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»Parch!«

Aus dem Fremdwörterbuche der Börse.

An der Börse herrscht bekanntlich ein sehr zwangloser Verkehr und zwar in einer Sprache, die ebenso von Eigenthümlichkeiten strotzt, wie diejenige, in welcher die Geschäftsberichte abgefaßt werden. In den letzteren begegnet man beispielsweise der merkwürdigen Erscheinung, daß die Valuten, vermuthlich einem krampfartigen Anfalle unterworfen, sich plötzlich »versteifen«; oder man findet das für jeden Menschenfreund hocherfreuliche Bulletin, daß »die Lombarden sich erholen«, während es andererseits alle hier ansässigen Bürger der französischen Republik mit Angst und Betrübnis erfüllen muß, wenn sie lesen, daß »die Franzosen eine matte Haltung einnahmen«. Geradezu abenteuerliche Vorstellungen kann aber die Nachricht erwecken, daß »die Curse sich unausgesetzt abbröckeln«, denn unwillkürlich macht man sich da ein grauenhaftes Bild von dem Aussehen des Börsensaales, wenn die Abbröckelung fortschreiten und schließlich die Gefahr eintreten sollte, daß Hunderte von ehrenwerthen Familienvätern unter den herabfallenden Trümmern der Curse begraben werden. Im Gespräche gestatten sich manche Herren an der Börse noch weit größere Freiheiten, so daß gewisse, ursprünglich durchaus unschmeichelhafte oder wohl gar gröbliche Ausdrücke durch den häufigen Gebrauch endlich zu Redensarten werden, welche sie im Munde führen, ohne mehr ihrer eigentlichen Bedeutung bewußt zu sein. Nebst der angenehmen Abschiedsformel »Zerspringen Sie!« – wozu besonders achtbaren Persönlichkeiten gegenüber der Wunsch gefügt wird, daß dies an einem schönen »Jontef« (Feiertag) geschehen möge – ist wohl kein anderer Ausdruck so verbreitet, wie das jüdische Wort »Parch«, welches eigentlich eine Krankheit bedeutet, von der jugendliche und unreinliche Köpfe gerne heimgesucht werden.

Wiederholt hat die Anwendung dieses Wortes auf empfindliche Börsebesucher die Judikatur der Börsekammer oder des Gerichtes herausgefordert, allein regelmäßig zogen es die Gegner am Schlusse vor, sich ohne Richterspruch auszusöhnen. Desto unversöhnlicher standen sich Herr Samuel Pulverbestandtheil und Herr Moriz Wassertrilling vor dem Richter der Innern Stadt gegenüber, da des Erstern Ehre nicht allein durch den Ausdruck »Parch« theilweise gestreift, sondern ihrem vollen Umfange nach durch andere bedenkliche Redensarten gekränkt worden war. Aus der Klageschrift Herrn Pulverbestandtheils ging hervor, daß mit ihm das an der Börse so beliebte Spiel des »Tupfens« getrieben worden war. Eine ruchlose Hand stieß Herrn Pulverbestandtheils Hut zweimal von rückwärts hinab, worauf Herr Pulverbestandtheil die allgemeine Bemerkung machte, daß er sich gezwungen sehe, den »Tupfer« für einen Gassenbuben zu halten.

Einige Minuten später rief ihm der Börsebesucher Herr Wassertrilling zu: »Was schauen Sie mich so an? Ich tupfe nur anständige Leute, keinen Parch. Parchonim tupfe ich nicht.« Herr Pulverbestandtheil gewährte sich angesichts dieser Beleidigung 24 Stunden Bedenkzeit; er stellte nämlich Herrn Wassertrilling erst am nächsten Tage über seine Aeußerung zur Rede, mußte sie aber bei dieser Gelegenheit noch einmal anhören. Darauf sagte er zu seinem Gegner: »Schweigen Sie lieber, sonst werde ich etwas erzählen, was vor fünfzehn Jahren vorgefallen ist.« Herr Wassertrilling wurde über diese Anspielung so wüthend, daß er in die scheinbar unzusammenhängenden Worte ausbrach: »Director der Handelsbank ... Landesgericht ... Sie sind ein miserabler Mensch!« Herr Pulverbestandtheil hielt es für ein Gebot der Klugheit, 41 Tage zu warten, ehe er seine Klage gegen Herrn Wassertrilling einbrachte, damit dieser mit einer etwa beabsichtigten Gegenklage bereits in die Verjährungsfrist falle. Dieses Stücklein gelang wirklich und es lag daher nur die Ehrenbeleidigungsklage Herrn Pulverbestandtheils gegen Herrn Wassertrilling vor. Die Verhandlung darüber nahm folgenden bemerkenswerthen Verlauf:

Richter. Herr Wassertrilling, was haben Sie auf diese Anklage zu erwidern? –

Angeklagter. Ich habe Vorbeigehen müssen vor dem Krätzel und da sagt Herr Pulverbestandtheil zu mir: »Sie, benehmen Sie sich anständig, sonst werd' ich erzählen, was vor fünfzehn Jahren mit Ihnen geschehen ist, das wird Ihnen unangenehm werden.« Herr Richter, ich hab' Schwiegersöhne und bin bekannt an der ganzen Börs', man nennt m'r nur den Renten-Wassertrilling, weil ich hab' umgesetzt schon ein paar Mal die österreichische Staatsschuld, und mir sagt so ein Mensch, er wird von mir erzählen, was vor fünfzehn Jahren geschehen ist? Ich hab' geglaubt, ich muß umsinken. Ich Hab' ihm gesagt: »Herr, das ist eine Niederträchtigkeit von Ihnen; Sie sind verhalten, mir augenblicklich zu sagen, was Sie von mir wissen, sonst ist es eine Miserabilität von Ihnen.

Kläger. Ich bitte, ich sag' es Ihnen.

Angeklagter. So sagen Sie's, ich geb' hundert Gulden gleich aus der Stelle für die Armen und noch mehr.

Kläger ( höhnisch). Sie brauchen nichts zu geben, ich sag's Ihnen so auch. Sie waren vor fünfzehn Jahren mit mir im Wechselhaus Aaronsohn, da haben Sie sich auch so unanständig benommen und haben Skandal gemacht.

Angeklagter ( entrüstet). Hören Sie, Herr Richter, das ist doch großartig. Ich soll mich unanständig benommen haben? Herr Richter, der ich bin geachtet, der ich als Wohlthäter bekannt bin, muß mich hinstellen lassen, daß man glaubt, ich bin ein Mörder?

Richter. Beruhigen Sie sich und lassen Sie nur dem Kläger das Wort. ( Zu dem Letzteren): Haben Sie Ihrer Klage etwas hinzuzufügen? Sie hören, was Herr Wassertrilling gegen Sie vorgebracht hat.

Kläger. Herr Richter, er hat mich einen Parch genannt.

Richter. Ich muß aufrichtig gestehen, daß mir die Bedeutung des Wortes »Parch« nicht klar ist.

Vertheidiger. Parch ist ein Ausdruck, der an der Börse sehr häufig angewendet wird; er bedeutet »Schmock«.

Kläger. Oho, das muß ich besser wissen, Parch ist was Aergeres.

Angeklagter. Nu, was denn? Parch sag' ich zu meinem Vergnügen oft; wenn mer sich nix denkt dabei, so is Parch so a Redensart wie Ganef.

Richter. Was bedeutet aber auf Deutsch dieses sonderbare Wort Parch? Das muß ich wissen.

Wieder wollte es das Verhängnis, daß die beiden Streiter, eben als der Richter Sachverständige über die Bedeutung des »Parch« vorladen wollte, sich bereit erklärten, einen Ausgleich einzugehen. Und so wird der »Parch« an der Börse fortleben, ohne daß bedauerlicher Weise das geheimnisvolle Dunkel seiner Bedeutung gerichtsordnungsmäßig behoben worden ist.

* * *


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