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3.

Unterdeß wartete Alice von Stunde zu Stunde auf die Wiederkunft des Bruders. Sein plötzliches Verschwinden versetzte sie anfänglich nur in geringe Unruhe, da sie seine rasche Art und Weise hinlänglich schon kannte. Auch glaubte sie, daß er nicht weit gegangen sei und schon im nächsten Augenblick zurückkommen würde. Erst als er über die Gebühr ausblieb, regte sich ihre Besorgniß. Sie besaß so viel Muth, als irgend ein Weib in einer ähnlichen Lage haben konnte und darum gelang es ihr auch, die aufsteigenden Befürchtungen wieder zu bekämpfen. Sie suchte und fand bald eine Beschäftigung, welche ihre müßigen Gedanken ablenkten. An dem Rande der Schlucht hatte sie einige Blumen, Vergißmeinnicht und Tausendschön, entdeckt. Diese beschloß sie zu pflücken und daraus einen Kranz zu winden. Schnell machte sie sich an's Werk und in kurzer Zeit war die Arbeit beendet. Mit einer gewissen kindlichen Freude setzte sie den zierlichen Kranz auf das blonde Haupt, nachdem sie das beschwerliche Barett entfernt hatte. Aber noch immer war Thomas nicht zurückgekehrt und von Neuem überließ sie sich ihrer Angst, doch versuchte sie derselben dadurch Herrin zu werden, daß sie selber über ihre Furcht im Ställen spottete und an andere, angenehmere Gegenstände dachte. Zunächst erinnerte sie sich der in dem geistlichen Hause ihrer Anverwandten so schön durchlebten Stunden. Das Schloß ihrer Tante, der Gräfin Derby, war von jeher der Sammelplatz des hohen Abels und der benachbarten Gentry gewesen. In den hohen alterthümlichen Hallen desselben herrschte eine seine Geselligkeit und ein gebildet heiterer Ton. Dort hatte Alice Frauen und auch Männer von hervorragendem Geiste und anmuthigen Sitten kennen gelernt und unter den Letzteren besonders so manchen Bewunderer ihrer jugendlich aufblühenden Reize gefunden. Wenn auch keiner von diesen einen tieferen Eindruck auf ihr unschuldiges Herz zurückgelassen hatte, so war sie selbst doch nicht ganz unempfindlich für die ihr geschenkte Aufmerksamkeit und die Huldigungen geblieben. Mit weiblicher, aber gewiß verzeihlicher Eitelkeit verweilte sie jetzt im Geiste am längsten bei denen, von welchen sie auf diese Weise bevorzugt worden war. Bald gaukelte vor ihrer einmal geweckten Phantasie das Bild jenes bereits erwähnten Edelmanns aus Wales, bald das ausdrucksvolle Gesicht des schon damals durch seine Sonderbarkeiten wie durch seine Gelehrsamkeit berühmten Kenelm Digby, eines Anverwandten der Derby's, welcher eine Tochter des edlen Hauses, die schöne und excentrische Lady Venezia Stanley entführt, später geheirathet und nach kurzem Besitze wieder durch den Tod verloren hatte. Die verschiedenen Gerüchte, welche Alice über den bedeutenden Mann vernommen, waren allein schon dazu angethan, eine lebhafte Theilnahme für ihn und sein wunderliches Treiben zu erregen. Außerdem umgab noch seine ganze Erscheinung der Schleier des Geheimnißvollen, wohl geeignet die leicht entzündete Phantasie der Frauen zu reizen und ihr Herz zu interessiren.

