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Zweites Bändchen.

Kriminal-Baisse

Eines Tages plagte mich der Übermut und ich schrieb für mein Blatt folgendes:

Geschäfts-Rückgang. So würde man die gleiche Erscheinung auf dem großen Gebiete des Handels und Verkehres nennen. Aber wenn es unrecht Gut ist, das weniger Umsatz findet, wenn bloß der Verkehr der gelben Zellenwagen nicht so lebhaft ist, wie früher, und die Notierungen auf den Tagzetteln der Saaldiener nicht mehr jenen Umfang und jene Bedeutung haben, wie einst, dann sollte man eigentlich nach einem anderen Worte suchen, das weniger zum Bedauern herausfordert, wie jenes; denn im Grunde soll man sich doch der Thatsache freuen, daß trotz der stetigen Zunahme der Bevölkerung von Wien Anzahl und Größe der vorkommenden Verbrechen eher in der Abnahme, als in der Zunahme begriffen sind. Seien nun die Menschen besser oder bloß schlauer geworden, so steht doch fest, daß die Gefängnisse keineswegs an Überfüllung leiden und selbst die geringeren Vergehen und Übertretungen nicht mehr in jener Massenhaftigkeit begangen werden, wie ehedem. Im Zusammenhange damit steht wohl auch der Mangel an interessanten Gerichtsverhandlungen, welcher es noch dahin bringen wird, daß in nicht allzu ferner Zukunft die Kriminalrubrik etwa nachstehende Gestalt annimmt:

 

Vom Schwurgerichte.

Nach längerer Pause hat der Schwurgerichtshof wieder seine Thätigkeit aufgenommen, und zwar mit einem Falle, welcher wegen seiner Seltenheit geeignet erscheint, das öffentliche Interesse in hohem Grade anzuregen. Ein gewisser Leopold Gaunersdorfer hatte die kurze Abwesenheit seiner Unterstandsgeberin benützt, um mit unglaublicher Frechheit aus einer offenen Kastenlade mehrere gebrauchte, aber wohlerhaltene Strümpfe der alten Frau, ferner einen Krakauer Kalender, sowie zwei Photographien ihres seligen Mannes zu entwenden und damit das Weite zu suchen, welches er aber nicht fand, da er inzwischen festgenommen wurde. Da nach Angabe der so schändlich bestohlenen alten Dame die Bilder ihres Seligen für sie einen unschätzbaren Wert besitzen, somit den Wert von dreihundert Gulden übersteigen, so mußte der Fall, welcher in dem betreffenden Bezirke ungeheures Aufsehen erregte, dem Schwurgerichte abgetreten werden. Zur Verhandlung strömte das Publikum so zahlreich herbei, daß die Wache verdoppelt werden mußte, um die Neugierigen, welche keinen Platz mehr finden konnten, von Ruhestörungen abzuhalten. Diejenigen, welche Einlaß fanden, gehörten fast ausnahmslos der besten Gesellschaft von Wien an. Wir bemerkten aus der Galerie einen Hofschauspieler, welcher gekommen war, um an dem Angeklagten Studien zu machen für die Rolle eines entmenschten Schurken, den er demnächst darzustellen hat. Im Barreau hatten berühmte Verteidiger Platz genommen, welche offenbar durch den Anblick eines so schweren Verbrechers in schmerzlicher Weise an ihre einstigen Triumphe erinnert wurden, denn sie tauschten mit trüben Mienen Händedrücke aus und entsendeten sodann Glückwunschkarten an ihren Kollegen auf der Verteidigerbank, welchem nach der alphabetischen Reihenfolge der Vertretungen ex officio die Verteidigung in diesem Sensationsprozesse zugefallen war.

