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21.

Die Herbstsonne ging in goldener Klarheit auf, die Nebel, welche um die Hügel und Wiesen wie leichte Schleier schwebten, verschwanden und die Gegend lag in wunderbarer Schönheit da. Kein Zeichen verrieth, daß der wilde Krieg bereits in nächster Nähe tobte. Alles war noch still und nur die Schwärme der fortziehenden Wandervögel ließen zum letzten Mal im Jahre ihr Abschiedslied ertönen. Alice war an das Fenster getreten und schaute in die Ferne, da erblickte sie das Lager mit seinen grauen selten, das wie eine dunkle Gewitterwolke sich auf diesem friedlichen Boden niedergelassen hatte. Es war kein Traum, sondern die rauhe Wirklichkeit des Krieges, die ihr hier entgegenstarrte. Am Himmel stand die silberne Mondsichel und der Morgenstern funkelte sie tröstend an. Im Lager selbst schien das tiefste Schweigen noch zu herrschen, plötzlich ertönte lauter Trompetenschall und in wenig Augenblicken war die Scene verändert. Aus den Zeiten strömten die Truppen herbei und stellten sich in Ordnung auf; Sturmleitern und Faschinen, um die Mauern zu ersteigen und die Gräben auszufüllen, wurden herbeigeschleppt. Der Zug setzte sich in Bewegung und rückte dem Schlosse in eiligem Schritte bis auf Schußweite entgegen. Ein wildes Kriegsgeschrei ertönte: »Der Herr ist mit Gideon und seinem Schwert.« Eine furchtbare minutenlange Pause entstand, wo Alice nichts hörte als das Schlagen ihres eigenen Herzens. – Unterdeß stand Carbury an der Spitze der Belagerten, er hatte ebenfalls die Bewegungen des Feindes genau vom sichern Walle aus beobachtet und erwartete ihre Annäherung. Jetzt befahl er mit lauter Stimme, die Geschütze zu richten und auf die Angreifer Feuer zu geben. Im nächsten Augenblicke zitterte die Luft vom Donner der Kanonen und bald konnte Alice von ihrem Standpunkte die verheerenden Wirkungen der Kugeln beobachten. Mehrere Soldaten des Parlaments waren gestürzt und bemerkbare Lücken in die Reihen gerissen. Bald schlossen sich dieselben wieder dichter und die eherne Sturmcolonne rückte unaufhaltsam vorwärts. Der tapfere Führer feuerte den Muth der Seinigen an und stellte durch sein eigenes Beispiel und Zureden die gestörte Ordnung sogleich wieder her. Bald jedoch standen die Belagerer in der Nähe des Schlosses und außer dem Bereiche der Kanonen, sie hatten höchstens nur noch von dem Kleingewehrfeuer der Gegner zu leiden, das ihnen aber nur wenig Schaden that. Mittelst der mitgebrachten Faschinen suchten sie sich dem Graben und den Wällen zu nähern, vor Allem aber die Zugbrücke zu gewinnen, durch die sie in das Schloß zu gelangen hofften. Schon schwangen sich die Kühnsten herauf und machten Anstalten, die Ketten der Brücke mit ihren Aexten zu durchhauen, als diese mit einem Male von selbst fielen und Thomas an der Spitze von fünfzig Freiwilligen hervordrang und die überraschten Feinde im gewaltigen Anlauf zurückdrängte. Die Vordersten wurden entweder getödtet, oder genöthigt in den Schloßgraben zu springen, in dessen schlammigen Wellen sie umkamen, wenn nicht eine Kugel ihnen noch schneller ein Ende machte. Mitten auf der Brücke fand ein furchtbares Gemetzel statt, kaum war Raum genug für die Kämpfer, Mann an Mann, Brust an Brust gedrängt, würgten sich die Erbitterten und suchten sich gegenseitig hinabzustürzen. Immer neue Schaaren rückten heran, doch auch sie vermochten nicht den Eingang zu erzwingen. Die Truppen des Parlaments mußten der ungestümen Tapferkeit der Belagerten weichen und wurden zum Rückzuge gezwungen. Den Fliehenden folgten die Kugeln von den Wällen des Schlosses und erst in der Nähe des Lagers gelang es Overton, seine zersprengten Truppen wieder zu sammeln.

