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Originale

I. Die verhängnisvolle Nadel.

Herr Emil Bendel ist ein unglücklicher Mensch. Er weiß schon seit Jahren, woran er sterben wird. Er weiß es seit jenem verhängnisvollen Augenblicke, als er in der Zeitung las, daß ein Burggendarm an einem Glassplitter, der am Grunde eines Krügels Bier gelegen war, elendiglich zu Grunde ging. Stets erfüllt von düsteren Gedanken hinsichtlich seines Lebensendes, hatte Herr Bendel doch bis dahin keine feste Vorstellung von der Todesart gehabt, welcher er verfallen werde. Nun aber ward es ihm vollständig klar, daß er sich namentlich vor Glassplittern in Acht nehmen müsse. In weiterer Ausbildung seiner fixen Idee gelangte er zu der Überzeugung, daß er sich überhaupt vor spitzigen Gegenständen beim Essen und Trinken zu fürchten habe, weshalb er nie mehr aus einem gesprungenen Glase trank und jede Speise vor dem Genüsse sorgfältigst auf das Vorhandensein von Stecknadeln untersuchte. Bei dem Umstande daß in den meisten Gasthäusern Wiens die Biergläser bedenkliche Sprünge zeigen und die Köchinnen von ihrer Leidenschaft für Stecknadeln nicht zu heilen sind, entschloß sich Herr Bendel endlich, Privatkost zu nehmen. Als Beamter war er in der Lage bestimmte Speisestunden einzuhalten, welche er mit dem Schlage Zwölf für das Mittagessen, mit dem Schlage Sieben für das Abendbrot festsetzte. Frau Kraschitz, die Gattin eines Schneidermeisters, war mit den gestellten Bedingungen einverstanden und vermietete ihm überdies ein hübsches Zimmer mit Gassenaussicht, in welchem sich der sonderbare Kostgänger bald ganz behaglich einrichtete. Vermöge des gesunden Verständnisses, welches Frauen gegenüber schrullenhaften Leuten zu haben pflegen, fügte sich Frau Kraschitz ohne Widerspruch dem Verlangen ihres Zimmerherrn, alle Stecknadeln und zerbrochenen Gläser aus der Wohnung zu verbannen. Wenn Herr Bendel trotzdem während des Essens von seinem Wahne befallen wurde, so nahm die Scene unter dem milden Zuspruche der Hausfrau stets folgenden friedlichen Verlauf:

Der Zimmerherr ( entsetzt das Besteck von sich werfend): Ich hab' was geschluckt, was Scharfes ... ein Glasscherben oder so was ...

Die Zimmerfrau ( liebreich): Aber Herr von Bendel, was Ihnen einfallt, wie kommet denn bei uns a Glasscherb'n in die Zuspeis'.

Der Zimmerherr ( schwankend): So war's vielleicht eine Spennadel, 's hat ganz so kratzt.

Die Zimmerfrau: Wie können's denn wissen, wie das thut, wenn m'r a Spennadel schluckt? Na, da möchten's Ihnen anschau'n! Haben's net a Brot 'gessen g'rad'? Ja? Na so segn's, da haben's halt a Stückel Brotrind'n g'schluckt – das kratzt stark, i waß', aber machen thut das nix.

Der Zimmerherr ( aufatmend): Glauben's wirklich, daß es nur ein Brotbrösel war; am End' war's aber a spitzig's Beind'l?

Die Zimmerfrau ( bestimmtest): Giebt's a net bei mir, dafür steh' i Ihnen gut, 's wird alles untersucht, eh's auf'n Tisch kommt. Essen's nur weiter, Herr von Bendel, bei mir san's guat aufg'hob'n, da giebt's nix Spitzig's, sogar die Scheeren werd'n alle eing'sperrt während'n Essen.

Der Zimmerherr ( lächelnd): Sie frozzeln mich, Frau Kraschwitz, wegen meiner Ängstlichkeit, aber ...

Die Zimmerfrau ( ernst): Bitte, bitte, Herr von Bendel, keine Frozzelei, von so einer Scheer' könnt' ja der Spitz abbrech'n und unters Essen kommen – wann der Teufel will, geht a Butten los.

Der Zimmerherr ( befriedigt): Sie haben Recht, Frau Kraschitz, also sind wir wieder gut.

Herr Bendel ißt mit neu gestärktem Vertrauen zu Ende; er trinkt sogar Bier, welches ihm in einem sogenannten unzerbrechlichen Glase serviert wird. Allerdings gebraucht er selbst da die Vorsicht, das Glas nie bis auf die Neige zu leeren. Der Blick, mit welchem er den Rest der Flüssigkeit betrachtet, drückt immer hohe Zufriedenheit über diesen Akt des Selbstschutzes aus, durch welchen er sich wieder einmal vor einem qualvollen Tode bewahrt habe.

An einem Sonntage speiste Herr Bendel wie gewöhnlich, aber in besonders guter Laune am Kraschitzschen Tische. Seine Meinung von Frau Kraschitz' Vorsorglichkeit in der Abwehr von Glasscherben, Stecknadeln und Beinsplittern war eine so bedeutende, daß er nicht mehr wie sonst die Suppe kaute, sondern dieselbe vertrauensvoll durch die Gurgel rinnen ließ, über welches tapfere Beginnen ihm seine innere Stimme bereits Lobsprüche erteilte. Plötzlich entfiel der Löffel seiner Hand .. seine Augen blickten voll des wahnsinnigsten Entsetzens nach einem Punkte auf dem Busen der Zimmerfrau .. er öffnete den Mund, um zu sprechen, vermochte aber keinen Ton hervorzubringen, sondern deutete nur mit bebendem Finger hinüber nach dem schrecklichen Punkte, sodaß die ahnungslose Frau Kraschitz an ihn die besorgte Frage richtete:

»Haben's vielleicht die Maulsperr, Herr von Bendel? Da wär' a Watschen guat ...«

Jetzt erlangte der Zimmerherr seine Sprache wieder. Er sprang auf, zerrte Frau Kraschitz zum Fenster und zog dort eine – Stecknadel aus ihrem Busentuche. »Weib ... Mörderin!« stieß er hervor, griff dann nach seinem Hute und stürmte davon, um nicht wiederzukehren. Auf der Stiege hörten noch einige Hausleute, wie der verstört aussehende Mann das Wort »Mörderin« wiederholte, wodurch ein unliebsames Aufsehen im ganzen Hause entstand. Dienstmänner holten nach einigen Stunden die Habseligkeiten des so gründlich verscheuchten Zimmerherrn.

