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Der tierische Magnetismus

Wissenschaftliche Skizze.

Gemütvolle Beobachter haben an höher organisierten Tieren Eigenschaften von verstandesmäßigem Anstrich wahrgenommen. Ob gemütvolle Tiere an uns höher organisierten Menschen immer eine gleiche Wahrnehmung machen würden, wollen wir dahingestellt sein lassen, zumal dies mit der in den jüngstvergangenen magnetischen Tagen Es sind Hansens hypnotische Vorstellungen im weiland Ringtheater gemeint. vielfach aufgeworfenen Frage, ob die Klapperschlangen wirklich durch ihre Willenskraft die Kaninchen magnetisieren, gar nichts zu thun hat. Leider wird jeder Unbefangene bekennen müssen, daß das erwähnte Experiment der Klapperschlangen nicht genügend beglaubigt ist. Auf diese Art läßt sich also eigentlich dem tierischen Magnetismus nicht recht beikommen, und wir würden in derselben Ungewißheit darüber verharren müssen, welche uns bisher gepeinigt hat, wenn nicht der Zufall kürzlich auf offener Straße ein Experiment veranstaltet hätte, das alle Zweifel über die Existenz magnetischer Beziehungen zwischen Tieren zu beseitigen imstande ist.

Die betreffenden Medien waren die sensibelsten Geschöpfe, welche die Tierwelt aufzuweisen hat, nämlich zwei Komfortablepferde. Diese überaus merkwürdige Pferderasse entsteht bekanntlich nicht auf dem gewöhnlichen Wege der Fortpflanzung, sondern durch Häutung, indem ein dem Hinscheiden nahes Soldaten- oder Brauhauspferd mit allen seinen fleischlichen und fettigen Bestandteilen aus der Haut fährt, so daß nur diese samt den Knochen auf der Erde zurückbleibt, worauf dann die Belebung dieser Überreste durch Peitschenhiebe erfolgt. Bei dem Mangel jedweder materiellen Substanz ist es begreiflich, daß die Komfortablepferde desto empfänglicher für rein geistige Genüsse sind, wie ja schon die Thatsache beweist, daß die Wahnvorstellung, sie hätten Hafer vor sich anstatt des Häckerlings, vollkommen genügt, um sie am Leben zu erhalten. Es wird ferner niemand behaupten, daß sich ein Komfortablepferd jemals Ausschweifungen hingegeben oder auch nur den Versuch gemacht hätte, sich die Zeit auf dem Standplatze durch harmlose Schäkereien mit seinesgleichen zu vertreiben. Sie stehen vielmehr regungslos da, den müden Kopf auf die krummen Vorderbeine gestützt, und nichts könnte sie bewegen, den Standplatz zu verlassen, wenn nicht die Scham wäre, die sie antreibt, sofort nachdem ihnen der Kutscher die Decken abgenommen hat, davon zu eilen, damit sie die unzarten Witze der Umstehenden über ihre magere und verkrümmte Gestalt nicht hören müssen.

Zwei dieser armen Geschöpfe wurden von ihren Herren auf dem Standplatze in der Josephstadt mit den Köpfen gegen einander gestellt, damit sie sich bei dem herrschenden Winde gegenseitig stützten und die Kutscher beruhigt in das nächste Wirtshaus gehen könnten. Zum erstenmale in ihrem Leben sahen sich die beiden Pferde von Angesicht zu Angesicht. Bis dahin hatte das eine nur immer den Hinterteil des Wagens gesehen, vor welchen das andere gespannt war. Jetzt betrachteten sie sich, und das kleinere, zartere von beiden, ein 67jähriger Fuchs, der seine Haut von einem Troßpferd aus der Schlacht von Waterloo hatte, machte an allen vier steifen Füßen zitternd die Wahrnehmung, daß das linke, blinde Auge des Braunen vor ihm, dessen zerschundene Haut von einem Marketenderpferd aus dem Revolutionsjahre stammte, einen überwältigenden Einfluß ausübe. Der bejahrte Fuchs fühlte sich noch schläfriger als gewöhnlich, als er eine Weile in das thränenschimmernde Weiß des blinden Auges geblickt hatte, und plötzlich verlor er alle Empfindung für die Eindrücke der Außenwelt.

Wie von ungefähr knusperte nun der magnetische Braune vor ihm an einem alten Stiefel, der auf der Straße lag, und alsogleich biß auch der Fuchs hinein und schluckte den faustgroßen Absatz mit einem wonnigen Schmatzen hinunter, das in dem Braunen die schmerzlichste Reue darüber erweckte, daß er dem andern einen solchen Leckerbissen überlassen habe. Durch einige andere von dem Fuchsen sofort nachgeahmte Bewegungen jedoch zum Bewußtsein seiner Macht über diesen gelangt, begann der Braune dieselbe in der rücksichtslosesten Weise auszuüben. Immerfort rückwärts gehend, erzeugte er in dem willenlosen Fuchsen zunächst die Vorstellung, er sei ein Cirkuspferd, und das gebrechliche Tier tänzelte ihm nun, so gut es gehen wollte, nach. Dann wurde ihm der schreckliche Wahn eingeflößt, es sei sein eigener Kutscher, und sogleich schwankte es wie betrunken hin und her, gab sich selbst mit schwerer Mühe einen Tritt auf den Bauch und deutete durch Geberden an, daß es die Taxe überschreiten möchte.

Zuletzt brachte ihm der frivole, aus aller Komfortableart geschlagene Braune die geradezu verderbliche Vorstellung bei, es sei das berühmte Rennpferd »Kincsem«. Nun stürmte der unglückselige Fuchs in tollen Bockssprüngen vorwärts, wieherte mit grauenhafter Heiserkeit – und rannte, den Braunen über den Haufen werfend, am Ende der Straße in den Laden eines Greislers, wo ihn sein Herr ereilte und fürchterlich prügelte. Nach den ersten Streichen wurde das bedauernswerte Medium wach; es wußte aber nichts von dem, was mit ihm vorgegangen, und dachte nichts weiter, als daß es jetzt ebenso grundlos gehauen werde, wie sonst so häufig.

Die beiden Komfortablekutscher wurden vom Bezirksgerichte wegen aufsichtslosen Stehenlassens ihrer Fuhrwerke zu einer Geldstrafe von je fünf Gulden verurteilt. Sie werden dieselbe gerne tragen, wenn sie vernehmen, daß dieser außerordentliche Fall vielleicht zur Ergründung jener geheimnisvollen Kraft, welche zum Beispiel auch die Hunde zwingt, sich minutenlang starr und mit erhobenen Schweifen anzuschauen, ehe sie die Rauferei beginnen – zur Ergründung des eigentlich tierischen Magnetismus führen kann.

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