Der erste Sturm war glücklich abgeschlagen und Alice dankte Gott für den Sieg ihres Gatten. Sie eilte sogleich in den Schloßhof, hier fand sie Carbury und Thomas, der im Kampfe eine leichte Wunde erhalten hatte. Ein schöner Jüngling, der sein Diener zu sein schien, war damit beschäftigt, ihm einen Verband anzulegen. Sie erkannte nicht sogleich ihre Jugendfreundin Lucy Henderson, welche für den Verwundeten Sorge trug und sich absichtlich vor ihr verbarg. Doch als sich diese entfernen wollte und ihr dabei das Gesicht zuwenden, stieß Alice einen leisen Schrei aus.

– Lucy! rief sie erschrocken.

Das arme Mädchen wagte weder zu bleiben noch. zu gehen. Eine glühende Schamröthe überzog ihr Gesicht.

– Komm' mit mir, sagte Alice, indem sie ein Geheimniß ahnte.

Widerstandslos folgte Lucy der Jugendfreundin in ihr Gemach. Unter einem Thränenstrom gestand sie ihre unerlaubte Liebe zu Thomas, ihre Flucht aus dem Hause des alten Henderson und all die abenteuerlichen Begegnisse seit der Ausführung des Komus in Ludlow-Castle.

– Ich bin nicht werth, sagte sie am Schlusse ihrer Erzählung, daß eine edle Frau wie Ihr mit mir noch redet. Ach! ich vergehe vor Scham bei Eurem Anblick, Ihr müßt mich für die elendeste Kreatur auf dieser Erde halten.

– Da sei Gott dafür, entgegnete Lucy mild. Richtet nicht, damit Ihr nicht gerichtet werdet. Der Heiland hat der größten Sünderin verziehen und ich sollte dich verstoßen. Meinen Bruder trifft mindestens dieselbe Schuld wie dich. Ich werde mit ihm deinetwegen reden.

– Redet mit ihm, doch treibt mich nicht zur Verzweiflung. Ich fühle, daß ich ihn nie verlassen kann.

– Und doch ist es nothwendig. Vor allen Dingen aber mußt du die männliche Kleidung ablegen und wieder die Frauenkleider anlegen, die dir zukommen.

– Ich will Alles, Alles thun, was Ihr verlangt, nur muthet mir nicht Trennung von Thomas zu.

– Nicht ich, sondern er wird darüber entscheiden, was geschehen soll. Er hat dir die Ehre geraubt, er soll sie dir auch wieder geben.

– Wie, habe ich Euch Recht verstanden? fragte Lucy wie aus einem Traum erwachend. Nein, nein! Es ist nicht möglich. Das kann ja nimmermehr geschehen. Thomas, Euer Bruder, sollte mein Gatte werden. Ihr vergeßt, daß weder meine Geburt noch mein Vermögen mich zu solchen Ansprüchen berechtigen.

Alice suchte die Aufgeregte zu beruhigen, sie konnte indeß diese nicht hindern, ihr die Hände und Füße mit Küssen und Thränen zu bedenken. Die herbeigerufene Cicely half das Mädchen umkleiden und bald erschien dasselbe in seiner früheren weiblichen Gestalt. Aus ihrem eigenen Kleidervorrathe hatte die gütige Schloßfrau die nöthigen Stücke hergegeben, welche Lucy vollkommen paßten. So erschien sie nach einiger Zeit von dem herbeigerufenen Thomas, mit welchem seine Schwester eine längere und sehr ernste Unterredung hatte.

– Du hast ein großes Unrecht wieder gut zu machen. Durch deine Schuld allein hat die arme Lucy ihre Ehre eingebüßt. Ich weiß, daß sie dich liebt, sie hat es dir durch eine Aufopferung ohne Gränzen bewiesen. Jetzt ist es an dir, ihr die geraubte Ehre wiederzugeben. Euer bisheriges Verhältniß muß aufhören und sich in ein reineres und heiligeres Bündniß verwandeln.

