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»Volksthümlich.«

Es kommt nur darauf an, bei Betrachtung von Ereignissen den Gesichtspunkt zu ändern, und man erblickt sie dann auch ganz anders. Wir haben uns vorgenommen, einmal auch jenen gewissen volksthümlichen Ton in der Erzählung anzuschlagen, durch welchen die Thatsachen eine so merkwürdige Veränderung erfahren und ungefähr so fremdartig aussehen, wie irgend eine wohlbekannte Gegend, wenn man so eigensinnig ist, sie mit vornüber gebeugtem Kopfe, zwischen den Beinen hindurch zu betrachten. Nachstehend einige Gerichtsfälle, welche sich zu einer derartigen Behandlung vortrefflich eigneten.

 

Wilde Ehe

Die Leute nannten sie wild, da sie nicht vor dem Priester, sondern aus freier Herzensneigung geschlossen worden. Johann Blaschitz war, wie schon sein Name andeutet, ein Schuhmachergehilfe und sein Einkommen daher kein glänzendes zu nennen. Aber Alles, was er verdiente, lieferte er pünktlich an seine geliebte Lebensgefährtin Anna Heinz ab, mit alleiniger Ausnahme dessen, was er ab und zu im Gasthause vorher vertrunken hatte. Seine Anna hatte allerdings über diesen letztern Punkt ihre eigenen strengen Anschauungen, wie sie eben einem braven wirtschaftlichen Weibe zukommen. Denn, da auch sie bisweilen ein Gläschen trank, so dachte sie mit Recht, daß der Posten für Getränke in dem bescheidenen Budget der Blaschitz'schen Häuslichkeit eine unverhältnismäßige Höhe erreichen werde, und deshalb machte sie ihrem Josef zuweilen wohlgemeinte Vorwürfe. Man lasse sich nicht beirren durch die Drastik der Ausdrücke in denselben; wenn Frau Anna beispielsweise ihren Josef mit den Worten »du b'soffener Haderlump« empfing, so meinte sie es gewiß um kein Haar schlechter, als eine den besseren Ständen angehörige Frau, welche ihren heimkehrenden Gemahl durch die Bemerkung kränkt: »Ach, wie du wieder nach Tabak riechst!« Diese rauhere Außenseite des Verkehres wird nie einen Volkskenner über das Bestehen eines außergewöhnlich zärtlichen Verhältnisses zu täuschen vermögen. Oft traf man die Beiden so fest umschlungen an, daß bösartige Nachbarn das Gerücht verbreiteten, es sei auf Tod und Leben gerauft worden; und wiederholt seufzte Anna Heinz, sie ahne, daß sie in seinen Armen sterben werde. Diese Ahnung einer liebenden Frauenseele sollte nur zu bald in Erfüllung gehen und damit das schöne Band gelöst werden, das die beiden Liebenden aneinander fesselte.

An einem Novembertage entstand zwischen ihnen wegen eines Härings, den Herr Blaschitz nicht gerne essen mochte, eine kleine Neckerei. Anna Heinz machte bei dieser Gelegenheit den offenbar scherzhaften Versuch, festzustellen, ob Blaschitz's Kopf oder ein eiserner Topf, den sie eben in der Hand hielt, einen höheren Härtegrad besitze. Die Frage blieb unentschieden, da Blaschitz ungemein rasch auf den Einfall kam, Frau Anna's Kopf zwischen die Kniee zu nehmen und eine Weile darauf mit den Fäusten zu hämmern. Während dieses Vorganges bereitete ihm Frau Anna den Schmerz, zu sterben – ihre trübe Ahnung war eingetroffen. Vergebens bemühte sich der trostlose Mann, die Geliebte wieder ins Leben zurückzurufen, indem er ihr Haupt mit kaltem Wasser benetzte. Eine Nachbarin, die dieses sah, beruhigte die übrigen Herbeigeeilten mit den Worten: »Er wascht sie ja schon,« womit die gute Frau auf Grund ihrer Erfahrungen versichern wollte, das Schlimmste sei nun gewiß vorüber. Dies war auch leider der Fall, wenn auch in anderem Sinne. Die Aerzte sagten, daß die Verstorbene zu dünne Arterienwände gehabt habe, so daß leicht ein Bluterguß ins Gehirn stattfinden konnte. Wäre dieser unglückselige Umstand früher zur Kenntnis Blaschitz's gekommen, so hätte sich Letzterer vielleicht an jenem verhängnisvollen Tage einige Beschränkung auferlegt. Es war zu spät! ... Für den armen Mann kamen nun trübe Tage. Er mußte in das Gefängnis und wegen Todtschlags vor die Jury. Keiner der Geschworenen verstand die Laute, welche aus dem Munde des Angeklagten kamen. Sie waren scharf, wie Gewissensbisse. Der Mann sprach Czechisch. Mitunter ward eine rauhe, donnernde Stimme vernehmlich, vor welcher der Angeklagte bis ins Innerste erbebte; denn sie schien aus der Tiefe zu kommen, wie das Grollen unterirdischer Mächte. Es war die Stimme des bewährten böhmischen Dolmetschers. Ihre letzten Worte lauteten: Drei Jahre schweren Kerkers! ...