Noch ein Dritter gesellte sich hinzu, ein bescheidener Dichter, Namens Johannes Milton, mit zarten, fast mädchenhaften Zügen voll geistiger Schönheit. Nur im Augenblicke der Begeisterung ließ dieser die ihm angeborene Schüchternheit schwinden und entfaltete dann eine Fülle von hohen und hinreißenden Gedanken, welche den Zuhörer um so mehr überraschen mußten, je weniger er solche Vorzüge vorher geahnt. Es war aber Alicen nicht entgangen, daß sein braunes, schwärmerisches Auge ihr folgte, sooft dies unbemerkt geschehen konnte. Sie selbst war außerdem Zeugin des Triumphs gewesen, den sein poetisches Talent gefeiert hatte. Bei dem Feste in dem Hause ihrer Tante wurde ein anmuthiges Schäferspiel, die »Arkadier« benannt, und von Milton gedichtet, zur Ausführung gebracht und mit vielem Beifall unter den lebhaftesten Zeichen allgemeiner Anerkennung ausgenommen. Nur Herr Kenelm Digby schien den Beifall der Menge nicht zu theilen; um so mehr aber war Alice von den melodischen Versen und dem poetischen Inhalt derselben entzückt. Sie hielt sich sogar verpflichtet, dem Dichter ihre Freude darüber auszudrücken und hatte durch ihr ungeheucheltes Lob die Röthe der Bescheidenheit auf seine von nächtigem Fleiße gebleichten Wangen hervorgerufen. Doch mochte die Bescheidenheit allein nicht sein Erröthen verschuldet haben, sondern weit mehr noch eine aufkeimende Neigung für das holdes Mädchen. Wie die Dichter aller Zeiten besaß auch der junge Milton ein empfängliches Herz für die Macht der Liebe. Ob die reizende Alice diese Leidenschaft bemerkt, oder gar schon getheilt habe, wagen wir um so weniger zu entscheiden, da sie, selbst noch völlig unklar über ihre eigenen Empfindungen der verschlossenen Knospe glich, weit mehr von Ahnungen und dunklen Empfindungen als von bestimmten Wünschen und Gedanken erfüllt.

All diese Erinnerungen nahmen keine feste Gestalt und Form an; sie schwankten wie Nebelbilder, gleich flüchtigen Schatten vor der Seele des Mädchens vorüber. Dieses Träumen mit offenen Augen, eine keineswegs ungewöhnliche Erscheinung in dem hoffnungsreichen Alter von siebzehn Jahren, ging bald in einen wirklichen, sanften Schlummer über. Der weite Weg und der lange, ungewohnte Aufenthalt in der freien Luft hatten Alice müde gemacht. Dazu kam noch die sie umgehende Ruhe, höchstens durch das einförmige Rauschen des Windes in den Wipfeln der Bäume oder durch den monotonen Gesang eines Vogels unterbrochen, der sich in diese melancholische Wildniß verirrt hatte. Vergebens sträubte sie sich gegen die Macht des Schlafes, allmälig schlossen sich die schönen Augen und der blonde Lockenkopf sank auf den weichen Nasen nieder. Bilder und Gedanken verwirrten sich und zerflossen wie leichtes Gewölk, aus denen der phantastische Gott des Traumes allerhand wunderliche Gestalten formte. Wie das Echo den wirklichen Ton, so hallten diese zerrinnenden Bilder die eigenen Erlebnisse der jüngsten Vergangenheit wieder. Vor den geschlossenen Augen des Mädchens gaukelten die hohen Hallen des Derby-Schlosses mit seinen Zinnen und Thürmen im Abendrothe leuchtend. Die Sonnengluth verwandelte sich in zuckende Flammen, welche ihr Gewand ergriffen und sie zu verbrennen drohten. Schon glaubte sie sich unrettbar verloren, da schwebte eine himmlische Gestalt zu ihr hernieder, welche die bekannten Züge Milton's trug. Mit starkem Arm hob er sie empor aus den brennenden Trümmern, immer höher sich mit ihr über den Rauch und die züngelnde Lohe emporschwingend, von mächtigen Silberschwingen getragen, die aus seinen Schultern wuchsen. Erst auf einem goldenen Sterne ruhte er aus mit seiner süßen Last; dort empfing sie ein heiliger Gesang, Chöre von Engel stimmten Lieder an, wie sie nie zuvor dergleichen süße Töne vernommen. Auch ihr Retter ergriff eine Harfe, welche an einer goldenen Säule hing und seinen Lippen entströmte die wunderbarste Melodie. Immer höher wuchs der Sänger, seine ganze Gestalt leuchtete im verklärten Licht und die Saiten der Harfe verwandelten sich in strahlende Ströme, die vom Himmel zur Erde rauschten. Seine Worte wurden zu Gestalten und nahmen bald menschliche, bald überirdische Formen an. Ein Mann und eine Frau von wundersamer Schönheit standen unter einem Baum mit lockenden Früchten prangend. Um den Stamm desselben ringelte sich die Schlange, deren Kopf die Züge des berühmten Kenelm Digby's trug. Da nahte sich der bescheidene Carbury und zog sein Schwert, mit einem wuchtigen Hiebe trennte er das Haupt von dem Rumpfe der Schlange, aber aus den Blutstropfen schossen unzählige höllische Geister empor, welche mit frechen Sprüngen und höhnischem Gelächter das träumende Mädchen umsprangen und ängstigten.