Obgleich Thomas vollkommen die frivole Anschauung und Lebensweise seiner bisherigen Umgebung theilte, so besaß er doch nicht den Muth, seiner Schwester gegenüber diese Grundsätze geltend zu machen. Alicens Wesen flößte ihm unwillkürlich eine tiefe Ehrfurcht ein und er wagte in ihrer Nähe nicht, eine unziemliches Wort oder einen zweideutigen Scherz vorzubringen. Bis zu diesem Augenblick hatte Lucy keinen derartigen Anspruch erhoben und er betrachtete sein Verhältniß zu ihr keineswegs in dem Lichte einer unerlaubten Verbindung. Derartige Vorfälle gehörten überhaupt unter den Cavalieren jener Zeit zu den allergewöhnlichsten Vorkommnissen und wurden in diesen Kreisen mit großer Milde und Schonung beurtheilt. Alicen's Worte schienen jedoch einen tiefen Eindruck auf den leichtsinnigen Mann hervorzurufen. Vielleicht mochten auch die vielen unzweideutigen Proben einer tieferen Neigung ihn in diesem Augenblick bestimmt haben. Er näherte sich seiner Geliebten und reichte ihr die Hand.

– Der Schloßkaplan, sagte Alice, erwartet Euch in der Kapelle, um die Trauung noch heute Abend zu vollziehen.

Weinend, von Scham und Freude überwältigt, sank Lucy in die Arme der tugendhaften Frau. Nur von Carbury und seiner Gattin begleitet, welche als Zeugen der Cermonie beiwohnten, trat das Paar vor den Altar, wo der fromme Taylor eine passende Anrede hielt und den Segen über die Vermählten sprach. Die leidenschaftliche Lucy wurde von einer an Anbetung gränzenden Liebe für ihre neue Schwägerin erfüllt. Alice reichte ihr nach der Trauung die Lippen zum Kusse hin, doch das genügte Lucy nicht, sie warf sich ihr zu Füßen und küßte ihr die Hände, ohne daß sie es wehren konnte.

Unterdeß schritt die Belagerung weiter fort. Die Truppen des Parlaments hatten sich bald von ihrer ersten Niederlage erholt und brannten vor Begierde die ihnen widerfahrene Schmach so bald als möglich wieder auszuwetzen. Sie ersuchten ihren Führer Overton sogleich einen zweiten Sturm zu wagen, dieser zog es indeß vor, das Schloß immer enger einzuschließen und durch Hunger zur Uebergabe zu zwingen. Zu diesem Behufe umgab er es mit einem Kreise von Wachen, welche jede Zufuhr ihm abschnitten. Außerdem ließ er schweres Belagerungsgeschütz nachkommen, womit er in die Mauern erst Bresche zu schießen gedachte, um dann sicherer wie bisher einen zweiten und erfolgreichen Sturm zu wagen. Die wenigen Vorräthe waren bald aufgezehrt und auch die Munition begann zu fehlen. Carbury sah sich genöthigt, alles Blei und Eisen von den Dächern und Fenstern abzureißen, um daraus Kugeln zu gießen. Täglich richtete das Geschütz des Feindes große Verwüstungen an, die Mauer wurde in Trümmer gelegt und selbst das Schloß fing bereits an zu leiden. Die Garnison war gelichtet und es fehlte nicht an Todten und Verwundeten. Unter solchen Umständen wurde ein Kriegsrath abgehalten und der Beschluß gefaßt, einen Ausfall zu thun, um das Schloß mit den nöthigen Lebensmitteln zu versehen und wo möglich das Belagerungsheer zum Abzuge zu zwingen.