Um dem Gerede die Spitze abzubrechen, sah sich Frau Kraschitz genötigt, gegen Herrn Bendel die Injurienklage anzustrengen. Sie erklärte vor dem Richter, daß sie sich gerne mit einer Abbitte begnügen würde, denn: »was will m'r denn mit ein' ausg'wachsenen Narr'n anfangen, der si' einbild't, er muaß die Spennadeln awischluck'n, die andere Leut' fest im G'wand steck'n hab'n.«

»Ich will zugeben,« sagte Herr Bendel melancholisch, »daß der Ausdruck Mörderin zu hart war. Mord ist die vollbrachte That und in unserem Falle waren nur die Vorbereitungen zum Morde getroffen – denn die Spennnadel wäre gewiß in nächster Zeit in das Essen gefallen. Aber, meine Liebe, Sie haben mein Vertrauen in die Menschheit erschüttert. Sie haben mir ein ruhiges Dasein ohne Glasscherben und Spennadeln vorgeheuchelt – wer weiß, wie viele ich schon verschluckt habe und wo sie wieder herauskommen, wie neulich bei dem Fall auf der ungarischen Klinik ...«

»Bitte, schweifen wir nicht ab,« bemerkte der Richter. »Die Sache ist also ausgeglichen.«

»Ja, von mir aus ja,« versetzte Frau Kraschitz; »der Herr is eh' g'schlag'n gnua. I möcht' ihm sogar no' ein Rat geb'n, wo er mit größter Sicherheit essen kunnt'. Da bin i neuli bei ein' Czecherl Elende Kneipe. vorbeigangen, wo Gabel und Messer mit Ketteln an die Tisch' ang'macht sein. Dös is offenbar für solche Gäst', wie der Herr von Bendel; wann Aner die spitzigen Gegenständ' unversegns awischluckt, kann er's glei' wieder aussazarr'n!«

Wir glauben nicht, daß dieser Ort des armen Hypochonders »Wahnfried« werden könnte; denn Glasscherben und Stecknadeln lassen sich nicht in Ketten schlagen.

*

II. Tansanias.

(Aus den Pauspapieren Pausieren heißt die Vervielfältigung eines Manuskriptes auf Seidenpapier mittelst eingelegter blau abfärbender Bogen.) eines Lokal-Korrespondenten.)

Es muß grauenhaft gewesen sein. Welche barbarische Instinkte, welche entmenschte Charaktere, welche höllische Grausamkeit grinsen unseren entsetzten Augen anläßlich eines Falles entgegen, welcher bei dem Bezirksgerichte Währing zur Aburteilung vorgekommen ist. Ein vorortlicher Lokal-Korrespondent, welcher der betreffenden Gerichtsverhandlung angewohnt hat, sendet uns ein Exemplar seines zehnmal gepausten Berichtes, welches den aufregenden Titel trägt:

» Ein geschundener Obmann

Der Pausanias der Vororte spart sich nach dieser packenden Überschrift die Katastrophe bis zum Schlusse auf. Er erzählt in seiner besonnenen, gemächlichen Weise zunächst von der Gründung eines Geselligkeitsvereines in Währing, welcher den Beschluß faßte, seine Mitglieder durch Errichtung eines Haustheaters zu erfreuen. Obmann des Vereines war der Dekorationsmaler Joseph v. Andres. Als wir zu dieser Stelle des Berichtes kamen, auf deren heitere blaue Farbe die düsteren Ereignisse im Hintergründe noch immer keinen Schatten warfen, konnten wir uns gleichwohl der schmerzlichen Ahnung nicht erwehren, daß besagter Herr Andres wahrscheinlich jener nachmals geschundene Obmann sein werde, und eine Thräne des Mitleids fiel auf das Pauspapier hinab, wo sie traurig zerfloß.

Die Erzählung geht weiter. Die Vereinsgründer geraten einander wegen der Wahl eines Namens für den Verein in die Haare, weshalb Herr Andres seine Obmannsstelle niederlegt. Da er aber bereits Dekorationen geliefert hat, für die er sich bezahlt machen will, so erscheint er am Abende der ersten Theatervorstellung im Vereinslokale und jagt dem Kassier die Losung von zwölf Gulden ab. Jetzt kommt das Schreckliche, welches Pausanias folgendermaßen schildert:

»Als die beiden Komiteemitglieder Otto und Ludwig von diesem Coup erfuhren, begaben sie sich zu Andres, der gerade hinter den Koulissen war, und versuchten erst auf gütlichem, dann aus handgreiflichem Wege in dem Besitz des Geldes zu gelangen, prügelten den gewesenen Obmann weidlich durch, schleppten ihn auf die Bühne, ließen das Zeichen zum Ausziehen geben und schundeten ihn noch angesichts einiger, die schon das Publikum bildeten, dann ging der Vorhang wieder herunter, der geschundene Obmann wurde davongejagt, und gleich daraus nach diesem Vorspiel begann die Vorstellung.«

Also sie schundeten ihn, diese Wüteriche, sie schändeten ihren gewesenen Obmann, sie schundeten überhaupt jemanden aus so geringfügiger Ursache! In welchem Jahrhunderte leben wir denn, daß ein Mensch, ein Mitbürger, ein Zeitgenosse um elenden Mammons willen geschundet werden darf? O Barbarei! O ... Wären wir nur mehr im Klaren, wie sie es machten, als sie ihn schundeten. Wir bitten Herrn Pausanias im Interesse der Menschlichkeit, uns über die schreckliche Prozedur, sofern er Näheres darüber erfährt, Aufklärung zu geben. Besteht ein Unterschied zwischen Schinden und Schunden? Wenn ja, dann ist das Letztere gewiß noch gräulicher, da es einen so tiefen unheimlichen Selbstlaut enthält, wie das »u«. Hu! es schüttelt einen förmlich.

Leider beschränkt Pausanias sich darauf, mitzuteilen daß die Leiden Attentäter zu fünfzehn und zehn Gulden Geldstrafe verurteilt worden sind. Wenn sie den Obmann wirklich schundeten, so können wir nicht verhehlen, daß wir eine herbere Sühne dafür erwartet hätten. Da würden ja die Raufbolde niemanden mehr hauen, sondern lieber gleich schunden. Möge Pausanias diesen quälenden Widerspruch durch wenige, aber vom Herzen gepauste Worte aufzuklären trachten.