Immer lauter ertönte das Lachen der Dämonen und dazwischen glaubte sie den Schall einer wilden Musik zu vernehmen. Verwundert schlug Alice die Augen auf, aber sie vermeinte, noch fort zu träumen, denn die Spuckgestalten, die sie im Schlaf gesehn, umgaben ihr Lager. Es war ein Trupp wilder, verwegener Gesellen in allerlei phantastischen Anzügen. An der Spitze des Zuges befand sich eine Bande seltsam herausgeputzter Musikanten, welche mit ihren Instrumenten einen Höllenspektakel verursachten. Einige derselben waren als Mohren herausstaffirt und hatten ihre Gesichter geschwärzt. In den Händen hielten sie kleine Trommeln, Tambourines und schallende Becken, die sie aneinander schlugen. Andere gingen mit einem Thierfell bekleidet und hatten sich dicke Kränze von jungem Eichenlaub und immergrünem Epheu auf das struppige Haupt gesetzt; sie spielten auf der Schalmei oder bliesen auf schreienden Pfeifen bekannte Gassenlieder.

Je länger Alice diese seltsame Gestalten anstarrte, desto schneller kehrte ihr Bewußtsein wieder. Bald schwand die Furcht vor den Dämonen um einer noch größeren Angst Platz zu machen. Sie befand sich, wie sie sogleich belehrt wurde, einer ausgelassenen, berauschten Horde sogenannter Mai- oder Mohrentänzer gegenüber, welche von irgend einem ländlichen Feste heimkehrten und in deren Hände sie ohne männlichen Schutz gefallen war. Meist bestand die Bande aus jungen Burschen vom Lande, die einem einsamen Mädchen gegenüber wenig oder gar keine Rücksicht nahmen. An Flucht war nicht zu denken und so ergab sich Alice in ihr Geschick, entschlossen jede rohe Annäherung des Haufens durch ihr festes Benehmen und durch Nennung ihres Namens und Standes abzuwehren.

Die Bande hatte die einsame Schläferin unter den Bäumen überfallen und mit ihrem Getöse geweckt. Erschrocken war Alice emporgesprungen, mit gerötheten Wangen und klopfendem Herzen erwartete sie den Ausgang des ihr gefahrdrohenden Abenteuers. Sie trug noch den Kranz von Vergißmeinnicht in den blonden Haaren, die während ihres Schlummers sich leicht gelöst und in goldenen Locken um die Stirn und den weißen Nacken wallten. Ein grünes Jagdkleid umschloß ihre schlanke, Elfen ähnliche Gestalt und von ihren Schultern flatterte ein gleichfarbiges, kurzes Seidenmäntelchen im Winde. Sie hatte in der Eile die biegsame Reitgerte aufgehoben, die einzige Waffe, welche ihr zur Vertheidigung dienen konnte. Auf dem Boden lag das Barett mit der wehenden Feder und in der Nähe graste ihr weißer Zelter und das Pferd des abwesenden Bruders.

