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Aus dem Notizbuche

Ein Vormittag bei dem Bezirksgerichte.

Es ist nur eine kleine Stube mit zwei Fenstern in den Hof und einem auf die Straße. Gegenüber liegt ein starres, altes Palais, dessen Fenster immer dicht verhängt sind, als ob sie das Tageslicht schmerze. Im Hofe drinnen stehen mehrere Lindenbäume, auf deren herbstlich fahlem Laube ein kühner Sonnenstrahl, welcher den Weg hieher gefunden, allerlei Kunststücke ausführt. Er verändert die Farben, verkriecht sich in die Aeste, taucht wieder heraus und hüpft endlich durch die staubigen Fensterscheiben auf das stark umkrustete Tintenfaß des Richters, wo er sich darin gefällt, in rasch gebildeten Ringeln den unheimlichen schwarzen Krater zu umtanzen, bis eine hoch am Himmel dahinziehende Wolke seinem neckischen Dasein ein Ende bereitet und der Hof mit seiner Reihe von hölzernen Blenden vor den Gefängnisfenstern wieder nur von kaltem, grauem Herbstlichte erfüllt ist. Wir glauben nicht, daß die in der Stube beschäftigten Gerichtsbeamten jemals Zeit gefunden haben, dem Spiele der Sonnenkringel, dem Verbleichen des Laubes draußen und der grämlichen Physiognomie des alten Palais drüben Aufmerksamkeit zu schenken. Der Bezirk besitzt in manchen seiner Quartiere eine ungemein streitsüchtige Einwohnerschaft. Man mag an dem Gerichtshause vorübergehen zu welcher Stunde des Vormittags immer, so tönt in die stille Straße hinab das verworrene Geräusch von lebhaft discutirenden Stimmen, befehlenden Worten des Richters und schallenden Rufen des Beamten, welcher die im Vorzimmer harrenden Zeugen zur Abgabe ihres Zeugnisses vor den Richter bescheidet. Der Andrang von Personen, die in Vertretung ihrer gefährdeten Ehre erscheinen, ist oft so stark, daß nicht allein der Tisch des eigentlichen Strafrichters belagert wird, sondern auch Dutzende von Menschen um einen zweiten Beamten herumstehen, welchem die gerade nicht beneidenswerthe Aufgabe zugefallen ist, die Leute so weit zu bearbeiten, daß sie in einem Ausgleiche mit ihren Gegnern nicht mehr den sicheren Verlust ihrer gesammten Reputation erblicken. Aus dem Wust von Schimpf und Schmach, die sich die versammelte Gesellschaft angethan, von Klagen und Gegenklagen, Hohn und Spott, Tratsch und Gekeife, wollen wir nur zwei kleine Proben herausgreifen, die sich gleichzeitig vor dem Strafrichter hüben und dem Friedensrichter drüben abspielten. Da liegen noch die flüchtigen Aufzeichnungen vor mir. Obenan, von der Hand eines zufällig anwesenden Malers mit einigen Strichen hingeworfen, der Kopf eines alten Weibes, bedeckt mit einer riesigen »Gugl«. Das war Frau Marianka Hussinka aus Erdberg, 68 Jahre alt und in ihrer äußeren Erscheinung ungefähr einer von jenen drei sonderbaren mythologischen Schwestern, Gräen genannt, ähnlich, die alle zusammen nur Ein Auge und Einen Zahn hatten. Die allgemeine Vermuthung hinsichtlich des Erscheinens dieser würdigen Greisin bei Gericht ging dahin, daß dieselbe sich irgend einer kleinen Hexerei oder etwa einer Falschmeldung schuldig gemacht habe, indem sie ihr Alter im Meldzettel mit 68 Jahren noch zu gering angegeben. Allein der Anlaß, welcher sie zu Gericht geführt, war bei weitem ernsterer Natur. Eine andere Frauensperson hatte das kränkende Gerücht in Umlauf gesetzt, Frau Marianka Hussinka habe im August d. J. um ihres Vortheiles willen einen Ehebruch begangen und sich auf diese schändliche Weise die Summe von vier Gulden zugeeignet. Frau Marianka Hussinka verlangt deshalb die Bestrafung der Gegnerin, indem sie in ihrer Klage auf den bedrohlichen Umstand hinweist, daß ihr Gatte Willens sei, sich von ihr scheiden zu lassen, wenn nicht bei Gericht die Grundlosigkeit des in seiner Brust rege gewordenen Argwohns erwiesen werde.

Jenseits, am andern Tische hat der Strafrichter über einen ungeheuer umständlichen Ehrenbeleidigungsproceß zu urtheilen, den ein Pfänderverleiher gegen einen Armenrath des dritten Bezirkes angestrengt hat, weil er von demselben hinausgeworfen worden. Eine Unzahl von Pfründnerinnen ist gegen den Armenrath aufgeboten und steht auf Seite des Klägers – eine nicht zu bändigende Cohorte der Schwatzhaftigkeit. Auf Seite des Armenrathes befinden sich andere Armenräthe, Frau Marianka Hussinka hat auch weiblichen Beistand mitgebracht, desgleichen ihre Gegnerin, und so entwickelt sich bald ein betäubender Lärm, welcher den Dialog beider Verhandlungen ganz verschlingt oder vermischt. Man hört nur folgendes heraus:

Friedensrichter ( herüben). Hat denn jemand dem unsinnigen Gerüchte Glauben geschenkt, Frau Hussinka?