*

III. Die Impfung.

Waldesel ist ein Delikt. Wenn ein menschliches Wesen Waldesel genannt wird, so ist dies eine Beleidigung. Darüber kann es keinen Zweifel geben. Und daß Herr Johann Brenneisl einem dickleibigen Herrn dieses Wort zugerufen hatte, unterlag ebenfalls keinem Zweifel; ein Dutzend Gäste vom »Alpenjäger« hatte es gehört. Der fette Herr zwängte sich zwischen zwei Tischen durch im Gasthausgarten und schien hierbei Herrn Brenneisl einen heftigen Stoß versetzt zu haben, denn Herr Brenneisl stieß einen lästerlichen Fluch aus, griff nach seinem rechten Oberarme und rief sodann dem beleibten Herrn zu: »Können's denn net aufschau'n, Sö Waldesel?« Der dicke Herr taumelte förmlich zurück ob dieser Ansprache. »Wieso ... Waldesel?« keuchte er. »Weil's einer sein,« erwiderte Herr Brenneisl kurz und setzte sich nieder. Der Beleidigte ging wortlos von dannen, sodaß es den Anschein hatte, als ob es Herrn Brenneisl gelungen sei, ihn vollständig zu überzeugen. In Wirklichkeit aber erkundigte er sich bei dem Wirte nach Namen und Wohnort Herrn Brenneisls und machte schon am nächsten Tage das Bezirksgericht zum Rächer seiner Ehre. Als Herr Brenneisl nach vierzehn Tagen die Vorladung in Sachen Emanuel Liebl, emerit. Notar, contra Johann Brenneisl, Hausmeister, empfing, hatte er bereits vergessen, daß sein Gewissen mit einem Waldesel belastet sei. Der Gegenstand der Vorladung ward ihm erst klar, als er im Amtsgebäude den dicken Herrn antraf, welcher bei seinem Anblicke durch mehrmaliges Schnauben verriet, in welch' heftiger Gemütsbewegung er sich befinde.

»Aber lieber Herr,« sagte Herr Brenneisl zutraulich, »Sie werden doch nicht wegen neulich ...«

Der dicke Herr ließ ihn nicht aussprechen. »Waldesel«, schnaubte er, »Waldesel ... öffentlich ... vor mehreren Leuten ... meine Ehre ... o nein ... Exempel ... Waldesel muß bestraft werden.«

Sie wurden beide vor den Richter gerufen. Was Herr Brenneisl gegen die Klage vorzubringen hätte, fragte der Richter. Herr Brenneisl schaute den Richter freundlich an und nickte mit dem Kopfe.

»Sie geben sich also schuldig?«

»Ja, mit mildernde Umständ,« sagte Herr Brenneisl.

»Was soll das heißen?«

»Daß i g'impft word'n bin,« antwortete Brenneisl. Der Richter betrachtete ihn mit zweifelvollen Blicken. »Na, na, i bin ka Narr, Herr Rat,« fuhr Brenneisl, die Blicke richtig deutend, fort, »i hab' alle Fünfe beisamm', aber i sag' Ihnen no 'mal, d' Impfung is Schuld, sonst nix, und wann's mi derzählen lassen woll'n, so werden's glei begreifen, wie si' die G'schicht z'sammreimt.«

»Aber fassen Sie sich gefälligst kurz.«

»Natürli, Herr Rat, natürli, i bin ja g'wöhnt von meine Parteien aus, daß i net a Wartl z'viel red'. Also die Sach' war so. Vor a paar Monat' schon penzt mei Alte in mi' 'nein: Schani, laß di' impfen! Gieb' mir a Ruah, sag' i zu ihr, mit'n Impf'n macht ma den klan' Kindern a Freud', net aber so ein alten Waldesel, wie i einer bin ... ( zum Kläger gewendet) na seg'n's, hiazt müaßt i mi' selber a klag'n – der Mensch hat halt seine Lieblingsausdrück'. ( Fortfahrend): Aber die Penzerei hat net aufg'hört, bis i endli' schiach word'n bin und g'sagt hab: Fix Grammattanten no'mal, so laß' i mi halt impfen! Aber net mit Kinderrümpfe, oder wia man da sagt, meint mei Alte. Jessas na, sag' i, i wir' mir schon a bejahrte Kuh aussuchen. I hab' mir nämlich vorg'stellt, daß man in ein Marstall geht und sich das Stückl Viech aussuchen kann, von dem man g'impft werden will. Derweil, weil i ins Impf-Institut komm', liegt a anzig's Kalbl auf ein Tisch und plärrt, dös arme Viech ...

»Sollte sich Ihre Verantwortung nicht kürzer fassen lassen?« bemerkte hier der Richter, »das Benehmen des Kalbes scheint mir denn doch nicht zur Sache zu gehören.«

»Bitt' um Entschuldigung, Herr Rat, aber 's Kalbel is ja das Wichtigste bei der Impfung und die Impfung is mei wichtigster Milderungsgrund. Also, daß ich Ihnen sag', das Kalbel plärrt und die Kinder, die da war'n, plärr'n auch und der Doktor plärrt auch allweil: 's thut nit weh! – kurz, mir is ganz enterisch word'n. Endli' kommt d' Reih an mi'. Sie woll'n alsdann auch refasziniert werd'n? sagt der Doktor. Ja, sag' i, aber wird denn das Kalbel da net z'jung sein für mi? D'rauf lacht er und meint: Ja, glauben's denn, für Ihnen wird m'r an alt'n Auerochsen daherlegen? Das hat mi' gift. Na, na, sag' i, desweg'n brauchen's mi' ja no' kan blinden Wüstenhund z'schimpfen – und bald wär'n m'r streitend word'n. I hab' mi' nur z'ruckg'halten, weil i mi' g'fürcht' hab', er thut mir was an mit'n Lanzett. Inwährenden er mir 'n ersten Stich giebt in' Arm, siech' i', daß an der Wand a Menge Figuren tanzen. Herr Doktor, sag' i, i brauch a so a Zerstreuung net, das is für die Kinder. Er redt gar nix, hat mir aber aus Rach'n zwa Impfstich abziag'n woll'n, indem er mir nur viere geb'n hat. Ah, da hab' i mi' aber um mein Teil ang'nommen. Was, sag i, nur vier Stich um zwa Gulden, das is ka G'schäft; glei' geben's no' a paar d'rauf. Er hat sei' Schmutzerei a eing'seg'n und mir dö zwa Impfstich no' d'rauf geb'n, daß's sechse war'n, drei auf jeden Arm. Was soll i Ihna lang derzähl'n – nach acht Täg' krieg' i Ihnen Schmerzen in die Arm, daß i hätt schrei'n mög'n, und wie's g'rad am ärgsten war damit, stoßt mi' der Herr da in Gasthaus auf'n rechten Arm. I hätt'n z'reiß'n mög'n, so hat er mir weh than, und 's is eh no' a Wunder, daß die G'schicht so gut ausgangen is mit ein' bloßen Waldesel, was halt mei Sprichwort is.«