Mochte es die seltene Schönheit des Mädchens sein, welche an die Erscheinungen der Feenwelt erinnerte, oder der Ausdruck von Unschuld und adliger Würde in den Zügen Alicens; der rohe Haufe schien anfänglich zu stutzen und hielt sich in ehrerbietiger Entfernung, die Augen an dem köstlichen Anblick weidend, der sich ihm so unerwartet darbot; Selbst der gemeine Sinn fühlt in solchen Momenten die Heiligkeit und Weihe, die ein schuldloses Mädchenhaupt wie eine schützende Glorie umgiebt und die Macht der wahren Schönheit ist so groß, daß sie gleich einer Offenbarung von Oben auch den gewöhnlichen Menschen überkommt und jede irdische Begierde zum Schweigen bringt. Ein beifälliges Gemurmel begrüßte die Holde.

Beim heiligen Georg, rief einer der Tänzer, dort steht das Waldfräulein, die Fee von Haywood-Forst.

Ich will sie anreden, sagte ein Anderer.

Thu' es nicht. Du siehst ja, daß sie den Zauberstab in den Händen hält. Wenn du sie böse machst, verwandelt sie dich in einen Esel.

Und dich in ein Schaaf.

Laßt mich nur machen, schrie jetzt ein stämmiger Bursche, welcher der Führer der Bande zu sein schien. Ich werde mit der Schönen im Walde ein vertrautes Wörtlein reden und ich wette einen Rosenoble drum, daß sie mich darum nicht gleich behexen wird. Ihr wißt nicht, wie man mit Geistern und Elfen sprechen muß.

Ja Billy versteht's, rief der erste Sprecher, seine Großmutter ist selbst eine alte Hexe gewesen und von der hat er's gelernt.

Und deine Großmutter ist des Teufel's Cousine. Also aufgepaßt und seht, wie ich es mache.

Mit allerlei seltsamen Sprüngen und komischen Reverenzen trat der ausgelassene Bursche jetzt vor Alice heran. Er mochte vielleicht sein vier und zwanzigstes Jahr überschritten haben; seine Gestalt war kurz und gedrungen; in dem pfiffigen Gesicht funkelten zwei schwarze überaus pfiffige Augen. Seine rothe Nase deutete auf eine genaue Bekanntschaft mit der Flasche und die wohlgenährten, vollen Backen, so wie das feiste Bäuchlein verriethen den reinen oder vielmehr unreinen Genußmenschen. Die niedrige Stirne und das struppige Haar waren mit einer grünen Kappe bedeckt, welche schief aus dem Kopfe saß und von der eine Pfauenfeder lang herunterschwankte. Das kurze Wamms, welches er trug, war in der Mitte durch einen breiten Ledergürtel befestigt, in welchem statt des Schwertes, ein großer Suppenlöffel hing. Den dicken Hals, und die breite Brust bedeckte ein kurzer Mantelkragen mit Lämmerschwänzen statt des fürstlichen Hermelins besetzt und außerdem über und über mit Schellen und Glöckchen benäht, welche bei jedem Schritte lustig klangen. In den Händen hielt er eine halb geleerte Flasche und einen braunen Stab, an dessen Griff ein Narrenkopf roh in Holz geschnitzt zu sehen war.

Diese wunderliche Figur ruhte zum Ueberfluß auf zwei krummen Säbelbeinen, um welche die weißen Socken lose schlotterten, die prallen, schwarz behaarten Waden nur zum Theil bedeckend.

Dieser Geselle näherte sich jetzt der durch seinen Anblick keineswegs beruhigten Alice. Seinen breiten, mit einer Reihe weißer, scharfer Zähne besetzten Mund zu einem grinsenden Lachen verziehend, begrüßte er sie mit übertriebener und dadurch komischer Höflichkeit.

