, nie schlief er in einem und demselben zwei Nächte hintereinander. Die fortwährende Aufregung war wohl im Stande, selbst seine eiserne Gesundheit aufzureiben. – An ihm und seiner Familie schien jetzt der Fluch des alten Henderson in Erfüllung zu gehen. Seine geliebte Tochter, Lady Claypole, erkrankte; er hatte sie nach Hampton-Court geschickt, damit die Landluft und vollkommene Stille sie herstellte. Als sich ihre Leiden verschlimmerten, zog er selbst zu ihr und bewachte sie mit der zärtlichsten Sorgfalt. Sein Arm, vor dem die Welt gezittert, diente jetzt einer schwachen Frau zur Stütze, und von ihrem Krankenzimmer aus regierte er drei Königreiche.

– Armes, armes Kind! seufzte er erschüttert, wenn sie litt. Für dein Leben geb' ich meine Macht, Alles, Alles, was ich besitze hin.

Sie lächelte mit jenem schwachen, aber bezaubernden Lächeln, das der edlen Frau zu Gebote stand, und verleugnete mit der Aufopferung eines Engels ihre vernichtenden Schmerzen.

– Es geht besser, viel besser, flüsterte sie mit sanfter Stimme, während die Blässe ihrer Wangen und der erloschene Glanz ihrer Augen ihre Worte Lügen strafte.

In solchen Stunden erhob sich die Seele des gewaltigen Mannes hoch über die Nebel des Ehrgeizes und der Selbstsucht, von welchen sie umdüstert war und aus dem irdischen Rauche brach die heilige Flamme seiner ursprünglich religiösen Natur klar und geläutert hervor.

– Der Herr wird mich nicht verlassen, sagte er, und mir nicht das Liebste nehmen, was ich auf Erden besitze. Er hat mich hoch erhoben, mich zu seinem Werkzeug auserwählt; was ich that, geschah durch und für ihn. Ich habe den blutigen Bürgerkrieg mit seiner Hülfe beendet, England wieder groß gemacht, unsere protestantischen Brüder beschützt und unsern Glauben vertheidigt. Er wird seinen Diener nicht fallen lassen und sein Werkzeug nicht verstoßen. Doch sein Wille geschehe und nicht der meinige. Wenn er aber mir gnädig ist, so will ich seinen Namen verherrlichen, die Wunden dieses Landes heilen, Gerechtigkeit üben und mein ganzes übriges Leben seinem Dienste und dem Heile meines Volkes weihen. Ich fühle, daß mein Tagewerk noch nicht beendet, daß ich noch zu größeren Dingen berufen bin.

Stunden lang lag er so auf seinen Knieen im heißen Gebet für die Genesung seiner Tochter, aber der Himmel erhörte ihn nicht. Lady Claypole erlag endlich ihren Leiden und entschlummerte in seinen Armen. Der Protector fand einen melancholischen Genuß darin, den Sarg der Tochter mit königlichem Pompe zu umgeben. Ihre geschmückte Leiche wurde in Westminsterhall ausgestellt und in einer besonderen Gruft unter den Gräbern der Könige bestattet. –

Seit diesem Todesfall versank der Protector in die tiefste Schwermuth. Seine Gesundheit begann zu wanken und bald konnte er das Bett nicht mehr verlassen. Die Aerzte hielten seinen Zustand für bedenklich, er selbst aber konnte nicht an die Möglichkeit und die Nähe des Todes denken. Noch hatte er so viel hienieden zu thun und sein irdisches Tagewerk schien noch nicht für ihn beendet.

– Warum macht Ihr ein so betrübtes Gesicht? fragte er den Doktor, der an seinem Bette stand.

– Wie kann ich heiter aussehen, da ich die Verantwortlichkeit für das Leben Seiner Hoheit habe?

– Ihr Aerzte glaubt, daß ich sterben werde, entgegnete Cromwell, indem er die Hand seiner Gattin ergriff, welche neben ihm saß. Ich aber sage dir, ich werde nicht an dieser Krankheit sterben; ich weiß es gewiß.

Da er bemerkte, daß die Aerzte sich über seine Worte wunderten, setzte er hinzu:

– Glaubt nicht, daß ich von Sinnen bin; ich sage Euch die Wahrheit; ich habe einen besseren Gewährsmann dafür, als Galen und Hippokrates sind. Gott selbst hat uns diese Antwort auf unsere Gebete gegeben; nicht mir allein, sondern auch Anderen, die viel vertrauteren Umgang mit ihm haben, als ich. Faßt daher Muth; verjagt den Kummer und behandelt mich, als wenn ich ein bloßer Dienstbote wäre. Ihr könnt viel mit Eurer Wissenschaft thun, aber die Natur kann mehr ausrichten, als alle Aerzte der Welt und Gott ist mächtiger, als die Natur.

