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Der Nasenabbeißer

Eine wahre Begebenheit.

Die Geschichte, wie der Hausierer Johann Eisenzopf eines Tages um seine Nase kam, gelangte vor der Jury zur Besprechung. Besagter Eisenzopf verbrachte in Gesellschaft eines Berufsgenossen, des »Gottschewers« Anton Mancé, nachdem beide ihre Tragkörbe (mit dem bekannten Inhalte von Pomeranzen, Feigenkränzen, Datteln, lächelnden, fächelnden Damen auf Bonbonschachteln nebst schmierigen Spielnummern) im sogenannten »Klub der Krainer« in Sicherheit gebracht hatten, eine ganze Nacht in verschiedenen Branntweinläden. Das Glück lächelte den beiden, denn als die letzte Bude hinter ihnen abgesperrt worden war, stießen sie in Hernals auf eine, die eben wieder aufgemacht wurde. In dieser zechten sie eine Weile schweigend, schauten sich dann plötzlich grimmig an und begannen ebenso plötzlich und ohne merkliche Ursache über einander herzufallen, um sich mit erschrecklichem Eifer zu würgen. Der Branntweinschänker, an solche Auftritte gewöhnt, wurde sofort von dem glücklichen Gedanken erleuchtet, es womöglich durch seinen Zuspruch dahin zu bringen, daß sich die beiden selbander vor die Thüre setzten. Als eine Pause in dem Walten der Würgengel eintrat, raunte der Schlaukopf dem Mancé zu, seinen Gegner ohne weitere Umstände hinauszuwerfen, was sich derselbe nicht zweimal sagen ließ, sondern tüchtig zugriff und mit Hilfe des Wirtes den Eisenzopf richtig zur Thüre brachte. In dem Augenblicke aber, als Eisenzopf in jenen Schwung gebracht wurde, der ihn auf die Straße setzen sollte, zwinkerte der Wirt dem Bedrohten zu und sagte, auf den gewaltig arbeitenden Mancé deutend: »Nimm ihn mit, du Esel!« Eisenzopf hatte gerade noch Zeit, diesem Rate zu folgen, klammerte sich an Mancé fest und beide kollerten auf die Straße hinaus. Der Wirt wünschte ihnen hierauf gute Verrichtung und sperrte sorgfältig die Thüre zu.

Die Hausierer setzten nun den Kampf mit unverminderter Wut auf der Straße fort. Bald war Eisenzopf obenauf und schlug den Kopf seines Gegners auf das Pflaster, daß diesem die Zähne klirrten; bald hatte Mancé die Oberhand und schnappte nach Eisenzopf wie ein toller Hund. Während der Kampf am ärgsten tobte, kam ein zweirädriger Karren angefahren. War der Kutscher desselben betrunken, schlief er, oder sah er die beiden Raufhähne in der Morgendämmerung nicht – er fuhr mit dem Karren über ihre Körper hinweg, daß ihnen die Rippen knackten und Mancé, der gerade obenauf lag, noch nach Monaten einen gewaltigen Striemen am Rücken trug, den ihm das Wagenrad beigebracht. Da aber seltsamerweise keiner dabei eine ernste Verletzung erlitten hatte, so hielten sie auch nicht einen Moment in der Balgerei inne, sondern droschen aufeinander los, daß es eine Art hatte.

Plötzlich stieß Eisenzopf einen fürchterlichen Schrei aus. Der schnappende Mancé war ihm endlich doch beigekommen und hatte ihm die Nasenspitze vollständig abgebissen, so daß nur ein blutender Stumpf zurückblieb. Die abgebissene Nasenspitze konnte nirgends mehr aufgefunden werden. Man vermutete anfänglich, Mancé habe an diesem kühlen Morgen nicht sobald etwas Warmes zwischen den Zähnen gefühlt, als er es schon hinunterschluckte. Es ist indes bei dem Leugnen Mancé's wahrscheinlicher geworden, daß dieser die Nasenspitze als ehrlicher Mensch zurückgegeben habe, allerdings vielleicht zu hastig, sodaß sie dem aus vollem Halse brüllenden Eisenzopf in den Schlund fiel und also von ihrem Eigentümer selbst verspeist wurde.

Mancé kam unter die Anklage der schweren körperlichen Verletzung nach dem höheren Strafsatze, da er seinem Gegner, der vier Wochen im Spitale zubringen mußte, eine dauernde Verunstaltung zugefügt habe. Der Angeklagte, von dem bekannt wurde, daß er vor zwei Jahren einem Landsmann den Daumen abgebissen, sowie überhaupt bisher mit seinem Gebiß Thaten vollbracht hat, welche die Anlegung eines Maulkorbes als wünschenswert erscheinen ließen, verteidigte sich mit Trunkenheit. Eisenzopf erschien mit den traurigen Überresten seiner einstigen Nase als Zeuge und verlangte eine Entschädigung von fünfzig Gulden. Man konnte sich jedoch nicht verhehlen, daß dieser Mann keineswegs so entstellt aussah, als bei dem schmerzlichen Verluste, den er erlitten, befürchtet werden mußte. Auch im Vollbesitze seiner Nase wäre er kaum von überwältigender Schönheit gewesen und diesen Eindruck empfingen offenbar auch die Geschworenen, denn sie betonten in ihrem Wahrspruche, daß Eisenzopf keineswegs eine »dauernde Verunstaltung« erlitten habe. Der Nasenabbeißer kam auf diese Weise mit einer fünfmonatlichen Arreststrafe davon. Wohin die abgebissene Nasenspitze gekommen, darüber vermochte auch die Verhandlung eine Gewißheit nicht zu bringen.

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