Der Richter wendete sich nunmehr an den dicken Herrn mit der üblichen Frage, ob derselbe einem Ausgleiche gegen Ehrenerklärung abgeneigt sei. Wider Erwarten zeigte sich der Kläger hierzu bereit und gab nach Unterzeichnung des Protokolls folgende kurzatmige Erklärung seiner plötzlichen Milde: »Waldesel entschuldbar ... Schmerz widerwärtig ... weiß das seit drei Tagen ... selber geimpft worden ... Sehnengeschwulst ... Jammer! ... O Jenner! ... O Pasteur!«

*

IV. Der Kripperlmacher.

Warum riechen's denn zu der Vorladung? fragte der Amtsdiener den schmächtigen, schüchternen Jüngling auf der Wartebank im Korridor des Bezirksgerichtes.

»I riech' ja net dazu, sondern i schau mir's nur in der Nachent an, weil i a bissel kurzsichtig bin,« erwiderte der junge Mensch und richtete dabei nach der Gegend, wo der Amtsdiener stand, ein paar großer blauer Augen, aber mit so leerem Ausdrucke, als ob er dort bloß die Stimme aus dem Dornbusch zu suchen hätte.

»Das is bös,« meinte der Amtsdiener. »Da hab'n wir einmal ein' Offizial g'habt mit so scharfe Brill'n, daß er's, wenn er in d'Sonn 'gangen is, alleweil hat aufs Nasenspitzel awerschieb'n müssen, weil's sonst Brenngläser word'n sein und ihm ganze Löcher in's G'sicht brennt hätten ... Aber was haben's denn eigentlich ang'stellt?«

»I? gar nix. I bin ja der Beschädigte. Die Frau Wendlerin hat mir 's letzte Kripperl Bildliche Darstellung der Geburt Jesu., das i ihr abg'liefert hab', um'n Kopf g'haut, daß mir der Esel mit die vordern Haxen am Wirbel stecken blieben is und der Stern aus'n Morgenland mitsamt 'n Draht später aus meiner Nasen aussazog'n word'n is ...«

»Lüagn's net, Sö wehleidiger Ding!« warf eine beleibte Frau von der andern Bank aus dazwischen.

»Ah, san's schon da, Frau Wendlerin, i hab' Ihnen gar net g'seg'n.«

»Hörn's m'r auf mit den Pflanz von Ihnerer Kurzsichtigkeit. A Mensch, der die Glurn alleweil aufreißt wie a Stadelthor, soll nix seh'n? dös derzähl'ns der Frau Blaschke. Net gnua, daß i die beste Zeit am Stand weg'n Ihna heunt versama muaß, thäten's mi a no gern eintunken? I hab' Ihna 's Kripperl net aufg'setzt, Sö Heanberl, sondern hab' Ihna's zon G'sicht zuwi g'halt'n, daß's Ihna überzeug'n than von Ihnerer Schlamperei. I ruaf die ganzen Herrschaften da als Zeug'n auf, ob's dös giebt: a Kripperl, wo nur zwa Heilige Dreiküni d'rin san?«

Mehrere Anwesende gaben in der That ihre Meinung dahin ab, daß dies ein bedeutender und ganz unbegreiflicher Fehler sei, worauf Frau Wendler, gestärkt im Bewußtsein ihres Rechtes, den kurzsichtigen Kripperlmacher abzukanzeln fortfuhr:

»Sö soll'n froh sein, daß i Ihner net wegen Betrug klagt hab'. Glauben's dö Tanz kennen m'r net? Natürli, wann Sö alle Augenblick an Heiligen Dreiküni dersparn, nachher können's leicht selber a Kripperlg'schäft anfangen. D' Haar könnt i mir heunt ausreiß'n, daß i in dö Kripperln, dö i von Ihna hab' mach'n lassen, net jed'smal d'Schaf zählt hab'. Ausg'schaut hab'n dö Lamperln eh alleweil wia weiße Ratzen, und der Hirt, den Sö hinpickt hab'n, war von der ölendigsten Gattung, ka liaber Mensch, wia er sein soll, sondern a Kerl wia a Raubmörder. Meiner Seel', wann i dran denk, kunnt i Ihna glei' die Ohrwascheln ausdrah'n ...«

»Liebe Frau,« ermahnte der Amtsdiener, »mäßigen Sie sich, hier is ein Ort, der besonderen Anstand vorschreibt. Hier därf niemandem ein Ohrwaschel gekrümmt werd'n.«

»Na, wia Sö ein' Unrecht thuan, Frau Wendlerin,« beteuerte der Kripperlmacher, »das is net zum sag'n. An dem ganzen Fehler war mei' Kurzsichtigkeit Schuld. Sö können Gift d'rauf nehmen, daß in ein' andern Kripperl halt vier Heilige Dreiküni d'rin war'n. Desweg'n hätt'n 's mi' net so a'z'dolna (hauen) braucht.«

Frau Wendler zuckte verächtlich die Achseln und ging, dem Aufrufe des Amtsdieners folgend, in das Gerichtszimmer, wohin ihr der Kripperlmacher folgte. Nach kurzer Zeit kehrten beide zurück, der letztere versöhnlich gestimmt, Frau Wendler hingegen wütend. »Zehn Gulden Geldstraf'!« rief sie aus, »an Ihnere ganzen Kripperln hab' i net so viel verdient, Sö blinder Fink Sö!«

»Aber Frau Wendlerin« ... stotterte der Kripperlmacher und wollte ihr die Hand zur Versöhnung reichen.

