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Die verpfändete Venus

Aus einer Advokaturs-Kanzlei.

In der Kanzlei des berühmten Anwaltes Dr. Grimmer stöberte der älteste Schreiber mit um so heißerem Fleiß in den Akten umher, als eine Partei auf das Erscheinen des Chefs wartete und Advokatenschreiber bekanntlich nie fleißiger sind, als wenn sie sich beobachtet sehen. Seine eminente Machtstellung so recht klar zu legen, richtete der Oberschreiber seit der Anwesenheit des Klienten eine Menge von Fragen an seine Untergebenen, zum größten Teil Prozesse betreffend, die nie und nimmer in dieser Kanzlei geführt worden und deren Erwähnung lediglich den Zweck hatte, den Wartenden einen hohen Begriff von der Zahl und dem Umfange der hier anhängigen Rechtssachen beizubringen.

»Herr Speha«, sagte der Oberschreiber zu einem kurzsichtigen Unterschreiber, dessen Nase der Feder immerwährend auf dem Papier nachfolgte, wie ein getreuer Pudel seinem Herrn, »Herr Speha haben Sie die Einrede fertig in Sachen Winter contra Engel, Sie wissen diese merkwürdige Geschichte, wo Winter den Engel auf Leibschadensersatz klagt.«

Der angesprochene Schreiber fuhr wie aus einem schweren Traum auf und stotterte rasch ein »ja«, denn er wußte nicht, welche Sache sein Vorgesetzter meine, und in so zweifelhaften Fällen ist es immer besser, ja als nein zu sagen, zumal wenn man ein armer, von der Laune des Kanzleiältesten abhängiger Tagschreiber ist.

Der Oberschreiber fuhr in seinen Erkundigungen über die gegenwärtigen Stadien interessanter Fälle fort. »Eder contra Benisch, der Schenkungsprozeß, wissen Sie – – die Eder hat dem Benisch ein Kind geschenkt und er will diese Schenkung nicht annehmen – ist bis zur Eidestagsetzung, nicht wahr, Sie – –« Er wendete sich hierbei an einen baumlangen und entsprechend starken Schreiber, der, wie seinerzeit ein Rudolfsheimer Diurnist, in den Tagen der größten Not als Athlet in die Dienste eines Cirkusinhabers hatte treten können.

»Ja wohl«, erwiderte dieser, »der Benisch ist bereits zur Meineidsleistung vorgeladen.«

Der Oberschreiber beglückt diesen Witz mit einem gnädigen Lächeln und stöbert weiter. »Ist die Klage Tobias contra Wallner fertig, Ehrenbeleidigung begangen durch Hinauswerfen des Tobias – actio de ejectis et effusis heißt sie im römischen Recht – –«

Der betreffende Schreiber bejaht und erlaubt sich nur anzufragen, ob er vielleicht die eben gehörte lateinische Bezeichnung der Klage beifügen solle, was der Vorgesetzte indes mit dem Bemerken verneint, daß dies leider seit Justinian nicht mehr üblich sei.

Nach einer Reihe von ähnlichen, für die juristisch ungebildete Schreiberschaar lehrreichen Bemerkungen entfaltet der Oberschreiber endlich das letzte Stück, vertieft sich eine Weile darein und ruft dann in vorwurfsvollem Tone aus: »Ja, ist denn die Pfändung bei dem Greisler Bunzl noch immer nicht vollzogen?«

»Werden sich vielleicht freundlichst erinnern«, antwortet einer der Schreiber, »daß der höchst gewaltthätige Mann unserem Chef und dem Amtsdiener gelegentlich der ersten Pfändung das Anerbieten gemacht hat, beide mit einer Holzhacke zu erschlagen.« –

»Ah, ich erinnere mich schon, richtig, der Chef hat uns damals auf das strengste verboten, unsere Buttersemmeln aus dieser Greislerei zu beziehen, und der unfreundliche Exekut wurde später vom Landesgericht zu acht Monaten Kerkers verurteilt. Aber seitdem ist nahezu ein Jahr vergangen. Der Mann ist inzwischen vielleicht zu Geld gekommen, was? –«