Eine starke Bewegung entstand im Zuschauerraume, als der Angeklagte Gaunersdorfer auf seinen Platz geführt wurde. Auf den ersten Blick erkannte man in ihm den Typus des gefährlichen Verbrechers, welcher, zum Äußersten getrieben, vielleicht nicht davor zurückgeschreckt wäre, jener hilflosen, alten Frau, falls sie ihn in der Wohnung überrascht hätte, die erbärmlichsten Schimpfnamen zu geben, um sich in dem Besitze des Krakauer Kalenders und der übrigen Wertgegenstände zu erhalten. Der Bösewicht musterte das Publikum in unverschämter Weise und kniff, als er die Beschädigte auf der Zeugenbank erblickte, höhnisch sein linkes Auge zu. Ein Sturm von Entrüstung ging durch den Saal ob solch' ungeheuerlicher Verderbtheit, und derselbe steigerte sich noch, als die corpora delicti vorgewiesen wurden. Der Angeklagte erhielt die Aufforderung, sich den Gegenständen zu nähern und dieselben fest ins Auge zu fassen. Mit atemloser Spannung erwartete das Publikum, die Strümpfe der Beschädigten bei Annäherung des Mannes, der sich ihrer in so frevelhafterweise bemächtigt hatte, bluten zu sehen. Dieses Zeichen seiner Schuld trat allerdings nicht ein, allein es war auch nicht notwendig, denn der Unhold legte ein volles Geständnis seiner That ab, ohne indes die Motive derselben bekannt zu geben. Die Ärzte deponierten hierüber, es sei allerdings möglich, daß bestimmte Individuen eine krankhafte Neigung zu Krakauer Kalendern, Strümpfen und sonstigen verlockenden Besitztümern fassen könnten, allein, man könnte sie deshalb keineswegs als unzurechnungsfähig bezeichnen. Auch der Angeklagte Gaunersdorfer habe sich zur kritischen Zeit bei vollem Bewußtsein der Verwerflichkeit seiner Handlungsweise befunden, da er die besagten Strümpfe umgekehrt angezogen habe, um so die Entdeckung des Verbrechens zu erschweren. Die Sachverständigen im Schriftfache gaben ihr Gutachten dahin ab, daß das Wort »Esel«, welches auf eines der Bilder des Seligen geschrieben worden, unbedingt von der Hand des Angeklagten herrühre. Als sie der Probe halber das Verlangen stellten, der Angeklagte möge dieses Wort niederschreiben, that er das sogar zweimal mit der Bemerkung, er glaube, daß jeder der beiden Herren Anspruch auf diese Schriftprobe habe. Obschon er, gewiß absichtlich, beide Male »Aesel« schrieb, so habe er doch die Sachverständigen nicht über die Gleichheit der Schriften zu täuschen vermocht. Dieser Befund rief einen merkwürdigen Zwischenfall hervor. Die Beschädigte erklärte nämlich, sie erinnere sich, nach einem kleinen häuslichen Zwiste selbst das Wort »Esel« auf eines der Bilder ihres seligen Gatten gesetzt zu haben, um denselben zu ärgern, worüber sie sich heute noch die bittersten Vorwürfe mache. Nach längerer Debatte gaben die beiden Sachverständigen auch dies als möglich zu und rechtfertigten ihren früheren Ausspruch mit der unleugbaren Thatsache, daß ein Esel mit dem anderen insgemein große Ähnlichkeit habe. Damit war das Beweisverfahren geschlossen und es wurde die Sitzung auf eine Stunde unterbrochen. In lebhafter Weise die Ereignisse des Vormittags und den wahrscheinlichen Ausgang des Prozesses diskutierend, strömte das Publikum aus dem Saale. Nach Wiederaufnahme der Verhandlung trug sich eine erschütternde Scene zu. (Forts. im Morgenblatte.)

 

Ein Ehrenhandel.

Wie weit ein Mensch sich vergessen kann, wenn er blind der Eingebung seiner Leidenschaft folgt, das zeigte ein Fall, welcher gestern zur Verhandlung kam. Es begab sich eines Tages im Gasthause »zur Spinnerin«, daß Herr Max Reiter von mehreren Gästen hinausgeworfen wurde. Wodurch dieser unheimliche Vorfall veranlaßt worden, ist nicht genau bekannt. Aus den hierüber vorhandenen Zeugenaussagen geht bloß hervor, daß Herr Reiter schon seit längerer Zeit den lebhaften Unwillen vieler Gäste durch die fatale Gewohnheit erregt hatte, laut zu schluchzen und zu schnarchen. Es wurde ihm dies mehrmals verwiesen, doch ohne Erfolg, weshalb die Stimmung wider ihn sich immer gereizter gestaltete. Als nun an dem kritischen Tage Herr Reiter abermals den Schlucken kriegte, ließen sich zwei Herren, welche nicht genannt sein wollen, vom Zorne übermannen, stürzten sich auf Reiter und warfen ihn trotz seiner Gegenvorstellungen auf die Straße. Hier angelangt, stieß Reiter einen furchtbaren Fluch nebst der Drohung aus, daß er sich rächen werde. Er verlangte seinen Hut, welcher ihm auch von dem Kellner gebracht wurde. Zu dem Letzteren äußerte sich Reiter, daß sich in dieser Nacht noch etwas Schreckliches ereignen werde. Eine ähnliche Bemerkung machte er zu einem Jungen, von welchem er sich den Rock reinigen ließ. Sodann verschwand er im Dunkel der Nacht, während die im Lokale zurückgebliebenen Gäste in trüber Vorahnung des Kommenden schweigend ihren Wein austranken und sich allmählich entfernten, mit Ausnahme der beiden Herren, welchen der Racheschwur Reiters gegolten hatte. Diese wagten es lange nicht, den Heimweg anzutreten; als aber der ausgesandte Kellnerjunge versicherte, weit und breit in der Straße sei niemand zu sehen, machten auch sie sich auf den Heimweg. Sie gingen ihrem Verderben entgegen ...

