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Der Hinterwäldler

Profil eines Romanlesers.

Offenbar aus Scham und Zaghaftigkeit, weil durch gute Romane so viel Unheil über die Menschen gekommen, werden jetzt so wenig gute mehr geschrieben. Es ist auch eine schwere Verantwortung. Nach dem Erscheinen von Werthers Leiden knallten sich in den deutschen Gauen Dutzende von melancholischen Jünglingen nieder und über den »Rittern vom Geiste« rieb so Mancher das bißchen Geist auf, das er bis dahin besessen. Alles aber ließen an Wirkung hinter sich die Romane aus dem amerikanischen Leben, die eine Zeit lang das Leseterrain beherrschten. Sie weckten die Auswanderungswuth unter den Erwachsenen und die Kampfwuth unter den Jungen, die einander leidenschaftlich mit gefiederten Pfeilen die Augen blind schossen, mit dem Lasso die Hälse würgten und mit Bolas die Beine zerhieben.

Die Schilderungen aus dem Prairieleben waren in der That verlockend. Da ist die Hauptfigur, ein Weißer, der aus Gründen, die der Romancier mit dem Schleier der Vergeßlichkeit bedeckt, nach Amerika auswandert, um dort unter den Wilden zu leben, da die zahmen Bewohner von Europa die beklagenswerthe Absicht gehegt hatten, ihn einsperren zu lassen. Als großer Jäger durchstreift er die Prairien mit der nimmerfehlenden Büchse, allgemein geachtet von den Indianern, welche ihn wegen der Dimensionen seiner Füße den »Großen Mokassin« nennen. Nach unzähligen Abenteuern mit grauen Bären, feindlichen Indianerstämmen und sonstigen Unannehmlichkeiten sieht er eines Tages vor einem Wigwam Rothhäutchen, die schöne Tochter des Häuptlings Büffelauge sitzen und ihres Vaters Mokassins flicken, so gut es gehen will. Er verliebt sich in die Schöne, dieser gefällt das Bleichgesicht, es folgt ein Kampf mit einem früheren Verehrer Rothhäutchens, den der Große Mokassin mit dem Tomahawk niederschlägt, daß das ganze Indianerdorf vor Bewunderung aufheult – und Rothhäutchen wird die Squaw des Großen Mokassins. Dieser wird nach dem Hingange des Büffelauges in die Gefilde des Großen Geistes Häuptling und fühlt sich in dieser gesicherten Stellung bis an sein Lebensende äußerst behaglich.

Derlei Geschichten hatten den Schriftsetzer Adolf Vondra schon frühzeitig auf den Gedanken gebracht, daß er sich als Hinterwäldler weit besser ausnehmen würde, denn in Pantoffeln und Hemdärmeln vor einem europäischen Setzkasten. Als er nun gar eine kleine Erbschaft machte, festigte sich sein Entschluß, es dem großen Mokassin nachzuthun, vollends, und um sich gegen die ihn erwartenden Strapazen abzuhärten, trank er vorläufig unmäßig viel Rum. Auch las er von jetzt an nur mehr die amerikanischen Romane Gerstäckers und trug stets einen Revolver bei sich, um gegen jeden Angriff eines verruchten Indianers oder eines reißenden Thieres gerüstet zu sein. Nach einer Nacht, welche er im Urwalde des Praters zugebracht hatte, entwickelte er in einem Gasthause vor zwei Kameraden seine Reisepläne und gedachte sie in Erstaunen zu versetzen über die Fertigkeit, die er sich bereits in der Handhabung von Feuerwaffen erworben. Er nahm den Revolver aus der Tasche, drückte daran mit unbeholfenem Finger und im nächsten Augenblicke lag einer der Zuschauer, tödtlich in die Schläfen getroffen, röchelnd am Boden. Der Unglückliche starb, während man ihn ins Spital trug. Vondra war außer sich über die That; er weinte und rief den Leuten zu: »Ich bin ein Mörder, laßt mich verhaften!«

Wegen Vergehens gegen die Sicherheit des Lebens vor einen Erkenntnisgerichtshof gestellt, zeigte er auch da aufrichtigste Reue über seine Unvorsichtigkeit.

– »Sie haben offenbar damals stark getrunken gehabt?« fragte ihn der Vorsitzende.

– »Nein,« erwiderte verschämt der Angeklagte, ein ganz netter junger Mensch.

– »Protestiren Sie doch nicht gegen den einzigen Milderungsgrund, der für Sie spricht,« rieth ihm der Vorsitzende, worauf sich der angehende Hinterwäldler zu der fraglichen Concesston herbeiließ.

– »Sie haben,« fuhr der Präsident fort, »viele Reisebeschreibungen über Amerika gelesen; dadurch war Ihre Phantasie angeregt und Sie wollten offenbar auch solche Streifungen durch die Wälder machen, wie sie dort geschildert sind?«

– »Ja,« nickte der junge Mensch, aus dessen Miene eine bedeutende Abkühlung seiner Vorliebe für Hinterwäldler und Hinterlader gelesen werden konnte. Der Vorsitzende probirte hierauf selbst die Mechanik des Revolvers und da er den Lauf gegen das Publikum gerichtet hatte, so schraken einige Personen unter dem frischen Eindrucke der Verhandlung heftig zusammen.

– »Bitte, nicht zu erschrecken,« beruhigte sie der Vorsitzende lächelnd, »der Revolver ist nicht mehr geladen!«

– Der unbedachtsame Hinterwäldler wurde zu einer Arreststrafe verurtheilt und machte hiezu eine Miene, welche ihm von Seiten seiner rothhäutigen Freunde sicherlich den schmeichelhaften Häuptlingsnamen »Großer Schafskopf« eingetragen hätte.

* * *


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