*

Ein Bettler.

Ergreifendes Elend grinst uns aus den zahllosen Löchern in der Kleidung dieses Mannes an, der, zu stolz, um Arbeit zu erbetteln, zu ehrenhaft, um zu stehlen, das bittere Brot Derjenigen genießt, welche keinen anderen ständigen Wohnort haben, als das Strafhaus. Wohl wahr, daß er ungefähr zwanzig Male wegen Straßenbettels und Vagirens abgestraft worden; aber blieb ihm denn ein anderer Ausweg, wenn man ihn immer wieder unbarmherzig aus dem warmen Gefängnisse auf die kalte Straße hinausstieß, als hier ein steifes Bein zu machen und auf Grund desselben Liebesgaben einzusammeln? Darf es Wunder nehmen, daß die vaterlose Waise sich immer wieder zu Dem hingezogen fühlt, den im Gefängnisse alle Lippen »Vater« nennen, weil er Verwalter desselben ist? Der Mann, von dem wir sprechen, führt den beliebten Namen Kümmel, Johann Kümmel. Er hatte eine Braut, welche er heimzuführen gedachte, sobald er sich einmal während der ganzen drei Wochen des Aufgebotes auf freiem Fuße befinden werde. Allein sie heirathete in seiner Abwesenheit einen Hausmeister. Johann Kümmel erzählte sein Mißgeschick einem Freunde. Dieser machte ihm das wahrhaft freundschaftliche Anerbieten, gegen ein Honorar von fünf Gulden der Ungetreuen eine solche »Watschen« (Ohrfeige) zu geben, daß sie zeitlebens »verschandelt« (entstellt) wäre. Ach, wie drückend ist doch Armuth! Kümmel konnte so viel nicht spenden für diesen Zweck, und es blieb ihm daher nichts übrig, als persönlich diese Ehrensache in Ordnung zu bringen. Er bedrohte die Frau Hausmeisterin mit dem Erstechen und wurde deshalb festgenommen. Vor Gericht zeigte er die Stärke seiner Grundsätze und Entschließungen, seinen ungebeugten Lebensmuth.

– »Warum arbeiten Sie nicht?« fragte ihn der Vorsitzende. Kümmel war für einen Moment überrascht durch diese Frage. Dann sagte er kurz:

– »Weil i net arbeiten kann; stehl'n mag i a net, weil i z' feig' bin dazu, bleibt nur's Betteln. Mit mein' Binkel Strafen geht's net anders.

Bald darauf wurde ihm gesagt, daß er wegen gefährlicher Drohung auf achtzehn Monate in den Kerker müsse. Kümmel war gar nicht überrascht durch diese Bemerkung. Er erhob sich wie ein Held und sprach blos:

– »Na, so geh'n m'r halt wieder zum »Vattern«!

Wer dächte da nicht an Heine's herrliche Worte: Du lächelst, o, mein ewiger Vater? ...

*

Beim Heurigen. Heuriger wird in Wien der vollständig ausgegohrene Wein letzter Fechsung genannt. Der halbgegohrene heißt Sturm.