Richter ( drüben). Zum letzten Male ersuche ich die anwesenden Frauenspersonen, zu schweigen.

Friedensrichter. Nun, Frau Hussinka.

Klägerin. Ich därf ich ja nix reden.

Friedensrichter. Warum nicht?

Klägerin. Bitt' ich, den Herr gaiseliche Rath hat doch g'rad g'sagt, Frauenzimmer sull'n Maul halten.

Friedensrichter. Das ging ja Die drüben an.

Klägerin. Ah so; ja, ich kann ich nur sagen, den ganze Haus red't von die miserabliche Lug'n und ich steh' ich da, wie letzte Ganalje und Rabenweibel.

Kläger ( drüben, zu einem Zeugen). Mir kommt stark vor, als ob Sie in Ihrem Leben zu viel mit alten Weibern verkehrt hätten.

Zeuge ( aufgebracht). Das lass' ich mir net nachsag'n, das gibt's net, da pfeif' ich auf jede öffentliche Ehrenstelle, wenn m'r so eine Nachred' davon hat.

Richter. Beruhigen Sie sich gefälligst. ( Zum Kläger.) Erheben Sie die Klage auch wegen des Ausdrucks »lockerer Vogel«, der gegen Sie gebraucht wurde?

Kläger. ( Mit tiefbeleidigter Miene.) Ja wohl, ganz gewiß.

Richter. Sie sind weiteres ein »dummer Kerl« genannt worden; fühlen Sie sich dadurch gekränkt?

Kläger ( nach längerer Ueberlegung). Nein; in der Hinsicht klag' ich nicht.

Friedensrichter ( herüben). Sie hören, die Geklagte will Ihnen Abbitte leisten. Wollen Sie ihr verzeihen?

Klägerin ( zögernd). Nu wegen meiner.

Friedensrichter. Also unterschreiben Sie das Protokoll.

Klägerin. Bitt' schön, ich möcht' ich warten, bis sie Straf' hat klane.

Friedensrichter. Sie sagten doch, daß Sie ihr verzeihen wollten ...

Klägerin. Große Straf' schenk' ich ihr, aber klane sull sie absitz'n, paar Tag' denk' ich. Schand ise zu groß g'wesen.

Friedensrichter. Das geht nicht, Sie müssen ihr bedingungslos verzeihen, wenn überhaupt ein Ausgleich möglich sein soll.

Klägerin ( mißtrauisch). Mein Mann kann dann lesen Schriftliches, daß bin ich unschuldig?

Friedensrichter. Wenn der diese Ueberzeugung noch nicht hat, ja.

Klägerin. Alsdann gut, bitt' ich aber um Sechserl.

Friedensrichter. Ein Sechserl? Wozu?

Klägerin. Sechserl, was ich Gesell'n von Nachbar hab' zahlt für Klagschreiben.

Die Geklagte bezahlt das Sechserl, die Klägerin setzt drei Kreuze unter das Protokoll und Beide gehen, leidlich zufrieden mit dem Ausgange der Affaire, von dannen. Inzwischen ist drüben auch ein Ausgleichsversuch unternommen worden, welchen der Kläger jedoch mit den Worten zurückweist: »Schau, schau, wenn der Herr Armenrath sich nicht schuldig fühlen thät, möcht' er g'wiß nicht ausgleichen. ( Emphatisch.) Herr Richter, lassen Sie dem Gesetze seinen Lauf!« Die anwesenden Pfründnerweiber blicken mit Bewunderung zu dem Manne empor, welcher in so gebieterischer Weise das Gesetz gegen den gefürchteten Armenvater in Lauf versetzen kann. Sie fühlen sich gedrängt, auch ihrerseits für ihn einzustehen, als der Vertheidiger das Wort nimmt und den Besitzer ihres Vertrauens nach Kräften zu hecheln beginnt. Zu diesem Ende halten sie es für das Zweckmäßigste, den Redner durch Einstreuungen wie »Net wahr is«! »Na, so was« und dergleichen zu unterbrechen – was ihnen jedoch vom Richter bald mit entsprechender Nachdrücklichkeit untersagt wird.

Schließlich wird der Armenvater zu einer Geldstrafe von dreißig Gulden verurtheilt. Da die Pfründnerweiber sich der eitlen Hoffnung hingeben, daß dieses Geld unter ihnen zur Vertheilung gelangen werde, so verfallen sie in einen förmlichen Freudentaumel. Ihr Erwachen aus demselben haben wir nicht abgewartet.

* * *


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