Aber Frau Wendler war schon fort und der kurzsichtige Jüngling griff einem wildfremden Menschen in das Gesicht, welcher darüber einige Bemerkungen machte, aus denen hervorging, daß es ihm nicht recht war.

*

V. Der Nacht-König.

Angeklagter Breko, was haben Sie vorzubringen? sagte der Richter zu einem langen starkknochigen Menschen, dessen Gesichtshaut aussah, als wäre sie eben vom Rotgerber gekommen. Der Angeklagte – natürlich ein Czeche – ließ aus Verlegenheit drei Stück von seinen furchtbaren Fingern knacken und begann, nachdem er sich lange vergebens abgemüht hatte, auch mit einem vierten dieses schauerliche Kunststück zu machen, seine Verantwortung.

»Ich steh' ich bis am Brust in Ganalloch mitten auf Straß'n und denk' ich an gar nix, weil Nacht war, so kummt den Herr da, und stellt sich mit ausspraglete Füß' hin. Ich sag' nix, was geht mich an, ob ane bei Ganalloch steht oder nit, aber er sagt was nach ane Weil, was hab' ich nit verstand'n. Denk' ich als hefliche Mensch, er will Gut'n Abend sag'n und sag' ich auch: Gut'n Abend wünsch' ich! Da her' ich aber, wie er sagt: »Halten's Pappen, Sie behmische Nachtkenig! Sie Herr, sag' ich, ich hab' Ihnen nix than, schimpfen s nit, da laß' ich mi' nit 'fall'n. Kaum gieb' ich ihm sulche ruhige Antwurt, fallt er her über mich, packt mich bei Ohrwaschel und zaht an wie narrisch. Ich pack' ich ihm in äußerste Verzweiflung bei Krawattel und Sach'n wär gut 'wesen, wenn nit g'rad in so schwierige Augenblick Later brochen wär. So san me alle beide in Ganal 'nunter rutscht; meglich, daß sich den Herr weh' 'than hat selber, ise aber unbändige Lug', wenn er Aussag' giebt, daß hätt' ich ihm noch Flaschen andruckt in Ganal unten.«

Wesentlich anders stellt der Kläger Klimpfinger, ein behäbiger Herr mit verräterisch roter Nase, seinen damaligen Besuch in der Unterwelt dar. Er erstattet hierüber folgenden anschaulichen Bericht:

»Wann m'r recht is, so hab' i damals an klan Schwammer g'habt, war aber net der Red' wert, denn mi greift so leicht nix an. Wia i so durch dö Gass'n geh', hör' i an Seufzer nach'n andern', siech aber nix. Na, denk i mir: wird denn da Aner abkragelt in aller Still', und schau und schau – endli siech i mitt'n in der Straß'n an Kopf und geh' hin. Wia er mi derfiecht, vardraht er d' Aug'n und kreißt schreckli'. Mein liaber Herr, sag' i, Sö hab'n g'wiß an Rausch und da is Ihna halt da unt'n schlecht word'n. Kommen's her, i hilf Ihner ausser. Sagt er d'rauf ganz hoppatatschig: Schau'ns, daß weiter kommen, Sie Sumper! Na wissens, das hat mi' g'magerlt, und i sag': Bei so aner Beschäftigung und bei so an Rausch no' arrogant sein, das kann nur a Behm. I' dös nur sag'n und er hat mi' schon bei dö Füaß, ziagt mi' nieder mit'n Kopf voraus bis ganz awi am Grund von Kanal und trischackt mi' in dera saubern Gegend, daß m'r Hör'n und Seg'n vergangen is. Wia i wieder aufferkommen bin, waß' i gar net, so recht beinander war i erst auf der Polizei. Na, i hab' m'rs verschwur'n, in mein Leb'n spiel' i kan Samaritaner mehr geg'n an Rauschigen – das hat m'r nachher davon.«

Da das Wesen des denkwürdigen Vorfalles durch diese beiden Aussagen an Dunkelheit nur gewonnen hatte und der Kläger gar keine Merkmale von Verletzungen nachzuweisen vermochte, so sprach der Richter den Geklagten Breko frei, worauf es diesem letzteren vor Freude gelang, auch seinen vierten unförmlichen Finger mit erschrecklichem Geräusch umzuknicken.

*

VI. Der Mann mit dem Rechtsgefühl.

Als ich kürzlich einer Verhandlung im Kriminalgebäude beigewohnt hatte und über den Korridor des Bezirksgerichtes das düstere Haus verließ, wurde eben ein Gefangener aus dem Zellengange herausgebracht, dessen trotziges Gesicht mir bekannt vorkam. Ich erinnerte mich auch sogleich, ihn vor Jahren wiederholt irgendwo in dieser Gegend gesehen zu haben und als ich ihm jetzt in die Amtsstube folgte, um zu vernehmen, mit welchem Delikte er neuerdings sein Gewissen belastet habe, wußte ich auch, wen ich vor mir hatte. Es war der Mann mit dem Rechtsgefühl, eine merkwürdige Kriminalfigur, welche seit vielen Jahren durch ein eigentümlich gestaltetes Rechtsgefühl mit den Behörden im Kriege lebt.

Dieser Mann, ein sonst wohlbeleumundeter Handwerker, hat das Unglück, bei seinen Ausgängen häufig Zeuge von Straßenscenen zu werden, bei welchen die Haltung der Wache sein Rechtsgefühl verletzt, und obschon er zahlreiche Bestrafungen für die Kundgebung seiner Ansichten hinter sich hat, vermag er nicht zu schweigen, sondern zieht sich jeden Augenblick eine neue Wachebeleidigung an den Hals. Niemals betrifft der streitige Punkt ihn selbst, er tritt stets als Anwalt der vermeintlich mit Unrecht Bedrängten auf, oder er fühlt sich veranlaßt, die Wache auf Unterlassungen aufmerksam und für die Folgen verantwortlich zu machen, die ihn ganz und gar nichts zu kümmern haben. Er war einer der ersten, die brummen mußten, weil sie den Sicherheitswachen bei unpassendster Gelegenheit den Brand des Ringtheaters in beleidigender Weise vorwarfen.