Diesen festen Glauben theilten auch alle Freunde und Anhänger des Protectors. Nicht nur in Withehall, sondern in allen Kirchen Londons stiegen ihre Gebete für die Genesung desselben zum Himmel empor, aber selbst seine Gegner waren von Angst und Furcht bei dem Gedanken an seinen Tod und die darauf folgende Verwirrung erfüllt. Bis jetzt hatte Cromwell noch keine Bestimmung wegen seines Nachfolgers getroffen und seine Umgebung war deshalb in keiner geringen Verlegenheit, da selbst Thurloe aus mannigfachen Gründen zögerte, die Bestimmungen des Protectors in dieser Beziehung einzuholen. Er selbst nahm, se mehr seine Krankheit sich verschlimmerte, wenig oder gar keinen Antheil mehr an den irdischen Angelegenheiten. Seine Seele wandte sich nur ausschließlich dem Himmel zu, sie zog sich in sich selbst zurück und beschäftigte sich mit anderen Fragen und Räthseln, als diejenigen, welche die um sein Bett Trauernden erfüllten. Vor den Pforten der Ewigkeit, welche sich jetzt vor ihm aufthaten, erfaßte ihn ein tiefer Schauer. Um sein Bett saßen seine Capläne, die ihn von nun an nicht mehr verließen, mit ihnen betete er abwechselnd, oder er unterhielt sich über Gegenstände des Glaubens.

– Sagt mir, frug er, aus tiefem Nachsinnen auffahrend, ist es denn möglich, aus der Gnade Gottes zu fallen, wenn man dieselbe einmal nur besessen hat.

– Das ist nicht möglich, antwortete Godwin, einer der Geistlichen.

– In diesem Fall bin ich ruhig, sagte Cromwell, denn ich weiß, daß ich einmal in dem Fall gewesen bin.

Er drehte sich um und fing laut zu beten an.

– Herr! ich bin ein elendes Geschöpf; du hast aus mir Unwürdigen ein Werkzeug zu deinen Diensten gemacht; diese Nation wünscht, daß ich lebe; sie glaubt, es sei besser für sie und Alles würde sich zu deinem Ruhme wenden. Andere wünschen, daß ich sterbe. Herr! verzeihe ihnen und wie du über mich verfügen magst, gebe ihnen deinen Segen, schenke ihnen Ruhe und mir auch, um der Liebe Jesu Christi willen, dem, so wie dir und dem heiligen Geiste, Ruhm in alle Ewigkeit sei. Amen!

Nachdem er dies fromme Gebet gesprochen, verfiel er in einen Zustand von Betäubung, der bis zum Abend dauerte. Als die Nacht anbrach, gerieth er in heftige Aufregung; er sprach halb laut und abgebrochen und stockte mitten in den Sätzen und Worten:

– Fürwahr, Gott ist gut; er wird mich nicht – Gott ist gut – ich möchte für den Dienst Gottes und seines Volkes leben, aber mein Werk ist vollbracht; Gott wird weiter mit seinem Volke sein.

Man bot ihm zu trinken an und bat ihn zu schlafen.

– Ich mag nicht trinken, sagte er, noch schlafen, ich denke nur daran, mich zu beeilen, denn ich muß bald abreisen.

Thurloe, der nicht von seiner Seite wich, und die Mitglieder seiner Familie hielten es für unumgänglich nothwendig, ihn an die Ernennung seines Nachfolgers zu erinnern. Er nannte den Namen seines Sohnes Richard mit schwacher Stimme. – In der Nacht wüthete ein furchtbarer Sturm und richtete einen großen Schaden auf dem Meere und zu Lande an. Der Morgen brach an, es war der Jahrestag seiner Siege bei Dunbar und Worcester, aber Cromwell hatte bereits das Bewußtsein verloren.

Zwischen drei und vier Uhr Nachmittags stieß er einen tiefen Seufzer aus; die Umstehenden traten an sein Bett und fanden ihn verschieden. –

Tiefe Stille herrschte in dem Todtenzimmer, nur durch das Schluchzen und Weinen der Familie und einiger treuer Diener unterbrochen.

– Weinet nicht, rief Godwin, Ihr habt mehr Ursache, zu frohlocken. Er war Euer Protector hier, er wird Euch ein viel mächtigerer Protector sein, jetzt, wo er mit Christus zur Rechten des Vaters sitzt.


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