In dunkler Nacht setzte sich der Haufen verwegener Männer, zu dem Aeußersten entschlossen, in Bewegung. Geräuschlos verließen sie das Schloß und näherten sich der vorgeschobenen Linie der Belagerer. Ein Soldat des Parlaments, welcher Wache stand und Lärm erheben wollte, wurde von Thomas mit eigener Hand niedergestoßen. Schon hatten sie das freie Feld gewonnen, als sie auf einen Posten stießen, der sich ihnen entgegenwarf. Jetzt erst machten sie von den Schußwaffen Gebrauch, der Schall derselben weckte das ganze Lager und an der Spitze seiner eiligst zusammengerafften Truppen eilte Overton selbst herbei. Nun entspann sich ein verzweifeltes Gefecht in der herrschenden Finsterniß, welche nur von dem Blitzen der Gewehre und dem Blinken der Waffen durchbrochen wurde. Es fand ein stummes blutiges Ringen statt. Freund und Feind erkannten sich kaum in der Dunkelheit der Nacht. Erst als der Mond aufging und die blutige Scene beleuchtete, wurde Overton die geringe Zahl der Gegner gewahr. Bald waren diese von allen Seiten eingeschlossen und es blieb ihnen keine Wahl, als sich zu ergeben, oder mit bedeutendem Verluste durchzuschlagen.

– Mir nach, schrie der tapfere Thomas. Verkauft Euer Leben so theuer als möglich.

Mit diesen Worten stürzte er muthig gegen die eherne Mauer der Feinde, um dieselbe zu durchbrechen, verzweifelt folgten ihm die Seinigen; doch Overton stand ihm mit seinen Kerntruppen gegenüber. Zweimal kreuzten sich ihre Schwerter und beim schwankenden Mondlicht erkannten sich die alten Gegner.

– Nehmt dies für den Haywood-Forst, rief Thomas mit gewichtigem Hiebe gegen den Kopf des Führers ausholend, dem dieser geschickt auswich.

– Ergebt Euch, rief dieser. Der Herr hat Euch zum zweiten Male in meine Hand gegeben.

– Spart Euere heuchlerischen Redensarten, die mich nur mit Ekel erfüllen.

Sie fochten mit einander voll Erbitterung und wie früher hatte sich auch jetzt ein Kreis um die Kämpfenden gebildet, welcher von dem Schauspiel angezogen die eigenen Waffen ruhen ließen. Beide Gegner bluteten bereits aus mehreren Wunden, als Carbury, der an einer andern Seite vergebens den Kreis zu durchbrechen versuchte, sich ihnen näherte. Er drängte gegen die Feinde ungestüm heran und bald wurde der Kampf wieder ein allgemeiner. In dem folgenden Getümmel sah sich Thomas von Overton gewaltsam getrennt. Unentschieden wogte das Gefecht, indem sich die Schale des Sieges bald auf die eine, bald auf die andere Seite neigte. Carbury verrichtete Wunder von Tapferkeit, von seinen treuesten Dienern umgeben, gelang es ihm mit seinem Schwerte sich nochmals einen blutigen Weg zu bahnen, doch die Ueberzahl der Feinde gestattete ihm nicht die hier und da erlangten Vortheile weiter zu verfolgen. Immer dünner wurde seine Schaar und die tapfern Krieger sanken vor seinen Augen zu Tode getroffen hin. Enger und enger schloß sich das Netz, das er vergebens zu zerreißen versuchte. Er hatte sich bisher den Rücken frei zu halten gewußt, indem er sich mit den Seinigen auf ein kleines Gebüsch zurückzog, das überdies von einem nicht allzutiefen Graben gedeckt wurde. So von hinten wenigstens geschützt vermochte er längere Zeit der Uebermacht zu widerstehen. Overton hatte indeß mit gewohnter Umsicht diese natürliche Schutzmauer nicht übersehen, auf seinen Befehl bahnte sich eine kleine Abtheilung seiner Truppen mit dem Schwerte einen Weg durch das Gestrüpp. Der Schall der Hiebe, das Brechen und Zusammensinken der Zweige belehrte Carbury von der neuen drohenden Gefahr. Mit jedem Schlage fiel eine seiner Stützen und bald war das Gebüsch gelichtet. Nur der schmale Grabe diente ihm als Schutzwehr, die er mit der größten Anstrengung zu vertheidigen beschloß. Die Angreifer durchwateten denselben und stürmten gegen das entgegengesetzte Ufer, welches nur um wenige Fuß höher lag. Hier stießen sie jedoch auf einen wahrhaft verzweifelten Widerstand. Carbury benutzte die geringen Vortheile seiner Lage und stürzte mit seinen Getreuen die emporklimmenden Gegner immer von Neuem von der Höhe herab. Der Graben füllte sich mit den Leichen der Erschlagenen, die eine natürliche Brücke für die Lebenden bildeten. Ueber die todten Körper schritten diese zum erneuten Sturm. Vergebens waren alle Anstrengungen, von hinten und vorn zu gleicher Zeit bedrängt, mußte sich Carbury in sein Schicksal ergeben. Nach der muthvollsten Gegenwehr sank er tödtlich getroffen zu Boden. Sein Fall jedoch gab das Zeichen zu einem noch erbitterteren Kampfe. Thomas, welcher von Fern die Gefahr bemerkt hatte, in der sein Schwager sich befand, eilte mit dem noch übrigen Haufen herbei, um ihn zu befreien. Er kam zu spät, um ihn zu retten, aber wenigstens wollte er ihn rächen. Mit tollkühnem Ungestüm warf er sich auf Overton und dessen Truppen. Der rasende Schmerz verdoppelte seine Tapferkeit und die der Belagerten. Die Parlamentarischen begannen zu weichen und im wilden Anlaufe gelang es ihm, den Kreis zu durchbrechen und ohne verfolgt zu werden den Rückweg nach dem Schlosse zu erzwingen. Mit der Leiche des getödteten Carbury kehrte er zurück. Alice begegnete dem Trauerzuge auf dem Schloßhofe, mit einem Schmerzensschrei stürzte sie auf die blutige Bahre.