Der Mann mit dem Rechtsgefühl stand damals hinter einem Kordon von Wachen, der einen großen Leichenzug vor Störung und Unterbrechung zu schützen hatte. Er selbst hatte Zeit und wollte bloß von seinem günstigen Platze aus die »schöne Leichd« in aller Ruhe betrachten. Einige andere Personen aber versuchten den Kordon zu durchbrechen und wurden zurückgewiesen. Dies war gegen die Rechtsanschauung unseres Mannes und er begann sofort mit lauter Stimme zu stänkern:

»Warum's da niemand durchlass'n,« sagte er, »das is g'spaßig ... Wer zahlt ahm denn die Zeit, die man versamt? .. I siech gar net ein, warum da ka Mensch durchgeh'n soll, 's is ja Platz gnua da. Steuern kann m'r zahl'n, daß ahm d' Haar ausgengen, da wird m'r net aufg'halten, a belei, aber wann m'r sunst an Weg z'machen hat, haßt's glei: »Zaruck!«

Die Wachen schienen diese Äußerungen absichtlich überhören zu wollen und schwiegen, wodurch die Galle und der Übermut des Sprechers noch mehr aufgerührt wurden, zumal ihm mehrseitige leise Zustimmungen ungemein schmeichelten. So rückte er denn bald mit dem gröberen Geschütz heraus, indem er den Versuch unternahm, die Wachleute über ihre Dienstesvorschriften einer Prüfung zu unterziehen, seine Überzeugung aussprach, daß sie im vorliegenden Falle sich schwer gegen die persönliche Freiheit aller derjenigen, die durch den Kordon gewollt, vergangen hätten, und daß sie an den Ringtheaterbrand denken sollten, um danach jene demütige Haltung einzunehmen, welche er für seinen Teil unbedingt von der Wache verlange, widrigenfalls ...

Das »Widrigenfalls«, von ihm vollendet, reichte eben hin, um den Mann mit dem Rechtsgefühle für eine Woche in das Gefängnis zu bringen. Die Wahrnehmung, daß dieselben Personen, für die er jene Anrede gehalten, seine Arretierung als etwas Selbstverständliches Hinnahmen und sich sogar äußerten, er müsse ein ausgemachter »B'suff« sein, heilte ihn durchaus nicht von seinem Wahne, daß er als ein Märtyrer seines hochentwickelten Rechtsgefühles eine unverdiente Strafe erleide.

Bald darauf befand er sich schon wieder in den Händen der Polizei, und zwar nach seiner Meinung bloß deshalb, weil er sich an einem Diebsfang beteiligt hatte. In Wirklichkeit aber hatte ihn sein Rechtsgefühl angetrieben, bei der Verfolgung eines Taschendiebes den Polizisten und allen Verfolgern so beharrlich zwischen die Beine zu laufen und so fanatisch »Halt's auf!« zu schreien, daß ihn ein die listigen Gebräuche der »Mauermacher« kennender Detektiv endlich abfing und zur Ausweisleistung nach dem Kommissariate brachte. Hier schäumte das Rechtsgefühl des Mannes derart über, daß er abermals in das Kühle gebracht wurde, freilich nicht als Diebshelfer, sondern lediglich als Redner der schärfsten Tonart wider die Sicherheitszustände in Wien, welche er, einen kühnen Vergleich mit den behaglichen Empfindungen eines unentdeckten Mörders nicht scheuend, als hochgradig bedenklich für achtbare Staatsbürger bezeichnete, welche aus Rechtsgefühl einem Diebe nachjagen, um ihn der Gerechtigkeit in die Hände zu liefern. Daß ihn erstlich niemand geheißen hatte, dem Diebe nachzusteuern, und daß er sich durch seinen tölpelhaften Übereifer verdächtig gemacht, das war ihm um keinen Preis beizubringen.

Nach einer Reihe ähnlicher Thaten und ähnlicher Erfahrungen gab ihm sein Rechtsgefühl eines Tages den Gedanken ein, den Schauplatz eines Raufhandels zu verlassen und einem Wachmann in der zweitnächsten Gasse, der ruhig aus seinem Posten stand, den Text zu lesen.

»Sie!« sagte er grimmig.

»Was wünschen Sie?« fragte der Wachmann scharf.

»I begreif' Ihna net.«

»Was wollen Sie? Keine Gespräche!«

»Ihna hättn's braucht.«

»Wo?«

»Da drent'n, aber hiazt san's schon ferti mit'n Raff'n. Natürli, Sö stengan ja da so ruhig, als ob Ihna die G'schicht gar nix angehn thät'. Von Ihna aus hätt' a Mord g'scheh'n können – i sag's ja, i begreif' Ihna net.«

Und er rang die Hände gegen Himmel und erhob eine solche Flut von Anklagen, daß er es richtig auch diesmal erreichte, eingesperrt zu werden. Natürlich war er als ständiger Gast bekannt, denn der Amtsdiener empfing seine Eskorte mit den halblauten Worten:

»Ahan, der Mann mit dem Rechtsgefühl!«

*

VII. Die Jagd nach dem jüngeren Kiselak.

Auf dem Gerichtstische standen zwei Farbentöpfe und der Amtsdiener machte sich mit einem Bogen Papier zu schaffen, auf welchem in satten Farben der Name Zephyrin Sobota unter einem Galgen alter Façon stand und zwar so, daß der Galgen bei oberflächlicher Betrachtung den Eindruck eines, allerdings etwas bizarr ausgeführten Initials machte. Der Eigentümer dieses Namens, ein dicker Herr mit Schnurr- und Knebelbart, war auch vorhanden und befand sich in sichtlicher Erregung, die sich wesentlich in einer gewaltsamen Behandlung des Knebelbartes äußerte, dem er durch das fortgesetzte Drehen allgemach die ansprechende Form eines Ferkelschwänzchens gegeben hatte. Herr Zephyrin Sobota vernahm mit großer Unruhe die Meldung des Amtsdieners, daß der Geklagte, Moriz Pfleger, Privatbeamter, nicht erschienen sei und wollte sich daraufhin unter Zeichen großer Beängstigung sofort entfernen, allein der Richter verhielt ihn dazu, seine Sache zu Protokoll zu geben.

Er erzählte nun, daß er vor einem Jahre in der unangenehmen Lage gewesen sei, den Beamten Pfleger wegen einer Schuld zu pfänden und ihm etliche Gerichtskosten zu machen. Herr Pfleger habe bezahlt und dabei sehr höflich bemerkt, daß der Name Zephyrin Sobota wegen der humanen Grundsätze seines Trägers auch in weiteren Kreisen bekannt zu werden verdiene. Kurz darauf sei ihm, dem Kläger, von mehreren Bekannten mitgeteilt worden, daß auf der Ruine Rauhenstein bei Baden sein Name unter einem Galgen zu sehen sei.