Schönste aller Feen, redete er sie an, verzeihe, wenn ich mich erdreiste, dir zu nahen, aber es wäre unartig, wenn ich einer solch ausbündigen Schönheit nicht meine Huldigungen darbrächte. Erlaube daher, daß ich zuvor aus dieser Flasche dein Wohlsein trinke und dir sie dann hinreiche, damit du deßgleichen thust.

Mit diesen Worten setzte er die Flasche an seine wulstige Lippen und that einen gehörigen Zug daraus, den Rest Alicen übergebend.

Diese stieß indeß mit allen Zeichen des Abscheu's seine plumpe Hand zurück, so daß die Flasche zu Boden fiel und klirrend zerbrach.

Ha, ha! rief der aufgebrachte Geselle. Ihr thut stolz und wollt nicht mit mir trinken. Wißt Ihr auch, mein schönes Schätzchen, meine hochnäsige Prinzessin, wen Ihr beleidigt habt? Ich bin mindestens so viel und noch mehr als Ihr. In meiner Person seht Ihr den König aller Narren, den Fürsten der Thorheit, den Beherrscher aller lustigen Leute, den Gott des Scherzes. Reißt nur immer eure Guckäuglein auf, und so sehr Ihr auch Euer hochgetragenes Näschen rümpfen und Eure Kirschenlippen verziehen mögt, ihr sollt bald aus einem andern Tone pfeifen, wenn Ihr erst meinen Namen, Rang und Titel gehört haben werdet; denn keine geringere Person steht vor Euch, als Komus, der Gott der Laune und des Humors, dessen Regiment ganz England anerkennt. Also laßt Euch herab und thut mir jetzt Bescheid.

Auf einen Wink des Burschen wurde eine andere Flasche herbeigebracht und dem Mädchen hingereicht. Um den Erzürnten nicht noch mehr zu reizen, entschloß sich Alice mit Widerstreben und setzte, sich leicht verneigend, das Glas an ihre Lippen.

So ist es recht, sagte der improvisirte Gott. Ich sehe, daß Ihr fügsam seid und wir werden hoffentlich ganz gut mit einander auskommen. Schon längst ging ich mit der Absicht um, mein bisheriges Junggesellenleben aufzugeben und mich standesgemäß zu vermählen. Eure holde Erscheinung hat mein Herz in Flammen gesetzt, und ich fühle, wie meine Liebe zu Euch mit jeder Minute wächst. Schönste Gloriana, Holdeste der Feen! reiche mir deine seidenweiche, weiße Hand zum ewigen Bunde. Ich erhebe dich auf meinen Thron und von Stunde an sollst du meine Krone theilen und die Beherrscherin des ganzen Narrenreiches sein.

Die Lage Alicen's wurde immer peinlicher; sie wußte nicht, was sie antworten und wie sie sich unter den gegebenen Verhältnissen benehmen sollte. Nach kurzer Ueberlegung hielt sie es am gerathensten, in den scherzhaften Ton ihrer Umgebung mit einzustimmen und in derselben Weise zu verkehren. Der Bursche verrieth überdieß bei aller Plumpheit und Zudringlichkeit einen nicht gewöhnlichen Witz und eine schalkhafte Gutmüthigkeit, welche ihr einigermaßen Vertrauen einflößte. Sie suchte ihn daher durch einige Nachgiebigkeit zu gewinnen, statt durch übel angebrachten Trotz seinen Zorn zu reizen. Vor allen Dingen lag ihr daran, Zeit zu gewinnen, da sie in jedem Augenblicke die Rückkehr ihrer abwesenden Brüder erwarten durfte. Alle diese Gründe bestimmten sie, ein freundliches Benehmen zu beobachten und dem unangenehmen Abenteuer eine scherzhafte Wendung zu geben. In diesem Sinne lautete ihre Antwort.

