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Frau Steigenbergers Zimmerherr

Sie war eine der liebenswürdigsten alten Wienerinnen, die wir je gesehen. Ein Pelzmantel aus der Kongreßzeit bedeckte ihre schmächtige Gestalt, eine abgesteppte Seidenhaube mit Krausen hatte sie unter dem Kinn zusammengebunden, an den Schläfen steckte das silberweiße Haar sorglich gedreht in kleinen, aus Roßhaar geflochtenen Klemmen, wie sie vor langer, langer Zeit üblich waren, und in den Händen hielt sie einen altertümlichen Muff von der Größe einer Baßtrommel. So kam Frau Anna Steigenberger in das Amtszimmer des Bagatellrichters und setzte sich bescheiden in einer Ecke nieder, um zu warten, bis ihre Sache aufgerufen würde. Bis dies geschah, verfolgte sie teilnahmsvoll die Auseinandersetzungen, welche zwischen einem Schneider und dessen Schuldner stattfanden, gab durch Kopfnicken bald dem unbezahlten Schneider, bald dem seine Zahlungsunfähigkeit beteuernden Schuldner Recht, und war schließlich auch mit dem Erkenntnis des Richters so innig einverstanden, daß sie sich gedrungen fühlte, diesem lebhaft zuzunicken, worüber sie bald vergessen hätte, ihr Taschentuch an die Nase zu führen, um die Spuren der Gemütsbewegung, welche sich merkwürdigerweise gerade an dieser Stelle in Form einer Thräne sichtbar gemacht hatten, zu verwischen. Als endlich die Reihe an ihre Klage wegen eines Zinsrückstandes von acht Gulden kam, begründete sie denselben in einer Reihe von Geschichten, welche allerdings mit der Sache selbst nichts zu thun hatten, aber den Richter wie alle Anwesenden so sehr anheimelten, daß sie nach Herzenslust fortplaudern durfte.

»Entschuldigen, Herr Rat,« begann sie in jenem trauten Dialekte, dessen sich unsere Großeltern zu bedienen pflegten, und der immer mehr von einem zusammengewürfelten, pöbelhaften Jargon verdrängt wird; »entschuldigen, aber es wär' mir net in Schlaf eing'fall'n, den ehemaligen geistlichen Herrn z'klagen, der bei mir am Zimmer war, wenn er mir net gar so viel Schaden g'macht hätt'. Seh'ns, ich hab' ganz gut g'wußt, daß er einmal Geistlicher war, obschon er nie ein Bissen darüber g'redt hat. Was geht dich das an, hab' ich mir denkt, er wird's verantworten können, daß er's gethan hat, verschiedene Leut' haben verschiedene Gewissen, der eine so eng wie ein alter Strumpf, der andere so weit wie a Reindl um fünf Gulden. Mein Mann – Gott laß ihn selig ruh'n! – hat immer auf die Religion sehr viel g'halten, aber ich thät' mich der Sünden fürchten, wenn ich sagen möcht', er hätt' einmal wen gefragt, welche er hat. Wir hab'n damals eine Zeit lang in der Provinz g'lebt und ich kann Ihnen gar net sagen, wie mir das ahnd gethan hat. Tag und Nacht hab' ich g'weint und hab' mein Mann immer g'fragt: Zieg'n wir denn noch net bald fort von dera düstern Stadt und aus den unheimlichen Haus, wo's alleweil so kracht und klopft, als ob sich arme Seelen anmelden möchten? Die Hausfrau war eine Plauschen, Schwätzerin. wie mir mein Lebtag noch keine vorkommen is; einen lieben Tag um den andern wär's heraufkommen zu der Jausen und hätt' mit mir gern von dem und dem g'redt. Aber da is sie zur Rechten kommen! Aus mir bringt kein Mensch was heraus, und wann er sich am Kopf stellt, weil mir nix z'widerer is, als so a Rederei, von der ma nachher nix hat, als Gift und Gall.«

Frau Steigenberger schüttelt bei diesen Worten den Kopf und macht mit beiden Händen abwehrende Geberden von solcher Nachdrücklichkeit, daß auch der leiseste Zweifel an der Ernsthaftigkeit ihres Hasses gegen jede Art von Plausch verstummen muß. Die Erzählerin befeuchtet sich die trocken gewordenen Lippen ein wenig mit der Zunge und fährt hierauf fort:

»In meiner Verzagtheit bin i 'naus in die Gärten spazieren 'gangen und hab' mich auf a Bankl niederg'setzt und rundumadum g'schaut. Gott steh' mir bei, war das a Gegend! So fad war's, daß mir d'Füaß eing'schlafen sein und daß die Soldaten mit ihnern Trompeten jeden Tag da aussa vor die Stadt geh'n hab'n müssen, damit die g'starre Natur do a bisserl a Unterhaltung g'habt hat. Wie ich einmal so sitz' und schau und schau, so siech i ein' geistlichen Herrn laufen, daß sein Habit nur so 'pledert hat. Denk' ich mir, was macht denn der Narrenthaddel? Steigt Ihnen der richtig auf a Leiter hinauf und will Beinln (Bienen), die g'schwärmt hab'n, einfangen. Na waßt, denk' ich mir, dich werden's net z'wider herrichten, die Beinln. Kaum is er oben, schreit er, daß ich kein Tropfen Bluat geb'n hätt' vor Schrocken und satzt weg mit ein' G'sicht so rot wi a Piperhahn. Der geistliche Herr is ein Tierfreund, hab'n die Gärtner g'sagt; er richt' die Beinln ab zum Aufwarten und Wagerlzieh'n. Diesmal aber hat er's halt überseh'n und is so g'stochen word'n, daß er im G'sicht 's wilde Fleisch kriegt hat und ... was will ich denn eigentlich sagen?«

Die Sprecherin sammelt sich und beschreibt dann mit dem Zeigefinger einen Kreis in der Luft, als ob sie das bisher Erzählte nochmals zusammenraffen und daraus die Nutzanwendung für einen gegebenen Fall ziehen wolle.

»Alsdann,« sagt sie, offenbar befriedigt von dem so rasch in Gedanken bewerkstelligten Übergange, »alsdann, daß ich Ihnen sag', der geistliche Herr war ein Tierfreund, und sehn's, der ehemalige geistliche Herr, der bei mir g'wohnt hat, war's auch. Ich hab's aber nicht angehn lass'n. Stelln's Ihnen nur vor, a Masse Waldbäumerln hat er z'Haus bracht und Vögel, Eichkatzeln und Meerschweindeln. Einmal is so a Meerschweindel auskommen und in der Küch' ummerg'rennt. Ich hab' glaubt, es is mein letztes End, wie ich das Viech siech, was mir so groß wie eine Fischottern vorkommen is – ich weiß heut' noch net, warum 's m'r g'rad wie eine Fischottern vorkommen is ... vielleicht darum, weil ich einmal bei ein Bach eine g'sehn hab', von der ich aber alleweil auch noch net g'wiß weiß, ob's net a Wasserratz war – na, und da hab' ich ihm halt aufg'sagt. Er hat trutzt deswegen und g'sagt: Machen's Ihnen von die Waldbäumerln bezahlt, verwenden Sie's zu Weihnachten als Christbäum'. (Frau Steigenberger führt das Tuch zu den Augen.) Für wen denn, Herr Rat, für wen denn? I bin a arme alte Person, die allein dasteht auf der weiten Welt und net einmal ein weitschichtigen Enkelkind so a Bamerl hätt' schenken können. Wann ich heut' oder morgen die Augen zudruck', weint kein Mensch um mich. Ich därf gar net d'rauf denken, sonst geh'n mir gleich d' Augen über und ich fang zum Platz'n an. Sei'ns net harb, Herr Rat, aber der Franz, mein Mann, hat alleweil g'sagt: Wan' Di' aus, Nanerl, wan' Di' aus, nur vergiß net auf's Schneuzen!«

Die brave Frau hatte ihre hervorgebrochenen Gefühle bereits wieder bemeistert, als der Richter zu dem Erkenntnisse schritt. Sie ging, aber man sah ihr an, daß sie noch so viele Geschichten auf dem Herzen hätte, um nötigenfalls ein Schock von Bagatellklagen damit in ihrer lieben, redseligen Manier zu illustrieren.

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