Trotz ihres Jammers bei dem ungeheuren Verluste, der sie betroffen, verlor Alice ihre Besinnung nicht; sie war entschlossen ganz im Geiste des Verstorbenen nach wie vor dem Feinde Widerstand zu leisten und das Schloß zu vertheidigen. Nachdem sie die Leiche bestattet hatte, erschien sie in ihren Wittwenkleidern vor der Besatzung, welche Thomas jetzt befehligte. Ein schwarzer, bis zur Erde niederwallender Schleier verhüllte die edle Gestalt, nur das bleiche, schöne Gesicht freilassend. Auf den Armen trug sie ihr unmündiges, verwaistes Kind, das sorglos mit den dunkeln Busenschleifen spielte. So redete sie das tapfere Häufchen der Uebriggebliebenen an und forderte sie zum muthigen Ausharren auf. Ihr Anblick begeisterte und rührte diese festen Männer; manches Auge, das selten oder nie geweint, füllte sich mit Thränen. Alle schworen der Herrin unaufgefordert Treue bis in den Tod.

Trotzdem Carbury gefallen war, erfuhren die Belagerer nach wie vor einen unerwarteten Widerstand. Von Lucy begleitet zeigte sich Alice zu jeder Tageszeit unter ihren Getreuen, um ihren Muth anzufeuern, was ihr auch stets gelang. Wo die Gefahr am größten schien, war sie sicher zu finden. Ihre ganze Natur hatte sich plötzlich verändert, sonst scheu und schüchtern, war sie über Nacht zu einer Heldin geworden, die den Tod des Gatten rächte und die gelobte Treue ihrem Könige bewahrte. Gleich den heroischen Frauen des Alterthums bebte sie nicht vor den Schrecken des Krieges, dem Lärm der Waffen und dem Anblick der Todten und Verwundeten zurück. Wenn sie am Tage alle Gefahren mit den Ihrigen getheilt, wandelte sie des Nachts durch die Säle, um die Wunden der Tapferen zu verbinden. Sie legte sich selbst die größten Entbehrungen auf und da der Mangel an Lebensmitteln immer drückender wurde, versagte sie sich die gewohnte Nahrung und Bequemlichkeit Ein solches Beispiel mußte Wunder thun und die Besatzung ertrug ohne Murren die ihr auferlegten Entbehrungen. Ein in diesem Kriege unerhörte Treue und Ausdauer ehrte die ganze Garnison, unter der sich auch nicht ein einziger Ueberläufer oder Verräther fand. Trotzdem waren alle diese Anstrengungen ohne Erfolg. Das Geschütz der Belagerer hatte den größten Theil der Mauern und Wälle zerstört und die Besatzung vermochte nicht den angerichteten Schaden wieder auszubessern. Ergrimmt über den unerwarteten Aufenthalt, beschloß Overton einen neuen Sturm zu wagen. Um Mitternacht, als die Garnison von anhaltendem Kampfe überwältigt sich dem Schlafe überließ, erstiegen die Truppen des Parlaments das Schloß, ehe die Wachen noch Lärm erheben konnten, wurden dieselben niedergestoßen.