»In der That,« ruft Herr Zephyrin Sobota ingrimmig aus, »war es so und ich hab' natürlich nichts Eiligeres zu thun gehabt, als rasch ein Häferl mit schwarzer Farbe zu kaufen und das Zeug zu übermalen. Damals schon hab' ich mein Spurius gehabt, wer das Galgenmandl ist, aber völlig sicher bin ich erst g'worden, als in der nächsten Zeit fast jede Woche ein anderer Bekannter mir schreibt: »Sie stehen auf Rauhenegg, auf Lichtenstein, auf'n Hußarentempel u. s. w.« Ich hab' nichts z'thun g'habt, als in einer Tour mit'n Haferl Landpartieen z'machen und die Galgeninschriften zu überstreichen. Nicht genug an dem, krieg' ich heuer seit Eintritt der besseren Jahreszeit vor jedem Feiertag eine Korrespondenzkarte mit der Post: »Lieber Freund! Ich mache morgen wieder einen Ausflug, zu dem Sie höflichst eingeladen sind. Moriz Pfleger.« Auf die Art hab' ich wenigstens fünf Sonntage damit zugebracht, daß i' mit mein Häferl hinter ihm her war, ja g'wöhnlich hab' ich noch ein paar Wochentäg braucht, um herauszufinden, wo er mich von neuem ang'malen hat. Endlich Hab' ich ihn am Südbahnhof erwischt, als er mit sein Häferl, einem Riesenpemstel und der Patron, die er sich bequemlichkeitshalber hat machen lassen, g'rad hat einsteig'n woll'n und da hab' ich ihm die Sachen abg'nommen mit der Drohung, daß ich ihn sonst arretieren lass'.

»Na, da hab'ns die Dinger,« hat er g'sagt, »so was schafft m'r si' leicht wieder ein.«

Jetzt bitt' ich, is das keine Ehrenbeleidigung? Nachdem er aber heut' ausblieb'n is, bitte ich recht dringend, daß ich gleich fortgehen und mein Häferl mitnehmen darf. Es ist höchste Zeit!«

»Wozu?« fragte der Richter verwundert.

»Ich hab' erfahren, daß er über Pfingsten Burg Klamm und die schönsten Felswände der Adlitzgräben mit einer neuen Galgenpatron' anstreichen will und weil er nicht da ist, wird er schon draußen sein. Da möcht' ich mit dem halb zwei Uhr Eilzug hinausfahr'n und diese Gegend, wenn's notwendig ist, g'schwind überstreich'n, bevor die Vergnügungszügler die Inschriften seh'n. Vielleicht erwisch' ich ihn – dann aber lass' ich ihn nicht mehr aus, sondern bring' ihn selber her.«

Damit ergriff Herr Zephyrin Sobota sein Häferl, empfahl sich und eilte spornstreichs fort auf die Pfingstjagd nach seinem Quälgeist, dem jüngeren Kiselak.

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VIII. Die verschmähte Fischbeize
oder:
Der Bauernkrieg.

»Anton Zwerlitsch, Gemeinderat in Haselfeld!«

»Hier.«

»Wilhelm Haber, Viehhirt!«

»Hier.«

»Anton Sailer, Tagwerker!«

»Hier.«

»Johann Feigl, Viehhirt!«

»Hier.«

Da waren sie also vollzählig die vier Angeklagten und in dieser Reihenfolge trabten sie mit hängenden Köpfen vor die Anklagestühle, wo sie eine Weile vollständig ratlos stehen blieben und sich dann auf ein Zeichen des Präsidenten niederließen, wobei Anton Zwerlitsch, offenbar der hervorragendste Verstandesmensch unter ihnen, von seinen drei Nebenmännern an den Gerichtstisch gequetscht wurde, was er indes vermöge seiner heftigen Seelenleiden nicht zu fühlen schien. Alle vier trugen bäuerliche Kleider, ebenso die Zeugen bis auf einen, der im halbstädtischen Anzuge erschien und seine ersten Worte in einem gewaltsamen Hochdeutsch vorbrachte. Wer unsere Bauern kennt, für den gab es keinen Zweifel mehr über den Gegenstand der Verhandlung – der halbstädtische Zeuge war von den vier Angeklagten geprügelt worden. In der That verhielt sich die Sache so, denn wie die Anklage kurz erzählte, war der Halbstädtische, ein Tischler Namens Winkler, eines Tages in das Gasthaus des Anton Zwerlitsch gekommen und hatte dort einen »Russen« (kleiner Pöckelfisch) verzehrt, ohne jedoch die Beize, in der er serviert worden, zu berühren. Mit Hilfe der übrigen drei Angeklagten hatte darauf der Wirt dem Halbstädtischen den Mund geöffnet und demselben die verschmähte Fischbeize unter Gewaltanwendung mittelst eines Kochlöffels eingeflößt, bei welcher Gelegenheit er im Übereifer dem Gast zwei Backenzähne und einen Schneidezahn einstieß. Und als der Gast einige Worte der Mißbilligung dieses Vorganges laut werden ließ, wurde er mit einem Ochsenziemer gehauen, dann mit Wasser begossen und endlich aus der Wirtsstube hinausgeworfen. Da diese Nährmethode auf den Tischler von so ungünstigem Einflüsse war, daß derselbe mehr als einen Monat seinem Berufe entzogen blieb, so kamen die vier lustigen Bauern unter die Anklage der schweren Körperverletzung und wir haben bereits angedeutet, daß durch diesen Ausgang der Affaire ihre Stimmung einen Stich ins Schwermütige erhielt, womit nicht gesagt sein soll, daß dieses bäuerliche Genrebild etwa auch auf die Zuhörer den gleichen Eindruck machte.

Der Präsident des Landesgerichtes erkundigte sich vor allem bei dem geistigen Oberhaupte der Angeklagten, Anton Zwerlitsch, nach der Ursache jener Atzung und erhielt die Antwort: »I hab eahm dös than, weil er dem Michel Haber sein Russen weggessen und andern Gäst'n 'n Wein austrunken hat. Der Haber hat mi g'ruaft und hat g'moant: »Hat der Kerl mein Russen g'fress'n, so soll er a dö Baz (Beize) awi würgen.« »So, sag' i, der is mir eh' hundertundsechzig Gulden schuldi und zwanzigmal mit der Zech a'g'gfahren. Na und d'rauf hab'n ihn dö andern g'halt'n und i Hab eahm dö Baz mit'n Kochlöffel eingeb'n.«

»Was ist das, eine »Baz«,« fragte der Präsident.

