Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vegueros Flor

Eine Geschichte für Raucher.

An der Unheimlichkeit der Erscheinungen war nicht zu zweifeln. Wenn die Vögel über ein gewisses Haus in der Donaustraße flogen, fielen sie plötzlich betäubt zur Erde und starben nach wenigen Minuten. Hunde, welche in den Bannkreis jenes Hauses geriethen und zuvor noch die größte Lebenskraft gezeigt hatten, streckten ohne sichtbare Veranlassung alle Viere von sich und gingen elendiglich zu Grunde, gleich als ob sie sich in der berüchtigten Hundsgrotte von Neapel befänden. Größere Thiere, wie Pferde, wurden scheu beim Vorbeifahren und richteten mannigfaches Unglück an. Und die Menschen, welche dort wohnten, schlichen mit bleichen Gesichtern und wilden Blicken umher, immerfort auf der Suche nach der Ursache des dämonischen Gestankes, welcher als unsichtbarer Feind die ganze Umgegend belagert hielt. Die abenteuerlichsten Gerüchte verbreiteten sich, von welchen als das wahrscheinlichste dasjenige die Oberhand behielt, welches besagte, daß die sozialrevolutionäre Partei irgendwo in der Nähe eine geheime Spodiumfabrik unterhalten müsse. Allein auch dies wurde durch die Nachforschungen widerlegt und die gequälte Bewohnerschaft war rathloser als je, bis endlich an einem December-Abend der Urheber der geschilderten Verstänkerung entdeckt wurde.

Um diese Zeit – es war bereits vollständig dunkel – entfernte sich Herr Wilhelm Spender aus seiner Wohnung in der Donaustraße und schlug, sich vorsichtig nach allen Seiten umblickend, den Weg nächst dem Strande ein. Nach wenigen Schritten machte er Halt, zog aus dem Innern seines Pelzes eine Schachtel hervor und wollte dieselbe eben in den Strom werfen, als eine Hand dazwischen fuhr und sich der Schachtel bemächtigte, während mehrere Stimmen durcheinander riefen: Aha, haben wir dich, Stinkenbrunner! ... Schlagt ihn nieder, den Giftmischer! und derlei angenehme Redensarten mehr. Herr Spender war vor Ueberraschung sprachlos. Die Männer, die auf ihn gelauert, hatten inzwischen die Schachtel geöffnet, und beim Scheine einer Gaslaterne bot sich ihnen ein entsetzlicher Anblick dar. Da lagen fest zusammengeschnürt zwei Bündel schwarzer, verschrumpfter, formloser Stangen, welche offenbar aus einem der stärksten vegetabilischen Gifte bereitet worden waren, denn ihr Geruch stürzte sofort einen der Herumstehenden in heftige Fieberphantasien, unter deren Einfluß der Unglückliche auf die Knie fiel und unaufhörlich rief: »Platz da, zurück, der Nachtkönig erscheint mit seinem Gefolge. Hoch, hoch, hoch!« Mit Müh' und Noth wurde der verwirrte Mensch gebändigt; die Rächer faßten hierauf den Beschluß, ihren Gefangenen nicht zu lynchen, da dies stets mit Aergerlichkeiten verknüpft sei, sondern ihn sammt dem Höllenpräparate der ordentlichen Gerechtigkeit auszuliefern. Dies geschah, allein die Procedur nahm einen unerwarteten Verlauf, indem Herr Spender nach einigen Wochen als Kläger wider seine Angeber auftrat in einer Verhandlung, die sich nicht uninteressant gestaltete. Auf dem Richtertische stand die verhängnisvolle Schachtel, auf welcher nun bei Tageslicht die Worte zu lesen waren:

Vegueros Flor.

– »So ein Krawall wegen schlechte Cigarren!« sagte Herr Spender, auf die Schachtel deutend. Die Geklagten steckten niedergeschlagen die Köpfe zusammen und besahen sich dann die Schachtel genauer. »Wahrhaftig, Vegwerfos Flor,« seufzte Einer. »Wer konnte an so was denken.«

– »Ich war ein größeres Opfer dieser Cigarren, als Sie, meine Herren,« entgegnete Herr Spender. »Ich erhielt sie zum Geburtstage von einem lieben Freunde, welchem sie auf der Ueberfahrt von Australien nach England das Leben gerettet haben, wie er mir später erzählte. Das Schiff strandete an irgend einer Küste, und er fiel sammt 900 solcher Cigarren, mit welchen ihn unterwegs ein Hochstapler beschenkt hatte, in die Hände von Kannibalen. Die Wilden machten sofort Feuer an, um den armen Schiffbrüchigen zu braten, versuchten aber vorher, um sich zu zerstreuen, einige der Cigarren zu rauchen. Als sie im besten Zuge waren, sofern bei dieser Sorte von einem Zuge die Rede sein kann, verfiel mein Freund in seiner Todesangst auf ein merkwürdiges Rettungsmittel. Er wies die Kannibalen, deren Fratzen unter dem Einflusse dieser Cigarren noch scheußlicher geworden waren, auf den, an den Schachteln ersichtlichen Preis hin. Kaum gewahrten die Wilden denselben, als sie sämmtlich, vom Schlage gerührt, umsanken, hiebei in ihr Feuer fielen und allesammt verbrannten, während mein Freund sich über den einzigen Nichtraucher hermachte, ihn nach kurzem Kampfe überwältigte und gleichfalls in das Feuer warf. In der darauffolgenden Nacht dienten ihm die Cigarren als Fackeln, um ein, nahen Kurs nehmendes Schiff anzulocken, welches ihn auch aufnahm und sammt dem Reste der Rettungscigarren wohlbehalten nach England brachte. Er habe es, so schrieb er mir über meine Beschwerde, nicht für möglich gehalten, daß ich die mir als Beweis seiner Neigung gesendeten Hundert als Rauchobjekt verwenden und dadurch meinen und den Gesundheitszustand eines ganzen Bezirkes gefährden würde. Ich hätte doch das Pöckelsalz auf dem ruppigen Deckblatt der Cigarren sehen müssen – aber als ich das erfuhr, war es zu spät, und es kam zu jener, mich so sehr kränkenden Scene, wegen welcher ich Klage führe.«

Die Geklagten erklärten sich angesichts dieser Sachlage zu jeder Ehrenerklärung bereit, und Herr Spender gab sich schließlich auch mit einer solchen zufrieden. Die Parteien entfernten sich.

– »Halt!« rief der Amtsdiener Herrn Spender nach, »vergessen Sie nicht auf Ihre Cigarren!«

Allein der Angeredete wollte nicht hören, sondern eilte fluchtartig davon. Möge er einen guten Rath annehmen und die Vegueros schleunigst abholen. Es könnte sonst ein Steckbrief wider ihn erlassen werden.

* * *


 << zurück weiter >>