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Auf der Kegelbahn

Unter den Besuchern von Eibels Garten herrschte schon lange eine düstere Vorahnung schauerlicher Unglücksfälle, deren Schauplatz die Kegelbahn sein werde. Es pflegte nämlich an Freitag-Abenden sich dort eine Gesellschaft zu erlustigen, deren Mitglieder fast durchwegs sogenannte scharfe Scheiber waren. Wenn diese Gesellschaft die Kegelbahn besetzt hielt, dann war der Garten ein sehr unheimlicher Aufenthalt. Die Kegel flogen häufig bis zu den Tischen der Gäste und die Kugeln sausten über deren Köpfe hinweg in den Nachbargarten, wo sie die stärksten Baumäste wie Stroh knickten und sicher ab und zu auch ein Menschenleben vernichtet hätten, wenn die nachbarliche Familie nicht schon im Frühjahre auf das Land gezogen wäre. Im Laufe des Sommers mußten nicht weniger als vier hoffnungsvolle Kegelknaben vom Platze getragen werden, weil sie von rückprallenden Kugeln zu Boden gestreckt worden waren, und eines Tages verbreitete sich sogar im ganzen Bezirke das Gerücht von einer grauenhaften Blutthat, die in Eibels Garten begangen worden sein sollte. Es war jedoch nichts weiter geschehen, als daß ein waghalsiger Schneidergehilfe, welcher in der Nähe des Ladens dem Spiele zuschaute, um seine sämtlichen Vorderzähne gekommen war, indem eine aufgeschlagene und daher aus der Bahn gesprungene Kugel den Unseligen an der Kinnlade getroffen hatte.

Infolge der vielen Schadenersatz-Klagen war diese überaus kräftige Kegelgesellschaft genötigt, sich zugleich als ein Sparverein zu konstituieren, dessen Spielerträgnisse sämtlich in eine Kasse flossen, aus welcher die Auslagen für das zerstörte Gesicht des Schneidergehilfen und die Spitalskosten für die vier elendiglich niedergeschobenen Kegelbuben gedeckt wurden. Auch wurde bestimmt, daß in Hinkunft jeder Scheiber die Kosten der Verwundung eines Kegelbuben oder Zuschauers aus seiner eigenen Tasche zu tragen habe, denn es bestand der Verdacht, daß im anderen Falle mit noch größerer Unachtsamkeit hinausgeschoben werden würde.

Sonderbarerweise war der gefürchtetste Kegelscheiber ein schmächtiger junger Mann Namens Hermann Prinz, mit krausen Haaren und Goldbrillen, der wie es schien all' seine Lebenskraft ausschließlich auf die Beförderung der Kugeln verwendete. Er setzte nämlich seinen einzigen Ehrgeiz darein, als ein »Stecher« zu gelten, das heißt als ein Mann, dem es gelingt, bei der Kriegspartie auch alleinstehende Kegel zu treffen. Obwohl so kurzsichtig, daß er regelmäßig noch einen Nasenklemmer vor die Augengläser stecken mußte, wenn er nach den Kegeln zielte, hatte es Herr Prinz doch allmählich zu dem schmeichelhaften Rufe eines »Stechers« gebracht, weil er mit unfehlbarer Sicherheit die linke Dame niederschob. Es war dies schon so notorisch, daß niemand diesen Kegel aufs Korn nahm, wenn Herr Prinz anwesend war, sondern dieser Triumph immer diesem hervorragenden »Stecher« überlassen wurde.

Herr Prinz tappte dann mit dem rechten Fuße nach einer Höhlung im Boden, in welche er den Absatz zu stellen gewohnt war, schob die Rockschöße sorgfältig in den Ellbogen der linken Hand und versetzte hierauf seinen Körper in eine schwingende Bewegung. Nach einigen Sekunden sprang er wie ein Tiger vorwärts, mitten auf das Brett, und die Kugel flog unter dem geheimnisvollen Einflusse einer höchst sonderbaren Verrenkung seines Körpers auf die linke Dame zu, während der Kegelbube von namenloser Furcht gepeitscht im Garten umherlief, bis sich die Kugel ausgetobt hatte und wieder zahm zwischen den toten Kegeln rollte. Es ist zwar kein einziger Fall verbürgt, daß Herr Prinz je einen anderen Kegel getroffen hätte als die linke Dame, aber es muß gleichzeitig bemerkt werden, daß er auch nie einen öffentlichen Versuch dazu machte, da seine Überzeugung die war, er sei ein »Stecher« und überlasse es daher weniger bewährten Kräften nach den vollen Kegeln zu schieben.

Ein beklagenswerter Zufall wollte es nun kürzlich, daß Herr Prinz zugleich mit der linken Dame auch die rechte Backe des Kegeljungen traf, dem es diesmal nicht gelungen war, sich rechtzeitig durch die Flucht zu retten. Herr Prinz begütigte den gewaltig heulenden Jungen und versprach ihm eine Entschädigung von zwanzig Gulden für die ausgestandenen Schmerzen, zahlbar am nächsten Freitage. Allein Herr Prinz zog es vor, an diesem Tage nicht zu erscheinen und erschien überhaupt nicht mehr auf der Kegelbahn, offenbar aus Besorgnis, es könnte sich jener Unfall wiederholen. Vergebens suchte ihn dort der Vater des verwundeten Kegelbuben, ein ziemlich derber Maurer, und als Herr Prinz sich auch in seiner Wohnung verleugnen ließ, überraschte ihn endlich eine Vorladung zu dem Bagatellgerichte puncto zwanzig Gulden an Verdienstentgang und Schmerzensgeld. Hier fragte der Richter den im Namen seines Sohnes klagenden Maurers, wie derselbe den Anspruch wegen Verdienstentganges erklären wolle.

»Weil er fünf Täg hat net aufsetz'n können und weil er eine schuldlose Familie zu ernähren hat.«

»Was? dieser Knabe?«

»No ja: mi', sei Muatta und zwa klanere G'schwister, san m'r eppa ka schuldlose Famülie?«

»Als Oberhaupt der Familie sollten doch Sie dieselbe ernähren.«

»Thu' i a, wenn i a Arbeit hab, jetzt hab' i g'rad kane; 's paßt mir a net jede.«

Herr Prinz erklärte sich aus Rücksicht für die »schuldlose Familie« bereit, ein für allemal zehn Gulden zu erlegen, indem er bemerkte, er habe die doppelte Summe nur in der ersten Aufregung über den Unfall versprochen. Der Kläger gab sich damit zufrieden und ging mit der freundlichen Warnung für Herrn Prinz: »Mei' liaber Herr, a scharfer Schub haßt nix; schaun's mir a mal zua in Wahring d'raußd'n. Ich hab' an Brodlschub, Brodeln – etwas langsam thun. aber reiß'n thuat er damisch – dö Kegeln, net die Kegelbuab'n. S'is g'scheidter so, manen's net a?«

 

Ende

* * *


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