Herr Much ist auch im Sommer vergnügt. Man muß dies besonders hervorheben, da Herr Much eigentlich nur in der kühlen Jahreszeit ein erträgliches Dasein führen kann. Er ist nämlich so beleibt, daß er seit Jahr und Tag nicht mehr die Säcke in seinen Beinkleidern erreichen kann, woran schließlich nichts liegt, da er sich ja zur Noth mit den Rocktaschen zu behelfen vermag. Aber solche Beleibtheit bringt noch andere Aergerlichkeiten mit sich, die jeden Anderen verzagt machen würden, nur Herrn Much nicht, aus dessen rundem Gesicht mit dem Doppelkinn die Lebenslust der Altwiener spricht, der gesunde »Hamur«, die Freude am »Aufdrah'n«. Tolle Streiche machen. Obschon selber Gastwirth, verachtet Herr Much doch den guten Tropfen nicht, der anderswo geschänkt wird. Und so fuhr er eines Tages zum »Rothen Stadel« Ein beliebter reizender Ausflugsort nächst Wien in der Nähe des Jesuitenklosters Kalksburg. hinaus, wo die »harben Geister« zusammenkommen im Gegensatze zu den weit weniger aufgeräumten Geistern des benachbarten Kalksburg. Im Hofe des Wirthshauses stieß der fidele Herr Much auf ein Heurigen-Quartett, dem er sofort die Weisung gab, einige jener wundersamen Lieder zu spielen, die dem Wiener so ins Blut gehen, als wären sie der in Töne umgestaltete Traubensaft von den sonnigen Abhängen unseres Nußberges. »Anspiel'n« oder »anstrudeln« heißt das in der Sprache des Heurigen; Herr Much ließ sich »anspiel'n« und seine kugelrunde Gestalt mit den feisten, leuchtenden Wangen tanzte schließlich in übermüthiger Begeisterung an der Spitze der Musikanten in das Gastzimmer hinein. Das war Jemandem aus der Schaar der Gäste dort nicht recht. Dieser Jemand – sein Name ist nicht bekannt – führte einen Stoß nach dem Bauche Herrn Muchs, es entstand im Nu ein Tumult und kampfbegierig fuhr Alles von den Sitzen empor. Einige besonnene Männer versuchten die Sache zu schlichten und hielten zu diesem Zwecke Ansprachen an einander; allein dies hatte nur die merkwürdige Folge, daß diese besonnenen Männer zuerst zu raufen anfingen. Der Wirthssohn Herr Bauer sagte später aus, daß er beim Eintreten in den Saal den Bürgermeister mit der Miene eines Friedensrichters einem anderen Gaste zusprechen sah. Einen Moment später rauften dieser Gast und der Friedensrichter mit solcher Leidenschaft, daß er sie kaum auseinander zu bringen vermochte. Während er noch mit den Beiden beschäftigt war, begann ein anderes Häuflein aus ebenso unbekannten Gründen an der Thüre wie vom Bösen besessen, zu raufen, und mitten unter diese Gladiatoren hinein flog plötzlich ein Literglas, das klirrend an einem harten Gegenstande, der sich nachher als ein Kopf erwies, zerschellte. Nähere Nachforschungen ergaben, daß der arme Herr Much eine Verletzung am Kopfe erlitten hatte, und alsbald wurde auch der Thäter, ein Kellner, Namens Thuma, eingefangen. Er bekam drei Tage Arrest. Herr Much konnte sich vor dem Appellsenate noch nicht beruhigen über die mangelnde Legitimation zu einem Angriffe wider ihn.

– »Hat mit Ihna wer was g'redt?« fragte er den Angeklagten. Dieser mußte verneinen.

– »Na alsdann!« meinte Herr Much, dem Angeklagten gewissermaßen zu verstehen gebend, daß derselbe ein andermal vor dem Wurf mit einem Literglase warten möge, bis man ihn einer Ansprache gewürdigt habe. Der Angeklagte schien wirklich in dieser Unterlassung den schlimmsten Theil seiner Schuld anzuerkennen.

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Erlebnisse eines Kindes.

Das Kind der Dienstmagd Marie Bartoni erblickte erst längere Zeit nach seiner Geburt das Licht der Welt. Unmittelbar, nachdem es sich dem Mutterschooße entrungen hatte, gerieth es nämlich zu seiner peinlichen Ueberraschung in einen finsteren Kübel.

Obwohl das junge Geschöpf keineswegs darüber unterrichtet war, welche Anstalten sonst zur Aufnahme so zarter Wesen gebräuchlich seien, so fühlte es doch, daß ein Kübel nicht der richtige Ort sein könne, um darin die ersten Lebensjahre zuzubringen.

Namentlich empfand es eine gewisse Beängstigung, als es wahrnahm, daß alle Bemühungen, eine mehr naturgemäße Stellung einzunehmen, als es das Kopfstehen war, an dem beschränkten Raum des Kübels scheiterten. Einmal überzeugt, daß seines Bleibens an diesem unzweckmäßigen Orte nicht sei, äußerte es sein berechtigtes Verlangen nach einer Veränderung durch ein Geschrei, welches um so kräftiger klang, als der Kübel dabei ungefähr die Wirkung einer Posaune ausübte.

Erschreckt eilte die Mutter herbei und wickelte das Kind rasch in einige Kleidungsstücke, da sie offenbar dachte, es schäme sich. Sodann legte sie es in eine Truhe und entfernte sich. Allein das gescheidte Kind war keineswegs befriedigt von diesen Zugeständnissen. Ihm däuchte die ganze Behandlung unwürdig und herausfordernd, weshalb es, da es ein Wiener Kind war, einen gewaltigen »Bahöl« (Lärm) anfing. Es lärmte in der Truhe drinnen so lästerlich, daß eine Menge Leute herzuliefen, um den Raubmörder zu verscheuchen. Als sie den Deckel der Truhe öffneten, soll das Kind dem Ersten, der ihm nahe kam, aus Aerger über das allgemeine Erstaunen eine Ohrfeige gegeben haben, doch wollen wir das nicht bestimmt behaupten, da es immerhin ein Akt der Undankbarkeit des Kindes gegen seine Retter gewesen wäre.

Das Kind befand sich seitdem wohl, nicht so die Mutter. Diese wurde des versuchten Kindesmordes bezichtigt und kam vor die Geschwornen. Sie betheuerte jedoch, daß sie das Kind nur für kurze Zeit vor den Hausgenossen habe verstecken wollen, um es später unbemerkt auf das Land zu schaffen. Mordgedanken seien ihr ferne gewesen. Die Jury schenkte dieser Verantwortung Glauben und sprach die Angeklagte einhellig frei. Jetzt befinden sich also Mutter und Kind wohl.

* * *


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