Im Schatten eines Hausthores, das sie passieren mußten, lauerte, zitternd vor Rachgier, der von ihnen so schwerbeleidigte Reiter. Sie bemerkten ihn nicht, als sie vorbeikamen, und er konnte sich daher von rückwärts an sie heranschleichen und meuchlings die That vollbringen, zu welcher seine sinnlose Leidenschaft ihn antrieb. Dieselbe bestand in mehreren Angriffen. Zunächst sprang Herr Reiter wie ein Tiger auf die Beiden zu, stieß ihre Köpfe zusammen und versetzte jedem, ehe er zur Besinnung kommen konnte, je eine Ohrfeige von solcher Üppigkeit, daß man füglich von Verschwendung sprechen könnte. Sodann ergriff er ein bereit gehaltenes Fläschchen, schüttete dessen Inhalt seinen verblüfften Gegnern ins Gesicht und entfloh unter dem Hilfegeschrei der Überfallenen. Diese verspürten ein furchtbares Brennen in den Augen und im Gesichte, wobei sie in ihrem namenlosen Schmerze an die Attentate mit Schwefelsäure dachten, welche in früherer Zeit so oft von rachsüchtigen Personen begangen worden waren. Allein, in der nächsten Rettungsanstalt, wohin man sie brachte, wurde festgestellt, daß die Flüssigkeit, mit der sie übergossen worden, bloß – Kirschwasser gewesen sei.

Zur Verantwortung gezogen, erklärte Reiter, er habe die That aus Ehrgefühl begangen, und sein Verteidiger, ein sanfter, junger Anwalt, pflichtete diesem Motive vollständig bei: »Können Sie sich, meine Herren«, rief er aus, »den bodenlosen moralischen Abgrund vorstellen, in welchen jeder versinkt, wenn er hinausgeworfen wird und keine Genugthuung hat, an die er sich halten könnte? Wir wurden hinausgeworfen und damit maßlos beleidigt; wir haben Revanche geübt, indem wir den Gegnern ein wenig die Köpfe zusammendrückten und ihnen ein leichtes Brennen im Gesichte verursachten, da uns doch die Beleidigung so sehr in der Seele brannte. Es hat gewaltthätige, rohe Zeiten gegeben, wo solche Ehrenhändel mit dem Messer ausgeglichen worden wären.«

Der Staatsanwalt erwiderte hierauf, daß er auf Grund des eben abgelegten Geständnisses des Verteidigers, im Vereine mit dem Angeklagten jene Übelthat gesetzt zu haben, auch auf jenen die Anklage ausdehnen müsse. Der Verteidiger beeilte sich, dieses Mißverständnis damit aufzuklären, daß er bloß im Eifer des Plaidierens sich so lebhaft an die Seite des Angeklagten gestellt habe.

Das Urteil lautete schließlich wegen der besonderen Arglist und unerhörten Roheit in der Handlungsweise des Angeklagten auf lebenslängliche Abschließung an einem abgesonderten Orte.

 

Kleine Nachrichten.

– Ein Sensationsprozeß steht für nächste Zeit in Aussicht. Carlo Bimboni, der bis vor kurzem noch hochgeachtete Besitzer eines fliegenden Standes mit Südfrüchten, hat sich dem Verbrechen in die Arme geworfen und mit einem Deficite von rund 57 fl. 66½ kr. Krida gemacht. Der Prozeß soll empörende Enthüllungen über die leichtsinnige Art seiner Kreditgewährung bringen.

– Dieser Tage wurde berichtet, daß man in einem den anarchistischen Umtrieben nahestehenden Keller eine Art Höllenmaschine fand. Wir sind in der angenehmen Lage, mitzuteilen, daß jene Anarchisten den lächerlichen Irrtum begangen haben, ein Bügeleisen älterer Konstruktion als ein Werkzeug für ihre verruchten Zwecke versteckt zu halten.

– Das Gerücht von der Einlieferung eines Elenden, der einem Passagier der Tramway in die Tasche griff, bestätigt sich. Es sind alle Anstalten getroffen, um der Wiederholung eines so lasterhaften Vorganges zu steuern.

*

Und zum Schlusse möchte ich dann eine Personalnotiz beifügen können, etwa nachstehenden Inhaltes: Infolge andauernder Redlichkeit aller p.t. Persönlichkeiten, welche mir sonst im »Gerichtssaal« zu schaffen gemacht haben, habe ich ein anderes Ressort übernommen und verabschiede mich mit der Versicherung beträchtlicher Hochachtung für alle, die durch Unterlassung bemerkenswerter Schandthaten diese günstige Wendung herbeigeführt haben.

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In der Woche nach dem Erscheinen vorstehenden Artikels trugen sich in Wien folgende Begebenheiten zu:

Ein fünffacher Raubmord.

Ein zweifacher Meuchelmord.

Ein vierfacher Raubmord.

Eine Kirchenschändung.

Ein imposanter Betrugsfall.

– »Sie sind rasch und gründlich dementirt worden«, sagte der Chef mit arger List. Und mit dem andern Ressort war es natürlich wieder nichts.

* * *


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