»Das glaube ich nicht«, meldete sich der robuste Schreiber, »ich gehe alle Tage an dem Laden vorbei, es steht kaum was darin, was der Mühe wert zu pfänden wäre, aber ... aber ...« der lange Schreiber stockte und errötete. –

»Nu, nu, nur heraus damit, aber bleiben Sie sitzen, Lieber, bleiben Sie sitzen, denn wenn Sie in Ihrer ganzen Länge aufstehen, so ist's gerade so, als ob Sie eine Bergpredigt halten wollten.«

Der Lange machte eine Pause, schluckte ein paarmal hinunter und begann hierauf: »Wie schon gesagt, gehe ich täglich an dem Laden vorbei und habe an dem Fenster daneben öfter einen ganz hübschen Kopf bemerkt, der entschieden nicht der des Greislers war. Herr Kanzleileiter, Sie werden von mir nicht übler denken als bisher, wenn ich Ihnen sage, daß der Kopf mich interessierte und daß ich eines Tages nicht umhin konnte, den Kopf im Vorbeigehen auf die Wange zu klopfen. Und da er´s ganz und gar nicht übel nahm, sondern mich sogar wohlgefällig anblickte, so faßte ich mir endlich – es war an einem Gagetage seligen Andenkens – den Mut, der Besitzerin dieses reizenden Kopfes einen Besuch zu machen. Da erzählte sie mir nun, daß sie bei dem Greisler wohne und demselben für das bißchen Unterstand und Diskretion täglich einen Gulden zahlen müsse; einen Gulden, Herr Kanzleileiter, das macht mit Verlaub im Monat dreißig Gulden und so denke ich mir denn: wenn dem Bauer die milchgebende Kuh gepfändet werden darf, warum soll diesem Greisler das einzige wertvolle Objekt, das er besitzt, nicht gepfändet werden dürfen, nämlich die kleine, täglich einen Gulden von sich gebende Venus? ...«

Der Kanzleileiter blickte den Sprecher lange und durchdringend an. »Herr«, sagte er endlich, »Sie sind der Archimedes der Kanzlisten, ich habe mich in Ihnen vollständig getäuscht, denn bis heute habe ich Sie, aufrichtig gestanden, für einen großen Schafskopf gehalten. Ich glaube Ihnen aber nunmehr mit Bestimmtheit eine Gehaltserhöhung von 1 fl. 50 kr. per Monat in Aussicht stellen zu können für Ihre sublime Idee, das ganze Weibsbild zu pfänden, welche als solche indes nicht direkt auszuführen ist, weil uns die Magna Charta in diesem Punkte etwas geniert, was? Die Sache ist aber die, daß wir bei Gericht das Pfandrecht auf diese dreißig Gulden unter dem Titel eines an den Greisler bezahlten Miethzinses nachsuchen, was uns, wenn der Umstand niemandem auffällt, daß dreißig Gulden monatlich für ein Kabinett bei einem Greisler etwas viel ist, ohne weiteres bewilligt werden wird; was? Und der kleinen Venus kann es ja egal sein, an wen sie das Sündengeld abführt; was?«

Alles pflichtete lebhaft bei; das Pfändungsgesuch wurde geschrieben, vom Gericht in der That bejahend erledigt und der Sollizitator sputete sich, bei der Schönen die Execution vorzunehmen. Allein, wie es schon mitunter zu geschehen pflegt: daß nämlich Schlaue an noch Schlauere geraten – das Mädchen erklärte, es habe schon am Ersten des betreffenden Monats dem Greisler für den ganzen Monat vorausbezahlt, und als die Exekutions-Kommission am nächsten Ersten erschien, wurde ihr wieder die überraschende Mitteilung, daß die dreißig Gulden schon am neunundzwanzigsten des vergangenen Monats vorausbezahlt worden seien, wozu überdies der eigentliche Exekut hohnlächelnd bemerkte, daß die Tage, an welchen er sich vorausbezahlen lasse, zu unbestimmt seien, um von den Herren richtig erraten zu werden. So mußte die Kommission stets unverrichteter Dinge abziehen, und niemand wird es daher für eine gewagte Schlußfolgerung halten, wenn wir annehmen, daß der Archimedes der Kanzlisten bisher auf die versprochene bedeutende Ausbesserung vergebens gewartet hat.

* * *


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