»Salzsäure is,« sagte der Wirt unter großem Gelächter, und verbesserte sich dann: »Na, a Fischbaz is halt.«

»Das »Eingeb'n« muß auf merkwürdige Weise geschehen sein, weil der Beschädigte dabei gleich drei Zähne verloren hat.«

»Mir is selber a Ratsel. Hätt' er mi aber net am Ofen onig'haut, daß i mi fast neammer z'sammklaub'n hab' künna, so hätt' i nachher net'n Ochsenzähnd g'holt.«

»Haben ihm die anderen auch etwas gethan?«

»Ah freili, a jeder hat eahm a Paar geb'n.«

»Dann wurde er hinausgeworfen. Wer hat ihn dann mit Wasser begossen?«

»Das war i, weil er si' verstellt hat, als ob er ohnmachti wär'.«

»Aha, da wollten Sie ihn kurieren.«

Der Präsident wendet sich nun zum zweiten Angeklagten, dem Viehhirten Haber. »Nun, in welcher Weise waren denn Sie beteiligt?«

»No, mein' Russen hat er halt 'gessen,« meinte der Viehhirt, noch in der Erinnerung an dieses betrübende Erlebnis äußerst verstimmt, »und da hab' i gmoant, er soll halt die Baz a essen. Na und da hat eahm's halt der Herr Gastgeber mit'n Kochlöffel eingeb'n. Auf amal schreit der Winkler: Jessas Maria Josef, mein Zähnd!« Bin i hin und schau eahm ins Mund eini ganz mitleidi, er aber nöt faul, spuckt m'r dö ganze Fischbaz und dö Zähnd ins G'sicht. I hab' eahm wirkli nur ins Mund schau'n woll'n und weil er m'r dös d'rauf than hat, hab' i m'r denkt: hiazt haust'n. I könnt' wirkli net behaupt'n, hab' i eahm nur a Paar geb'n oder mehra.«

»Haben Sie ihn hinausgeworfen?« fragte der Präsident.

»Künnt' nöt diena,« sagte der Viehhirt nachsinnend – »g'leg'n drauß'd is er.«

Der dritte Angeklagte, Anton Sailer giebt der Überzeugung Ausdruck, daß sich Winkler die Fischbeize ungemein gerne habe eingeben lassen und daß nur die drei eingestoßenen Zähne der Unterhaltung eine minder, erfreuliche Wendung gegeben hätten. Er war es, der den Viehhirten Haber aufforderte, dem Tischler »ins Mund« zu schauen, indem er sagte: »Herr Haber, Sö san Viecharzt, thuan's den Mann untersuch'n, ob er no alle Zähnd hat.«

Was sein sonstiges Eingreifen in den Gang der Ereignisse betrifft, so schildert er es lapidar in den wenigen Worten: »In dem Wirrwarr hab' i a paar auffkriagt – na und da hab i natürli a a paar austeilt.«

Eine gewisse Weichheit spricht sich sowohl in den Zügen, als in dem damaligen Benehmen des vierten Angeklagten, des jugendlichen Vizeviehhirten Johann Feigl aus. Er war es, der den gemaßregelten Tischler hinausgeworfen und ihn draußen gefragt hat, wie er sich befinde. Der Tischler antwortete mit einem Stoße nach dem barmherzigen Bruder.

»So,« sagte dieser, »stössen than's a no?« – Na, und da hab' i eahm a ane awerg'haut,« meinte er nach dieser Erzählung und gab durch diese schmucklose Äußerung zu erkennen, daß er damit nur seine Pflicht gethan zu haben glaube.

In sehr lebhaften Farben ist die von dem halbstädtischen Tischler in Neusiedl selbstverfaßte Anzeige gehalten. Es heißt in dieser »Klage wegen unschuldig erlittener Körperverletzung« nach Darstellung des bekannten Sachverhaltes: »Infolge dieser frechen That, die mir drei Zähne ausgebrochen hat, bin ich bereits wahnsinnig geworden. Vom Ochsenziemer war ich halbtot, sie zerrten mich in den Kot und schütteten mich an, weil sie glaubten, ich sei tot. Durch die unzähligen Stöße konnte ich nur auf einem Fuße nach Hause hinken.«

»Waren die Angeklagten betrunken?« fragte der Präsident den Verfasser dieser anschaulichen Schilderung.

»Es war so leidentlich,« sagte der Tischler, dessen Anspruch auf Schmerzensgeld und Verdienstentgang die Summe von dreihundert Gulden betrug. »Es ist wenig für meinen Schmerz auf immer und ewige Zeiten und für meine Zähn',« begründete er dieses Verlangen.

»Wovon leben Sie?«

»Von meinem Handwerk und von zehn Gulden Rente, die mir » mein Papa« als Zulage giebt,« sagte der halbstädtische Landbewohner unter dem Grinsen der Bauern.

Das geistige Oberhaupt der Angeklagten wollte die Ersatzansprüche nicht gelten lassen, indem es behauptete, daß der Beschädigte schon zwanzig Tage, nachdem ihm die Fischbeize beigebracht worden, eine ganze Nacht Csárdás getanzt habe. Ebenso wie die drei Mitangeklagten dieser Behauptung ihres Obmannes eifrig beipflichteten, so sagte nach dem Plaidoyer des Staatsanwaltes und des Verteidigers auf die Frage des Vorsitzenden ob sie noch etwas zu bemerken hätten, einer nach dem anderen: »Nein,« weil der bedeutende Mann an ihrer Spitze gleichfalls nichts mehr zu sagen gewußt hatte. Der Gerichtshof verurteilte Zwerlitsch zu sechs, Haber zu drei, Sailer zu vier und Feigl zu zwei Monaten schweren Kerkers nebst solidarischer Ersatzleistung von hundert Gulden.

»Von was soll'n m'r denn das zahl'n,« sagte der Obmann und schüttelte traurig den Kopf.

Ganz dasselbe sagten die übrigen Angeklagten und schüttelten auch die Köpfe und stampften im Gänsemarsch aus dem Verhandlungssaale.

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