Bald füllte sich der Hof mit Bewaffneten, welche die überraschte Garnison von allen Seiten angriffen. Aber auch jetzt noch leistete diese eine verzweifelte Gegenwehr. Thomas hatte sich mit einem Haufen entschlossener Männer in den Thurm geworfen; dort befand sich auch Alice mit dem Kinde. Von dem Fenster schossen die Tapfern auf den Feind, und noch mancher Soldat des Parlaments wurde hier niedergestreckt. Eine tollkühne Schaar von Freiwilligen nahte sich mit Aexten bewaffnet, um die eisernen Thore, welche zu dem Thurme führten, einzuschlagen. Mehrere wohlgezielte Salven der Belagerten reichten indeß hin, sie wie Spreu im Winde wegzublasen. Von Neuem führte Overton selbst seine Truppen zum Angriff an; sie hörten nicht mehr auf seinen Befehl, und wichen, von scheuer Furcht ergriffen, vor dem Kugelregen, der auf sie herniederstürzte. Nur ein Mittel blieb noch übrig, welches der Befehlshaber bisher aus Menschlichkeit unterlassen hatte. Auf einen Wink von ihm wurden Pechkränze und Fackeln gebracht, um den Thurm in Brand zu stecken. Bald wirbelte ein dichter Rauch empor, und die gierigen Flammen, durch herbeigeschlepptes Stroh und Reisigbündel genährt, leckten gierig an dem dürren Gebälk. Von Stockwerk zu Stockwerk stieg die verzehrende Gluth, welche die Besatzung zu verbrennen drohte. Es schien keine Rettung mehr möglich, und Alle waren auf den Tod in diesem Flammenmeer gefaßt.

– Ehe wir so elend durch das Feuer umkommen, sagte Thomas, ist es besser, daß wir mit dem Schwerte in der Hand fallen. Wir wollen unser Leben wenigstens so theuer, als möglich verkaufen.

Sein Vorschlag fand allgemeine Billigung und wurde sogleich ausgeführt. Auf ein gegebenes Zeichen fielen die Riegel des eisernen Thores, und die Belagerten, zu einem dünnen Häuschen zusammengeschmolzen, stürzten aus dem brennenden Thurme hervor. In ihrer Mitte befanden sich die Frauen, Lucy und Alice, welche das Kind auf dem Arme trug. Die Truppen des Parlaments umringten sogleich die kleine Schaar. An ein Entrinnen war kaum mehr zu denken, um so erbitterter war der Kampf. Thomas erlag der Uebermacht und wurde zum Gefangenen gemacht; dasselbe Schicksal traf diejenigen seiner Kampfgefährten, welche nicht von dem ergrimmten Sieger niedergeschlagen wurden. Glücklicher waren die beiden Frauen. In der Dunkelheit und der allgemeinen Verwirrung gelang es ihnen, unbemerkt zu entkommen. Schon hatten sie ein Pförtchen erreicht, das in den Park und in das Freie führte, als das Schreien des Kindes die Aufmerksamkeit eines Soldaten auf sich zog. Dieser stürzte ihnen nach; es war der wohlbekannte Billy Green, der nach dem Beispiele vieler ähnlicher Abenteurer jetzt Beute und Beförderung im Heere des Parlaments suchte, nachdem sein Gönner Pym gestorben war, und er als Angeber und Spion nicht mehr seine Rechnung fand. Wohlweislich hielt er sich von der Gefahr und dem Kampfe so weit als möglich entfernt, auf die Gelegenheit lauernd, wo er durch Plündern und Brandschatzen seine Taschen füllen konnte. Diese schien jetzt für ihn gekommen zu sein. Bei der Helle, welche der brennende Thurm verbreitete, entdeckte er sogleich die fliehenden Frauen. Weibern gegenüber, verspürte er aber immer eine besondere Tapferkeit. Bald hatte er auch Alice erreicht, und suchte sie an ihrem Gewande festzuhalten.