Verehrter und großmächtiger Komus! sagte sie mit einem erzwungenen Lächeln. Euer Antrag kommt mir so überraschend, daß ich wirklich darüber in Verlegenheit gerathe. Euere Macht und Euer Ansehen sind mir wohlbekannt. Denn ganz England weiß, daß Ihr einer der mächtigsten unter den Göttern seid. Euer Reich ist gewiß das größte auf der Welt, weil es auf denselben nie an Narren und Thoren fehlt und fehlen wird. Der Ruf Eurer Thaten ist bis zu meinen Ohren gedrungen und ich habe oft genug von Euch und Eurem glänzenden Hofstaat gehört, den Ihr an verschiedenen Orten dieser Insel und besonders im Oakley Park haltet. Ich preise mich darum glücklich, daß der Zufall mir vergönnt hat, Euch und Eure Pairs von Angesicht zu Angesicht zu sehen, wobei ich mich überzeugen konnte, daß der Ruf Eurer feinen Sitten, Eurer Artigkeit und Eures Witzes keineswegs erlogen ist. Was aber Euren ehrenvollen Antrag betrifft, so muß ich gestehen, daß ich mich zu niedrig halte, den Thron eines so mächtigen Herrschers zu theilen und an der Seite eines Gottes zu leben. Ich bin keine Fee und am allerwenigsten jene berühmte Gloriana, welche der unsterbliche Dichter Spencer in seinem Gedichte verherrlicht bat. Diesen Irrthum muß ich Euch benehmen. Meine Eltern sind nur arme Sterbliche und ich selbst ein schlichtes Mädchen, keineswegs würdig, die Gemahlin eines so mächtigen Geistes zu werden.

Haltet ein! rief der Bursche mit verzücktem Grinsen. Eure Worte dienen nur dazu, Oel in meine Liebesgluth zu gießen. Mögt Ihr auch sein, wer Ihr wollt, die Fee dieser Wälder oder das Kind eines rußigen Köhlers. Eure Schönheit und Euer Geist haben mich dermaßen bezaubert, daß ich nimmermehr von Euch lassen kann. Ihr sollt die Königin der Narren sein und sogleich die Huldigung der Pairs und meiner übrigen Unterthanen empfangen. Auf die Kniee, Schelme, Schlingel und Narren. Ruft mit mir: Es lebe Eure Königin.

Es lebe unsere Königin, es lebe der große Komus, brüllte der Chor der lustigen Burschen.

Zugleich erhob die Musik von Neuem einen Höllenlärm. Die Trommeln rasselten, die Pfeifer quickten und die ganze Bande drückte ihre Freude und Zustimmung zu der getroffenen Wahl durch die tollsten Sprünge und ein die Luft erschütterndes Geschrei aus.

Auf! und bringt den Thron herbei, befahl das Oberhaupt, welchem die Uebrigen freiwillig Gehorsam leisteten.

Sogleich rüsteten einige Burschen aus schnell abgehauenen Baumzweigen eine Art von Sessel. Alice wurde aufgefordert, sich darauf niederzulassen. Ehe sie noch dagegen Einspruch erheben konnte, fühlte sie sich von den kräftigen Fäusten leicht und sanft emporgehoben. So saß sie auf den Schultern ihrer Träger und mußte sich gefallen lassen, im Triumpf von diesen entführt zu werden. Ihr weißer Zelter wurde hinter ihr nachgezogen, während der Befehlshaber der Truppe sich auf das Pferd des Bruders schwang und an ihrer Seite ritt.