– Hollah! rief er ihr zu. Mein holdes Täubchen, so entkommt Ihr nicht.

– Um Gottes Willen, lass't mich los. Was wollt Ihr von mir?

– Närrische Frage, lachte der Bösewicht. Ihr tragt an Eurem Halse eine goldene Kette, die mir wohlgefällt.

– So nehmet sie hin und haltet mich nicht aus.

– Auch ein Ringlein glänzt an Eurem Finger, das ich für mein Schätzchen brauchen könnte.

– Es ist mein Trauring, entgegnete Alice im schmerzlichsten Tone.

– Lass't sehen, ob er sich der Mühe lohnt, antwortete er ungerührt. Billy griff nach ihrer Hand, um ihr den Ring zu entreißen. Bei dieser Gelegenheit war er ihr nahe genug getreten, so daß sie in ihm den frechen Komus aus dem Haywood-Forste wieder erkannte. Auch in ihm schien eine ähnliche Erinnerung aufzusteigen.

– Potz Wetter! schrie er laut. Ich habe, wenn ich mich nicht täusche, da einen sauberen Fang gethan, der sich noch der Mühe lohnt. Ihr müss't mit mir umkehren, Ihr und Euer Kind. Gebt mir es her.

– Eher mein Leben, entgegnete Alice entschlossen, indem sie ihr Söhnchen fest an den stürmisch bewegten Busen drückte.

– Macht keine Umstände, höhnte der Bursche. Ihr seid die Schloßfrau und meine Gefangene. Sträubt Euch nicht, Ihr seht, daß ich Euch kenne.

Vergebens flehte Alice um Schonung für sich und ihr Kind. Schon streckte Billy die Hand nach dem Kleinen aus, um, sich mit Gewalt desselben zu bemächtigen, da stürzte Lucy, welche er bisher gänzlich unberücksichtigt gelassen hatte, mit dem Muthe einer Löwin auf den Räuber los. Ehe er sich dessen versah, entriß sie ihm die Pistole, welche er in seinem breiten Gürtel trug.

– Zurück! donnerte sie ihm entgegen, oder, so wahr ein Gott im Himmel lebt, ich schieße dich nieder. Billy taumelte, von Furcht ergriffen, einige Schritte rückwärts, und seige Todtenblässe überzog sein lebhaftes Gesicht; doch bald ermuthigte ihn der Gedanke, daß ihm nur eine Frau gegenüberstand. Er ließ jetzt von Alice ab und wandte sich gegen seine neue Feindin.

– Zurück! rief ihm diese von Neuem zu, indem sie mit geübter Hand den Hahn spannte.

Mochte sich der Bursche feiner früheren Feigheit schämen, oder der Gedanke ihn stacheln, einen wichtigen Fang zu thun, und dadurch Ansehen und Belohnung zu empfangen; er achtete die Drohung nicht, und legte seine Hand an das Schwert, um Lucy einzuschüchtern und sich der wehrlosen Frauen zu bemächtigen. Ehe er jedoch sein Vorhaben ausführen konnte, zielte Lucy mit Sicherheit und drückte die Pistole los.

Verwundet stürzte Billy Green mit lautem Geschrei um Hülfe zu Boden. Ehe noch einer seiner Spießgesellen ihn hören konnte, hatte Lucy die Hand ihrer Schwägerin ergriffen und war entflohen.


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