Solcher Gestalt setzte sich der seltsame Zug in Bewegung. Voran gingen die verkleideten Musikanten, welche auf ihren Instrumenten einen lärmenden Marsch anstimmten. Hinterdrein folgte eine Anzahl von abenteuerlichen Masken in Thierfellen gekleidet. Sie bildeten gleichsam die Leibwache und trugen zu diesem Zwecke große Stäbe mit Blumen und Bändern geschmückt in den Händen. Dann kamen verschiedene Tänzer in ihren bunten Anzügen, mit klingenden Schellen behangen; sie tanzten zu beiden Seiten und führten allerlei groteske Sprünge aus. In der Mitte wurde Alice auf ihrem schnell errichteten Throne getragen. Die untergehende Sonne beleuchtete mit ihren goldenen Strahlen das liebliche Bild. Man konnte sich nichts Schöneres und Anmuthigeres denken. Eine Mischung von mädchenhafter Furcht und kindlichem Muthwillen zauberte ein halb verlegenes, halb schalkhaftes Lächeln um den reizenden Mund und die rosigen Wangen. Die neckenden Geister des Scherzes spielten um die zarten Grübchen derselben und um das fein geformte Kinn. Lang hernieder floßen die blonden Locken auf das grüne Reitgewand, das die feine Gestalt züchtig verhüllte. Der Kranz auf ihrem Haupt verlieh ihr ein fürstliches Ansehen und paßte zu der ihr aufgenöthigten Rolle. Ein Rest von Befangenheit und natürlicher Angst spiegelte sich in dem scheu gesenkten Auge, wodurch ihre Schönheit den noch größeren Reiz der Demuth und Bescheidenheit gewann.

Nach und nach schwand diese Furcht und der frühere Muth regte sich in Alicen's Brust. Ihr heiterer Sinn fand sogar eine Art von Vergnügen an dem Abenteuer. Sie kam sich selbst wie eine Königin vor, die im Triumpf einherzieht und die Huldigungen ihrer Unterthanen in Empfang nimmt. Unbewußt gab sie sich dem phantastischen Zauber des Ortes und der ganzen wunderbaren Scenerie hin. Ihr Gefolge benahm sich mit ausgesuchter Höflichkeit und flößte ihr nach und nach ein größeres Vertrauen ein. Diese rohen Burschen waren selbst von der Macht der Schönheit wie gebannt und die wilden Ausbrüche eines rauhen, ungezügelten Humors nahmen immer mehr die Gestalt eines heiteren Scherzes, eines anmuthigen Spieles an. Die kräftigen Träger schritten stolz auf ihre schöne Last einher, Gott Komus ritt langsam nebenher und bemühte sich bald den Zug in Ordnung zu halten, bald mit seinen Spässen der erwählten Schönen den Weg zu verkürzen. Selbst die ausgelassenen Tänzer suchten ihren zweideutigen Sprüngen und Verrenkungen einen züchtigeren Ausdruck zu geben. Alle ohne Ausnahme bemühten sich sichtlich, der neuen Königin zu gefallen, die es auch an gewinnenden Blicken und freundlichen Reden nicht fehlen ließ.

Trotz dieser günstigen Wendung ihres Abenteuers sehnte Alice die Gegenwart ihrer Brüder herbei, da sie der Ausgang dieses Begegnisses bei aller guten Laune, die sie zu zeigen sich bemühte, in große Unruhe versetzte. Allein und schutzlos unter dieser Horde halb berauschter, zügelloser Burschen konnte der nächste Augenblick schon ihr mit Gefahr drohen. Außerdem entfernte sich der Zug immer weiter von der Stelle, wo ihre Brüder sie allein nur suchen konnten. Mit jedem Schritte wuchs daher ihre Verlegenheit, die sie indeß sorgfältig vor ihren Begleitern verbergen mußte. Mit steigender Ungeduld spähten ihre Augen nach der Richtung, woher der eine oder andere ihrer Brüder kommen sollte. Aber so sehr sie sich auch anstrengte, war von Beiden keine Spur zu sehen. Ihre Niedergeschlagenheit indeß bekämpfend, hoffte sie noch immer auf eine baldige Rettung aus solcher Verlegenheit. –


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